DEUTSCHE LANDE / DEUTSCHE KUNST HERAUSGEGEBEN VON BURKHARD MEIER POMMERN AUFGENOMMEN VON DER STAATLICHEN BILDSTELLE EINGELEITET VON MARTIN WEHRMANN BESCHRIEBEN VON FRITZ ADLER, CARL FREDRICH UND OTTO SCHMITT DEUTSCHER KUNSTVERLAG BERLIN / 1927 0 MIT UNTERSTÜTZUNG DES HERRN MINISTERS FÜR WISSENSCHAFT KUNST UND VOLKSBILDUNG DES HERRN LANDESHAUPTMANNS DER PROVINZ POMMERN, DES POMMERSCHEN LANDKREISTAGES, DES POMMERSCHEN STÄDTETAGES UND DER STÄDTE STETTIN UND STRALSUND MARTIN WEHRMANN / EINLEITUNG.............Seite 11 Gymnasialdirektor i. R., Prof. D. Dr. FRITZ ADLER / STRALSUND..................Teil Direktor des Stralsunder Heimatmuseums, Dr. phil. FRITZ ADLER / WESTPOMMERN..................... CARL FREDRICH / STETTIN....................... Oberstudiendirektor, Prof. Dr. OTTO SCHMITT / MITTELPOMMERN............. „IV Ordinarius für Kunstgeschichte an derUniv. Greifswald, Prof. Dr. OTTO SCHMITT / OSTPOMMERN................... V Ortsverzeichnis und Künstlerverzeichnis S. 6, Sachverzeichnis S. 10, Karte S. 8~9, I II III o Altenkirdien ... II Altenschlawe... V Anklam........IV Barth......... II Belgard....... V Bergen........ II Bütow.......... V Carlsburg..... II Daher..........IV Demmin........IV Dramburg...... V Eldena........ II Falkenhagen... II Franzburg .... II Freienwalde ... IV Gartz..........IV Gollnow.......IV Greifenberg ... V Greifenhagen... IV Greifswald.... II Grimmen....... II Groß-Kiesow . . II Horst......... II Kammin........IV Kenz........... II Kirchbaggendorf II Kolbatz.......IV Kolberg........ V Köslin......... V Landskron .... IV Lauenburg .... V Lupow.......... V Niederhof .... II Pansin........ IV Pasewalk...... IV Plathe......... V Putbus.......... II Putzar.......... IV Pyritz.......... IV Quitzin....... II Rolofshagen... II Rügenwalde... V Schaprode .... II Schivelbein ... V Sdilawe....... V Schwerinsburg. IV Seebuckow ... V Spantekow... . IV Spyker.......... II Stargard...... IV Stargordt .... V Stettin....... III Stolp............ V Stralsund .... I Treptow a. Rega. V Treptow a. T. . . IV Tribohm....... II Tribsees....... II Tützpatz........ IV Ockermünde .... V Usedom........ IV Verdien....... IV Vilmnitz....... II Vitte.......... II Waase ......... II W iek auf W ittow 11 Wildberg .....IV Wißmar ........ IV Wolgast ....... II Wolkow ........ IV Wollin .......IV KÜNSTLERVERZEICHNIS Bilder dieses Buches nur eine kleine Auswahl bringen, sind im Jahre 1924 und 1925 durch den Photographen der Staatlichen Bildstelle Otto Hagemann unter Leitung des Regierungsrats Theodor v. Lüpke hergestellt worden. STRALSUND UM DIE MITTE DES 17. JAHRHUNDERTS. STICH VON MERIAN. Uber zwei Erlebnisformen gelangt der eilends eine alte Stadt durch« streifende Reisende im allgemeinen nicht hinaus. Während vor seinem flüchtigen Auge über dem marktschreierischen Lärm des gegenwärtigen Lebens plötzlich hier und da mächtige Bauwerke einer großen Kultur emporwachsen, droht ihm in der Ahnung eines gewaltigen Schöpfertums, das hier am Werk war, für einen Augenblick das herrliche Selbstgefühl des Menschen unserer Zeit und Zivilisation verloren zu gehen. Und, abseits vom geräuschvollen Rhythmus der Gegenwart, in der Stille alter Straßen und der verwunschenen Wildnis verlassener Höfe und Klostergärten beschleicht ihn die Wehmut über eine Zeit, die versank, und die ihm im Augenblick reiner und glückhafter erscheint als die seine. Es ist ein unklares, verschwommenes Gefühl der Romantik, das alle diese alten Städte im modernen Betrachter wecken, um dessentwillen er, unbewußt, dieselben immer wieder aufsucht. Dem widerspricht nicht, daß das eine oder andere Werk der Baukunst oder Plastik einen tieferen, bleibenden Eindruck auf ihn madit, das ganze wahre Gesicht dieser Stadt bleibt ihm doch verborgen. Dieses Gesicht in seiner ganzen Bewegtheit und Vielgestalt zu schauen, ist der Drang des nicht «eilfertigen und nicht-romantischen Betrachters. Ihm ist eine Stadt ein in sich geschlossenes Schicksal mit dem nur ihr eigenen Lebensrhythmus, denn mögen sich Städte desselben Landstriches noch so sehr auf den ersten Blick gleichen, immer noch wird jeder von ihnen ein Besonderes anhaften. Wer aber diesen persönlichsten Lebensrhythmus dieser einen Stadt erfaßt hat, dem werden sich alle ihre Denkmale, vom gewaltigsten Bau bis zum unscheinbarsten Ornament aus den verschiedensten Jahrhunderten, zum Bilde eines einzigen Schicksals zusamtnenschließen. Freilich zwingen nicht alle Städte zu solcher Betrachtung, zu der die Vor« aussetzung ist, daß in ihnen Kraft und Wesen stark genug gewesen sind, um eigenstes Gepräge zu reiner Entfaltung zu bringen. Diese aber wird in den meisten Fällen durch eine, wenn auch nur vorübergehende, wirtschaftliche oder politische Machtstellung bedingt, und darum hat gerade jede von den großen Hansestädten der norddeutschen Tiefebene ihr eigenes Gesicht, dessen Züge sich unverkennbar noch heute in ihren Bauwerken finden lassen. Sie verdanken ihre Größe und Eigenart nicht dem Ingenium eines einzelnen, wie manche Bischofs« und Residenzstädte, sondern vielmehr dem Schöpfer« willen einer Volksgemeinschaft. Darum sind sie auch in viel höherem Maße Ausdruck des Schicksals einer Gesamtheit. Lübeck, Danzig und Thorn stehen für Norddeutschland hier an erster Stelle, ihnen aber folgt mit Wismar und Rostock das alte Stralsund. Trotz mancher neuzeitlichen Verunstaltungen, die hauptsächlich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuzuschreiben sind, bietet das Stadtbild Stralsunds noch heute einen ziemlich geschlossenen Eindruck, Er ermöglicht es, in der zeitlichen Abfolge der erhaltenen Kunstdenkmäler das Schicksal der alten Hansestadt in seinem Aufgang und Niedergang wiederzuerkennen. In den Werken der Kunst, und insbesondere in der Architektur, spiegelt sich die innere Geschichte dieses Menschentums in der urwüchsigen Entfaltung seiner Kraft und deren allmählichem Erlahmen. Denn die Kräfte, welche zu« tiefst die politische und wirtschaftliche Geschichte der Stadt bestimmt haben, haben in der Kunst ihren geistigen Niederschlag gefunden,- und wenn auch die politischen Schicksale für die Deutung der Kunstwerke entbehrlich sind, manches in deren Entwicklung und Wandel wird leichter verständlich, wenn man sich erst einmal die Stadtgeschichte in ihren entscheidenden Phasen ver« gegenwärtigt hat. Die Stadt Stralsund wird zum ersten Male im Jahre 1234 urkundlich er« wähnt. Deutsche Kolonisten aus dem Gebiet westlich der Elbe hatten sich in dem slawischen Fährdorf Stralow an der pommerschen Küste, wo sich diese ungefähr auf anderthalb Kilometer der ihr vorgelagerten Insel Rügen nähert, niedergelassen. Unter der Gunst der Landesherren, der Fürsten von Rügen, und dank dem wirtschaftlichen Weitblick und Unternehmungsgeist der Einwanderer entwickelte sich die neue Siedlung in sieben Jahrzehnten zu einer ansehnlichen deutschen Stadt, die bereits um 1300 in ihrer Aus« dehnung den Umfang erreicht hatte, den sie das ganze Mittelalter hindurch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gehabt hat. Weder der Überfall der eifersüchtigen Lübecker auf die emporstrebende Rivalin im Jahre 1249, noch die Feuersbrunst von 1270 hatten die rasche Entwicklung hemmen können. Bereits gegen Ende dieses Jahrhunderts hatte Stralsund einen weitverzweigten Handelsverkehr, der seine Schiffe nicht nur nach den skandinavischen Ländern und Rußland führte, sondern auch nach England und Frankreich, Dank dieser handelspolitischen Erfolge hatte es die Stadt andererseits verstanden, nach und nach von den Landesherren die wichtigsten Vorrechte und Privilegien zu erwerben, durch welche sie diesen gegenüber eine immer größere Selb® ständigkeit und Freiheit erlangte. So wurde bereits im 13. Jahrhundert politisch und wirtschaftlich die entscheidende Grundlage geschaffen, welche den machtvollen Aufstieg der Stadt im 14. Jahrhundert ermöglichte. Diese rasche Kraftentfaltung, die nicht nur Stralsund, sondern fast allen nieder® deutschen Siedlungen aus jener Zeit eigen ist, trat dann nach außen hin im Zu® sammenschluß der Städte im Bund der Deutschen Hansa 1293 in Erscheinung. Das erwachte Selbstbewußtsein des jungen Bürgertums wandelte sehr bald die anfängliche Gunst der Fürsten in Feindschaft. Der landesherrlichen Ge® walt und der Macht des Königs von Dänemark erlagen in den Jahren 1307 bis 1312 Lübeck, Wismar und Rostock, und der Bund der Hansa war damit schon gesprengt, als 1316 ein großes Fürstenheer gegen Stralsund rückte. Aber da geschah das für jene Zeit Unerhörte: am 21. Juni 1316 erfochten die Stralsunder Bürger einen glänzenden Sieg über ihre Bedränger, und im Triumph wurden gefangene Fürsten und Adlige in die Stadt geführt. Die Freiheit gegenüber dem Landesherrn war dadurch gesichert, und im Bunde mit der sich bald darauf wieder zusammenfindenden Hansa folgte ein neuer politischer und wirtschaftlicher Aufstieg. Bald war es nach Lübeck die zweitmächtigste Stadt an der Ostsee. Ein halbes Jahrhundert später entbrannte noch einmal der Krieg zwischen Dänemark und dem Städtebund um die Vorherrschaft in der Ostsee. Neun Jahre, von 1361 bis 1370, dauerte dieser Kampf, dessen treibende Mächte Lübeck und Stralsund waren. Trotz schwerer Niederlagen im Anfang erfochten die Städte schließlich einen glänzenden Sieg. Auf dem Stralsunder Rathaus wurde 1370 der Friede geschlossen, in welchem die Königsmacht sich dem Bürgertum unterwerfen mußte. Dieser großartige Erfolg war ein wesentliches Verdienst des Bürgermeisters Bertram Wulflam, der imposantesten Gestalt der ganzen Stadtgeschichte. Der Sieg von 1370 führte Stralsund auf die Höhe seiner politischen und wirtschaftlichen Machtstellung, die es im folgenden 15. Jahrhundert unbestritten behaupten konnte. Wie aber überall in Deutschland, war auch hier diese Epoche die Zeit innerer Gärung und Spannung. Innerpolitische Gegensätze, Fürstenhändel und Kämpfe mit Raubrittern auf der einen Seite, steigender Reichtum der Patrizier, äußerliche Machtentfaltung der katholischen Kirche und ihr innerer allmählicher Verfall auf der anderen Seite. Das 16. Jahrhundert brachte dann die Entscheidung. Mit der Reformation gewann die Demokratie in der Stadt die Oberhand und verwickelte sie auf Betreiben Lübecks in einen Krieg gegen die Dänen, durch dessen unglück- liehen Ausgang die einstige Großmachtstellung der Hansa erschüttert wurde. Zu dieser politischen Niederlage kam noch der Umschwung im Handels® verkehr. Die großen überseeischen Entdeckungen um die Wende des 15. Jahrhunderts hatten die Entfaltung des spanischen, holländischen und eng® lischen Handels zur Folge, und dadurdi verschob sich nicht nur das Schwer® gewicht des Handels nach Westen, sondern die Holländer kamen jetzt auch mit ihren großen Schiffen in die Ostsee und wurden gefährliche Konkur® renten des hansischen Handels. Während aber die politische und Wirtschaft® liehe Machtstellung der Städte immer mehr erschüttert wurde, erstarkte da® gegen die Macht der Landesherren und Fürsten. Fast ein Jahrhundert hat Stralsund im offenen oder geheimen Kampf mit seinem Landesherrn, dem Herzog von Pommern, gestanden, bis es diesem schließlich 1615/16 gelang, die politische Souveränität der freien Hansestadt zu erschüttern. Diese völlige Verschiebung der Machtverhältnisse trat in den Schicksalen der Stadt während des 17. Jahrhunderts offen zutage. Vom Hansabund verlassen, der seine einstige politischeBedeutung bereits eingebüßt hatte, stand Stralsund gänzlich isoliert, als der bis dahin unbesiegte Generalissimus Wallenstein 1628 vor seinen Mauern erschien. Daß man damals hier den Mut zum Widerstand hatte, in einer Zeit und in einem Lande, wo alles kampflos die Waffen vor dem gefürchteten kaiserlichen Heer streckte, ist die unvergleichliche Heldentat dieses Bürgertums. Nach einigen Monaten mußte der Herzog von Friedland die Belagerung aufgeben, und wenn auch dieser Sieg niemals ohne die militärische Unterstützung Schwedens errungen werden konnte, entscheidend waren fürs erste Mut und Wille zum Wider® stand, welche die Bürgerschaft damals beseelten. Diese größte Ruhmestat in der Strafsunder Geschichte ist zugleich die letzte des einstigen freien Bürgertums. Im Westfälischen Frieden 1648 kam die Stadt an Schweden und verlor dadurch ihre alte Freiheit. Die Verbindung mit dem skandinavischen Reich brachte in den ersten Jahr® zehnten viel Unheil. Das schwedische Pommern wurde zum Schauplatz der Kriege, welche die Könige des Nordens zur Sicherung ihrer festländischen Besitzungen in Europa führten, und Stralsund, als die stärkste Festung des Landes, stand immer im Brennpunkt dieser Kämpfe. 1678 belagerte der Große Kurfürst die Stadt und schoß in wenigen Stunden einen großen Teil derselben in Trümmer. Zwei Jahre später fiel sie einer Feuersbrunst zum Opfer. Durch diese beiden Katastrophen wurde der einstige Wohlstand vernichtet, und durch sie erfuhr das mittelalterliche Stadtbild eine völlige Ver® änderung. Zwei Drittel der Stadt waren zerstört, und zugleich der Geist und die Mittel verloren, welche einen raschen, tatkräftigen Wiederaufbau ermöglicht hätten. Dreißig Jahre später fand der Verzweiflungskampf Karls XII. gegen die europäischen Großmächte vor den Mauern der Stadt sein Ende. Dreimal wurde die Stadt von 1711 — 1715 belagert, nachdem vorher <1710> die Pest, vom polnischen Kriegsschauplatz eingeschleppt, gegen 4000 Opfer gefordert hatte und manche Häuser vollkommen ausgestorben waren. Mehrere Jahre waren dann die Dänen Herren der Stadt, bis schließlich 1720, im Frieden zu Frederiksborg, Stralsund der schwedischen Krone wie* der zugesprochen wurde. Obwohl dann im 18. Jahrhundert das Schicksal der Bürgerschaft in ruhigere Bahnen lenkte — die vernichtenden Schläge in dem Zeitraum von 1670—1720 waren zu furchtbar gewesen, als daß sich die Stadt jemals wieder zu ihrer einstigen Stellung hätte emporringen können. 1675 belief sich die Zahl der Einwohner noch auf ungefähr 18000, um 1700 war sie auf 10000 gesunken, eine Zahl, die erst im 19. Jahrhundert wieder überschritten wurde. Die Verbindung mit der sinkenden Großmacht Schweden war nicht dazu angetan, neue Kräfte zur Entfaltung zu bringen. Wohl wurden Versuche gemacht, die Industrie zu beleben, und die Erzeugnisse der Stralsunder Fayencefabrik aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erinnern daran,-ebenso lassen die Neubauten aus jener Zeit darauf schließen, daß ein ge* wisser Wohlstand wieder erreicht wurde. Aber der große Geist von ehedem war und blieb verloren. Im Napoleonisdien Zeitalter wurde Stralsund dank der Halsstarrigkeit des Schwedenkönigs Gustav IV. Adolph noch einmal Kriegsschauplatz. Fünf* mal wurde die Stadt in dem Zeitraum von 1806—1813 belagert, mehrere Jahre mußte sie französische Besatzung in sich beherbergen, 1809 fand Ferdinand von Schill im Straßenkampf den Heldentod, und die aufgezwungene Kontinentalsperre beraubte die schon verschuldete Bürgerschaft jeder Ver* dienstmöglichkeit. Die Neuordnung der europäischen Verhältnisse entschied dann auch das fernere Schicksal Stralsunds. Schweden verzichtete 1815 auf seine letzten deutschen Besitzungen, und die Stadt kam mit Neuvorpommem und Rügen an die Krone von Preußen. Damit war die Grundbedingung zu einer neuen aufwärtsführenden Entwicklung geschaffen, die in der allmählichen Er* Weiterung des mittelalterlichen Stadtbildes seinen sichtbaren Ausdruck ge* funden hat. Seine einstige wirtschaftliche Bedeutung wird Stralsund jedoch nie wieder erlangen, weil seine Lage den Anforderungen des modernen Handelsverkehrs nicht entspricht. Die Größe der alten Hansestadt liegt in ihrer ruhmvollen Vergangenheit, die auf unsere Zeit als ein geistiges Vermächtnis einstiger Tatkraft deutschen Bürgertums überkommen ist. Das aber ist der Zauber dieser Stadt, daß von dem Geist ihres Menschentums nicht nur die Chroniken und Urkunden zeugen, sondern daß ihre Geschichte noch ziemlich lückenlos und unmittelbar in den Bauten und Kunstwerken zu lesen ist. Betrachtet man die alte Stadtansicht Stralsunds aus dem Jahre 1628 • mit ihrem noch rein mittelalterlichen Gepräge, so überwältigt den Beschauer, dessen Auge an die uferlosen modernen Städte ohne jede Silhouette gewohnt ist, die Geschlossenheit und der Aufbau dieses architektonischen Bildes. Breithin am Wasser gelagert, auf die Stadtmauer ge-stützt, steigt das Ganze über das bunte Gewirr der Giebel und Dächer zu den Riesenleibern der Kirchen empor, um sich in den Türmen jäh zum Himmel zu schleudern, alles andere weit unter sich lassend. In diesem ziel-haften Bewegungsrhythmus ist etwas Ausdruck geworden, das weder unsere neuzeitlichen Städte noch die meisten Seelen der Menschen unserer Tage besitzen: die so selbstverständliche und unerschütterliche Bewegung alles Werdenden und Bestehenden zur Höhe, zu Gott, als dem letzten Sinn und Ziel. Allein aus dieser gotischen Welthaltung erklärt sich die beherrschende Stellung der drei großen Stralsunder Pfarrkirchen im Gesamtbild der Stadt, die ihm auch heute noch sein besonderes Gepräge geben. In einzelnen Teilen in das letzte Viertel des 13. Jahrhunderts zurückweisend, gehört ihre wesentliche Ausgestaltung in der auf uns überkommenen Form dem 14. und dem beginnenden 15. Jahrhundert an. Und wenn auch im Ablaufe dieses Zeitraumes das architektonische Gefühl eine grundsätzliche Wandlung erlebte, die sich ganz offenkundig in der Verschiedenartigkeit von St. Nikolai und St. Marien ausdrückt, so ist doch der erste entscheidende Eindruck der, von dem einheitlichen Bauwillen und Baugeist, aus dem alle diese Kirchen hervorwuchsen. Sie alle drücken in gleicherweise das mittelalterliche, gotische Weltgefühl aus, in seiner besonderen Umgestaltung durch das niederdeutsche Volkstum in dem neugewonnenen Kolonisationsgebiet, und in der Form mitbedingt durch das hier allein zur Verfügung stehende Material: den Backstein. Die große Fläche, an der noch die ganze Erdschwere haftet, ist das stärkste Ausdrucksmittel dieser niederdeutschen Backsteinkunst. Im schärfsten Gegensatz zur Hausteingotik, welche die Fläche bis zur letztmöglichen Grenze des Architektonischen auflöst, ist bei den Stralsunder Kirchen, wie in der gesamten hansischen Backsteingotik, das Streben fühlbar, durch die Fläche in ihrer ganzen Wucht und Monumentalität zu wirken. Die großen Mauerdurchbrüche der Portale und Fenster haben hier nur die Aufgabe, die Fläche zu gliedern und zu beleben, niemals sie aufzulösen. Die Türme werden nur durch weiße Blenden geteilt, nicht von Fenstern durchbrochen, wie zum Beispiel bei St. Martin in Landshut. Auch das Ornament ist diesem alles beherrschenden Gesetz der Fläche unterstellt: es füllt hier und da die Blenden, oder legt sich als Bandfries um Mittelschiff und Türme, aber niemals erhält es eine so große Selbständigkeit, daß es sich aus dem Mauerwerk als eigenes Gebilde herauszulösen vermöchte. Am deutlichsten begreift man das Wesenhafte der hansischen Kirchen-kunst, wenn man sie mit Bauten der märkischen Backsteingotik vergleicht, man denke an die obere Ostfront von St. Marien in Prenzlau oder die Fronleichnamskapelle der St. Katharinenkirche in Brandenburg. Hier ist der offenkundige Drang, die Fläche, ähnlich wie beim Haustein, aufzulösen und dadurch ihre Schwere zu überwinden. Zugleich aber gibt der Formenreichtum dieser märkischen Bauten der Phantasie des einzelnen viel größere Auswirkungsmöglichkeiten. Die Stralsunder Kirchen sind dagegen, wie die des wendischen Viertels überhaupt, nur auf die große Fläche gestellt, die durch wenige große Linien begrenzt wird, deren ruhige und sichere Führung niemals unterbrochen wird. In dieser monumentalen Kunst geht es nur um die ganz großen Formen und Ausmaße, so daß hier der Phantasie des einzelnen nur ein untergeordneter Spielraum gelassen ist, im Gegensatz zum gotischen Haustein-bau mit seiner Fülle von einzelnen schöpferischen Gedanken und Einfällen. Wie aber vereinbart sich der gotische Vertikalismus mit dieser schweren, erdhaften Flächenkunst? In der Aufwärtsbewegung dieser Kirchen ist nicht Rausch und Ekstase. Ruhig und mächtig, in sichtlicher Verhaltenheit, steigt das Mauerwerk empor, und noch in den Türmen wird das Auge bei dem offensichtlichen starken Betonen der Horizontalen nur langsam weitergeführt. Es ist, als ob die zu überwindende Erdkraft der Horizontalen immer wieder fühlbar gemacht werden sollte, damit nach diesem Kampf um so überwältigender der Sieg der Vertikalen wirke, die in den einst gotischen Turmhelmen schließlich doch von aller Erdkraft frei geworden, jetzt auf einmal in einer dem Bau bisher ganz fremden Befreitheit zur höchsten Spitze steigt. In dieser Monumentalkunst ringen die zur Erde ziehenden Kräfte der Schwere mit dem Willen zur Höhe/ in diesem Kampf aber ist keine Spur von Krampf, sondern zähes und stetiges Empordringen, das immer der erdbindenden Kräfte eingedenk ist. Über aller schließlichen Wendung zum Transzendenten wird in diesen Bauten niemals die Erde, das Diesseits, die Wirklichkeit vergessen, im Gegensatz zur Hausteingotik. Und während über dieser das Symbol der Kreuzzüge steht, „ein Ideal in alle Fernen geschleudert, eine riesenhafte Romantik", steht über jenen symbolhaft die zähe und nüchterne Arbeit der Kolonisation des deutschen Nordostens jener Jahrhunderte. Aus diesem Gegensatz historischer Tatsachen begreift man zugleich das innerste Wesen des hansischen Backsteinbaues. Diese Richtung des inneren Ausdruckswillens ist Gemeingut der Baukunst im wendischen Viertel. Eins jedoch hebt die Stralsunder Kirchen mit denen zu Lübeck und einigen anderen vereinzelten Schöpfungen über die meisten Bauten der Nachbarstädte hinaus: es ist das Maß dieser Kirchen. Trotz der ungeheueren Ausmaße dieser Kirchen ist hier nichts unförmig und ungestaltet geblieben, sondern alles von einem geistigen Willen bis ins Letzte durchdrungen und beseelt. Die Schöpfer dieser Monumentalkunst haben das Material bis zu seiner letztmöglichen Grenze ausgeschöpft:, ohne daß das Material ihrem Herrscherwillen entwuchs, und nie in dem Drang nach Größe das Gefühl für die Proportion verloren. Das ist z. B. das Gepräge der Wismarer Kirchen, in deren Auftürmung riesiger Massen jenes Gefühl für Proportion fehlt, das allein Zeichen der geistigen Bezwingung des Materials ist. In ihnen ist die Grenze des Möglichen überschritten, und sie sind erschütternde Zeugen einer tragischen Selbstübersteigerung. In den Stralsunder Kirchen ist dagegen bei aller Anerkennung der schweren Baumasse und der großen Fläche der gestaltende Formwille immer Herrscher geblieben. Am reinsten kommt dieser Geist der hansischen Backsteingotik mit seiner monumentalen Behandlung der Fläche, seinem verhaltenen Vertikalismus und dem Gefühl für die Proportion in der Nikolaikirche war in seiner frühgotischen Anlage ursprünglich eine Hallenkirche und wurde dann im 14. Jahrhundert durch Erhöhung des Mittelschiffes in eine dreischiffige Basilika umgewandelt. Liegt schon im Charakter der Hallenkirche eine stärkere Betonung der Vertikalen und eine Abschwächung der Längsrichtung, wie sie St.Nikolai in so eindringlicherWeise in dem Weg vom Portal durch das Mittelschiff zum Chor ausdrückt, so wurde in St. Jacobi das Motiv der Längsbewegung ganz fallen gelassen, indem man auf den Chor völlig verzichtete. Dieses Aufgeben jedweden Chorab» Schlusses ist eine nicht allzu häufige Erscheinung, die sich in den Stralsund benachbarten Städten nur bei der Greifswalder Marienkirche wiederfindet. Kulturgeschichtlich ist diese Umformung in der Gesamtanlage durch die wachsende Bedeutung bedingt, welche das Laienelement und mit ihm die Predigt im Gottesdienst des späteren Mittelalters und besonders in den Städten gewannen. Künstlerisch bedeutete der Verzicht auf den Chor den Sieg der Vertikalen gegenüber der ursprünglichen Längsrichtung. Diese wird jetzt nur noch einzig und allein dadurch gewahrt, daß sich der Turm von St. Jacobi der Längsrichtung der ganzen Kirche einfügt, sich aber nicht wie bei St. Marien als Querbau vor den Längsbau legt. Der an sich einfache und jedes besonderen Reizes entbehrende Bau von St. Jacobi hat erst durch den Turm, der in seiner heutigen Gestalt eine Neu» Schöpfung aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist, sein Gepräge erhalten. Durch eine mächtige Blende mit tiefer Laibung, welche das Haupt» portal und das hohe Fenster darüber umfaßt, wird in einem großen Zug das Turmmassiv zur Höhe geführt, noch unterstützt in dieser Bewegung durch die seitlich ansteigenden Linien der vorgezogenen Seitenschiffe. Im Gegen» satz zu dem schwer gelagerten Mauerwerk von St. Nikolai rauscht dieser Turmbau machtvoll zur Höhe des Mittelschiffs empor, durch die tiefe Laibung der Blende zugleich von der großen Fläche des Mauerwerks den Eindruck des Lastenden nehmend. Die folgenden beiden Geschosse gleichen sowohl in der vertikalen Gliederung durch die Blenden, als auch in der horizontalen, durch die Friesbänder betonten Übereinanderschichtung denen der älteren Pfarrkirche,- dann aber taucht ein völlig neuer Gedanke auf. An Stelle der verhaltenen Aufwärtsbewegung durch die Geschosse setzt schon jetzt ein raschervertikalerRhythmus ein,indem das anfänglicheTurmviereck ins Oktogon übergeht. Es ist, als ob das Ganze sich jetzt schneller zur Höhe schrauben will, und dazu tragen auch die vier kleinen, das Oktogon flankierenden Seitentürmchen bei. Auf diese Steigerung der Vertikalbewegung konnte dann nur noch unmittelbar die ruhige, aber schnell aufsteigende Linie der einstigen gotischen Pyramide folgen. Die Eigenart von St. Jacobi .liegt in seiner Westfassade mit dem Turm: im Vergleich mit St. Nikolai zeigt sich hier eine andersgerichtete Behandlung der Fläche und der Vertikalen. Die Fläche wird stärker als bisher durch die große und tiefe Laibung aufgelockert, welche Portal und Fenster umschließt, und in der aufsteigenden Bewegung wird das Tempo beschleunigt. Aber noch in einem Dritten unterscheidet sie sich von der ältesten Pfarrkirche: während nämlich diese auf jeden Schmuck verzichtet, entfaltet der Turm von St. Jacobi einen überraschenden ornamentalen Reichtum in den Blenden und Friesen, die mit den verschiedensten glasierten Formsteinen ausgefüllt sind. Die Kirche nimmt dadurch eine Sonderstellung unter den Stralsunder Bau» werken ein, denn bei keinem anderen findet sich ein derartiger Reichtum des Ornaments wieder. Auch dieses Merkmal bedeutet ein Abrücken von der frühen Bauweise mit ihrer oft geradezu nüchternen Einfachheit und architektonischen Strenge, die sich nur ganz selten des Ornamentes bediente. So sind im Bau von St. Jacobi verschiedene Ansätze einer Stilwandlung spürbar, die aber noch keine entscheidende neue Richtung erkennen lassen. Diese findet vielmehr erst in der Marienkirche ihren reinen Ausdruck. Die Baugeschichte der Marienkirche (Bild 11 —15> ist noch kaum bearbeitet. 1298 wird das Gotteshaus zum ersten Male im Stadtbuch erwähnt, da aber 1382 der Turm niederstürzte und einen Teil der Kirche zertrümmerte, ist es schwer zu bestimmen, welche Teile des Baues ihre Entstehung der Zeit vor oder nach dieser Katastrophe verdanken. Soviel aber ist gewiß, daß dieTurmanlage, welche St. Marien vor allen Backsteinkirchen des deutschen Nordens auszeichnet, der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstammt. Vergleicht man diese mit St. Nikolai, so wird man auf den ersten Blick gewahr, daß diese beiden Kirchen Marksteine innerhalb der Entwiddung des gotischen Backsteinstiles sind. Nur die große, ruhige Linie des Mittelschiffes und die beiden Vertikalen der Türme bilden die gerade infolge dieser Einfachheit so überwältigende Silhouette von St. Nikolai, deren lineare Strenge und Größe erst durch die bunte Bewegtheit der vielen sich um sie scharenden Giebelhäuser zu ihrer vollen Wirkung kommt. Gegenüber dieser herben linearen Früharchitektur ist die äußere Erscheinung von St. Marien mit dem Querschiff, dem breit vorgelagerten Westbau mit den achteckigen Pfeilern an den Ecken und dem darüber sich erhebenden Turm durchaus malerisch in ihrer Wirkung. Die Linienführung im Außenbau ist viel bewegter und mannigfaltiger, sie springt in den großen Flächen vor und zurück, und reich an Überschneidungen klettert sie auf und nieder über die Türmchen der Seitenarme des Westbaues und windet sich in den Wendeltreppentürmen um das Massiv des Hauptturmes. Der malerische Stil des 15. Jahrhunderts, dessen Entwicklung sich so deutlich in den Schnitzaltären und Tafelgemälden dieser Zeit verfolgen läßt, bricht hier in der Architektur durch. Gleichzeitig erfährt auch das Verhältnis zwischen der Längsrichtung und der Vertikalen eine grundsätzliche Umwandlung. Die große Horizontale des Mittelschiffes von St. Nikolai hält der Turmsenkrechten das Gleichgewicht, und in der reichen Ausgestaltung der Chorpartie wird offenbar, welche Bedeutung man damals diesem Endpunkt der Längsachse beimaß. Bei St. Marien dagegen wird die Längslinie vom Querschiff durchschnitten, und der westliche Vorbau mit den beiden Seitenarmen, die einem zweiten Querschiff gleichkommen, hebt vollends die Längsorientierung des Baues auf, eine Tatsache, die auch aus der künstlerisch nachlässigen architektonischen Durchbildung des Chores spricht. Man vergleiche nur die feine Flächengliederung des Chors von St. Katharinen mit der von Marien, wo einzelne Seiten des Chorpolygons durch halbe Spitzbogenfenster geradezu verunstaltet sind. Zweifellos liegt hier ein spätgotischer Umbau vor: die Umfassungsmauern wurden zur Vergrößerung des Chors hinausgerückt und die Strebepfeiler zur Bildung von Kapellen ins Innere gezogen,- aber daß man dabei offen- sichtlich nur den praktischen Zweckgedanken verfolgte, ohne die gestellte Aufgabe auch künstlerisch zu bewältigen, beweist, wie wenig Beachtung man damals der Chorpartie schenkte. Vergleicht man dann damit die Turm« anlage, so begreift man, worauf der Bauwille des 15. Jahrhunderts einzig und allein gerichtet war. GRUNDRISS VON ST. MARIEN Die Türme von St. Nikolai sind ganz organisch mit dem Längsbau verbunden und ohne diesen undenkbar. Der Turm von St. Marien ist eine Welt für sich und ihm ist der übrige Baukörper untergeordnet. Damit ist der Sieg des Vertikalismus, der sich am stärksten in den Türmen entfalten konnte, entschieden. Wie anders aber ist der aufstrebende Rhythmus hier, mit dem von St. Nikolai verglichen! Die beiden Türme dieser Kirche sind eine gewaltige Monotonie, in der die zwei Motive der Horizontalen und der Senkrechten kämpfend ineinander verschlungen sind. Der Turm von St. Marien ist eine Polyphonie, bei der aber die verschiedenen Stimmen nur Varianten ein und desselben Motivs sind, des Motivs der ungehemmt aufsteigenden Vertikalen. Durch fünf riesige Fenster sind die Flächen des breitgelagerten Unterbaues gegliedert und dadurch zugleich von der drückenden Schwere des Materials befreit. In diesen Fenstern mit den schmalen Pfosten des Stabwerks setzt der aufrauschende Rhythmus des ganzen Baues ein und wird sofort zu einem mächtigen Crescendo durch die achteckigen Pfeiler der Seitenarme und die Wendel treppentürme des Mittelbaues gesteigert. Jene führen in einer großen Linie die Seitenarme zur Höhe des eigentlidien Turmmassivs, um dann die Weiterführung der Linie an diese abzugeben, welche mit ihren einst viel höheren gotischen Pyramiden eine vierstimmige Begleitung der sich jetzt aus dem breiten Unterbau frei herauslösenden Turmmelodie waren. Die horizontale Übereinanderschichtung quadratischer Geschosse, in denen sich die Türme von St. Nikolai auftürmen, und die sich auch bei St. Jacobi an« fangs findet, ist hier gänzlich fallen gelassen. Zugunsten einer stärkeren Be« tonung der Aufwärtsbewegung hebt sich der Turm sofort im Achtedc aus dem Massiv, setzt sich noch einmal in ein verjüngtes Oktogon um, um dann in den einst gotischen Turmpyramiden zu der Höhe von 151,28 m zu steigen. Dieser unverkennbare Drang nach stärkster Aufwärtsbewegung beherrscht auch den Innenraum. Im Gegensatz zu der breiteren Lagerung St. Nikolais zielt bei St. Marien alles auf eine Steigerung der Höhenwirkung hin, indem man nicht nur das Mittelschiff um fast 4 m höher aufführte als das von St. Nikolai, sondern es zugleich in der Breite verengerte und dem ganzen Bau eine größere Länge gab. Infolge dieser Verschiebung der Maßverhältnisse gleicht St. Marien in ihrer Innenwirkung den großen Wismarer und Lübecker Kirchen, aber bei aller Steigerung des Vertikalismus ist auch hier nirgends etwas von der Ekstase der Hausteindome zu spüren. Denn so verschieden® artig die Kirchen von St. Nikolai und St. Marien als Anfangs« und End« punkt einer Entwicklung sind, in einem bleiben sie sich doch gleich: in der monumentalen Gesinnung der großen Flächenkunst. Außer den drei großen städtischen Pfarrkirchen sind von der mittelalter« liehen kirchlichen Architektur Stralsunds noch die drei Klosteranlagen von St. Johannis, St. Katharinen und Heilgeist erhalten, von denen der erstge« nannte Bau bisher die meiste Beachtung gefunden hat. Diese ver« dankt er vor allem dem Umstand, daß hier die „Romantik" des Mittelalters am stärksten zu dem Menschen der Gegenwart spricht. Nur wenige Teile des Klosters sind noch in ihrer ursprünglichen Anlage und Form erhalten/ das meiste ist in den nachgotischen Jahrhunderten verändert worden, wobei die Klosterkirche die einschneidendste Umwandlung erfahren hat. Als drei-schiffige Hallenkirche erbaut und in ihren Anfängen in das 13. Jahrhundert zurückweisend, brannte sie 1624 nieder. Darauf wurde der Chor als Kirche umgebaut, während das ehemalige Langhaus bis auf die Umfassungsmauern niedergebrochen wurde, und nur die an der Schillstrasse gelegene Längs« wand wurde neu aufgebaut/ in den dadurch entstandenen Vorhof vor der kleinen Kirche baute man aber einen Kreuzgang ein. Von den Kloster« gebäuden ist dagegen so gut wie nichts mehr in seiner ursprünglichen Form erhalten, jedoch in dem Durcheinander einstiger gotischer Bauweise und späterer Ein« und Umbauten liegt der Reiz des Johannisklosters, in dem Stimmungszauber des Räucherbodens und Rosengartens, und nicht zuletzt in dem lautlosen, dem Dasein sich schon abwendenden Lebensrhythmus der Greise und Greisinnen, die heute das Kloster bewohnen. Im Gegensatz zu St. Johannis ist das Katharinenkloster erwähnt. Ursprünglich zwischen Heilgeist* und Langestraße innerhalb der Stadtmauer gelegen, ist es in der ersten Hälfte des 14. Jahr* hunderts an seine jetzige Stelle verlegt worden. Es ist keine Mönchsstiftung, sondern hat von Anfang an unter dem Schutz der Stadt gestanden, Obdach* losen und Kranken Unterkunft und Hilfe gewährend. Diese Tatsache erklärt auch, daß Heilgeist im Umfang der architektonischen Anlage weit hinter den beiden anderen Klöstern zurüdcbleibt. In den Belagerungen von 1628 und 1715 hat das Kloster bedeutenden Schaden erlitten, so daß nur noch die Kirche, ein dreischiffiger Hallenbau ohne Chor, aus der gotischen Zeit übrig geblieben ist. Ob diese aber in ihrer heutigen Gestalt die ursprüngliche Form ist, läßt sich zurzeit nicht entscheiden. Möglicherweise besaß sie früher eine größere Länge und man verkürzte sie, ähnlich wie die Johanniskirche, indem man das östliche Giebeldreieck aufrichtete, das die Jahreszahl 1654 trägt. Der an die Ostwand sich anschließende Innenhof ist besonders be* achtenswert, da er in seinem Charakter nicht nur der Stralsunder, sondern der niederdeutschen Architektur überhaupt völlig fremd ist, und nur durch südliche Renaissanceeinflüsse erklärt werden kann. Um die Mitte des 17. Jahr® hunderts wurde der Hof auf drei Seiten von einer säulengestützten, offenen hölzernen Galerie umgeben, und nach diesem Vorbild ist dann auch nach 1680 der Innenhof des Rathauses umgestaltet worden. Neben der geistlichen Architektur des Mittelalters steht die kirchliche Malerei und Plastik . Vieles ist hier dem Bildersturm und dem sich wandelnden Zeitgeschmack zum Opfer gefallen, besaßen doch St. Nikolai und St, Marien zusammen einst gegen hundert Schnitzaltäre, von denen sidi nur wenige bis in unsere Zeit gerettet haben. Die reichsten Schätze birgt noch die Nikolaikirche, und besonders haben sich hier die für das 14. Jahrhundert charakteristischen Wandmalereien zum großen Teil erhalten. Im Gegensatz zu den Hausteinkirchen forderten die großen Innenflächen der norddeutschen Backsteingotik geradezu die Bemalung der Wände, und diese großempfundenen Malereien stehen noch ganz im Einklang mit der Monu* mentalität der sie umgebenden Architektur. Reste von derartigen Malereien haben sich auch in den anderen Stralsunder Kirchen und im Katharinen» kloster unter der Tünche gefunden, sind aber bisher immer wieder über» strichen worden. Nur einen geringen Raum nahm im Kunstschaffen des 14. Jahrhunderts die Plastik ein, wenn man nach dem urteilen darf, was sich aus jener Zeit erhalten hat: das Standbild der hl. Anna und der Kruzi-fixus . Auch sie atmen noch ganz die Größe und Strenge der Architektur. Das 15. Jahrhundert, vor allem in seiner zweiten Hälfte, und das beginnende 16. Jahrhundert bringen dann eine plastische Über» Produktion, welche alle Kirchen bis in die letzten Winkel mit Schnitzaltären füllt. Neben handwerksmäßigen Arbeiten stehen Werke von höchster künst» lerischer Bedeutung, unter denen besonders die Altäre der Riemer und der Familie Junge hervorragen, sowie die erst vor einigen Jahren wiederauf» gefundenen Gestalten eines Bischofs und einer Maria (jetzt im Museum). Dieses reiche künstlerische Schaffen fand mit der Reformation ein jähes Ende und mußte sich in den folgenden Jahrhunderten vor allem auf Kanzel und Gestühl, Grabkapelle und Epithaphium beschränken und hat nur mit wenigen Ausnahmen hier wirklich Bedeutendes hervorgebracht. Trotz des unwiederbringlichen Verlustes einiger kleinerer Kirchen und Kapellen aus mittelalterlicher Zeit bestimmen die großen Pfarrkirchen zu St. Nikolaus, St. Jacobus und St. Marien und die beiden Klöster zu St. Johannis und St. Katharinen auch heute noch den Gesamtcharakter des Stadtbildes. Dieser aber wird noch erweitert und vertieft durch die Profanbauten, denn erst der Zusammenklang geistlicher und weltlicher Bauweise ergibt das gerundete Bild jenes Menschentums. Es ist der besondere Reiz Stralsunds, wie aller alten niederdeutschen Städte, daß hier Wohnbau und Kirchenbau, wenn man einmal von ihrem verschieden gerichteten Zweckgedanken und den sich daraus ergebenden verschiedenen Formen absieht, in ihrem wesenhaften Ausdrudcswiilen ein» ander sehr nahe kommen. Dieser Gleichklang hat einmal seinen Grund darin, daß das Wohnhaus ein massiver Backsteinbau ist, der aus dem gleichen Material wie die Kirchen erbaut und darum auch mehr oder weniger den gleichen Formgesetzen unterworfen ist; zudem aber verbindet beide auch die gleiche Farbe des rötlichen Backsteins in der äußeren Erscheinung. Wie verschieden geartet ist dagegen der Eindrude von Kirchenbau und Wohn» bau, wo für den letzteren der Fachwerkbau angewendet wurde, weil das andersgeartete Material die schöpferische Phantasie zu ganz anderen Ge» staltungsnotwendigkeiten zwang. Man denke nur an Hildesheim, Goslar oder Tübingen. Wenn auch in diesen Städten die noch erhaltenen Wohnhäuser zeitlich meist jünger als die Kirchen sind, die Verschiedenheit ihres Eindruckes ist weniger durch das verschiedene Alter, als vielmehr durch das verschiedene Material bedingt. Ein zweiter Grund für den starken äußeren Zusammen» klang geistlicher und weltlicher Baukunst in Stralsund ist der, daß der go= tische Typus des Wohnhauses hier in den nachmittelalterlichen Jahrhunderten noch lange fortwirkte, und das Zeitalter der Renaissance wie das des Ba= rode keinen absoluten neuen Typus geschaffen hat, wie in anderen deutschen Gebieten, sondern den Vorgefundenen Typus nur in einzelnen Teilen nach und nach umgestaltet hat. Nur so ist es auch zu erklären, daß das Stadt^ bild, obwohl nur sehr wenige rein gotische Wohnhäuser erhalten sind, dennoch einen starken einheitlichen Eindruck macht. Das Stralsunder Wohnhaus des Mittelalters ist ein massiver Backsteinbau gewesen, und nur vereinzelt scheint man den Fachwerkbau für die rück^ wärtsliegenden Nebengebäude und die kleinen „Buden“ der ärmeren Be= völkerung angewandtzu haben, aus welcher Tatsache eine offenkundige Ge= ringschätzung dieser Bauart spricht, welche in MitteL und Süddeutschland lange Zeit die vorherrschende gewesen ist. Bestimmt wird der Charakter des Stralsunder Patrizierhauses . Hier beginnt bereits in den Spitzbogen des Untergeschosses der vertikale Rhythmus, der dann im Giebel zu höchster Steigerung geführt wird. Die stärkere oder ruhigere Bewegtheit des Giebels wird durch die Form seiner Umrißlinie bestimmt. Die wenigen, noch rein gotischen Häuser Stral» sunds lassen drei Formen der Giebelgestaltung erkennen: die ruhige Linie des Dreiecks wechselt mit der energisch betonten Treppe,-daneben steht noch das reiche, burgähnliche Patrizierhaus mit den Türmen, dessen reinsterTypus das Haus des Bürgermeisters Wulflam aus der zweiten Hälfte des 14. Jahr» hunderts ist . Durch den klassizistischen Stil kam ein ganz neues Moment in das Stralsunder Stadtbild,- eine viel einschneidendere und zum Teil verhängnisvolle Umwandlung aber erfuhr dieses dadurch, daß man jetzt den reinen Backsteinbau aufgab und anfing, die Mauerflächen zu verputzen. Solange noch die alte gotische Fassade mit dem Giebel nach der Straße trotz aller Ab» Wandlungen durch Renaissance» und Barockeinflüsse sich bewahrt und man vor allem an dem unverputzten Backstein festgehalten hatte, blieb der gotische Geist des Gesamtbildes mehr oder weniger gesichert. Das 18. Jahrhundert hatte jedoch kein Gefühl mehr für das Material des Backsteins, und so ver* schwand sehr bald fast überall die lebendige Farbe des Ziegels unter der weißen Tünche. Das Haus Fahrstraße Nr. 10 trägt die Jahreszahl 1660, und sein noch unverputzter Giebel läßt darauf schließen, daß man um diese Zeit noch am reinen Backstein festhielt, und dieser wahrscheinlich erst bei den notwendig gewordenen Neubauten nach den Brandkatastrophen von 1678 und 1680 aufgegeben wurde. Dem neuen Zeitgeschmack fielen dann nicht nur die meisten alten Giebelhäuser und das Innere der Kirchen zum Opfer, sondern auch vorübergehend das Rathaus. Die Stralsunder Bürgerhäuser des 18. Jahrhunderts mit ihrer vornehmen Ruhe und Einfachheit, denen man bisher viel zu wenig Beachtung geschenkt hat, sind Zeichen eines neu aufwachenden Kulturgefühls, das hier zwar nicht bodenständig und schöpferisch war, in dem aber doch ein bestimmter künst* lerischer Stil, eine geistige Haltung sida kund tun. Diese spiegelt sich während des Zeitalters der Aufklärung in gleicherweise in dem geistigen und ge* selligen Leben einer kleinen Oberschicht innerhalb der Stadt wieder. Genannt seien hier nur der Generalgouverneur von Löwen, dessen Bibliothek ein glänzendes Zeugnis für die Allgemeinbildung dieses Mannes ablegt, der Re* gierungsrat von Olthof, in dessem Haus die Maler Matthieu und Hackert verkehrten, der Bürgermeister Albert Dinnies, der sida als Erster mit der wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte seiner Heimatstadt beschäftigte, und der Kammerrat Lllrich Giese, der Begründer der Stralsunder Fayence* fabrik. Sie sind für Stralsund Repräsentanten eines neuen durchaus geistigen Typus, und zu ihnen gehören auch die einfachen und doch so vornehmen, im klassizistischen Stil gehaltenen Wohnhäuser des 18. Jahrhunderts. Dann kam das 19. Jahrhundert, in dessen zweiter Hälfte sich auch hier die gleichen zivilisatorischen Verfallserscheinungen wie in ganz Europa auswirkten. So schreibt sich jede Stadt in ihren Bauwerken ihr Schicksal. Noch heute nimmt das Mittelalter in dem architektonischen Gesamtgefüge Stralsunds die beherrschende Stellung ein, dank den monumentalen Bauten einer jungen, kraftvoll aufstrebenden Zeit. Diese schöpferische Kraft verebbt im 16. und 17. Jahrhundert mit dem allmählichen Herabsinken von der einstigen Höhe, aber die alte Tradition wirkt noch unmerklich weiter, wenn auch nur um* bildend, nicht mehr neugestaltend, bis im 18. Jahrhundert ein neuer Stil im Wohnbau angenommen wird. Dieser Klassizismus ist jedoch nicht wie die Gotik künstlerischer Ausdruck eines alle und alles umspannenden Weltgefühls, sondern vielmehr der individuelle, aristokratische Stil einer geistigen Ober* Schicht. Die Veränderungen im Stadtbild während des 19. Jahrhunderts spiegeln dann nur die allgemeine Kulturlosigkeit jener Epoche wieder, um jetzt all* mählich von den ersten Ausstrahlungen einer neuen Welthaltung und Ge* sinnung abgelöst zu werden, die in der zeitgenössischen Architektur nach Gestaltung drängt. In der Architektur ist das Schicksal einer StadtBild geworden. ZU DEN BILDERN Titelbild. Sankt Nikolai, älteste Pfarrkirche der Stadt, wird bereits 1270 erwähnt. Sie ist nach dem Vorbild der Lübecker Marienkirche als drei-schiffige Basilika mit einem aus fünf Seiten des Achteckes gebildeten Chorabschluß gebaut, um den sich noch ein Kranz von fünf Kapellen legt. Nach der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden die Mauern des Langhauses herausgerückt, so daß die Strebepfeiler nach innen gezogen wurden. Der dadurch neu gewonnene Innenraum zwischen den Pfeilern wurde für Kapellen eingerichtet. Die gesamte äußere Länge des Gebäudes beträgt 85,70 m. 1. Turmfassade von St. Nikolai. Ursprünglich besaß die Kirche nur einen Turm, der 1366 einstürzte. Darauf wurde die zweitürmige Anlage erbaut. Ein Brand zerstörte im Jahre 1662 die beiden hölzernen Turmpyramiden, an deren Stelle 1667 der südlicheTurm mit einer Barockhaube, der nördliche mit einem Notdach eingedeckt wurde. Die Breite jedes Turmes beträgt unten 16,09 m, oben 14,60 m, die Höhe des südlichen Turmes bis zum Kopf des Hahnes 102,60 m, davon die Höhe des Mauerwerkes 58,07 m. Die Mauerstärke der Türme beträgt oben noch 2,14 m. 2. Stralsund im Jahre 1628,DasOriginalbild,ausdemJahrel628stammend, befand sich ursprünglich in der unteren Ratsstube des Rathauses, bei deren Umbau im Jahre 1922 es wegen seiner Schadhaftigkeit entfernt werden mußte. Die danach angefertigte Kopie wird jetzt im Museum aufbewahrt. 6. Nikolaikirche: Nordwand des Chorsund Mittelschiff. Der Chor ist der älteste Teil der Kirche. Die Pfeiler sind nach der Art des hochgotischen Hausteinbaus reich gegliedert und stehen dadurch in einem starken Gegensatz zu den wuchtigen ungegliederten Pfeilern des Mittelschiffes. 7. Nikolaikirche: Mittelschiff und Chor. Die Kirche besitzt noch einen seltenen Reichtum an Kunstwerken aus den verschiedensten Jahrhunderten. Neben der Gotik steht vor allem das Barock, dessen unruhige Linien die feierliche Ruhe des Raumes nicht unwesentlich beeinträchtigen. Die Tiefenwirkung des Langhauses wird fast ganz aufgehoben durch den Barockaltar, welcher das Mittelschiff gegen den Chor abschließt. 10. Jakobikirche. Die Kirche wird 1303 zum ersten Male erwähnt. Ihre jetzige Form hat sie durch die Erweiterungsbauten um die Mitte des 14. Jahrhunderts erhalten. Der erste Turm stand ursprünglich frei vor dem Westgiebel. Bei den Umbauten wurde dieser aufgegeben und ein neuer Turm 9,30 m weiter westlich errichtet, und gleichzeitig wurden die Seitenschiffe vorgezogen. 1662 brannte die hölzerne Turmpyramide ab. Die Belagerungen von 1678 und 1715 richteten vor allem im Innern der Kirche großen Schaden an. 11 —15. St. Marienkirche. Die Kirche wird 1298 zuerst genannt. Dieser Bau wurde 1382 durch das Niederstürzen des Turmes auf Langhaus und Chor ziemlich zerstört. Der Wiederaufbau vollzog sich von Osten nach Westen. Der Chor wurde erweitert, und 1394 war bereits das große Fenster im nördlichen Kreuzarm fertiggestellt. Ob auch schon der erste Bau eine Querschiffanlage besessen hat, ist noch nicht geklärt. Der Bau scheint dann ins Stödten geraten zu sein, denn erst 1416 wird das Fundament für den neuen Turm gelegt. Nach den Berichten der Chro-nisten ist 1473 das Mauerwerk desselben in der festgesetzten Höhe aufgeführt und 1478 wird das Sperrwerk des Turmes von Meister Johannes Rose aufgesetzt. Dieser Name ist einer der wenigen, die uns im Zusammenhang mit dem Stralsunder Kirchenbau überliefert sind,- Rose jedoch als den Erbauer der Turmfassade anzusprechen, scheint keineswegs berechtigt. 1667 brennt die gotische Pyramide ab, und erst 1708 wird die jetzige Spitze errichtet. Die französische Besatzung benutzte die Kirche in den Jahren 1807—1810 als Magazin und Kaserne, wodurch sie im Innern großen Schaden erlitt. Nach 1817 begann die notwendig gewordene Restaurierung, zu welchem Zweck Entwürfe von demOberbauratSchinkel in Berlin und dem Maler Professor Caspar David Friedrich in Dresden eingeholt wurden. Keiner der beiden Entwürfe wurde jedoch ausgeführt, sondern die Restaurierung nach den Plänen des ortsansässigen Zeichenlehrers Brüggemann durchgeführt. Die Glasfenster im Querschiff sind ein Geschenk des Königs Friedrich Wilhelm IV. aus dem Jahre 1856. 16. St. Johanniskloster. Das Kloster ist bereits 1244 von Franziskanermönchen gegründet worden. Seine Baugeschichte ist noch ziemlich ungeklärt, und ihre Darstellung wird äusserst erschwert durch die großen Veränderungen, welche die mittelalterliche Klosteranlage durch die Um-und Einbauten der späteren Jahrhunderte erfahren hat. Aber gerade in diesen Verbauungen liegt der besondere malerische Reiz für den heutigen Betrachter. Sehr bald nach Einführung der Reformation wurden die Klosterräume für weltliche Zwecke, zur Unterbringung alter Leute bestimmt. Von der Klosterkirche, die 1624 abbrannte, ist nur noch der Chor erhalten. 17—21. St. Katharinenkloster. Das Kloster, eine Gründung der Dominikaner, wird bereits 1251 erwähnt. Während die Kirche ein früh-gotischer Bau ist, stammen die Klostergebäude in ihrer heutigen Form zum großen Teil aus dem 15. Jahrhundert, wo eine großzügige Erweiterung der gesamten Anlage stattgefunden haben muß. Nach der Reformation fanden die Brigittnernonnen des Klosters Mariakron, welches vor den Toren der Stadt lag, hier Aufnahme, und nachdem die letzte von ihnen 1559 gestorben war, wurde 1560 der westliche Teil der Klostergebäude dem neuen Gymnasium überwiesen. Durch Einziehen ■ von Zwischenwänden sind in den folgenden Jahrhunderten hier einige schöne gotische Räume in ihrer ursprünglichen Form zerstört. Die jetzige Aula des Gymnasiums ist der alte Remter, der in der gotischen Zeit wahrscheinlich vor allem während des Winters benutzt wurde. Im östlichen Teil der Klostergebäude wurde nach 1600 das neugegründete Waisenhaus untergebracht, und dabei der große Remter, eine Schöpfung des 15. Jahrhunderts, durch Einziehen von Zwischenwänden bis zur völligen Unkenntlichkeit zerstört. Ein Gewölbeeinsturz im Jahre 1919 machte es notwendig, daß das Gebäude sofort geräumt wurde. Darauf legte man den Remter wieder frei, und seit 1924 sind in ihm die mittels alterlichen Kunstschätze des Museums aufgestellt. Die Kirche war, wahr» scheinlich schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts, städtisches Arsenal und wurde 1686 Zeughaus der Königlich Schwedischen Regierung,- 1902 kaufte sie die Stadt vom Militärfiskus zurück in der Absicht, sie für würdigere Zwecke wiederherzurichten. 22--23. Heilgeistkloster. Das Kloster ist bereits 1263 mit einer eigenen Kapelle nachweisbar. Diese erste Anlage hat innerhalb der Stadt zwischen dem Heilgeist* und Langentore gelegen,- 1329 dagegen befand sich das Kloster bereits außerhalb der Stadtmauer an seiner jetzigen Stelle. Kirche und Klostergebäude haben besonders in der Wallensteinschen Belagerung sehr gelitten. Die letzteren sind im 17. Jahrhundert zum Teil ganz neu aufgeführt. 24. Die hl. Anna. Die hl. Anna ist das älteste plastische Kunstwerk Stralsunds. Es wird bereits 1307 im Stadtbuch genannt und 1317 be= richtet, daß der Tuchhändler Hermann von Loninghe sich verpflichtet, vor dem Standbild als Wächter zu sitzen, wenn man ihm lebenslänglich Kleidung und Kost gewähre. Diese Schutzmaßnahme erforderten die kostbaren Reliquien, die sich in der Brust der hl. Anna und Maria befanden, die aber wahrscheinlich bereits in den Stürmen der Reform mation verloren gegangen sind. Die ganze Gruppe, aus Kunststein ge* formt, ist 1,07 m breit und einschließlich des Sockels 2,24 m hoch. Ein* zelne Spuren gotischer Bemalung lassen sich noch erkennen. Die mächtige Gruppe hat nicht ihresgleichen in ganz Niederdeutschland, und die Ver* mutung liegt nahe, daß sie nicht im Norden entstanden ist. Im „Hand* buch der Kunstwissenschaft" schreibt W. Pinder, Die deutsche Plastik, S. 242, über die Annengruppe: „Sie gehört in die Zeit der Regensburger Verkündigung und muß mit Magdeburger Arbeiten des späten 13. Jahr* hunderts verglichen werden." 25. Wandmalereien. St. Nikolai ist eine der wenigen Backsteinkirchen, in der sich die gotischen Wandmalereien zum großen Teil erhalten haben. Die bedeutendsten unter ihnen sind die Kreuzigung, der hl. Christo* phorus und Maria mit Paulus und Petrus. Sie gehören dem 14. Jahr* hundert an. Als im Jahre 1702 die Kirche getüncht wurde, verschwanden sämtliche Wandmalereien unter der Tünche, bis sie 1909 durch den Maler Ballin, im Auftrag der Firma Gebrüder Linnemann in Frankfurt a. M., wieder freigelegt und in verständnisvoller Weise wiederhergestelltwurden. Heute geben die Wandmalereien dem Inneren von St. Nikolai sein ein= zigartiges Gepräge. 26—27. Kruzifixus. Die Gestalt hat noch die kolossalen Dimensionen des 14. Jahrhunderts, dessem Ende sie angehören dürfte. Obwohl der obere Arm des Kreuzes beschnitten ist, beträgt die Höhe desselben jetzt noch 4,90 m. Ursprünglich hing der Kruzifixus oberhalb des Lettners über dem Eingang zum hohen Chor, und auf die Wirkung aus solcher Höhe ist diese Arbeit auch bestimmt. Leider ist jetzt das Ganze mit grauer Ölfarbe überstrichen. 28. Altar der Familie Junge. In der Bekrönung des Altars befindet sich das Wappen der Familie Junge, welche zu Anfang des 15. Jahrhunderts von Lübeck nach Stralsund gekommen ist. Stilistisch hat Paul in »Sun= dische und Lübische Kunst« den Zusammenhang des Werkes mit einer Lübecker Madonna nachgewiesen, so daß die Herkunft aus einer Lübecker Werkstatt ziemlich sicher anzunehmen ist. Im Gegensatz zu Paul, welcher für die Entstehung des Altars die Zeit kurz nach 1456 ansetzt, möchte Pinder denselben unbedingt früher datieren. Die Maria im Mittelschrein im weißen Mantel mit Blau und Gold, gehört dem Kreis der »schönen« Madonnen an. Zu beiden Seiten der Mutter Gottes standen Ursprünge lieh übereinander je zwei kleine, wahrscheinlich musizierende Engel, von denen nur noch zwei erhalten sind. Die beiden Flügel des Altars sind völlig leer, doch ist noch deutlich zu erkennen, daß sich in jedem von ihnen, zu Paaren übereinander geordnet, je vier kleinere Figuren befanden, die wahrscheinlich Heilige darstellten. Der Altar ist Eigentum der Nikolaikirche, befindet sich aber seit 1925 als Leihgabe im Museum. 29. Altar der Riemer und Beutler. Nach einer Urkunde ist dieser Altar 1451 vollendet gewesen. Stilistische Merkmale weisen auf Grund der Untersuchung Pauls auf die Holzbüste Gottvaters im Schweriner Museum und drei Flügelaltäre in Rostock hin. Die Schnitzerei im Mittelfeld stellt die Dreifaltigkeit und die Kreuzigung Christi durch sechs allegorische Frauengestalten dar, von denen allerdings nur noch drei erhalten sind. In den Seitenflügeln sitzen je vier Gestalten, wie beim Junge=Altar paarweise übereinander geordnet. Vgl. außer Paul auch Pinder, »Die deutsche Plastik«, S. 239. 30. Gestühlsrest der Rußlandfahrer. Die Schnitzerei, welche wahr= scheinlich noch dem 14. Jahrhundert angehört, dürfte der Rest eines Rußlandfahrer-Gestühls sein. (Rückenwand des Gestühls?) Das Ganze ist 4 m lang und 0,78 m hoch. Dargestellt ist die Jagd auf Eichhörnchen und der Verkauf der Beute in die Stadt. Die Tracht der Jäger läßt auf russische Volkstypen schließen, wie sie in gleicher Weise auch bei einer Wange vom Gestühl der Kaufleute im St. Annen»Museum zu Lübeck dargestellt sind. 31. Bürgermeister »Altar. Nach den oben im Schrein befindlichen Wappen ist der Altar von den Bürgermeistern Sabel Oseborn und Henning Mörder, welche beide von 1500—1516 im Amte waren, gestiftet worden. In diese Zeit fällt auch die Entstehung des Werkes. In der Darstellungs» weise der Kreuzabnahme im Mittelschrein ist der Drang nach stärkster Bewegung und Realistik, sowie die Freude am Stofflich »Erzählenden spürbar, wodurch sich der Altar wesentlich von den beiden vorher er» wähnten unterscheidet. Im übrigen weist er manche Ähnlichkeiten mit dem Altar der Kreuzabnahme auf, der sich in der Jakobikirche über dem Ratsgestühl befindet. 32. Archivtür. Diese Tür in der Nikolaikirche ist ein Meisterwerk gotischen Kunstgewerbes aus dem 14. Jahrhundert. 33. Epitaphium. Das Epitaphium, aus Kalkstein, 1,48 m breit und 2,57 m hoch, stellt den Bürgermeister Joachim Klinkow und seine Frau Anna Völschow dar. Joachim Klinkow starb 1601. STRAiSUND UM DIE MITTE DES 17. JAHRHUNDERTS. STICH VON MERIAN. LITERATURNACHWEIS Adler, F., Stralsund. Von Kirchen und Bürgerbauten. Braunschweig 1924. Anderson, W., Stralsund, ein Feld für schwedische Kunstgeschichtsforschung. Strals. Zeitung 1920, Nr. 151. Anderson, W., Wrangelsche Bauwerke in Pommern. Strals. Ztg. 1920, Nr. 175. Dehio, G., Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bd, 2. Nordostdeutschland. 2. Aufl. Francke, O., St. Nikolai und St. Marien zu Stralsund. Hansische Geschichtsblätter, 1877. Hagemeister, Ein Gang durch die St. Nikolaikirche zu Stralsund. Stralsund 1891. Haselberg, E. v., Die Baudenkmäler des Regierungsbezirkes Stralsund. Stettin 1902. Haselberg, E. v., Die St. Katharinenkirche zu Stralsund. Denkmalspflege 2. Jahrg., S. 121. Keussler, F. v., Riga- oder Rußlandfahrer in Stralsund. Balt. Monatsbl., Stettin 1921, 10. Heft. Kothe, I., Altar der St. Nikolaikirche in Stralsund. Denkmalpflege 1923. S. 152 f. Kugler, F., Pommersche Kunstgeschichte. Baltische Studien, 8. Jahrgang, 1840. Mangel, H., Stralsunder Klöster, in „Unser Pommerland", 8. Jahrgang, Heft 5 u. 6. Paul, M., Sundische und Lübische Kunst. Beiträge zur Niederdeutschen Kunstgeschichte. Dissertation, Greifswald 1914. Rosen, E. v., Die Glasgemälde in der St. Marienkirche zu Stralsund, in „Baltische Studien" Jahrgang 17, S. 173. Schneider, E., Schnitzaltäre des 15. und des frühen 16. Jahrhunderts in Pommern. Dissertation. Kiel 1914. Schultze, V., Die Kirchen Stralsunds, in „Festschrift des Evangelischen Vereins der Gustaf-Adolph Stiftung". Stralsund 1910. Schultze,V.,Die Stralsunder Nikolaikirche, in „Unser Pommerland", 8. Jahrgang, Heft 5 u6. Uhsemann, E., Die Nikolaikirche. Stralsund 1922. Voss, H., Die neuaufgedeckten Wandmalereien der Nikolaikirche zu Stralsund, in Monatsblätter 1910. S. 82 ff. Zober, E., Die St. Marienkirche zu Stralsund. Sundine 1836, Nr. 55—64. Zober, E., Die ehemaligen Altäre der Stralsunder Marienkirche, von Franz Wessel. Sundine 1839, Nr. 29-35. Zober, E., Die St. Jakobikirche zu Stralsund. Sundine 1837, Nr. 71—81. Bild 17 ist nach einer Aufnahme von Eugen Fenyves, die Bilder 20, 21, 40, 41, 44 sind nach Aufnahmen des Ateliers Hegewald, die Bilder 9, 23, 25, 30, 35 nach Aufnahmen des K. E. Osthausarchivs in München hergestellt. Die anderen Bilder sind nach den rund 70 Aufnahmen der Staatlichen Bildstelle, Berlin, hergestellt, nach denen Abzüge und Diapositive durch den Deutschen Kunstverlag, Berlin W. 8, Wilhelmstraße 69, zu beziehen sind. . N 2. STRALSUND IM JAHRE 1628 STRALSUND VOM FRANKENTEICH AUS GESEHEN ä 7- NIKOLAIKIRCHE. MITTELSCHIFF UND CHOR 8. NIKOLAIKIRCHE. SÜDSEITE É 10. ST. JACOBI. TURMFASSADE â 12. ST. MARIEN. MITTELSCHIFF UND CHOR É 13- ST. MARIEN. SÜDLICHES SEITENSCHIFF l4. ST. MARIEN. NÖRDLICHER ARM DES QUERSCHIFFES â i6. JOHANNISKLOSTER. KREUZGANGHOF 23- HEILGEISTKIRCHE. OSTFRONT MIT ANSCHI,IF.SSF.NDEM INNENHOF 24- NIICOLAIKIRCHE. STANDBILD DER HL. ANNA SELBDRITT NIKOLAIKIRCHE. WANDMALEREI m 28. MUSEUM. MADONNA DES ALTARS DER FAMILIE JUNGE ■ r, »gt 30. NIKOLAIKIRCHE. FRAGMENT VOM RUSSENFAHRERGESTÜHL 34- RATHAUS. NÖRDLICHE SCHAUWAND 35- RATHAUS. INNENHOF äs** 36. HOF DES EHEMALIGEN KLOSTERS NEUENKAMP. MÜHLENSTRASSE 25 ■ 38. GIEBELHÄUSER. SEM LOWERSTRASSE ■? ■ 4o. DIELE. FRANKENSTRASSE 28 41. DIELE. FRANKENSTRASSE 28 43 KÜTERTOR. INNENANSICHT rnmt* 4-4- BECHERMACHERSTRASSE « 4.6. KOMMANDANTUR. ALTER MARKT â DEUTSCHE LANDE/DEUTSCHE KUNST HERAUSGEGEBEN VON BURKHARD MEIER GREIFSWALD, NIKOLAIKIRCHE II WESTPOMMERN NEUVORPOMMERN UND RÜGEN AUFGENOMMEN VON DER STAATLICHEN BILDSTELLE BESCHRIEBEN VON FRITZ ADLER DEUTSCHER KUNSTVERLAG BERLIN / 1927 MIT UNTERSTÜTZUNG DES HERRN MINISTERS FÜR WISSENSCHAFT KUNST UND VOLKSBILDUNG, DES HERRN LANDESHAUPTMANNS DER PROVINZ POMMERN, DES POMMERSCHEN LANDKREISTAGES UND DES POMMERSCHEN STÄDTETAGES DER STADT STRALSUND IST EIN EIGENER BAND GEWIDMET Druck des Textes: Ernst Hedrich Nachf., G. m. b. H., Leipzig Druck der Bilder: A. Wohlfeld, Magdeburg Papier: Scheufeien, Oberlenningen / Druckstöcke: A. Krampolek, Wien Einband: Hübel 'S) Denck, Leipzig / Entwurf von Umschlag und Einband: Prof. Ernst Böhm, Berlin GREIFSWALD UM 1650. STICH VON MERIAN NEU VORPOMMERN undRügen ist der westlichste Teil der großen, sich längs der Ostsee erstreckenden Provinz Pommern, dessen Fest» landsgrenzen im Osten, Süden und Südwesten bis auf wenige kleine Ab» weichungen die Flußläufe der Peene, Trebel und Recknitz bilden. Dieses an sich nicht große Gebiet hat in den sechs Jahrhunderten seit der deutschen Kolonisation seine eigene Geschichte gehabt, die es zuweilen mehr, zuweilen weniger als ein in sich geschlossenes Ganzes innerhalb der Provinz Pommern erscheinen läßt. Bedingt ist dieses Sonderschicksal durch die geographische Lage des Ge» bietes, die unmittelbare Nachbarschaft Mecklenburgs und die Nähe der nor» dischen Reiche Dänemark und Schweden, welche hier nur ein schmaler See» streifen von der deutschen Küste trennt. Im W esten lagen die großen Hanse» Städte Lübeck, Wismar und Rostock, mit denen vor allem Stralsund, die be= deutendste Stadt von Neuvorpommern und Rügen, wirtschaftlich und politisch bis zum Ausgang des sechzehnten Jahrhunderts fest verbunden war. Der Hansabund ist während des Mittelalters die geistige, schöpferische Macht im norddeutschen Kolonisationsgebiet gewesen, und sein Schwergewicht lag aus» schließlich im westlichen Teil desselben. Daraus ergab sich für Neuvorpommern und Rügen eine stärkere westliche Orientierung, der gegenüber die Peene im Osten nicht nur Grenzscheide, sondern zu gewissen Zeiten auch Kulturscheide gewesen ist. Zu dieser stärker betonten wirtschaftspolitischen Verbindung mit dem Westen, mit Mecklenburg und den großen Hansestädten, kommt als zweites für die Sonderentwicklung entscheidendes Moment, daß Neuvor» pommern und insbesondere Rügen sowohl für Dänemark wie auch für Schweden zeitweise die Brücke zu dem nordischen Festland gewesen ist. Der zuerst zum Christentum bekehrte Fürst von Rügen, Jaromar L, erhielt von Dänemark sein Land zu Lehen und focht mit den Dänen gegen die Pommern» herzöge, wofür als Dank der größte Teil des heutigen neuvorpommerschen Festlandes seiner Herrschaft zugesprochen wurde. Als dann 1325 nach dem Aussterben des Rügenschen Fürstenhauses die Pommernherzöge mit dem Land beliehen wurden, war die Macht der Städte und des Hansebundes be-reits so groß, daß der in Wolgast, dem äußersten Osten des Gebietes, resi-dierende Herzog keinen Einfluß auf die Geschicke des Landes haben konnte. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts stiegen Ansehen und Macht der pom» merschen Fürsten, jedoch haben sie keine entscheidende Bedeutung für die Kultur des Landes gehabt, da schon 1637 das Greifengeschlecht ausstarb. Seitdem ist Neuvorpommern und Rügen bis zum Jahre 1815 mit Schweden verbunden gewesen, und es ist selbstverständlich, daß auch diese Beziehung sich kulturell auswirken mußte, wie die kriegerische oder friedliche Berührung mit Dänemark im 12, und 13. Jahrhundert. Das geschichtliche Sonderschicksal von Neuvorpommern und Rügen, das durch diese zweifache Verbindung nach dem Westen und nach Skandinavien bedingt ist, hat naturgemäß auf die Entwicklung seiner Kunst im Laufe der Jahrhunderte einen mehr oder weniger deutlich erkennbaren Einfluß ausgeübt. Das will nicht besagen, daß hier eine eigene Kultur entstanden wäre, die sich wesentlich von der der Nachbarländer unterscheide, vielmehr sind die bestimmenden Wesenszüge und Grundformen hier wie dort zu allen Zeiten die gleichen gewesen, und vor allem während des Mittelalters, in dessem künstlerischen Gestaltungswillen auch hier die Seele der großen niederdeutschen Kolonisationsbewegung am Werk gewesen ist. Aber manche Sonderbildungen und Eigenheiten lassen sich dagegen nur aus jenen westlichen oder skandinavischen Beziehungen verstehen. Noch klarer als in der Kunst und in wahrscheinlichreicherem Ausmaße werden sich diese Zusammenhänge und Wechselwirkungen für die Volkskunde und Volkskunst nach weisen lassen. Wie sichtbar sie jedoch auch in der großen Architektur des Landes sind, beweisen gerade die ältesten Bauwerke. Rügen mit seinem Heiligtum des Swantewit zu Arkona war um die Mitte des zwölften Jahrhunderts der letzte geistige und politische Mittelpunkt des bereits von allen Seiten schwerbedrängten Slawentums. Die Bekehrungszüge Ottos von Bamberg, des Apostels der Pommern, in den Jahren 1124 und 1128 waren nur bis Gützkow, Demmin und Wolgast gelangt, und erst dem Schwert des streitbaren dänischen Bischofs Absalom zu Roeskilde war es Vorbehalten, 1168 das letzte Bollwerk der heidnischen Wenden zu erstürmen und zu zerstören. Mit dem Fall von Arkona wurde Rügen dänisches Lehen, und so fiel Dänemark die Aufgabe der Christianisierung der Insel zu. Zweifellos sind sofort nach der Niederwerfung der Rüganer von den Eroberern die ersten Gotteshäuser errichtet worden,* die Knytlinga Saga berichtet, daß Waldemar der Große hier elf Kirchen erbauen ließ. Andererseits ist es gewiß, daß es sich bei diesen ersten Gründungen nur um einfache Holzbauten gehandelt haben kann, von denen jede Spur verlorengegangen ist. Die erste ii urkundlich bestimmte Nachricht über den rügenshen Kirchenbau entstammt dem Jahre 1193,- sie berichtet von der Stiftung des Klosters zu Bergen durch den zum Christentum bekehrten Rüganerfürsten und dänischen Vasallen Jaromar I. Dabei wird ausdrücklich betont, daß die Kirche aus Ziegeln erbaut ist. Ursprünglich mit Benediktinerinnen aus Roeskilde besetzt, ist Bergen um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts in ein Zisterzienser »Nonnenkloster umgewandelt worden. Der Bau der Klosterkirche fällt jedoch in den entscheidenden Grundzügen seiner Anlage in die Zeit, als das Kloster noch den erstgenannten Orden beherbergte. St. Marien in Bergen ist auf Rügen das bedeutendste Denkmal des spätromanischen Stiles und einer der frühesten Ziegelbauten in Norddeutschland überhaupt. In ihrer heutigen Gestalt ist die Kirche nur noch ein Torso, dessen ursprünglicher Baugedanke durch die Umbauten der späteren Jahrhunderte entstellt und verdunkelt ist,- dennoch genügen die wenigen, uns überkommenen Reste des ältesten Baues, um den ursprünglichen Gesamtplan wiederzuerkennen und die Gesinnung, aus der er geschaffen ist. Die Kirche ist als dreischiffige kreuzförmige Basilika mit dreifachem Apsidenabschluß im Osten angelegt, von denen nur noch der mittlere und auch dieser nur im Unterbau erhalten ist. Während der nördliche Kreuzarm durch den späteren Einbau des großen Fensters in seiner einstigen Wirkung stark beeinträchtigt ist, spricht die Fassade des südlichen Querschiffes mit ihrer großen Fläche und den beiden kleinen Durchbrüchen noch ganz die große und karge Sprache der frühen Zeit. Trotzdem, mit weihen einfahen Mitteln, ohne Anwendung von Formsteinen und Blenden, ist im Giebel die Auflockerung des shweren Mauerwerks und die sih steigernde Aufwärtsbewegung durh die im Zickzackmuster übereinandergelegten Steine und die aufrecht gestellten Stromshihten erreiht . Und während heute das Liht in breiten li Streifen in den Raum einbricht, drängte es sich einst in schmalen Bändern durch die kleinen Rundbogenfenster der Langseiten unter den niedrigen Seitenschiffen hindurch, so daß das ganze Innere in einem sanften Dämmerlicht lag, aus dem sich damals um so geheimnisvoller die helle Farbigkeit der Bilderwände der Kreuzflügel und des Altarraumes herausgehoben haben muß. Dem forschenden Auge genügen trotz aller Verstümmelungen die wenigen Reste der romanischen Anlage, um ihre ursprüngliche Form zu erkennen und die Gesinnung ahnen zu lassen, die sich in diesem ersten Bau Ausdruck schuf. Ergänzt wird dieses Bild in Einzelheiten durch die beiden Dorfkirchen zu Altenkirchen und Schaprode, die stilistisch und zeitlich der Bergener Kirche zugehören . Obgleich durch Weglassung des Querschiffes und dem® zufolge nur einfachen östlichen Apsidenabschluß in der Form vereinfacht, gleichen sie in ihrem wesentlichen Grundcharakter der Klosterkirche/ im Gegen® satz aber zu dieser ist bei ihnen noch der Ostteil in seiner urprünglichen Glie® derung und mit seinem reichen ornamentalen Schmuck deutlich erkennbar. Auf einem Feldsteinsockel erhebt sich in Altenkirchen die Apsis, die durch drei kleine rundbogige Fenster und deren Blendnischen mit Rundstabeinfassung eine besondere Gliederung erhalten hat, wie in Schaprode durch die nur wenig vorspringenden Mauerpfeiler . Nach oben schließt die Apsis in Altenkirchen ein Fries auf die Spitze gestellter Quadrate ab, die nach unten in Kragsteinen enden, und darüber liegen noch, hart unter dem Dach, zwei auf® recht gestellte Stromschichten. In den Kragsteinen, die nur ornamental wirken, erkennt man erst bei genauerer Betrachtung menschenähnliche Köpfe, von denen nicht zwei sich gleichen. Darin zeigt sich jene im Mittelalter so wunder® volle Selbstverständlichkeit, mit der die liebevollste Arbeit sich immer in das Ganze einreihte, ohne je durch sich selbst oder außerhalb des Ganzen wirken zu wollen. Besonders eigenartig und überraschend wirkt die Verbindung zwi® sehen dem Feldsteinsockel und dem Oberbau durch einen etwas glasierten und mit zarten romanischen Blattornamenten geschmückten Fries (Bild 10>. Außer diesen Zierformen finden sich hier und in Schaprode noch der einfache, der sich durchschneidende und der steigende Rundbogenfries, und gerade dieser bei den frühesten Kirchen Rügens überraschende Reichtum an ornamentalem Schmuck, dem dazu ein so feines und richtiges Materialgefühl für den Back® stein zugrunde liegt, berechtigt zu der Annahme, daß hier fremde, in der Technik des Ziegelbaues bereits erfahrene Meister am Werk gewesen sind. Von Dänemark wurde die neue Technik auf Rügen eingeführt. Es ist zwar noch unerwiesen, ob die Klosterkirche zu Bergen unmittelbar auf dänische Vorbilder, die Kirchen zu Sorö, Ringstedt und Roeskilde, zurückgeht, und ob es dänische Meister gewesen sind, welche die ersten Kirchen auf Rügen erbaut haben. Mit Sicherheit darf behauptet werden, daß Dänemark die Brücke gewesen ist, über welche die ersten Kirchenbauer nach Rügen gekommen sind. Wie ihre ältesten, uns erhaltenen Bestandteile erkennen lassen, gehören die Kirchen zu Bergen, Altenkirchen und Schaprode dem Anfang des 13. Jahr» hunderts, spätestens der Wende des ersten Drittels desselben an, und sie sind in Neuvorpommern und Rügen die einzigen Bauwerke des romanischen Stiles. In ihren Ursprüngen gehen sie auf jene Zeit zurück, in welcher die Kolonie sationsbewegung vom Westen, und insbesondere von Mecklenburg, zwar schon in das neuvorpommersche Festland vorgedrungen war, in großem Ausmaße sich aber noch nicht entfaltet hatte. Gegenüber diesen erst in der Entwicklung begriffenen Beziehungen des Festlandes zum benachbarten Westen hatte die Verbindung Rügens und seiner Fürsten mit Dänemark schon politisch feste Formen angenommen. Und schließlich spricht auch die Tatsache, daß keine spätromanischen Kirchen auf dem Festland, sondern sie alle auf Rügen, und zwar in dessem nördlichen Teil liegen, dafür, daß die Erbauer dieser frühesten Gotteshäuser über Dänemark herübergekommen sein müssen. Der dänische Einfluß auf die rügen-neuvorpommersche Kultur ist nur von kurzer Dauer gewesen, da durch die Niederlage Waldemars bei Bornhöved im Jahre 1227 die Machtstellung des skandinavischen Reiches stark erschüttert wurde, und das Land auch andererseits nicht den erforderlichen Überschuß an Menschen besaß, den es an das neue Kolonisationsgebiet hätte abgeben können. So weisen bereits die Wandmalereien der Klosterkirche zu Bergen, welche um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sein dürften, ihrem Stilcharakter nach auf Zusammenhänge mit dem Westen Deutschlands, insbesondere mit dem Rheinland. Die Malereien, welche die Wände des Querschiffes und Vorchores bedecken, müssen im Gegensatz zu dem einst schweren und düsteren Langhaus dem Ostteil der Kirche einen trotz aller Feierlichkeit heiteren Charakter gegeben haben. Den nördlichen Kreuzflügel füllen Szenen und Gestalten aus dem ii Alten Testament, den südlichen solche aus den Evangelien und der Heiligen* legende, während im Vorchor die Darstellungen des Paradieses und der Hölle gegenübergestellt sind. Fern allem Abstrakt» Byzantinischen und Nur* Jenseitigen sind diese Bilder aus einer wirklichkeitsnahen Haltung geboren, in der sich kindliche Lebensfreude und junge Kraft mit dem Glauben jenes Jahrhunderts in einer quellenden Freude am Fabulieren einen. Köstlich in ihrer Naivität ist die Schilderung der Freuden des Paradieses: man lauscht dem himmlischen Harfenspiel, man bricht sich die Früchte phantastischer Bäume, und hängen sie zu hoch, hilft man sich gegenseitig hinauf/ und dazwischen hält ein Paar in rührender Ergriffenheit Hand in Hand seinen Einzug in den Wundergarten mit seinen Bäumen und Paradiesströmen (Bild 6>. Aber wie in den deutschen Märchen steht der Zartheit und Heiterkeit unvermittelt Grausamkeit und Qual gegenüber, dem Paradies die Hölle. Sankt Michael wägt die Seelen und treibt die Verworfenen in den weit offenen Höllenrahen. Einige werden von den spitzen Zähnen zermalmt, andere werden von großen oder kleinen Teufeln geblendet, gehängt, gegeißelt und geschunden,- dem Geizhals werden Säcke voll Gold, dem Trinker Fässer voll Wein in den Mund getrichtert, und dazwishen irren die shon von den Flammen ergriffenen Seelen umher (Bild 7>. Ursprüngliche diesseitige Lebensfreude und Furht vor dem Geriht des Jenseits stehen sih hier bildhaft gegenüber als die Gegenpole, zwishen denen der Mensh jener Zeiten hin und her geworfen wurde. Als diese Bilderwände um 1250 entstanden, war auf dem neuvorpommer» shen Festland die Kolonisationsbewegung bereits im vollen Gange. Im Gegensatz zu Rügen setzte sie niht von Dänemark aus ein, sondern von dem westlihen Nahbarland, Mecklenburg, Und auh hier steht am Anfang der Bewegung die Gründung eines Klosters, denn immer sind die Klöster Keimzelle und Mittelpunkt für die erste wirtschaftliche und kulturelle Erschließung eines Landes gewesen. Zweifellos hat diese Erkenntnis auf den Entshluß Jaromars I. von Rügen mitbestimmend gewirkt, die Zisterziensermönhe des mecklenburgischen Klosters Dargun, das unter den kriegerischen Verwicklungen zwishen Dänemark und Brandenburg shwer zu leiden hatte, in seinem Gebiet am Hildafluß, in dem heutigen Eldena, um 1190 anzusiedeln. Freilih spielen auh hier die Beziehungen zu Dänemark noh eine gewisse, wenn auh niht unmittelbare Rolle: Dargun war 1173 von Waldemar dem Großen gegründet und mit Mönhen aus Esrom auf Seeland besetzt worden. Durh die Kriegsunruhen des 17. Jahrhunderts teilweise zerstört, hat die Mißahtung späterer Geshlehter das KlosterEldena fast gänzlich verfallen lassen, Dennoh genügt auh hier das Erhaltene, um wenigstens noh den Grundriß der Kirche und deren wihtigste Bauperioden zu erkennen. Eldena ist als kreuzförmige Basilika mit rechteckigem Chorshluß angelegt, und die zwishen dem Chor und dem südlihen Quershiff noh erkennbaren Reste zweier Kapellen weisen auf die Zisterzienserkirhe zu Fontenay in Burgund GREIFSWALD UM 1650. STICH VON MERIAN als das Vorbild, nach dem man hier gebaut hat. Diese zum Teil noch erhalt tenen Ostteile einschließlich des ersten Joches des Langhauses gehören nach ihren stilistischen Merkmalen, dem Rundbogen, denLisenen und der Gliederung der Vierungspfeiler, dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts an . Aber nicht nur in der Romantik lebt Eldena fort, sondern vor allem in seinem Kolonisationswerk, denn ihm ist in erster Linie die Aufgabe der wirtschaftlichen und kulturellen Erschließung des neu-vorpommerschen Festlandes zugefallen, und seine bedeutendste Leistung auf diesem Gebiet ist die Gründung und Förderung der Stadt Greifswald. Die Verbindung zwischen Kloster und Stadt, die in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens zweifellos eine sehr enge gewesen ist, läßt mit Sicherheit vermuten, daß sich die Mönche den Bau der Pfarrkirchen besonders angelegen ii sein ließen. Vielleicht lag sogar ursprünglich die Bauleitung in den Händen der Eldenaer Baumeister, denn nur so läßt sich die an sich auffällige Erscheinung erklären, daß sämtliche drei Greifswalder Kirchen zu St. Marien, Sr. Jakobi und St. Nikolai in ihrer ersten Anlage aus dem dreizehnten Jahrhundert einander sehr ähnlich gewesen sind. Ursprünglich ihnen allen gemeinsam ist die gerade Ostfront, bei der auf einen Chorausbau in Verlängerung des Mittelschiffes verzichtet ist, eine Form, die wohl vereinzelt in unserem Gebiet auftritt, wie bei St. Jakobi in Stralsund und der ersten Anlage der Kirche zu Grimmen, die aber als herrschender Typus bei den drei Kirchen ein und derselben Stadt überraschen muß. Die ursprüngliche Gleichheit in der Anlage der drei Greifswalder Kirchen berechtigt daher zur Annahme einer anfänglich einheitlichen Bauleitung,- ihre Grundrißform aber weist auf den Einfluß der Zisterziensermönche Eldenas. Denn ein besonderes Merkmal zisterziensischer Bauweise ist die Vereinfachung der Ostseite durch einen rechteckigen Chor an Stelle des polygonalen, wie er auch in Eldena noch nachweisbar ist. Nur eine Folge dieser vereinfachten geradlinigen Ostfront ist dann die reiche Gliederung und Durchbildung des Ostgiebels, durch welche nach dem Verzicht auf den Chor der Ostteil dennoch besonders herausgehoben wird, ein Motiv, das außer bei St. Marien in Greifswald in den gleichnamigen Kirdien zu Neubrandenburg und Prenzlau seine höchste künstlerische Gestaltung erfahren hat. Während die ursprüngliche Chorlosigkeit aller Greifswalder Kirchen auf den Einfluß der Zisterzienser zurückzuführen sein dürfte, ist ihre gemeinsame Bevorzugung der Hallenkirche mit den drei gleichhohen Schiffen vor dem basilikalen Schema mit erhöhtem Mittelschiff westfälischen Ursprunges und weist auf die Heimat, aus der die Mehrzahl der Kolonisten des 13. Jahrhunderts gekommen ist. Die Halle ist der herrschende Typus in den meisten größeren und kleineren landeinwärts gelegenen Städten, wie Barth, Grimmen, Treptow, Anklam, Demmin und Pasewalk,- daß sie anfänglich auch von Greifswald ausschließlich bevorzugt wird, unterscheidet diese Stadt von dem benachbarten Stralsund, welches sich von Anfang an bei seinen drei Pfarrkirchen für die prächtigere Form der Basilika entscheidet, in Gemeinschaft mit den großen, an der See gelegenen westlichen Hansestädten Lübeck, Wismar und Rostock. Wie groß übrigens der Einfluß der reinen westfälischen Kolonistenbauform im ersten Jahrhundert der Besiedlung gewesen sein muß, beweist die Tatsache, daß sogar die ehemalige Zisterzienserklosterkirche zu Neuenkamp, dem heutigen Franzburg, trotz der Querschiffanlage als Halle gebaut worden ist. So treffen in Greifswald zisterziensische und westfälische Bauweise zusammen und bestimmen die in der ersten Anlage gleiche Grundform der drei Pfarrkirchen als Hallenkirchen mit geradlinigem Ostschluß. Daß sie zudem ursprünglich alle fünf Joch lang gewesen sind, läßt nur noch mehr die Vermutung berechtigt erscheinen, daß sie in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts H ziemlich gleichzeitig nach einheitlichem Bauplan und unter ein und derselben Bauleitung entstanden sind. Trotz dieser anfänglichen Übereinstimmung haben sich die Greifswalder Kirchen im Laufe der folgenden Jahrhunderte so auseinander entwickelt, daß heute jede von ihnen ihr unverkennbar eigenes Gesicht hat, wie es schon ihre volkstümliche Benennung als »Schlanker Nikolaus«, »Dicke Marie« und »Kleiner Jakob« zeigt,- und es liegt ein besonderer Reiz darin, zu sehen, wie aus der ursprünglichen wesentlichen Einform des 13. Jahrhunderts sich eine reiche Mannigfaltigkeit entwickelt hat. Der Grundform am nächsten kommt noch heute St. Marien mit dem mächtigen Dach, das alle drei Schiffe unter sich zusammen faßt, und seiner unveränderten geradlinigen Ostfront, die eine der großartigsten Leistungen derFrühgotikist. Ausderschweren, nur durch drei große Fenster und zwei Strebepfeiler gegliederten Ostmauer hebt sich leicht und befreit der Giebel empor, der durch das reiche, der Fläche vorge* legte Stabwerk die Erdenschwere des Materials vergessen macht. Das künst» lerisch Bedeutsame und für die Frühzeit Bezeichnende ist dabei, daß dieser Schmuckgiebel mit den Blenden und Rosetten, den Pfeilern und Fialen in seiner strengen Klarheit und Einfachheit noch ganz aus dem Geist des Back* steins als seinem gegebenen Material geschaffen ist, indem die Form durch die Beschaffenheit des Stoffes bestimmt wird. Die spätere Zeit hat das Ge* fühl für das dem Material innewohnende Formgesetz nicht mehr gehabt, als man, wie bei dem Ostgiebel von St. Marien in Prenzlau, in Haustein dachte und in Backstein formte. Der besondere künstlerische Reiz der Marienkirche liegt jedoch darin, daß sie die verschiedenen Ausdrucks* und Wirkungsmöglichkeiten des Backstein* baues erkennen läßt. Denn während die obere Ostfront bei aller ihrer Herb* heit etwas Gelöstes und Beschwingtes an sich hat, ist die Westfassade mit der Vorhalle, den hochgeführten, nach vorn gezogenen Seitenschiffen und dem fast quadratischen Turm Zusammenballung und Aufschichtung großer Massen . Durch diese Kontrastwirkungen erhält die Ostwand mit dem Al* tarraum ihre besondere Betonung, trotzdem ein eigentlicher Chor fehlt. Ist dieser Verzicht dadurch im Außenbau bis zu einem gewissen Grade ausge* glichen, so gibt der geradlinige chorlose Ostschluß dem Innenraum einen völlig ungewohnten Charakter. Man tritt in eine hohe festliche Halle, der jene für die mittelalterliche Kirche so bestimmende Längsachse fehlt, die auf den Altarraum als das Allerheiligste ganz eindeutig hinweist. Der Innenraum von St. Marien wird nicht als Altarkirche, sondern als Predigtkirche empfunden, und ist aus jenem durchaus protestantischen Geist geboren, der, wenn auch unbewußt und verborgen, sich schon im katholischen Mittelalter spüren läßt . Diese Form des Innenraums, ursprünglich allen drei Pfarrkirchen der Stadt gemeinsam, ist heute nur noch in St. Marien erhalten, während man sie bei 11 den beiden anderen Kirchen um die Mitte des 14. Jahrhunderts aufgab. Unter Verzicht auf den ebenfalls mit Blenden geschmückten Giebel wurde bei St. Jakobi die Ostwand durchbrochen und mit einem aus fünf Seiten des Achteckes gebildeten Chor geschlossen. Welche grundsätzliche Veränderung dadurch der Innenraum in seiner Wirkung erfuhr, zeigt der Vergleich mit St. Marien. Während dieser im Inneren Weg und Ziel fehlen, nach welchem das Raumganze mit organischer Notwendigkeit abschließend hindrängt, weisen die Rundpfeiler St. Jakobis den Weg, der aus der hohen weiten Halle in das dämmrige Licht des Chores führt . Über dem frühgotischen, durch mehrere Blenden geglie» derten Unterbau erhebt sich das in drei Absätzen nach oben sich verjüngende Mittelgeschoß, mit Blenden und Zinnenkranz geschmückt und an seinen vier Seiten von mächtigen ziemlich frei aus dem Ganzen heraustretenden Rund» türmen flankiert. Sie sind es vor allem, die dem Westbau das wehrhafte, kastellartige Aussehen geben, und tatsächlich ist dieses Geschoß bis ins 18. Jahrhundert zu kriegerischen Zwecken, insbesondere zur Aufstellung von Wurfmaschinen benutzt worden. Mit nicht ganz überzeugender Notwendig» keit hebt sich dann aus diesem Mittelbau in fast allzu rascher Bewegtheit das achteckige,- reichgegliederte Obergeschoß empor, dessen barocker Abschluß dagegen eine um so glücklichere Lösung ist. Trotz mancher Beziehungen zu anderen Bauten der niederdeutschen Backsteingotik ist der Turm von St. Ni» kolai die selbständigste künstlerische Leistung des Greifswalder Bürgertums und der Höhepunkt in dessen architektonischem Schaffen, wo es sich von den zisterziensischen und westfälischen Einflüssen des 13, Jahrhunderts völlig frei gemacht hat und etwas ganz Eigenes schuf. Immer aber wird es das Verdienst Eldenas bleiben, die Entwicklung der Stadt in ihren Anfängen entscheidend gefördert zu haben. In keinem anderen Falle lassen sich so unmittelbare Beziehungen der Klöster zu den Stadtgründungen in Neuvorpommern und Rügen nachweisen. Die Aufgabe der Mönche war auch eine viel allgemeinere: Zu Anfang des 13. Jahrhunderts waren sie hier die Pioniere der Kultur im wirtschaftlichen wie im geistigen Sinne, und erst allmählich folgten ihnen die Kolonisten aus dem Westen in das Land. So waren Bergen, Eldena und das 1231 von Witzlaf I. gegründete Zisterzienserkloster zu Neuenkamp, dem heutigen Franzburg, die ersten Stützpunkte für die westdeutsche Einwanderung, als diese seit dem dritten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts in großem Umfang hier einsetzte. In den meisten Fallen waren schon vorhandene slawische Dörfer oder Burgen der Ausgangspunkt für die Besiedlung. So entstanden die Städte Stralsund, Grimmen, Barth, Tribsees, Loitz und Wolgast. Unter diesen nahm einschließlich Greifswald Stralsund eine Sonder» Stellung ein: Es war die politisch mächtigste und einflußreichste Stadt des ganzen Landes, eine Tatsache, für die noch heute ihre mittelalterlichen Bau» werke Zeugnis ablegen. Im Gegensatz zu den kleineren Städten Neuvor» pommerns steht die Stralsunder Architektur in engsterBeziehung zu der großen Monumentalkunst der hansischen Backsteingotik, deren Seele Lübeck gewesen ist. Von der westlichen Schwesterstadt übernahmen die Stralsunder nicht nur das französische Kathedralschema, sondern empfingen von dort auch die An» regung für den Rathausbau, und mit Lübeck, Rostock und Wismar wett» eiferten sie in den ungeheuren und kühnen Ausmaßen ihrer Bauwerke. Bei den Kirchen dagegen gaben sie der Basilika um der reicheren und macht» volleren Ausdrucksmöglichkeit willen ausschließlich den Vorzug,- und diese ii Form des großen hanseatischen Kirchenbaus sowie dessen Ausmaße lassen erkennen, daß die Lübecker Strömung in Greifswald bereits nicht mehr wirksam gewesen ist. Die Hallenkirche der westfälischen Kolonisten, die Grundform der Greifswalder Kirchen des 13. Jahrhunderts, ist auch von den kleineren Städten wie Barth, Grimmen und Richtenberg bevorzugt worden und ausschließlich in den größeren dreischiffigen Landkirchen wie Brandshagen, Groß-Moordorf und Wiek auf Rügen zur Anwendung gekommen. Architektonisch selbständige Leistungen und eigenartige Lösungen finden sich bei den kleineren Stadtkirchen nicht, ihr besonderer Reiz liegt vielmehr in ihrer Lage innerhalb des Stadtbildes und der Landschaft. Etwas seitlich vom Markt und nur wenige Schritte von ihm entfernt gelegen, ist die Kirche der unbestrittene, von allen Seiten wahrnehmbare Mittelpunkt, indem ihr mach» tiges Dach und der gedrungene kräftige Turm das bunte Gewirr der kleinen Stadthäuser beherrschend überragen . Die untere Chorwand dagegen war meist von drei kleinen zu einer Gruppe zusammengefaßten Fenstern durchbrochen, oder wurde von einem einzigen großen Fenster mit mehr oder weniger prachtvoller Laibung beherrscht . Der besondere Reiz liegt aber weniger im Schmuck des einzelnen Giebels, als vielmehr im Zusammenwirken der beiden Flächen, die den gleichen Rhythmus haben. Zu welcher schönen Wirkung dieser archi» tektonische Gedanke führen kann, zeigt am besten die Kirche zu Barth, die einzige Stadtkirche mit rechteckiger Chorbildung . Die Westfassade derDorfkirchen hat eine zweifacheBehandlung erfahren: bei den ältesten Bauten hat man ursprünglich auf den Turm verzichtet, und so entstand der schöne Westgiebel mit dem aus der Mauer ein wenig her» vortretenden Treppentürmchen, in welchem man zu den Gewölben gelangt , während neben der Kirche der große hölzerne Glockenstuhl errich» tet wurde . Über diesen architektonischen Eigenheiten und Schönheiten der Dorf kirchen darf aber nicht vergessen werden, daß an der Stimmung, die sie umgibt, Land» Schaft und Witterung den Hauptanteil haben. Immer auf niederen Anhöhen inmitten der kleinen armen Dörfer, oft in unmittelbarer Nähe des Meeres ge-legen . Durch keine wirtschaftliche Not der Zeit ist jedoch die Verwahrlosung anderer zu entschuldigen. Die kirchliche Architektur des Mittelalters gibt noch heute den rügen-neu» vorpommerschen Städten und Dörfern ihr besonderes Gepräge, da die Mehrzahl der gotischen Kirchen die folgenden Jahrhunderte überdauert hat, während der Profanbau aus der großen Zeit des Bürgertums in allen Städten, außer in Stralsund, bis auf wenige spärliche Reste den Kriegen und Feuersbrünsten oder dem Unverstand späterer Geschlechter zum Opfer gefallen ist. Einige prachtvolle Giebelhäuser in Greifswald , das schöne Rathaus in Grimmen verlorengegangen ist. Aus den Werkstätten dieser beiden Städte werden manche Dorfkirchen mit Schnitz-altären und anderen plastischen Werken versorgt worden sein,- wahrscheinlich wird auch manches in den Klöstern Eldena und Neuenkamp geschaffen sein. Zweifellos wird aber auch vieles auf den Dörfern selbst oder zum min-desten in den kleineren Städten entstanden sein/ dafür sprechen die rohen und primitiven Arbeiten, die man noch hier und da in den Kirchen oder auf deren Böden findet. Eine große und bedeutende Plastik ist in Rügen und Neuvorpommern nicht bodenständig gewesen, denn die reifsten der in Stralsund erhaltenen Werke, die Altäre der Familie Junge und der Riemer und Beutler, weisen auf sti-listische Zusammenhänge mit Lübecker und Rostocker Arbeiten hin. Das Beste scheint somit von auswärts geliefert worden zu sein. So ist auch der einst der Stralsunder Nikolaikirche gehörende und jetzt in der Dorfkirche zu Waase aufgestellte große Flügelaltar (Bild 51) nachweislich in Antwerpen gefertigt. Das Altarwerk zu Tribsees, das eigenartigste und schönste des ganzen Landes, ist ebenfalls nicht hier entstanden (Bild 50,52,53>. Die äußerst seltene Darstellung der Sakramentsmühle, des Fleisch gewordenen Wort Gottes, kommt dreimal in Mecklenburg vor, in der Kreuzkirche zu Rostock, in Doberan und Retschow,- und wenn auch diese Werke weder untereinander noch mit Tribsees ein stilistischer Zusammenhang verbindet, aus der Selten-heit dieses Motives und seiner dreimaligen Darstellung in Mecklenburg muß man annehmen, daß es hier heimisch gewesen ist. Aufdie westliche Herkunft des Tr ibseer Altar Werkes deutet außerdem, daß die Stadt bereits seit dem 13Jahr-hundert Sitz eines Schweriner Archidiakonats für den festländischen Teil des damaligen Fürstentums Rügen gewesen ist, und infolgedessen die Geistlichkeit hier bis zur Einführung der Reformation in engster ständiger Verbindung mit dem Domkapitel zu Schwerin gestanden hat. ii Lassen sich bei dem wenigen, was an mittelalterlicher Plastik und Kleinkunst in Neuvorpommern und Rügen erhalten ist, keine Beziehungen zu einer oder mehreren Werkstätten in den führenden Städten Stralsund und Greifswald nadiweisen, die hier auf jeden Fall bestanden haben müssen, so sind in der nachreformatorischen Zeit Herkunft und Zusammenhänge der protestan-tischen Plastik und Kleinkunst viel deutlicher erkennbar. Von der Spätrenaissance bis zum Ausgang des Barock hat Stralsund eine rege Werkstatttätigkeit gehabt: viele Abendmahlsgeräte in den Dorfkirchen tragen die Stadtmarke, ebenso wurden hier die Glocken für das Land gegossenund Orgeln gebaut, und die Altäre zu Sagard, Brandshagen und Roloffshagen sind sicher Stralsunder Herkunft. Ob die Stadt auch die sehr schönen Renaissanceepitaphien zu Vilmnitz und Barth . Schließlich sei hier noch Niederhof erwähnt, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebaut ist . Dieses Rokokoschlößchen steht in seiner Heiterkeit und Grazie zwischen den alten mächtigen Buchen wie ein fremdländisches Wunder, das die ganze Schwere dieser pommerschen Erde und seiner Bewohner ver» gessen läßt. Die Herrenhäuser sind neben den vereinzelten Bürgerbauten des 18. Jahr» hunderts die letzten Ausläufer jenes großen architektonischen Könnens, das die mittelalterlichen Bauwerke in Neuvorpommern und Rügen geschaffen hat. Obwohl ganz anders geartet als die gotischen Kirchen und Profanbauten sind dieWerkedes 17. und 18. Jahrhunderts wie jene noch Ausdruck undZeichen einer in sich geschlossenen, in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzenden Kultur. Die Bauten des 19. Jahrhunderts können dagegen diesen Anspruch auf künstlerische Kultur nicht für sich erheben. Obwohl gerade in dieser Zeit des Anwachsens der Städte Stralsund und Greifswald große Bauaufgaben und »möglichkeiten gegeben waren, hat man dennoch keinen eigenen Baustil ge» habt. Das ist jedoch eine europäische Erscheinung, die mit der allgemeinen geistigen Krise in diesem Jahrhundert zusammenhängt, ebenso wie es eine gemeindeutsche Erscheinung ist, daß man heute ein richtigeres Wertgefühl für die Bauten der Vergangenheit besitzt, und gleichzeitig schon die Anfänge eines neuen Stiles sichtbar werden, der im Geist unserer Zeit wurzelt. Rückschauend noch einmal das werdende Bild der Kultur Neuvorpommerns und Rügens, wie wir es in seinen Bauten und in Werken bildender Kunst erkennen, überblickend, offenbart es uns ein Zusammenwirken verschiedenster Kräfte und Völker. Dänemark und Schweden, Westfalen und Mecklenburg haben in den verschiedenen Zeiten und in verschiedenem Umfang daran mit» geschaffen. Und die Träger und Schöpfer waren im Wandel der Jahrhunderte É Fürsten und Herzoge, Kleriker und Bürger, Bauer und Adel, Der Wagemut der Kolonisten, die Macht der Kirche,dieFreiheit eines selbstbewußten Bürger» tums und der wehrhafte Herrenwille des Adels trugen gleicherweise zu ver® schiedenen Zeiten dazu bei, die Kultur zu schaffen, die heute unsere engere geistige Heimat ist. Weil aber im Wechsel der Zeiten das ganze Volk hier irgendwann und irgendwie Mitschöpfer gewesen ist, ist diese Heimat ein alle und alles Verbindendes. ZU DEN BILDERN 1. Hünengrab. Die Hünengräber stammen aus der germanischen Vor® zeit. Sie geben der rügensthen Landschaft den besonderen Charakter. Vgl. die kleine Schrift von Dr, W, Petzsch, Rügens Hünengräber und die ältesten Kulturen der Insel, Bergen, 2. Aufl. 1925. 2, 3. 4. 5. Bergen, Klosterkirche. Bereits 1193 urkundlich erwähnt, stammt der jetzige Bau in seinen ältesten Bestandteilen aus dem 1. Drittel des 13. Jahrhunderts. Die ursprüngliche Anlage, romanische dreischiffige Basilika mit dreifachem Apsidialabschluß im Osten, wird 1445 durch eine Feuersbrunst zerstört. Der Wiederaufbau im Sinne der Gotik nach Aufnahmen des Ateliers Hegewald in Stralsund. Falkenhagen und Niederhof (Bild 66—73) nach Aufnahmen des Ateliers Zitzow in Stralsund. Bild 60, 62, 71 nach Aufnahmen von Dr. Schneider in Bergen. Bild 54 nach einer Aufnahme von Eugen Fenyves in Stralsund. Die anderen Bilder nach Aufnahmen der Staatlichen Bildstelle in Berlin. li DIE BILDER I I t j A 12. KLOSTERRUINE ELDENA. WESTFRONT II 15- KLOSTERRUINE ELDENA. BLICK IN DAS SÜDLICHE QUERSCHIFF II r * 20. GREIFSWALD. MARIENKIRCHE MIT MARKTPLATZ II 21. GREIFSWALD. NIKOLAIKIRCHE VON OSTEN II V t 27- WOLGAST. MITTELSCHIFF DER PETRIKIRCHE GEGEN OSTEN II 32. GRIMMEN. GESAMTANSICHT II 35- UFERKIRCHE ZU VITTE BEI ARKONA 44. SCHAPRODE. DORFKIRCHE #: 47a. ROLOFFSHAGEN. DORFKIRCHE 47b. VILMNITZ. DORFKIRCHE II p 49. GREIFSWALD. MARIENKIRCHE, ALTARFRAGMENT II 4/V 51. WAASE AUF UMMANZ. ALTARSCHREIN DER DORFKIRCHE II 53- TRIBSEES. THOMASKIRCHE, SEITENFLÜGEL DES ALTARSCHREINS II 54- WIEK AUF WITTOW. RITTER GEORG II (MUSEUM, STRALSUND) 56. BERGEN. KLOSTERKIRC:HE, KANZEL II a 58. VILMNITZ. GRABMAL II jjtëSMCWrOTftWdifttlt IGtZDGBVC' :s 2'/ frrnr:-; rcwissscjMVßsfMWjjö, 59. BARTH. GRABMAL II É (i2. SCHLOSS SPYKER AUF RÜGEN ir fi4. CARLSBURG MITTELBAU, HOFSEITE II 6G. FALKENHAGEN. PARKANSICHT II J 71. PUTBUS. SCHAUSPIELHAUS, MITTELBAU 76. C. D. FRIEDRICH. KLOSTERRUINE II 77- C. D. FRIEDRICH. DER KÖNIGSTUHL AUF RÜGEN DEUTSCHE LANDE / DEUTSCHE KUNST HERAUSGEGEBEN VON BURKHARD MEIER STETTIN AUFGENOMMEN VON DER STAATLICHEN BILDSTELLE BESCHRIEBEN VON CARLFREDRICH DEUTSCHER KUNSTVERLAG BERLIN / 1927 MIT UNTERSTÜTZUNG DES HERRN MINISTERS FÜR WISSENSCHAFT KUNST UND VOLKSBILDUNG, DES HERRN LANDESHAUPTMANNS UND DER STADT STETTIN Drude des Textes: Ernst Hedrieh Nadif., G. m. b. H., Leipzig Drude der Bilder: A. Wohlfeld, Magdeburg Papier: Scheufeien, Oberlenningen / Drudestödee: A. Krampolefe, Wien Einband: Hübel 'S) Dende, Leipzig / Entwurf von Umschlag und Einband: Prof. Ernst Böhm, Berlin F. B. WERNER, STETTIN UM 1740 STETTIN in der Sammlung »Deutsche Lande — deutsche Kunst«? wird mancher fragen, der die Stadt flüchtig sah und auch mancher, der in ihr lebt. Der vorliegende Band beantwortet diese Frage. In Auswahl und Folge der Bilder unterscheidet er sich von anderen Bänden der Reihe: auch aus der heutigen Stadt soll das Beste und Wertvollste vorgestellt werden, und die Hafenbilder sind hinzugefügt, weil Stettin eine moderne Stadt ist, die von Handel und Schiffahrt lebt. Vom Alten ist nicht mehr viel vorhanden,- nur einmal machte die Stadt nähere Bekanntschaft mit dem Kriegsgotte, dann aber so gründlich, daß von den mittelalterlichen Profangebäuden wenig blieb und die kirchlichen Bauten stark erneuert werden mußten. Später hat Feuer manches vernichtet. Weitere Zerstörung brachte die Entwicklung zur bedeutendsten Handelsstadt bei lange Zeit beengtestem Wohnraum. Hier konnten sich nicht wie in stillen Städten lauschige Winkel und an Wohnraum arme Häuser er» halten. Ferner fehlte leider die Ehrfurcht vor dem Gewordenen, die Lübeck und Danzig auszeichnen. Noch in neuerer Zeit ist das unvergleichlich wertvolle Aktenmaterial des Seglerhauses, des Mittelpunktes der Kaufmannschaft, ein= gestampft, sind die traulich schöne Baugruppe an der Johanneskirche und das schönste alte Privathaus (Bild 20>* beseitigt worden. Die Marienstiftshäuser am Königsplatz und die Bebauung des Innenrundes von Fort Preußen sind bedroht. Stettin lag von Urbeginn an für Handel und Verkehr zu günstig, und daß es zu^ gleich gegen Angriffe gesicherten Wohnsitz bot, erhöhte seine Anziehungskraft. * Die Nummern der Bilder finden sich auf dem modernen Stadtplan S. 27 wieder, nur wenige Baulichkeiten liegen außerhalb seiner Grenzen. Auf dem Schloßberge siedelten seit ihrer frühesten Zeit Germanen, aber erst mitderwendischenPeriodebeginnt die Geschichte. Ausihr ist der Name der Siedlung geblieben, der in seiner ältesten Form Stitin lautet. Die Mitteilungen über die Bekehrung der Slawen zum Christentum durch Otto von Bamberg <1124—1128) liefern die ersten wissenschaftlich verwendbaren Nachrichten für Größe und Lage der Siedlung und für einzelne Baulichkeiten. An den einst germanischen Burgwall schlossen sich nach Westen ein Burgwall des Fürsten, nach Osten unten am Fluß die Hütten der niederen Be= völkerung. Ausgrabungsfunde haben die aus den schriftlichen Quellen ge^ zogenen Schlüsse bestätigt. Die Lage, nicht der heutige Aufbau von St. Peter und Paul, geht auf den Bamberger Bischof zurück. Die Bekehrung zum Christentum zieht dieGermanisierung der Bevölkerung nach sich und das Eindringen der Deutschen vom Westen her. Zwei deutsche Siedlungen bilden sich: die eine am Wasser im Anschluß an den Kessin zwischen Hackgasse und Hagenstraße an der Großen Oderstraße, die andere von ihr getrennt auf der Höhe im Süden rechts und links von der Breiten Straße. Hier treibt man mehr Ackerbau, dort mehr Handel und Schiffahrt. Hier erhebt sich auf der Höhe, die der des ältesten Burgwalles wenig nach= gibt, eine dem Heiligen Jakobus geweihte Kirche <1187). Die Vereinigung der fünf getrennten Wohnplätze zu einer Stadt ist das Werk Fürst Barnims I. aus dem Greifenstamme, des Freundes deutscher Kultur in seinem Wenden= lande. Er schafft zunächst aus den Siedlungen am Fluß eine deutsche Stadt , an dem bis in das 16, Jahrhundert das große Kaufhaus sich erhob, und mit der Mühlenstraße (Luisenstraße) als Hauptverkehrsweg neben der Breiten Straße. Schon 1262, in dem Jahre, das für Rostock dieselbe Bedeutung hat, wachsen hier Alt- und Neustadt zusammen. Vor diesem Jahre liegt die Entstehung des ältesten Teiles des Rathauses in der Altstadt, die Niederlassung der Franziskaner im Süden und die der Zisterzienser-Nonnen im Norden vor ihr,- jene wird später in die Stadt ein= bezogen. Mit der Bildung der einen Stadt Stettin ist die Stiftung des Mariendomes durch den Fürsten verbunden. Das Terrain, auf dem das Gemeinwesen liegt, ist zum Staunen vieler heutiger Besucher recht bewegt,- um so beachtenswerter ist manche Straßenführung, besonders gelungen der Platz an in der Oberen Schulstraße und unbedeutende Mauerreste. Wie stattlich macht sich Stettin in den ältesten Ansichten von Braun und Hogenberg <1577), von dem Stettiner Kote <1625) und bei Merian, auch wenn man von den üblichen Über« treibungen absieht. Wie reich ist die Silhouette auf dem Ölgemälde der Börse . Wie stolz und beherrschend recken sich St. Jakobi und St. Marien in die Luft, Wahrzeichen der beiden Mächte, die hier nebeneinander stehen, der Stadt und des Fürsten. Weniger hoch steigen St. Nikolai und St. Johannis empor, dazu dicht vor den Mauern St. Georg und die Heiligegeist-Kapelle im Süden, im Norden St. Peter Paul und die Nonnenkirche und weiter hinaus die Kar« tause (Oderburg). Die trotzigen Wehrbauten fehlen auf dem Gemälde, sichtbar sind auch nicht die Höfe des Bischofs von Kammin und des Abtes von Kolbatz, auch nicht die zahlreichen Hospitäler und geistlichen Stiftungen. Von Profanbauten treten das Rathaus und das Schloß hervor. Barnim I. hat nach der Mitte des 13. Jahrhunderts seinen Burgwall ge« schleift, um den Bürgern freie Hand zum Bauen und Wirken zu geben, aber kaum hundert Jahre später gelingt es einem seiner Nachfolger doch, auf dem höchsten Punkte im Stadtgebiet mit dem Bau eines Schlosses zu beginnen. Stettin wird Residenz. In einem Zeitpunkte, als die Stadt ihre Selbständigkeit fast errungen hat, wird der Herzog ihr Herr. Auch bei diesen Vorgängen vermissen wir schmerzlich eine mittelalterliche Chronik und reichhaltigeres Urkundenmaterial. Das nächste Jahrhundert ist die mittelalterliche Blütezeit. An stolzem Bürgersinn hat es nicht gefehlt, aber schon vor Friedrich Wil« heim I. werden die Bürger allmählich zu Untertanen. Auch lebhaftes inneres Leben fehlt/ die Kämpfe zwischen Geschlechtern und Gewerken sind un« bedeutend gewesen. Es fehlt auch starker Unternehmungsgeist, der eigene Politik treibt und in die Ferne führt. Man streitet zwar mit Stargard und ist an den Kämpfen mit den Brandenburgern beteiligt, aber in den Kriegen der Hansa spielt Stettin eine noch geringere Rolle als Stralsund. Man fängt an der Küste von Schonen alljährlich Heringe, aber die Sundzollregister melden von schwacher Beteiligung Stettins an der Durchfahrt. Über den Oderhandel dagegen wacht man seit der Verleihung des Niederlagerechtes <1283) eifer« ni süchtig. An Reichtum kann man sich mit anderen Ostseestädten nicht messen,-das Gemeinwesen ist vor dem Dreißigjährigen Kriege eigentlich bankrott. Das geistige Leben ist matt gewesen. Die bedeutendsten Fürsten aus dem Greifenstamme Bogislav X, (Bild 31b> und Johann Friedrich (Bild 31 a> haben ihre Hand am festesten auf die Stadt gelegt/ sie sind auch die wichtigsten Bauherren. Ihnen beiden und Philipp II. verdankt das Schloß seine heutige Ausdehnung und die Form, die Merian im allgemeinen richtig überliefert hat (S. 19>. Auch in der Stadt besaßen die Fürsten manch geräumiges Grundstück, manch stattliches, reichgeschmücktes Gebäude, wie das Harnisch^ und Büchsenhaus, die Münze und eine Roßmühle, vor allem aber die Kanzlei. Nichts davon ist geblieben. Von den Merkwürdigkeiten und künstlerisch wertvollen Stücken der reichen Kunstsammlung Philipps II. sind zerstreute Stücke erhalten (Bild 30, 31 >. Von Profanbauten der Herzogszeit sind nur zu nennen: das Pfarrhaus von St. Jakobi und das palastartige Wohnhaus der Loitzen (Bild 15), die viele Jahrzente bis 1572 als Geldgeber über Pommern hinaus eine Rolle gespielt haben und am Regiment der Stadt stark beteiligt waren,- der Palast steht im Stil auf der Scheide zwischen Gotik und Renais^ sance. Reine Proben dieser neuen Kunstentwicklung bieten der Erinnerungs^ stein an Barnim III. (Bild 28) und das Epitaph Bogislavs X. (Bild 29), die Portale in der Großen Oderstraße (Bild 26) und der Reitbahn (Bild 14). Als der letzte Fürst Bogislav XIV. seine müden Augen schließt (1637), ist auch Pommern seit zehn Jahren Schauplatz des großen Krieges, sind seit sieben Jahren die Schweden Herren von Stettin. Der Untergang der mittelalterlichen Stadt hat begonnen,- die Formensprache ist die des Barock geworden. Seitdem Stettin Hauptstützpunkt einer fremden Macht ist, tritt es aus seiner bescheiden nen Stellung heraus und bekommt eine, wenn auch mäßige, europäische Bedeut tung. Die neuen Herren haben wenig für die Stadt getan,- baulich erinnert nichts an sie. Selbst die damals modernen Befestigungen, die der Ingenieur Portius im Aufträge Gustav Adolfs vor die mittelalterlichen Werke der Stadt und um die Lastadie legt (S. 3 u. 22, dazu S. 11 der Gesamtausgabe), im Süden aber nicht vollendet, sind ganz verschwunden. Voll Staunen liest selbst mancher Stettiner die Inschrift am Marienstifts-Gymnasium (Bild 44), die auch von der schwe» dischen Periode dieser Schule meldet, oder sieht in der Jakobikirche das Wappen des Generalleutnants von Wulffen. Mit diesem Manne ist die Heldenzeit der Stadt verbunden und in Wahrheit der Beginn einer neuen Periode. Die Folge der veränderten Bedeutung der Stadt sind nämlich vier Belagerungen (1659, 1676,1677,1713), und an die blutigste von 1677, in der der Große Kurfürst die älteren Bauten auf das stärkste zerstört und die Stadt gewinnt, um sie wieder zu verlieren, schließt im Grunde genommen die preußische Herrschaft unter Friedrich Wilhelm I. an. Die Jahre dazwischen gehören zu den erbarm liebsten im Leben des Gemeinwesens. Handel und Wandel liegen danieder. m Der Wiederaufbau geht bei geringer schwedischer Hilfe langsam von statten, Erst Friedrich Wilhelm I. darf sich rühmen, die Wunden, die sein Groß-vater geschlagen hatte, geheilt zu haben. Hier wenn irgendwo zeigt er sich als der große Organisator und Verwalter. Das Regiment der Stadt, die Verwaltung ihrer Güter werden von Grund aus gebessert/ neue Behörden hierher gelegt. Stadtplan und Kataster läßt er verfertigen. Er sprengt den mittelalterlichen Mauergürtel und legt an die Stelle der schwedischen Werke moderne mit drei vorgeschobenen Forts. Die Kaserne am Königsplatz wird gebaut und auf der Lastadie der Packhof , die Bürgerbauten aus der Spätzeit des Baudirektors Weyradi und vor allem das Haus Tilebein. Einen baulidi en Verlust bedeutet die Vernich» tung der Nikolaikirche durch Brand <1811>. Die nächsten Jahrzehnte liefern noch einige öffentliche und private Gebäude von Stil, der aber wieder kein besonderer Stettiner Stil ist. Die erste Stadterweiterung in der Neustadt, denn die etwas ältere Silber» wiese bot fast nur Lagerplätze, ist gut im Plan, aber schlecht im Aufbau. Die Statue Friedrich Wilhelms III. von Drake entsteht auch an einem Wendepunkte der Stadtentwidclung. Vor und nach diesen Jahren ist viel ge» zeichnet und gemalt worden, und diese Bilder sind hier von beson derem Werte. Wie biedermeierisch friedlich muten noch die Zeichnungen des trefflichen Lütke an, wie harmonisch baut sich die Stadt mit ihren niedrigen Häusern noch zum beherrschenden Schlosse empor , wie geruhsam geht es noch am Hafen zu . Seit dem Beschlüsse der Entfestigung <1873> setzt dann rascheste Entwicklung und schönes Gedeihen von Industrie, Handel und Schiffahrt ein, die bis zum Weltkriege andauern. Leider findet aber jener städtebaulich größte Augenblick eine kleinliche Bürgerschaft, die den Ankauf des Festungsgeländes nicht wagt, und wie überall damals ein in der Archi» tektur geschmackloses Geschlecht. So entstehen ganz wenige Gebäude von architektonischer Schönheit. Erwähnenswert ist die Anlage, weniger die Be» bauung der Hakenterrasse , die man nach Geschmack und Aus» sicht mit der BrühlschenTerrasse in Dresden vergleichen mag, und das städtische Verwaltungsgebäude , Dieses wie die Bauten auf der Terrasse bringen durch ihre Türme eine Bereicherung in die verarmte Silhouette derStadt, aber St. Jakobi dominiert. Erst nach dem Kriege zeigen sich auch in Stettin An» sätze zu neuer geschmackvoller Baugestaltung in einzelnen Gebäuden und Baugruppen. Nicht wenige umfassende Probleme sind in der Ausführung begriffen. Genannt sei die Schöpfung eines Grüngürtels, da der alte mit der Preisgabe der Festungswerke verloren ging, die Anlage eines neuen Personen» bahnhofs und die Erweiterung des Hafens, Welche Entwicklung liegt zwischen der Erbauung des ersten Bollwerks in den Jahren 1550—1570, der Errichtung der ältesten Speicher und den modernen Baulichkeiten zum Anlegen und Löschen der Schiffe und zum Bergen der Waren , zwischen der ältesten Langenbrücke und den modernen Brückenbauten läßt die Ausdehnung des Wohnraumes aus der Lage am stark verzweigten, für Handel und Verkehr überaus geeigneten Flusse begreifen und die Fülle der Verkehrsanlagen verstehen. Diese Ausführungen mögen erkennen helfen, wie es sich erklärt, daß Stettin einen modernen und doch keinen geschlossenen Eindruck macht/ sie mögen dazu beitragen, das wenige Alte im Neuen und im Neuen das Gute zu suchen. m GRUNDRISS DER JAKOBIKIRCHE DIE KIRCHEN DIE JAKOBIKIRCHE Da der Mariendom nach dem Brande von 1789 nicht wiederhergestellt wurde, so ist St- Jakobi das einzige mächtige Gotteshaus der Stadt. Seine Baugeschichte ist reich und geht mit wichtigen Entwicklungszeiten der Stadt zusammen. Von dem ersten kleinen romanischen Bau sind vielleicht einige Zierstücke erhalten. Auch an die frühgotische Basilika erinnern nur noch Teile der Nordwestecke. An ein dreischiffiges Langhaus schloß sich als Verlängerung des Mittelschiffes ein deutscher Chor, sollte sich eine zwei-türmige Westfront fügen, die nie ganz vollendet wurde. Das heutige Gottes« haus zeigt die Formensprache der Spätgotik in einer für unsere Gegend be« zeichnenden Art/ drei Künstler von ausgeprägter Persönlichkeit machen sich bemerkbar. Um den deutschen Chor, den heutigen Binnenchor, wurde seit 1375 von einem bedeutenden, leider unbekannten Meister, ein gleichhoher Umgang gelegt, während das Langhaus noch Basilika blieb. Ernst und streng heben sich die Außenwände in breiten einheitlichen Flächen empor,- auf den Rahmen einer Umbauung ist offenbar gerechnet. Außen kein Strebewerk wie bei der Marienkirche in Lübeck, in das Innere sind die Strebepfeiler genommen/durch den Raum zwischen den Strebepfeilern wird der Chor beinahe fünfschiffig. Die schwächeren Pfeiler zwischen den Hauptpfeilern tragen zu reicherer Ge« staltung bei. Über den Gewölben der Außenkapellen läuft ein Umgang von einem Treppenturm zum anderen. In den Jahren 1380 bis 1387 werden die Kapellen geweiht / ihre Zahl in der ganzen Kirche betrug schließlich vierund« zwanzig/ in ihnen und im Hauptschiff standen zusammen zweiundfünfzig Altäre. Auch die Innenkapellen sind zum Umgänge geöffnet. m Durch den Meister des Hallenchores ist Hinrich Brunsberg stark beeinflußt, der sieb »von Stettin« nennt, aber aus dem Ordenslande kam. Bevor er »das prächtigste Werk der spätgotischen Ziegelbaukunst«, die Marienkapelle der Katharinenkirche in Brandenburg schuf, hat er hier an die Südseite der Jakobi» kirche eine Reihe von vier Kapellen in Erweiterung älterer Kapellen des noch basilikalen Teiles der Kirche gelegt . Über einem Sockel und dem Kaffgesims erheben sich Strebepfeiler ähnlichen Grundrisses wie in Branden» bürg. Sie treten mit ihren zwei kräftigeren Eckpfosten und einem zurück» stehenden Mittelpfosten nur schwach vor die Wand. In der Mitte liegtüberzwei durch Profilstäbe getrennte, spitzbogig geschlossene Nischen eine Kreisblende mit einem Wimperg darüber. Die Eckpfosten sind durch zwei übereinander stehende Wimperge in zwei Geschosse geteilt. Das Stabwerk oben kehrt in den Zwickeln des Portales wieder, in dessen Umrahmung geschwungene Birnstäbe und eingezogene Rundstäbe mit einfachen Rundstäben in den Kehlen wechseln. Schichtweise folgen sich schwarzgrüne Glasursteine und rote Ziegel. Neben das Ruhige und Flächenhafte des Hallenchores tritt hier das Bewegte und Dekorative. Brunsberg sucht mit Beachtung von Licht und Schatten male» rische Wirkung/ sie wird gehoben durch die verschiedenen Farben der Steine und das Weiß des Putzes. M. Säume nennt ihn mit Recht »die stärkste Künstlerpersönlichkeit Niederdeutschlands, den Begründer der mittleren Spätgotik im östlichen Niederdeutschland«. An vielen anderen Orten hat er noch gearbeitet, weithin und nachhaltig Wirkung geübt. Ganz anders ist wieder die Art des Meisters, der das basilikale Langhaus zur Hallenkirche umschuf. Auf der Form- und Farbenpracht Brunsbergs ganz einfache ernste Linien. Die Pfeiler kennzeichnen sich außen nur als schmale eingelegte Wandnischen ohne Maßwerk und Wimpergen. Noch einfacher als im Chore geht das Maßwerk der Fenster geradlinig in die Spitze über. Wie ein prächtiges Schmuckstück in bewußt einfacher Fassung wirkt nunmehr Brunsbergs Werk. Die Annahme, daß Nikolaus Kraft, der neben und nach Brunsberg in Brandenburg tätig war, der neue Baumeister ist, hat viel für sich. Noch jünger ist der Anbau eines zweigeschossigen Schiffes an der Nordseite der Kirche und die Nordkapelle. So werden die Durchblicke durch die Kirche reicher und anziehender auf die Vorhalle des Mittelschiffes den heutigen Turmkern und deckt die alten Turmstümpfe mit Pultdächern zu. In drei Stockwerken steigt der Turm empor. Jedes ist außen in fünf Blendnischen mit Kreisblenden geteilt, die nach oben niedriger werden. Zwischen vier Türmchen in den Ecken streckt sich die 1894 erneuerte Spitze bis zu 118 m stolz empor, ein Wahrzeichen der Stadt, von wo man auch kommen mag. HI Höhe und Brette sind die Haupteigenschaften der Kirche im Äußeren und Inneren. Machtvoll streben die Außenmauern am Chor, Langhaus und Turm empor, machtvoll im Inneren die einfachen achteckigen Pfeiler mit gemaltes Bändern als Kapitelle,* St. Jakobi ist eine der höchsten Hallenkirchen. Breit gelagert ist sie mit dem herben geschlossenen, schwach gegliederten Äußeren: breit und weiträumig ist das Innere, da Langhaus, Chor und Türme zu einem riesigen Innenraume vereinigt sind. Die Brandgeschosse des Großen Kurfürsten haben die Turmspitze und das Innere der Kirche bis in die Grüfte zerstört. Was die Reformation, deren Ausgangs- und Mittelpunkt diese Kirche war, an Ausstattungsstücken übrig gelassen und was der Glaube der Frommen später hinzugefügt hatte, wurde damals fast ganz vernichtet. Wenige ältere Grabsteine und Grabdenkmäler blieben erhalten, der Denkstein für Barnim III. stammt von anderer Stelle. Die Ausstattung ist barock, und diese wirklich lebendige Kunst einer andern Zeit fügt sich dem Alten besser als später beliebte Stilangleichung je sich gefügt hätte. Bewundernswert ist die Schaffenskraft und Gebefreudigkeit in armer Zeit, bewundernswert das Geschick und der Geschmack der Handwerker. Altar, Kanzel und Orgel, Emporenbrüstungen und Gestühle, Gitterwerk und Lichterkronen geweiht. Sie ist ein Bau des 14. Jahrhunderts: der Chor aus der ersten, das Gemeindehaus aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts/ dort frühe, hier späte Gotik. Im 15. Jahrhundert werden niedrige spätgotische Kapellen zwischen die Strebepfeiler gelegt und außen mit Pultdächern geschlossen/ die Südwestkapelle ist die der Draker <1401). Das Äußere wie das Innere dieses „edelsten Bauwerkes Stettins" spricht von tüchtigem Können und gutem Stilgefühl. Um den drei* jochigen Chor mit dem seltenen Abschluß von sieben Seiten des Zehnecks zieht sich ein großenteils erneuter Weinrankenfries unter dem Kaffgesims hin. Fein sind die Profile der Chorfenster, schön der Maßwerkfries von schwarzen Glasursteinen unter dem Traufgesims. Bemerkenswerte Verschiedenheit und große Schönheit zeichnen die beiden Giebel aus: der zur Stadt gewandte Ostgiebel ist reicher gegliedert, Blenden mit Maßwerk in glasierten Steinen steigen zum First empor, den ein barockes Türmchen überragt. Der Westgiebel hob sich einst über die Stadtmauer, die dicht vor ihm zur Oder lief, und war auf Fernwirkung berechnet. Einfach und kräftig sind die Formen / pfeilerförmige Fialen durchziehen ihn zwischen spitzbogigen Blenden mit schlichtem Maßwerk in in Ziegeln bis hinauf zu den einst durchbrochenen Türmchen. H. Lutsch hat den Giebel mit Recht »eine der reizvollsten und überzeugendsten Schöpfung des norddeutschen Backsteinbaues« genannt. Das Innere zeugt in Chor und Langhaus von feinem Formgefühl. Im Chor steigen aus Kragsteinen, die mit Blattwerk umgeben sind, zierliche Birnstabdienste auf/ die Senkrechte wird durch Rundschilde glücklich unterbrochen. Die Kragsteine derTrennungspfeiler zwischen Chor und Langhaus wurden von leicht bewegten menschlichen Figuren getragen, von denen leider nur eine erhalten ist. Das Langhaus wird im We» sten scheinbar zweischiffig abgeschlossen,- die Rippen der Gewölbe, die im Mittelschiff sternenförmig, in den Seitenschiffen kreuzförmig gebildet waren, steigen unmittelbar aus den achteckigen Pfeilern empor/ bei dem schlechten Baugrund sind einige Pfeiler aus dem Lot gewichen. Im Jahre 1677 weniger beschädigt, hat sie bei Wiederherstellungen nach der Franzosenzeit und in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts schlimme Einbuße an Schönheit er» litten. Sie birgt den ältesten Grabstein Stettins von 1338 und einen der schön» sten von Hinrik Rabenstorp <1378). Der Kreuzgang im Osten, dessen hohe Spitzenbogen und Kreuzgurte mit birnenförmigen Profilen auf geschmack» vollen Konsolen Fr. Kugler rühmt, hat wie die übrigen Klostergebäude nach dem Jahre 1856 häßlichsten Mietskasernen Platz gemacht. Die heutige entwür» digende Verwendung ist ein bitteres Unrecht gegen den schönen Bau. DIE SCHLOSSKIRCHE ist ein Teil des Neubaues des Schlosses von 1577. Der rechteckige Raum der Kirche , das um so mehr hierher ge» hört, als die Kirche Begräbniskirche der pommerschen Fürsten war. Die Kanzel ist eine kraftvolle Arbeit aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. Aus der älteren Otten-Basilika an derselben Stelle stammt die Grabplatte für Hennig von Rehberg ein gotisches Gewölbe unter dem Keller. Auch St. Nikolaus auf dem heutigen Neuen Markt hat keine alltägliche Gestalt gehabt,- hier war von vornherein ein Holzgewölbe über die Säulen gespannt. Die Nonnenkirche an der Junkerstraße war ein wertvolles frühgotisches Werk, das nach der Reformation zum Magazin entwürdigt und 1904 abgerissen wurde. Von der Kirche der Karmeliter in der Mönchenstraße war im Jahre 1509 erst der Chor und der Ansatz des Langhauses vollendet. Nach der Reformation als Schule eingerichtet, wurde sie 1839 abgerissen. St. Georg und St. Spiritus im Süden der Stadt waren kleine unscheinbareBauten. Jener fiell659den Vorbereitungen für die Belagerung, dieser schon nach 1630 den Festungsarbeiten der Schweden zum Opfer. Das Äußere der Kartause im Norden (Ecke Post- und Werft-straße>ist nurausmeistschlechtenStichenbekannt. Nach der Reformation war es als »Oderschloß« im Besitz der Fürsten und erhielt Renaissance oder Barockformen. Seit 1630 wurde es allmählich zerstört,- von dort stammt der Gedenkstein von Barnim III. (Bild 28). Die Baugeschichte von St. Gertrud auf der Lastadie ist am wenigsten von allen geklärt/ der heutige Bau ersetzte 1887 einen des 17. Jahrhunderts (Abb. S. 3). PROFANBAUTEN Das Rathaus, das auf den älteren Stadtansichten kräftig heraustritt, hat erst in diesen Tagen M. Säume baugeschichtlich der Vergessenheit entrissen,- das formlose Gewand, das es jetzt trägt, schreckte bisher ab (Bild 16). Die beiden unteren Stockwerke der Südseite entsprechen dem ältesten Teile. Dort wurde bei der Anlage der deutschen Altstadt eine offene Gerichtshalle (ungefähr 5x14 Meter) mit Schöffenstube darüber errichtet,- der mit einer Tonne überspannte Keller diente vermutlich als Gefängnis. Etwas jünger ist die Erweiterung nach Norden hin durch eine zweischiffige Kaufhalle mit flacher Holzdecke. Ein Umbau um die in r FRIEDRICH L. BISCHOFF, MARIENDOM VOR DEM BRANDE 1789 Mitte des 15. Jahrhunderts gab dem Gebäude den heutigen Umfang und eine Formenschönheit, die öfter begeistert gepriesen wurde. Auf dem erhaltenen, wenn auch etwas verschütteten Keller mit 12 Sterngewölben auf dicken runden Pfeilern erhob sich eine zweischiffige, sechs Joche lange Halle, darüber ein Obergeschoß. An den Langseiten wechselten breite spitzbogige Fenster mit schmalen Nischen,- die einfachen Rundstäbe bauten in 15 sich schichtweise aus rotem Backstein und schwarzem Glasurstein auf. Alles liegt heute unter dickem Putz/ nur im Norden ist eine breite, von dreimal wiederholten Profilsteinen und einfachen Rundstäben umrahmte Wandnische herausgeholt. In der Nische wächst aus spitzbogigem ge» doppeltem Stabwerk eine Kreisblende hervor/ die Zwickel sind mit Blend» stabwerk gefüllt. Die beiden Giebel waren vierteilig, sie hatten durch« brochene Wandteile und hochragende Fialen/ das Rathaus zu Stralsund wird die nächste Parallele bieten. Die Erneuerungsarbeiten nach der Beschießung von 1677 fallen noch in die schwedische Herrschaft. Sie gaben dem Gebäude die heutige Form,- das Innere wurde damals und später völlig verbaut. Das Schloß mit Freiheiten imeinzelnen z. B. mit flachen Dächern statt Satteldächern vermittelt. Massig ragte das Schloß gegen die Stadt und über dem Flusse empor und wirkte mit seinen langen Wagerechten und den vier Türmen in der Silhouette der Stadt, so lange die Häuser niedrig waren,- ebenso stark wirkte es von Norden. Den Hof machte ein reichgegliederter Verbindungsbau zwischen dem Süd» und Mittelflügel noch geschlossener/ ein einstöckiger Laubengang vordem Unter» geschoß ringsherum ließ die Mauern nicht so steil zur Höhe der Attika mit den liegenden Voluten emporsteigen und brachte Bewegung in die heute un» gegliederte Masse. Die Ansätze dieses Ganges und die verzierten Gewände der Türen, die sich auf ihn öffneten, sind erhalten. Was blieb aber von dieser stattlichen Schönheit, der Stätte so manchen präch» tigen Festes, aber auch so vieler Leichenfeiern, daß das Geschlecht des Bau» herren schon 60 Jahre nach der Einweihung ausgestorben war? Die furchtbaren Wunden, die die Bomben des Großen Kurfürsten gerissen hatten, wurden schlecht geheilt. An die Stelle des nicht wiederhergestellten Verbindungsbaues traten unter Friedrich Wilhelm I. trophäengeschmückte Portalpfeiler in der Art des Festungstores der Lastadie. Dem Südbau wird damals und später am schlimmsten mitgespielt. Er wird zum Arsenal umgebaut und erhält ein in Mansardendach, in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts wird er bis auf die Türme und den unteren Teil der Umfassungsmauern abgerissen und zu einem Verwaltungsgebäude umgestaltet, Erhalten bleiben außen unter dem Putz Reste des spätgotischen Maßwerkes auf dem Hofe zu« tage tritt, während die Fassade barock und im Erdgeschosse neuerdings durch Läden entstellt ist, so ist das für die Bürgerhäuser Stettins bezeichnend/ auch von den jüngeren ist kaum eines in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten, viel Älteres steckt unter späterer Maske. Das Palais der Loitzen (Bild 15>, das durch die Anbauten rechts und links in seiner Wirkung beeinträchtigt wird, stammt aus dem Übergang von der Gotik zur Renaissance und ist auch an den Schmalseiten von spätgotischen Zierformen überzogen. DerTreppenturm steigt in wohlabgemessenem Auf» bau über das Dach empor und prunkt oben mit spätestem Fischblasenmuster. Das Maßwerk und das auf der Tafel leider nicht sichtbare Portal gleichen so stark denen des Schlosses von Ückermünde (1546) (Abb. Teil IV, S. 4), daß man an denselben Baumeister denken darf. Eine geschnitzte Decke aus der Zeit der Erbauung des Hauses befindet sich im ersten Stockwerk, einKalkstein« relief von der Front (Die Israeliten unter Josua im Kampf um Jericho) im Mu» seum der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde. Zu den wenigen Renaissancedenkmälern gehört das Portal Große Oderstraße 3 (Bild 26), das in wohlüberlegtem Aufbau und schönen Einzelheiten in Pom» mern einzig dasteht, eingefügt in ein Haus, das zweiundeinhalb Jahrhunderte jünger ist. Von den Hausdielen, die auch hier einst reich geschnitztes Holz» werk zeigten, birgt sich in dem Hause Pelzerstraße 14 (Bild 11 links) ein letzter Rest/ auch die Haustür mit ihrer Umrahmung führt uns noch in das 16. Jahrhundert. Der Ostgiebel des alten Pfarrhauses gegenüber (Fuhrstraße Nr. 15) steht dem erhaltenenNordgiebel des Westbaues desSchlosses (Bild 10) nahe/ erbeherrscht in vorbildlicher Weise die schmale Pelzerstraße ,• ähnlich ist der Giebel des Hauses Heumarktstraße 6 an der Hagenstraße. Diese Giebel und wenige mehr haben die Belagerung von 1677 und spätere Umbauten überdauert. Nach jenem Schreckensjahre baut man noch Giebelhäuser so einfach wie Krautmarkt 1 (1708) oder mit so reichem Barockschmuck wie Heu markt 4 (Bild 17), bei dem man die Vernichtung der alten Form des Erdgeschosses hi SCHLOSS UM 1650. STICH VON MER1AN bedauert. Solche von, flachen Pfeilern getragene, über dem starken Gesims verschieden abgeschlossene Vorbauten vor dem Giebel sind damals beliebt und kehren auch am Rathaus wieder. Voluten oder Rankenwerk oder beides in Vereinigung decken die Seiten, ui Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts beginnt das Haus seine Langseite zur Straße zu streiken und bleibt Putzbau, zu dem es schon geworden war. Die Menge des Erhaltenen wird größer, so daß manche Straßen noch einen einheitlicheren Eindruck machen,- aber die Bauten unterscheiden sich nicht von den in Preußen üblichen Typen. Den Übergang bildet die alte bei den Be» lagerungen mehrfach beschädigte Hofapotheke aus dem Anfang des Jahr» hunderts (Bild 18> mit dem niedrigen Aufsatz vor dem Mansardendach, das nunmehr auch in Stettin bis in die achtziger Jahre des Jahrhunderts beliebt bleibt. Die Bauten, die der Fürsorge Friedrich Wilhelms I. verdankt werden, heben sich im allgemeinen nicht so hoch empor und sind schmuckloser. Über ein Erd» geschoß in Fort Preußen, über Erd» und Obergeschoß auf der Lastadie und an den unter diesem Fürsten fast vollendeten Marienstiftshäusern ragt nur ein Erker, als Zier dienen Putzstreifen. Aber derselbe König liefert auch Mittel für zwei Bauten, die zu den edelsten der Stadt gehörten, das Landeshaus (Bild 19> und das sogenannte Wietzlow'sche Haus (Bild 20 und Seite 21). Das in einfachen harmonischen Verhältnissen von Walrawe entworfene und geschmackvoll gezierte Landeshaus (1724/26) ist im 19. Jahrhundert leider entstellt/ selbst im Mittelrisalit, das das Bild wiedergibt, fehlt die alte schöne Freitreppe. Das andere Gebäude aber fiel modernen Anforderungen an ein Geschäftshaus zum Opfer/ erbaut hatte es im Aufträge des Kanzlers von Grumbkow ein Meister, der Sinn für Harmonie im Ganzen und für schöne Einzelheiten hatte. Ein Teil einer stattlichen Diele aus diesem Jahrhundert fristet im Hause Schuhstraße 11 ihr Leben,- Haustüren sind noch zahlreich und reichen von der Barockzeit bis in den Klassizismus/ in dieselbe Zeitspanne gehören einige Stuckdecken. In der ersten Bauperiode Friedrichs des Großen, die bis 1763 reicht, überwiegt das schlichte einfache Bürgerhaus, das die Wohnbauten seines Vaters stilistisch fortsetzt und nur etwas höher wird. Der Vorklassizismus ist infolge des Ausbaues der Häuser in jener Periode besonders reich vertreten. Harmonisch auf» gebaute Fassaden dieses Stiles, Gehänge und Köpfe als Schmuck, finden sich vielfach, z. B. an dem bis auf geringe Veränderungen im Erdgeschoß und die Aufstockung gut erhaltenen Werk des tüchtigen Landbaumeisters Weier in der Fuhrstraße 12 (1786). Aber kein Gebäude erreicht entfernt die Formenschönheit und Pracht des Hauses (Luisenstraße 13), das der kunstsinnige Großkaufmann G. Chr. Veithusen 1788 zu bauen begann (Bild 21),- der Berliner Baumeister ist noch unbekannt. Von David Gilly, hier 1779—1788 Baudirektor, entworfene Fassaden sind nicht auf uns gekommen. Die Entwicklung vom Vorklassizismus zum Klassizismus ist bei seinem Nachfolger, dem Baudirektor Johann Wilhelm Weyrach (1791 —1806), an erhaltenen Bauten kenntlich. Die Linie geht von den Häusern Große Domstraße 12 (1791), Klosterhof 3 (1795), Rosengarten 33 (1797/98) zu Rosengarten 25/26 (1800), Mittwochstraße 24 (1802) und Hünerbeinstraße 12 (1806). Die wohl» in ROSSMARKT ZUR ZEIT FRIEDRICH WILHELM I. habenderen Kreise brauchten vor dem Niederbrudi des Staates viel Raum und wußten zu leben. Die Parallelen zu diesen Häusern mit ihren Pilastern und ihrem Schmuck von Mäander und Rosetten standen und stehen in Berlin und in vielen Städten von Brandenburg und Pommern. Vom Innenbau können wir nur noch im Tilebeinhaus , die alten Sockelreliefs werden in der Sammlung der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde aufbewahrt. Das Titelbild ist nach dem Original aufgenommen. 1. Der etwa 40 cm hohe und breite Türklopfer schmückte seit dem Ende des 13. Jahrhunderts das Hauptportal der Marienkirche, nach deren Niederlegung eine Pforte der Schloßkirche. Jetzt befindet sich das Original in der Sammlung der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde, während eine Nachbildung in Eisen steht diesem an Schönheit und Feinheit der Arbeit nach. 2—4. Der erste Bau entsteht, wie es scheint, in den Jahren 1180 — 1187. Nach 1250 ersetzt ihn eine frühgotische Basilika. Seit 1375 wird der Hallenchor herumgelegt. 1390—1400 etwa Erbauung der Südkapellen durch Hinrich Brunsberg. 1400—1425 Umbau des Langhauses in eine Hallenkirche,vermutlich durdiNikolausKraft. Zwischenl450—1500Anbau eines zweigeschossigen Schiffes im Norden und gegen Ende dieser Periode einer Nordkapelle. 1456 Einsturz des Südturmes. 1503 erbaut Meister Hans Böneke den heutigen Mittelturm, der 1603 noch erhöht wird. In der Nacht vom 16. —17. August 1677 Zerstörung der Turmspitze, des Daches und des Inneren der Kirche. 1698—1711 Erneuerung. 1893 bis 1902 Wiederherstellung nach den Plänen des Geheimen Baurats Hoßfeld, Berlin. Die Glasfenster sind Stiftungen aus der Zeit dieser Wiederher» Stellung. Die einzige alte Glocke goß 1681 der Stettiner Lorenz Kökeritz. 5—7. Das gewaltige Holzbildwerk des Hochaltars erbaute 1709—1711 der Stettiner Meister Ehrhard Löffler. Die Vergoldung und Bemalung stammt von Ph. E. Bichner aus den Jahren 1727—1734. Das Gemälde der Kreuz» abnahme ist ein Werk von E. H. Lengerich aus Stettin <1826). Der 1699 vollendeten Orgel liegt ein Entwurf von Matthäus Schurich in Dresden zu» gründe/ Bildhauer» und Schnitzarbeit verfertigte M.von der Linde. Die um 1690 von einem unbekannten Meister hergestellte Kanzel gehört zu den besten ihrer Art und Zeit. Auch die Bilder des Ehepaares, das sie stiftete, rechts und links vom Kruzifixus ließen sich bisher nicht bestimmen. Von dem tragenden Schutzpatron der Kirche steigt der Bau über Kanzel undTreppen-brüstung mit bewegten Apostelfiguren und dem Bild des Erlösers 12 m hoch empor zum dreiteiligen Schalldeckel und dem lobsingenden Engel. 8. Die älteste kleine romanische Holzkirche an dieser Stelle weihte 1124 Bischof Otto von Bamberg. Ein frühgotischer Bau aus derZeit vor 1300 hatte ungefähr die Breite der heutigen Kirche, deren fünf östliche drei» schiffige Joche nach 1433 ein Schüler H. Brunsbergs schuf. Nach 1450 Erweiterung um ein sechstes Joch. Am 16. August und am 26. Oktober 1677 Zerstörung von Turm, Dach und Innerem. 1677 —1683 Umbau zur einschiffigen Kirche. Nach der Verwüstung durch die Franzosen <1806 bis 1813) wird die Wiederherstellung 1818 vollendet. 1901 — 1902 neu» gotischer Giebel und Maßwerk des Hauptportales, 1924 Erneuerung. Der Klappaltar stammt aus dem Beginn des 16. Jahrh. 9. Im Jahre 1240 siedelt, wie es scheint, Heinrich Barfot die Franziskaner vor der damaligen Stadt an. Zwischen 1300 und 1350 Erbauung des jet» zigen Chores und zwischen 1350 und 1400 des Gemeindehauses. Im Anfang des 15. Jahrh. niedrige Kapellen zwischen den Außenpfeilern. Störende Erneuerungsarbeiten nach 1813 und zwischen 1840 und 1850. Als Kirche aufgegeben 1898. Das zugehörige Kloster wird 1856 abge» brochen. ui 10—13. Beginn des Schloßbaues durch Barnim III. im Jahre 1346. Nach 1503 erbaut Bogislav X. den Südflügel und 1538 Barnim XI. den ältesten Teil des Ostflügels . 1677 starke Zerstörung. Seit 1720 Wiederherstellung durch Friedrich Wilhelm I.,- 1735 die Torpfeiler, 1736 die Uhr. Nach 1840 starke Veränderungen des Baues und 1872—1874 Umbau des Südflügels/der Remter wird 1874 in das dritte Stodcwerk versetzt. 1925 — 1926 Wiederherstellungsarbeiten. 14. Die Reitbahn der Herzoge ist unzerstört erhalten. Den Bauherrn Bogislav XIV. und seine Gemahlin Elisabeth von Schleswig-Holstein kennzeichnen die beiden Wappen in Studc über dem starken Gesims, das das fein gebildete und verzierte Portal oben abschließt. Zwischen den Wappen die Jahreszahl 1626. 16. Vor 1240 Erbauung einer Gerichtslaube und Schöffenstube an der jetzigen Südseite und nach 1245 Anbau eines Kaufhauses. Um 1450 Erweiterung zu dem heutigen Umfange mit Schaugiebeln. Die Erneuerung nach 1677 bringt die heutige Form. 19. Der Riß des 1725 — 1727 erbauten Landeshauses stammt von G. C, von Walrawe, die häßlichen Veränderungen im Stile der französischen Renaissance aus dem Jahre 1885. 20. An der Stelle von drei anderen Gebäuden, die der russischen Beschießung von 1713 zum Opfer gefallen waren, ließ der Kanzler Philipp Otto von Grumbkow ein Palais errichten. 1782 kam es in den Besitz des Altermannes der Kaufmannschaft Jakob Friedrich Wietzlow. Die Preußische National-Versicherungs-Gesellschaft setzte an seine Stelle im Jahre 1890 das heutige Gebäude. Von den 1,75 m hohen Vasen der Attika sind drei in einem Hofe des Hauses erhalten,- die Flora, die ältere Stiche noch oben zeigen kann man den vorsichtigen und schlauen, tüchtigen und rücksichtslosen Fürsten wiedererkennen und in Johann Friedrich (Bild 31 a> den kraftvollen und prachtliebenden an» deren bedeutenden Herrn aus dem Greifenstamme. Er trägt einen mit Federn und einer Agraffe geschmückten Hut. 34. 35. 37 b. Steinzeichnungen des tüchtigen Ludwig Eduard Lütke, der 1801 in Berlin geboren wurde. Ein Ölgemälde, das einen ähnlichen Blick von dem Haaseschen Holzhofe am Dunzig zeigt und im Jahre 1839 entstand, hängt im Museum. 36 a. 37 a sind etwa in den Jahren 1850—1860 aus der lithographischen An» stalt von Ferdinand Müller 'S) Co. hervorgegangen. Jenes hat G. Frank, dieses C. Stumpf geschaffen. 44. 45. Das Marienstifts-Gymnasium wurde 1915 fertiggestellt. Die Fassade entwarf Erich Blunck, jetzt Professor an der Technischen Hochschule Berlin. Der Architekt des Pommernhauses, in dem die Handwerker» lieferungS'Gesellschaft ihren Sitz hat, ist A, Thesmacher, Stettin. 46. Links reicht der Blick von der Bäckerbergüberführung über die Bahnhofs» anlagen zur Stadt. Neben der engen Altstadt der Paradeplatz und die Neustadt mit der Lindenstraße, weiter links die Elisabethstraße. Rechts im Vordergründe eine Schiffswerft und dahinter Wiesen/ die Parnitz um» fließt die Silberwiese, und der Grüne Graben trennt diese von der Lastadie,- endlich die Schlächterwiese zwischen Oder, Dunzig und Oder»Dunzig=Kanal/ rechts ein Teil des Freihafens. Die Bilder 9, 23, 31 a und b sind nach Aufnahmen von W. v. Seelig sen. hergestellt, das Bild 22 nach Aufnahme von Gebr. Siebe, die Bilder 38, 40, 42 nach Aufnahmen von M. Dreblow, Bild 44 nach Aufnahme von K. Visbedt, Bild 45 nach Aufnahme von Möllendorf und Bachmann, alle in Stettin, die Bilder 39, 41, 43 nach Aufnahme von Hans Landgraf in Hartenstein, Bild 46 nach einer Flugaufnahme der Junkers-Luftbilderzentrale 1925. Die anderen Bilder sind nach Aufnahmen der Staatlichen Bildstelle, Berlin, hergestellt, nach denen Abzüge und Diapositive durch den Deutschen Kunstverlag, Berlin W 8. Wilhelmstraße 69, zu beziehen sind. LITERATURNACHWEIS Dehio-Kothe, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler II. Nordostdeutschiand. Fabricius, Der Stettiner Hafen, Stettin 1926. Fredrich, C,, Die ehemalige Marienkirche zu Stettin und ihr Besitz. Baltische Studien N. F. XXI 1918. XXIII 1920. Die ehemalige Nikolaikirche zu Stettin. XXIV-XXV 1922. Das Haus Luisenstraße 13. Monatsblätter 1923, 10. Haus Tilebein. 1924, 1. Die ältesten Wasserleitungen Stettins und der Brunnen auf dem Roßmarkt. 1924, 25. Friedrich der Große und die Bautätigkeit in Stettin. 1925, 2. David Gilly als Er» bauer des Petristiftes in Stettin. 1925, 18. Die Kapellen und Altäre von St. Jakobi in Stettin. Festschrift für H. Lemdte, Stettin 1923. Stettin nach der Belagerung durch den großen Kurfürsten. Baltische Studien N.F. XXVI 1924. H. Lemdce u. C. Fredrich, Die älteren Stettiner Straßennamen im Rahmen der älteren Stadtentwicklung 1926. Hoßfeld, O., Die Jakobikirche in Stettin und ihre Wiederherstellung. Denkmalpflege, Jahrgang IV 1902. Kugler, Fr., Pommersche Kunstgeschichte. Baltische Studien VIII 1840 und Kleine Schriften I 1854. Lemcke, H., Festvortrag über die Jakobikirche 1887. Die St. Johanniskirche in Stettin' Baltische Studien N. F. V. 1901 XV. Das königliche Schloß in Stettin. Bau» und Kunstdenkmäler XIV Abt. 1. Lessing, J., Philipp Hainhofer und der Pommersche Kunstsehrank. Jahrbuch der Kgl. Pr. Kunstsammlung 1883. Der Kroy»Teppich im Besitz der Kgl. Universität Greifswald,- a. a. O. 1892. Lessing, J. und Brüning, A., Der Pommersche Kunstschrank 1905. Lutsch, H., Mittelalterliche Backsteinbauten Mittelpommerns. Berlin 1890. Müller, J., Neue Beiträge zur Geschichte der Kunst und ihrer Denkmäler in Pommern. Baltische Studien XXVIII 1878. Säume, M., Hinrich Brunsberg, ein spätgotischer Baumeister. Baltische Studien N. F. XXVIII 1926 (darin: Jakobikirche, Peter-Paulkirche, Rathaus). Stettin. Deutschlands Städtebau (Dari-Verlag). Herausgegeben vom Magistrat 1925. Wehrmann, M., Geschichte der Stadt Stettin. 1911. 2. JAKOBIKIRCHE VON SÜDEN III â 6. JAKOBIKIRCHE, ORGEL III i i3. SCHLOSS, REMTER III WM é 22. HAUS TILEBEIN 23- HAUS TILEBEIN, INNERES 24- BERLINER TOR, FELDSEITE III 25- KÖNIGSTOR, STADTSEITE SSE*' > HHH B fl ■ 2 jj£: i 29- EPITAPH BOGISLAVS X. IN DER SCHLOSSKIRCHE III XTfr-NQJU nftsxo iMdirji fi A .M O-Xvn• HAI.DER-FmVCIRDIG;DOCTOB-MARTM’LVTKR.- 7V ■ y WTEMBFRC» ANGE FA NCEN'COTTFS’WORT- L /VTER-VND • 0 RÉMV-PREDIGE-BIS-ER-A-W D XLVI D^XVIlliEBRVChPJSTLI-Ö ChERBEKETNiS VORSCHIDf IST- IM -6i-1 AR-SEINS • ALTERS" N OMftV aJüVSTR ISSIORV-DVc VMi AC •PRkiPVM 1 LL\'STRJSSINKl■ WM 'ÜVCVM*^. ri\|, „ rRIDCRiC9 IIOÂ^S* llOÂI'ES-FRlD- JOANNES1'jtOAN TfWjtaA*-,-, Iö^frid tr 1 * J' CEC#W* i BARNIM VS -f PMUPFVS1' ÖW4Wi BVCSWj ?• ELEC T: 11-fLECT: EIECTÖR • FRSTD/xIfIHOav Ih ioTRi fTl<Ä ' V Ü &***“■: ID-G-IA X-l XDGOVX I D-G DVXIPHIUPPin EU IJW SAMNLC SAXONh SA/ONfAE- SAX0M^«‘aEC:|FEEfnJmCTO a.*vv POMERAty•i POMFRANLG POMERV!n,W42'N^' 30. der CROYTEPPICH AUS DEM STETTINER SCHLOSS, JETZT IN DER UNIVERSITÄT GREIFSWALD III 35 L. E. LUTKE, BLICK AUS DEM DUNZIG ii r 36a. HEUMARKT III I 36a. HEUMARKT III 38. ALTER SPEICHER AM RECHTEN ODERUFER 44- NEUES MARIENSTIFTSGYMNASIUM \ 46. STETTIN VON SÜDEN, FLIEGERAUFNAHME VON JUNKERS, 1925 III DEUTSCHE LANDE/DEUTSCHE KUNST HERAUSGEGEBEN VON BURKHARD MEIER MITTELPOMMERN ZWISCHEN PEENE UND REGA AUFGENOMMEN VON DER STAATLICHEN BILDSTELLE BESCHRIEBEN VON OTTO SCHMITT DEUTSCHER KUNSTVERLAG BERLIN / 1927 MIT UNTERSTÜTZUNG DES HERRN MINISTERS FÜR WISSENSCHAFT KUNST UND VOLKSBILDUNG, DES HERRN LANDESHAUPTMANNS DER PROVINZ POMMERN, DES POMMERSCHEN LANDKREISTAGES UND DES POMMERSCHEN STÄDTETAGES DER STADT STETTIN IST EIN EIGENER BAND GEWIDMET Druck des Textes: Ernst Hedridi Nadif., G.m.b. H., Leipzig Drude der Bilder: A. Wohlfeld, Magdeburg Papier: Scheufeien, Oberlenningen / Druckstöcke: A. Krampolek, Wien Einband: Hübel 'S) Denck, Leipzig / Entwurf von Umschlag und Einband: Prof. Ernst Böhm, Berlin ANKLAM UM DIE MITTE DES 17. JAHRHUNDERTS. STICH VON MERIAN »Es mag sein, daß dJc Natur des pommersdien Volkes minder gesdimeidig organisiert Ist, als die mandier an* deren Völker, daraus folgt aber gewiß nidir, daß es aud» müsse arm gewesen sein an Sinn für Schönheit und Poesie, die allein dem Leben seine edlere Gestalt geben und daß es keine genügende Kraft besessen habe, beide* zu einer höheren Vollendung zu entwickeln « F, Kugler, Pommersche Kunstgeschichte, Stettin 1840. VON allen deutschen Landschaften hat zuerst Pommern eine Sonderdarstellung seiner künstlerischen Entwicklung gefunden. 1840 veröffentlichte Franz Kugler, ein geborener Stettiner, seine Pommersche Kunstgeschichte, die das unübertroffene Vorbild aller späteren kunstgeschichtlichen Handbücher mit landschaftlicher Begrenzung geworden ist. Kugler hatte seine Heimat im Sommer 1839 im Auftrag der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde systematisch bereist und zur eigenen Überraschung eine große Zahl bedeutender Kunstwerke kennengelernt, von denen bis dahin niemand wußte: »Die Reise hatte förmlich den Charakter einer Entdeckungsreise . . . der Erfolg übertraf die Erwartungen bei weitem. Fort und fort stieß ich auf neue und eigentümliche Werke der Kunst, und hatte ich zuweilen auch Tagereisen ohne Ausbeute zurüdczulegen ... so fanden sich doch stets in kurzer Frist wiederum neue Überraschungen.«— Dem modernen Reisenden ergeht es kaum anders als Kugler vor nunmehr bald hundert Jahren. Von allen pom-merschen Städten ist vielleicht nur Stralsund und höchstens noch Kolbei g dem Nichtpommern als Kunststadt bekannt. Wer aber weiß von der ragenden Schönheit der Marienkiiche zu Stargard, wer vom mauerbewehrten Pyritz, das — ein pommeisches Zons — fast seine ganze mittelalterliche Stadtbefesti-IV ÜCKERMÜNDE UM 1600. NACH DER LUBINSCHEN KARTE gung bis in unsereTage bewahrt hat? Wer kennt die alte Bischofsstadt Kammin, wer Pasewalk und Anklam mit ihren bedeutenden Kirchen und Toren, wer schließlich jene zahlreichen ländlichen Kirchen, die auf niedrigen Hügeln im Schatten uralter Kastanien und Linden träumen? Dabei hat seit Kuglers Tagen die Erforschung und Veröffentlichung der pommerschen Kunstdenkmäler keinen Augenblick ausgesetzt. Vier Fünftel des ausgedehnten Landes sind von der staatlichen Inventarisation der Kunstdenkmäler erfaßt, die von 1881 bis 1914 vor allem unter Leitung von E. von Haselberg und Hugo Lemcke die »Baudenkmäler der Provinz Pommern« in zahlreichen Heften systematisch herausgegeben hat. Wichtige Einzeluntersuchungen sind in den Baltischen Studien, den Pommerschen Jahrbüchern, den Monatsblättern der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde und manchen anderen Zeit* Schriften und Zeitungen erschienen, und im Greifswalder kunstgeschichtlichen Seminar entstand unter der Leitung Max Semrau's manch wertvoller Beitrag zur Pommerschen Kunstgeschichte. Aber es liegt auf der Hand, daß in Zeit* Schriften versteckte Aufsätze, vielbändige Inventare und der bildlichen Illustra* tion entbehrende Spezialarbeiten, wie es Dissertationen nun einmal in der Regel sind, weiteren Kreisen unzugänglich bleiben. Umso begrüßenswerter scheint mir das Unternehmen des Deutschen Kunstverlages, gestützt auf die prächtigen Neuaufnahmen der Staatlichen Bildstelle und gefördert durch groß*? zügige Unterstützung der Provinzialbehörden, eine Auswahl der wichtigsten Kunstdenkmäler der Provinz Pommern nun einmal wesentlich im Bilde vor* zuführen. Denn so wertvoll die literarische Interpretation des Kunstwerks auch sein mag und so sehr auch der moderne Mensch des stillgenießenden Schauens entwöhnt scheint, wir geben die Hoffnung nicht auf, daß das gute Bild des guten Kunstwerkes auch heute noch einen tieferen Eindruck auslösen wird, als alle gesprochene oder geschriebene Erläuterung es vermag. KAMMIN UM 1600. NACH DER LUBINSCHEN KARTE TROTZ der kühnen Fahrten des hl. Otto von Bamberg tritt Pommern, wenigstens soweit es in diesem Bande behandelt wird, also das Land zwischen Peene und Rega, erst mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts greifbar in das Licht der Kunstgeschichte. Für Deutschland ist das 13. Jahrhundert das Zeitalter der Auseinandersetzung mit der im Norden Frankreichs im zwölften entstandenen und rasch zu voller Entfaltung gelangten Gotik. Zwar fehlt es bei uns gegenüber dem neuen Stil weder an Widerstand noch an Kritik, aber derSiegeszug der Gotik, in der offenbar nicht nur eine einzelne Nation, sondern zugleich eine ganze Zeit ihren tiefsten Ausdruck gefunden hat, war nicht aufzuhalten. Sie wurde —> trotz mannigfacher und schwerwiegender Vorbehalte — im Prinzip unumwunden rezipiert. Gotisch sind deshalb die pommerschen Kirchen des Mittelalters in ihrer überwältigenden Mehrzahl, und da der Kirchenbau in nachreformatorischer Zeit nichts mehr geleistet hat, kann gesagt werden, daß mit ganz wenigen Ausnahmen alle pommerschen Kirchen den gotischen Stil zeigen, wenigstens soweit es sich um ansehnlichere Bauten handelt. Von der vorhergehenden Epoche des romanischen Stils hat Pommern nur noch die letzte, von einzelnen gotischen Elementen und Ideen bereits berührte Phase kennengelernt: Die Kirchen sind von Anfang an durchgehends gewölbt,- Spitzbogen und Rippengewölbe werden mit Vorliebe, wenngleich keineswegs ausschließlich, verwendet. Flachgedeckte Kirchen größeren Umfangs gibt es überhaupt nicht, und wo bei kleineren Bauten einmal auf das Gewölbe verzichtet wird, handelt es sich nicht um besonders alte, sondern um provinziell zurückgebliebene Gebäude. Überhaupt muß man sich vor der Vorstellung hüten, daß die künstlerisch primitivsten Denkmäler notwendig die ältesten seien. Die frühesten Kirchenbauten, die auf uns gekommen sind, überraschen vielmehr durch hohe künstlerische und technische Vollendung, vor iv DER DOM ZU KAMMIN allem auch durch geschickte Handhabung des Backsteinbaus oder saubere Quadertechnik. Von unsicherem Tasten und ungewohnter Arbeit zeigen gerade die Früharbeiten keine Spur. Zwei große Backsteinkirchen gehen mit ihren ältesten Teilen sicher in die Frühzeit des 13. Jahrhunderts zurück, der Dom zu Kammin (Bild 2,6,9> und die Klosterkirche Kolbatz (Bild 3). Für letztere ist uns das Jahr 1210 als Baubeginn überliefert, und es gibt keinen vernünf» tigen Grund, diese Nachricht etwa nicht auf den heutigen Bau zu beziehen. Kammin mag um einige Jahre jünger sein, aber später als 1220 ist der Bau kaum begonnen. Die beiden Kirchen sind in Grundriß, Aufriß und Schmuck» form so verschieden, wie es Bischofs» und Klosterkirchen zu sein pflegen, namentlich wenn es sich, wie im Fall Kolbatz, um eine Anlage des strengen Zisterzienserordens handelt. Gemein ist ihnen aber die vollkommene, auch von keiner späteren Zeit übertroffene Beherrschung der Backsteintechnik. Zur Erklärung dieses Phänomens ist häufig (freilich nicht ohne Widerspruch) dä» nischer Einfluß angenommen worden. Eine ganz sichere Beantwortung dieser Frage ist heute noch nicht möglich, da es an exakten neueren Untersuchungen der zum Vergleich herangezogenen dänischen Bauten fehlt und in vielen Fällen über ihre Entstehungszeit noch keine Einigkeit erzielt ist. Aber die dänische Theorie hat doch mindestens die historische Wahrscheinlichkeit für sich. Kolbatz ist, allerdings schon im Jahre 1174, von dem dänischen Kloster Esrom aus besiedelt worden, und da es in Pommerm damals an geübten Bau» Handwerkern, die eine Kirche dieser Art hätten errichten können, noch ganz fehlte, und da wir wissen, daß die Zisterzienser ihre Kirchen und Klöster mit eigner Hand zu bauen pflegten, ist es sehr leicht möglich, daß Kolbatz min» IV GRUNDRISS UND LÄNGSSCHNITT DER KLOSTERKIRCHE ZU KOLBATZ destens unter starker Beteiligung dänischer, schon länger in der Badestein*» technik bewanderter Mönche errichtet wurde. Ähnliches mag für den Kam»» miner Dom gelten, obwohl hier die Geschichtsquellen keinen Hinweis auf eine Verbindung mit Dänemark geben. Auch in Kammin kommt dänischer Einfluß nur für die ältesten Teile, Chor und Querschiff in Betracht. Überhaupt scheint der Kontakt mit Dänemark, der sich zweifellos immer nur sporadisch ausgewirkt hat, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an Bedeutung für die pommersche Baukunst nachgelassen zu haben, um bald ganz aufzuhören. Schon die westlichen Langhausteile der Kirche zu Kolbatz und ihre Fassade (Bild 7>, die mit einem Weihedatum von 1307 Zusammenhängen, verraten eine andere Orientierung der pommerschen Architektur: Sie haben ihre nächsten Parallelen in dem märkischen Kloster Lehnin. Bei aller Verschiedenheit im einzelnen stimmen die Kirchen von Kolbatz und Kammin im Grundprinzip des Grundrisses und Querschnitts überein,-beide sind kreuzförmige Basiliken, dreischiffige Kirchen von gestrecktem Grundriß, mit ausladendem Querschiff und einem überhöhten, selbständig beleuchteten Mittelschiff. Die gleichzeitigen städtischen Pfarrkirchen und ländlichen Gotteshäuser sind keineswegs, wie man vielleicht erwarten könnte, lediglich Verkleinerungen und Vereinfachungen dieses Typus. Sie vertreten vielmehr eine grundsätzlich andere Raumform und sind auch in Mauertechnik und Einzelform so verschieden, daß sie einer völlig anderen Kultursphäre zu entstammen scheinen. Von städtischen Pfarrkirchen dieser Epoche haben sich zwei, nämlich St. Nikolaus in Pasewalk (Bild 14,16> und die Kirche zu Greifen-iv GARTZ A. O. UM 1600. NACH DER LUBINSCHEN KARTE hagen trotz aller Umbauten so gut erhalten, daß ihre ursprüngliche Gestalt mit Sicherheit rekonstruiert werden kann. Beide waren einschiffige kreuzförmige Anlagen mit kurzem Langhaus, Westturm und platt geschlossenem Chor, beide sind Feldsteinbauten. Woher diese Kirchenform stammt, läßt sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Sicher ist, daß sie vereinzelt in Mecklenburg , Je mehr man sich dem 15. Jahrhundert nähert, um so entschiedener wird die Breite betont. Bei der Marienkirche zu Pasewalk, einem der schönsten Bauten der Frühzeit , ist der Grundriß noch gestreckt, das Raumbild von lichter Schankheit, und ähnlich mag die Marienkirche zu Stargard vor der Erhöhung des Mittelschiffs gewirkt haben. Treptow a. T, und Gartz sind wesentlich kürzer, breiter und niedriger, und das 1409 begonnene Langhaus der Johanneskirche zu Stargard, das breiter als lang ist, wirkt geradezu gedrückt. — Die uneingeschränkte Vorliebe für das Hallensystem erklärt sich höchstwahrscheinlich wiederum durch westfälische Einflüsse oder heimatliche Erinnerungen und Gewohnheiten der westfälischen Einwanderer. Denn in Westfalen ist übernommen wird. Auch der Aufbau strebt zunächst in zunehmendem Maße nach Schlichtheit. Fenster und Strebepfeiler bilden fast die einzigen äußeren Gliederungen der Umfassungswände. Nur die Türme und die Giebel werden durch Blendar» kaden belebt, die Portale gelegentlich mit hübschen Schmuckrahmen umsäumt . Nicht anders verhält es sich im Innern. Nach den reicheren Formen der Pasewalker Marienkirche (Bild 24>, werden bald simple Achteck-pfeiler die Regel (Bild 17, 28, 29>. Die Fenster sind in breite Nischen ge» bettet und die Wandstücke unterhalb der Fenster in Nischen aufgelöst (Bild 25>. Nur vereinzelt und in der Frühzeit findet sich einmal ein Laufgang (Bild 25>. Die Gewölbe verharren bei der einfachen Diagonalführung der Rippen, wie sie schon im 13. Jahrhundert üblich war. Das 15. Jahrhundert kündigt sich im Gegensatz dazu durch eine ausge» sprochene Schmuckfreudigkeit an. Aus dieser Zeit stammen die schönen bunten Tabernakel, Fialen, Friese, wie wir sie am Chor der Marienkirche und an der Marienkapelle zu Stargard (Bild 21,22, 33>, in Freienwalde und in Gartz (Bild20> finden. Oder die reich gegliederten Ziergiebel des Kamminer Südschiffs (Bild 4>, die festlich großen, im Grund verputzten Blendarkaden der Türme von Stargard (Titelbild und Bild 37> und Freienwalde (Bild 19 und 34>, feingegliederte und bunt glasierte Portale (Bild 35> und reiche Sterngèwölbe IV (Bild 29 und Grundriß S. 11>. Im Chor der Stargarder Marienkirche taucht sogar ein Triforium in größerer Zahl, freilidi aus verhältnismäßig junger Zeit, noch be» sitzt. — Während die kirchliche Baukunst mit der Reformation ein plötzliches Ende findet, sind bedeutende Profanbauten auch noch in nachmittel» alterlicher Zeit entstanden. Das Stargarder Rathaus und eine Gruppe verwandter Privathäuser am Stargarder Markt einen neuen Geschmack verrät. Ansehnlichere Barockbauten entstehen erst seit dem An» fang des 18. Jahrhunderts. Neben dem Rathaus in Pasewalk sind vor allem ein Paar Schloßbauten zu nennen,- vorab Schwerinsburg undTütz» patz . Sie haben in ihrer freien Lagerung und heiteren Pracht jede Erinnerung an die wehrhaften Kastelle des Mittelalters und auch noch des 16. Jahrhunderts abgestoßen. In Pansin sind wahrscheinlich ebenso wie eine grö-ßere Anzahl von Säulenbasen und Kapitälen, die sich über ganz Pommern zerstreuen, nordischer Vermutlich gotländischer) Import. Dagegen darf an* genommen werden, daß die zahlreichen geritzten, seltener in flachem Relief mo» dellierten Grabplatten aus nordischem Kalkstein oder Granit in Pommern selbst bearbeitet wurden. Den umfangreichsten Zyklus solcher Grabplatten besitzt der Domkreuzgang in Kammin , das in den Lübecker Kunstkreis gehört und u. a. im Dom zu Ratzeburg . Von geringerem Wert, aber imposant durch ihren Umfang und vollständige Erhaltung sind die ebenfalls in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstandenen Schnitzaltäre in Treptow a. T. . In verhältnismäßig großer Zahl haben sich Altäre des späteren 15. Jahrhunderts oder Bruchstücke solcher Altäre erhalten, doch findet sich viel Schwaches und Handwerkliches dabei. Am besten vielleicht der Hochaltar der Nikolaikirche in Anklam , in zweiter an Altären und Kanzeln. Gute Durchschnittsarbeiten sind in großer Menge vorhanden, aber die Qualität der mittelalterlichen Höchstleistungen wird niemals erreicht. . Überhaupt: Die große Zeit der pommerschen Kunst ist das Mittelalter, ihr fruchtbarstes Gebiet die Architektur. Die im Text abgebildeten alten Stadtansichten und Pläne sollen eine Vorstellung von der für das ostdeutsche Kolonialgebiet charakteristischen Regelmäßigkeit der Grundrißanlage, zugleich aber auch von der wirkungsvollen Gliederung der Silhouette durch Türme und Tore und von der Sorgfalt der Befestigung geben. Die Ovalbilder sind der Lubinschen Karte, einem um 1618 vollendeten großen Kupferstich des Rostocker Theologen und Geographen Eilhard Lubin <1565—1621) entnommen, die rechteckigen stammen zumeist aus Zeiller-Merian, Topographia Electoratus Brandenburgici et Ducatus Pommeraniae, Frankfurt a. M. 1652. PyRITZ UM 1650. STICH VON MERIAN ZU DEN BILDERN Titelbild. Stargard, Fassade der Marienkirche. Die Kirche liegt, wie im Kolonialgebiet regelmäßig, nicht unmittelbar am Marktplatz, sondern ist leicht zurüdcgeschoben, vgl. auch Bild 83. Das Erdgeschoß, das durch die umliegenden Häuser dem Blick größtenteils entzogen wird, sehr ein» fach, nur die Portale reicher. Über die Baugeschichte vgl. zu Bild 18. 1. . Kammin, Dom. Kurz vor 1176 Verlegung des Bis» tums von Wollin nach Kammin, 1188 vom Papst bestätigt. Der stehende Bau erst im 13. Jahrh. begonnen. — Dreischiffige Basilika mit Querschiff, Chor und Apsis, der Westturm modern. Die Ostteile . Gartz a.O., Stephanskirche, Blick vom Chor ins Lang* haus. Dreishiffige Hallenkirche des 14. Jahrh., Chor und Gewölbe 15. Jahrh. Im Ostabschnitt des Langhauses Reste vom Querschiff einer älteren Anlage des 13. Jahrh. 18. . Stargard, Marienkirche von Süd* westen. Eine der größten und schönsten Kirchen Pommerns, 1905—11 gut wiederhergestellt und in erfreulichstem Zustand. Ursprünglich drei* schiffige Hallenkirche, vielleicht ohne Chor. Dieser bald nach 1300 errichtete Bau erhielt im frühen 15. Jahrh. einen mächtigen basilikalen Chor und wurde anschließend durch Erhöhung des Mittelschiffs zur Basilika umgebaut. Aus dem 15. und 16. Jahrh. die mittleren Turmgeshosse (Titelbild) und die Langhauskapellen (Bild 18). Nah Brand 1635 Gewölbe größtenteils erneuert, 1723 Barockhaube des allein ausgebauten Nordturms. Für die prachtvolle Wirkung der Kirche im Platzbild des Marktes vgl. Bild 83. 19. (und 34, 35). Freienwalde, Marienkirche von Südosten, Drei* shiffige Hallenkirche des 15. Jahrh. mit einschiffigem Chor und West* türm. Das südliheTurmportal Bild 35, das mittlereTurmgeshoß Bild 34. 20. Gartz a. O., Stephanskirhe, Chor. Mähtiger einschiffiger Chor mit giößtenteils nah innen gezogenen Strebepfeilern, deren Rücken durch eine Nishenarhitektur in drei Stockwerken gegliedert ist, Die feinpro* filierte und buntglasierte Dekoration nur in Resten erhalten. Verwandt dem Chor der Stargarder und der Freienwalder Marienkirche und wie diese den Werken des Heinrih Brunsberg von Stettin (Katharinenkirhe in Brandenburg a. H.) nahestehend. 1. Hälfte des 15. Jahrh. 21. (und 33). Stargard, Marienkirhe, Chor. Große basilikale Anlage des frühen 15. Jahrh,, verwandt mit den Chören in Freienwalde und Gartz (Bild 20). Die Strebepfeiler springen größtenteils ins Innere und sind außen mit buntglasierten, weißverputzten Blendnishen versehen. Vgl. Bild 33. Zur Baugeshihte der Kirhe vgl, Bild 18. USEDOM UM 1600. NACH DER LUBINSCHEN KARTE 22. Stargard, Marienkapelle, an der Nordseite der Marienkirche. Unregelmäßige achteckige Kapelle, deren Strebepfeiler ähnlich wie die des Chors der Marienkirche . Gewölbe 1734/35 erneuert, 1841 —63 Wiederherstellung der Kirche und Ausbau des Turms. 26. Stargard, Marienkirche, Mittelschiff nach Osten. Für die Bauge-schichte vgl. die Anm. zu Bild 18. Das Hochschiff später aufgesetzt, die Gewölbe saßen ursprünglich unmittelbar überden Verbindungsbögen der Pfeiler. Die farbige Fassung bei der letzten Restauration nach dem Be-stand des 17. Jahrh. wiederhergestellt. 27. Stargard, Marienkirche, Blick in den Chorumgang. Zwischen den nach innen gezogenen Strebepfeilern niedrige Kapellen. An den Pfeilern Tabernakel. Rechts im Vordergrund Kanzel von 1683. Für die Baugeschichte und Ausmalung vgl. das zu Bild 26 Gesagte. 28 (und 40). Anklam, Nikolaikirche, Blick in den Hauptchor. Im Hintergrund der spätgot. Hochaltar (vgl. Bild 59), davor Gestühle und Emporen des 15. —18. Jahrh. Wandgemälde des frühen 15. Jahrh. Dreischiffige Hallenkirche des 14. Jahrh. mit drei Apsiden, 1907/08 gut wiederhergestellt. 29 (und 38, 39>. Treptow a. T., Petrikirche, Blick in den Chor. Drei- schiff. got. Hallenkirche mit Westturm, 14. Jahrh,, der große Chor mit Hallenumgang frühes 15. Jahrh. Im Hintergrund Schnitzaltar des frühen 15. Jahrh. Das Gestühl um 1425. Für die schöne Lage der Kirche im Stadtbild vgl. die Bilder 38 und 39. 30, 31 . Demmin, Bartholomäikirche. Dreischiff. Hallenkirche des 14. Jahrh. mit drei Apsiden , 1862—67 durch Stüler hart restauriert. Aus dieser Zeit der freistehende Teil des Westturms , der ganze Ostgiebel und die Dachgesimse der Apsiden . Auch am Westportal und dem großen Fenster darüber (Bild 31) viel erneuert. 32. Treptow a. T., Petrikirche (vgl. Bild 29 und 38/39), Portal des W estturms. 33. Stargard, Marienkirche, Blendnische an einem Chorstrebepfeiler, Anfang 15. Jahrh., neuerdings wiederhergestellt und stellenweise ergänzt. Vgl. Bild 21. 34. Freienwalde, Marienkirche (vgl. Bild 19), Mittelgeschoß des Westturms. Die Gliederung durch große, im Grunde verputzte Blendarkaden entspricht der des Turms der Johanniskirche in Stargard (Bild 37), der 1408 begonnen wurde. S. a. Bild 35. 35. Freienwalde, Marienkirche (vgl. Bild 19 und 34), südlichesTurm» portal. Anfang 15. Jahrh. Feine Profile mit Wechsel von roten und schwarzen Steinen. 36. Gollnow, Rathaus und Katharinenkirche. Rathaus schlichter, jüngst gut wiederhergestellter Bau des 18. Jahrh. Die Kirche dreischiff. Hallenanlage vermutlich des ausgehenden 14. Jahrh. mit späteren Anbauten. 1865—67 hart restauriert, der Ostgiebel ganz modern, derTurmhelm 1892. Vgl. a. Bild 69. 37. Stargard, Johanniskirche von Osten. Dreischiff. Hallenkirche mit großem Hallenchor und Westturm. Am letzteren Inschrift, die den Baubeginn im Jahre 1408 meldet, doch sind im Binnenchor Teile eines älteren Gebäudes wieder verwendet worden. Der Umgang etwas jünger als das Langhaus, noch später die Kapellen. 38/39. Treptow a. T., Petrikirche (vgl. Bild 29 und 32). 40, Anklam, Nikolaikirche, im Vordergrund der Marktplatz. Die oberen Turmteile 15. Jahrh., also jünger als der Hauptteil der Kirche (vgl. Bild 28). 41, Demmin, Bartholomäikirche. Von Westen. Wie die Marienkirche in Stargard (Bild 83) und die Nikolaikirche zu Anklam (Bild 40) hinter die Flucht des Marktplatzes zurückgeschoben. Der ganze freistehende Teil des Turmes von Stüler, vgl. Bild 30/31. 42, Wolkow (Kreis Demmin), Dorfkirche. Einschiff. Saalkirche des 13. Jahrh., Quaderbau mit Ausnahme der Giebel und Fenstergewände. Holzturm. 43. Daber . Kreuzigung mit zahlreichen Nebenszenen . Holz mit erneuerter Fassung. Vielleicht stralsundische Arbeit, Ende des 15. Jahrh. 60. Anklam, Marienkirche, Grabmal des Ritters Achim Riebe des Jüngeren, gest. 1582. 1585 von dem niederländischen, in Güstrow, Schwerin und Wismar tätigen Architekt und Bildhauer Philipp Brandin ausgeführt. Grauer Sandstein mit Vergoldung einzelner Teile. 61. Greifenhagen, Nikolaikirche, Grabmal des Obrist=Wachtmei» sters Peter Grünwald, gest. 1725. Holz, buntbemalt. Musterbeispiel einer in Pommern sehr verbreiteten Gattung von Epitaphien, bei denen das gemalte Porträt des Verstorbenen in einer überreichen Umrahmung sitzt. 62. Spantekow . Pasewalk, Mühlentor. Von der alten Stadtbefestigung haben sich außer Mauerstücken zwei Tore und zwei Türme erhalten. Das Mühlentor zeigt über zweistöckigem Unterbau von quadratischem Grundriß ein kurzes Oktogon, das eine achtseitige Pyramide bekrönt. 65. . Ganz a. O., Storchenturm. Ziegelbau von 26 m Höhe, 1881 wieder hergestellt. Das Achteck springt so weit zurück, daß auf dem Unterbau ein Umgang entsteht. 66. . Pyritz, Eulenturm und Stettiner Tor. — Die Stadtbefestigung ist trotz mancher Verluste ausgezeichnet und für Pommern in einzigartigem Reichtum erhalten. Außer zahlreichen Toren und Türmen stehen noch viele Weichhäuser und weitaus der größte Teil des Mauerrings. Eine Wallpromenade, die in mäßigem Abstand rings um die alte Stadt herumführt, bietet bequeme Möglichkeit, dem ganzen Bering zu folgen. Von den vielen reizvollen Blicken können wir leider nur eine kleine Anzahl in Abbildungen bringen. — Eine andere Ansicht des Stettiner Tors Bild 75 a. 67. Pasewalk, Kiek in de Mark, 1445 nach der erfolgreichen Verteidigung der Stadt gegen Kurfürst Friedrich II. von der Mark errichtet. Im Hintergrund das Prenzlauer Tor. Vgl. Bild 64. 68. Pyritz, Mönchsturm, Zylindrischer Turm auf quadratischem Unterbau, vollständig erhaltene Mauer, im Hintergrund Weichhaus. Vgl. Bild 66. 69. Gollnow, Pulver- und Münzturm. Am Ufer der Ihna, links der Pulverturm <*Fanger«>, ein runder Eckturm, weiter rechts der achtseitige Münzturm. Rechts hinten die Kirche , deren stattliche Größe die zierlichen Maße der Mauertürme ins rechte Licht setzt. 70. Anklam, Steintor, Stadtseite. 32 m hoher Torturm. Außer ihm hat sich der >Hohe Stein«, ein kreisrunder Wartturm der Landwehr, d. h. der Befestigung der Feldmark, erhalten. 71. Demmin, Luisentor . An der Straße nach Loitz. Torfahrt aus Quadern, sonst Backstein. 72. Treptow a. T., Demminer Tor. Nur die Torfahrt alt. DieEcktürm» dien im 19. Jahrhundert ausgebaut, vorher eintürmiger Autbau in Breite des Erdgeschosses, 73. Trepto w a. T., Neubrandenburger Tor, Feldseite. Links im Hintergrund die Kirche. Die beiden Eckstreben des Torturms waren ursprünglich oben durch einen Spitzbogen verbunden, hinter dem das Fallgatter lief. 74. Gartz a. O., Stettiner Tor, Feldseite. Erdgeschoß aus Quadern, sonst Badestein. Das Satteldach auf der Feldseite von einer durchbrochenen Schauwand überragt. 75a. Pyritz, Stettiner Tor, Stadtseite. Vgl. Bild 66. 75b. Pyritz, Bahner Tor, Feldseite. Vgl. Bild 66. 76. 77. Stargard, Mühlentor. Die einzige zweitürmige Toranlage, die sich in Pommern erhalten hat,- sie erklärt sich dadurch, daß der Fluß überbrückt werden mußte. Die schlanke Wirkung der Türme wird in der Frontalansicht durch die in um 1860 über dem Satteldach des Mittel® Stücks aufgesetzte Verbindungsmauer etwas beeinträchtigt. 78. 79. Stargard, Walltor. Unterbau 16., Giebel 17.Jahrh. DieWand® blenden der Feldseite durch Sgraffitto belebt. 80. Stargard, Weißkopf , neben ihm die Hauptwache, im Hintergrund die Marienkirche. 84. Anklam, Haus Markt 13. Unterbau ganz verändert, der Backstein® giebel, mit starker Betonung der Vertikalen, im ganzen wohl erhalten. 85. Stargard, Haus Große Mühlengasse 8. Erdgeschoß 15. Jahrh., Giebel 16. Das Portalgewände zeigt Wechsel von gelb=, grün® und braunglasierten Ziegeln, sonst roter Backstein. Die Fenster im Erd® geschoß und der unteren Giebelzone verändert. 86. Stargard, Haus Radestraße 19. Reich stuckierter Giebel des 16. Jahrh., ähnlich dem Rathaus (Bild 87) und der Ratsapotheke. 87. Stargard, Rathaus und Hauptwache. Rathaus: Mächtiger, durch falschen Anstrich entstellter Bau des 16. Jahrh., der Westgiebel durch überreiche Stuckornamente im Stil der spätesten Gotik ausgezeichnet, vgl. Bild 86 und das Rathaus in Kammin, Bild 88. Südlich anstoßend die Hauptwache, ein kleiner Bau des 18. Jahrh., der erfreulich wiederher® gestellt ist. Gesamtansicht des Marktes Bild 83. 88. Kammin, Rathaus. Zwei Bauabschnitte, die vier Ostachsen (hier nicht sichtbar) 15. Jahrh., die beiden westlichen 16. Jahrh. Häßlicher Anstrich! Für den Westgiebel vgl. das Rathaus zu Stargard. Ein ähnlicher in Kammin an einer Kurie gegenüber dem Dom. 89. Stargard, Haus Schuhstraße 53. Kleines Giebelhaus des 18. Jahrh. an einer Straßenecke, gut wiederhergestellt. 90. Pasewalk, Rathaus. 1726 nach Entwurf des Majors du Pré errichtet. Die Laubenhallen des Erdgeschosses später vermauert. IV 91. Schwerinsburg, Schloß, Hauptfront des Mittelbaus. 1720—33 vom Feldmarschall Kurt Christoph von Schwerin errichtet. Der hohe Mittelbau wird durch kurze Flügel fortgesetzt,- es folgen Edkpavillons, von denen niedrige Flügel im rechten Winkel abzweigen. Vor dem Hauptportal das Denkmal des Feldmarsdialls, vgl. Bild 100. 92. Pescatore, Anni, Der Meister der bemalten Kreuzigungsreliefs. Studien zur deutschen Kunstgeschichte 206. Strafiburg, 1918. Reifferscheid, Heinrich, Der Kirchenbau in Mecklenburg und Neuvorpommern zur Zeit der deutschen Kolonisation. 2. Ergänzungsband zu den Pommerschen Jahrbüchern. Greifswald, 1910. Reyher und Richter, Bilder aus Pommern. Wolgast, 1926. Säume, Max, Hinrich Brunsberg (erscheint in den Baltischen Studien, N. F. 28, 1926,> Schneider, Ernst, Schnitzaltäre des 15. und frühen 16. Jahrhunderts in Pommern. Kieler Diss. 1914. Wehrmann, Martin, Geschichte von Pommern. 2 Bde. Gotha 1919 u. 1921. . I 1 l. KAMMIN, DOMKREUZGANG i io. KLOSTER KOLB ATZ, 3ETZ1GES AMTSGERICHT MIT SCHULE IV »iWtfwÄ IW,, '-.É 36. GOL.I.NOW, RATHAUS UND KATHARINENKIRCHE IV 40. ANKLAM, NIKOLAIKIRCHE IV r 45. VERCHEN, DORFKIRCHE 47- WISSMAR, DORFKIRCHE IV 49 WILDBERG, DORFKIRCHE IV uÈ 55. VERCHEN, DORFKIRCHE, ALTARSCHREIN 56. ANKLAM, CHORSTUHLWANGEN Jetzt Museum Stettin 1 58. TREPTOW A.T., PETRIKIRCHE, CHORGESTÜHL 59. ANKLAM, NIKOLAIKIRCHE, HOCHALTAR 70. ANKLAM, STEINTOR *:;1 V.-V 74- GARTZ A.O., STETTINER TOR IV 78. STARGARD, WALLTOR 8o. STARGARD, WEISSKOPF IV 82. PYRITZ, GROSSE PAPENSTRASSE 85. STARGARD, MARKTPLATZ IV 84. ANKLAM, HAUS AM MARKT IV 85. STARGARD, HAUS GROSSE MÜHLENGASSE 8 IV 87. STARGARD, RATHAUS UND HAUPTWACHE IV mm 88. KAMMIN, RATHAUS IV 89. STARGARD, HAUS SCHUHSTRASSE 55 IV g6. SCHLOSS PANSIN IV * 99- TREPTOW A.T., SÄULENHAUS AN DER REITBAHN IV DEUTSCHE LANDE / DEUTSCHE KUNST HERAUSGEGEBEN VON BURKHARD MEIER OSTPOMMERN POMMERN ÖSTLICH DER REGA AUFGENOMMEN VON DER STAATLICHEN BILDSTELLE BE SCHRIEBEN VON OTTO SCHMITT DEUTSCHER KUNSTVERLAG BERLIN / 1927 MIT UNTERSTÜTZUNG DES HERRN MINISTERS FÜR WISSENSCHAFT KUNST UND VOLKSBILDUNG DES HERRN LANDESHAUPTMANNS DER PROVINZ POMMERN, DES POMMERSCHEN LANDKREISTAGES UND DES POMMERSCHEN STADTETAGES Drude des Textes: Ernst Hedridi Nachf., G. m. b. H., Leipzig Druck dei Bilder: A, Wohlfeld, Magdeburg Papier: Scheufelen, Oberlenningen / Drudestöcke: A. Krampolek, Wien Einband: Hübel 'S) Denck, Leipzig / Entwurf von Umschlag und Einband: Prof. Ernst Böhm, Berlin KOLBERG UM 1650. STICH VON MERIAN DIE Christianisierung Ostpommerns und seine Besiedlung durch Klöster und deutsche Einwanderer hat nicht wesentlich später eingesetzt als in den westlichen Landesteilen, aber infolge des geringeren Zuzugs deutscher Einwanderer und des starken Rückhaltes, den die slawischen Bewohner an Polen fanden, schritt die Ausbreitung deutscher Kultur und Kunst nur lang-sam voran. Wohl hören wir schon 1238 von Johanniter-Ansiedlungen in der Gegend von Kolberg und Schlawe, wohl wird um die Mitte des 13. Jahrhunderts das Zisterzienserkloster See-Buckow gegründet, von einem vollständigen Sieg des Deutschtums im östlichen Pommern kann aber erst im spätesten 13. und im 14. Jahrhundert die Rede sein. Für die Kunstgeschichte bedeutet das, daß der romanische Stil, der in Vor- und Mittelpommern so bedeutende Denkmäler hinterlassen hat, in Pommern östlich der Rega vollkommen fehlt. Auch die ältesten Denkmäler sind bereits in gotischem Stil erbaut. Dies gilt auch von dem bedeutendsten Bauwerk des Landes, dem Dom zu Kolberg , der in Hinterpommern eine ähnlich hervorragende Stellung einnimmt wie in Vorpommern die Nikolaikirche zu Stralsund, dieser auch vergleichbar durch die außerordentlich gute Erhaltung seiner alten Ausstattung. Ein Bistum Kolberg gab es schon im Jahre 1000 bei der Gründung des Erzbistums Gnesen durch Otto III./ später errichtete der hl. Otto von Bamberg in Kolberg eine Kirche,- 1176 wird ein Propst, 1219 ein Kanoniker erwähnt und damit die Existenz eines Domkapitels bezeugt, aber die jetzt stehende Kirche ist sicher erst nach der Gründung der deutschen Stadt Kolberg <1255) begonnen worden. Die rein gotischen Formen auch der ältesten Teile v machen es sogar wahrscheinlich, daß der Baubeginn nicht lange vor der Jahr» hundertwende stattfand. Die Nachrichten, daß die Kirche bereits 1282 zum Gottesdienst benutzt wurde und daß sie 1285 schon einen Glodcenturm besaß, lassen sich mit den Stilformen des stehenden Baus kaum in Einklang bringen. Viel besser paßt eine Ablaßerteilung des Jahres 1316 und die von Kugler übernommene Angabe, daß 1321 Gottesdienst in der Kirche stattgefunden habe. Aber auch diese Daten können sich nur auf den Kern der heutigen Kirche beziehen. Denn derKolbergerDom ist im jetzigen Zustand ein Gebäude aus sehr verschiedenen Zeiten, doch läßt sich der Urbau verhältnismäßig leicht herausschälen. Die Kirche hatte ursprünglich, wie üblich, nur drei Schiffe. Die beiden äußeren Seitenschiffe, Holkengang und Badengang, sind erst im späteren 14. und im 15. Jahrh. angefügt. Unschwer läßt sich der Lauf der alten Außenwände aus der Stellung der wohlerhaltenen (jetzt in die äußeren Seitenschiffe einspringenden) Strebepfeiler erkennen. Wahrscheinlich ist aber auch der Chor eine spätere Zutat. Seine Mittelachse stimmt nicht ganz zur Hauptachse der Kirche, seine Formen sind fortgeschrittener gotisch. Wir haben denn auch aus den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts Nachrichten von einer Stiftung <1331) und einer Zahlung <1339) für den Chorbau. Mit Reifferscheid nehmen wir deshalb an, daß der Kolberger Dom als dreischiffige Hallenkirche mit plattem Ostabschluß aller drei Schiffe in einer Flucht, also ohne einen eigentlichen Chor errichtet wurde. Damit schließt er sich einem in Nordostdeutschland mehrfach nachweisbaren Typus an, den wir den Greifswalder Typus nennen dürfen, weil sämtliche Greifswalder Pfarrkirchen ihn ursprünglich vertraten,- unverändert bewahrt hat ihn jedoch nur die Greifswalder Marienkirche ist wohl immer von einer wohltuenden Weiträumigkeit gewesen. Der Anbau der äußeren Seitenschiffe hat dann — im DER DOM ZU KOLBERG späteren Mittelalter ein häufiger zu beobachtender Zug — die Kirche nach der Breite zu noch mächtig gedehnt und ihr eine unübertroffene, längst sprichwörtlich gewordene Weite verliehen. In der Wahl des Hallensystems, d. h. der Kirche mit gleichhohen Schiffen, äußert sich eine energische Kritik gegenüber dem schrankenlosen Vertikalismus und der einseitigen westöstlichen Richtungstendenz der französischen Gotik. In den nordfranzösischen Kathedralen, die ausnahmslos Basiliken, Kirchen mit überhöhtem und beleuchtetem Mittelschiff sind, aber auch in einer v DRAMBURG UM 1650. STICH VON MERIAN ganzen Anzahl nordostdeutscher, nach französischem Schema errichteter Kirchen , durch einen Lettner gegen die Gemeinde ab. Auch an zwei der GreifswalderPfarrkirchen, vielleicht auch an die Marienkirche v zuStargard (Teil IV, S. 11> und die Kirdie zu Treptow a.T. hat man schließlich Chöre angebaut, und in der Folgezeit sind bis in die Tage der Reformation hinein alle Kirchen, auch alle Hallenkirchen gleich mit Chören errichtet worden. Wenig jünger als der Kolberger Dom ist die Marienkirche zu Greifen« berg a. R., die wohl bald nach 1300 begonnen wurde. Den plattgeschlossenen Chor bekrönt ein reichgeschmüdcter, allerdings stark restaurierter Giebel, der vom jenseitigen Ufer der Rega gesehen als Kontrast zu dem ganz glatten östlichen Langhausgiebel und dem barock abgedeckten Turm ein höchst reiz« volles Bild ergibt (Bild 6, 8, 12>. Das wenig jüngere Langhaus ist eine weit« räumige Hallenanlage, die eine neuere Restauration in einen sehr erfreulichen Zustand versetzt hat. Um so trostloser wirkt das Innere der Marienkirche im benachbarten Treptow a. R., die eine »Wiederherstellung« der 60er Jahre nicht nur eines großen Teils ihrer alten Ausstattung beraubt, sondern auch noch mit einem unerträglich süßlichen Anstrich versehen hat. Auch das Äußere ist gründlich restauriert worden und enthält, namentlich in den oberen Turm« teilen (Bild 7>, mancherlei willkürliche und unnötige Zutaten, vor allem den Turmhelm selbst, in dessen Innerem sich der schlanke ältere Abschluß heute noch befindet (!). Doch muß zugegeben werden, daß die Wirkung der Kirche im Stadtbild des Eindrucks nicht entbehrt. Aus der Nähe betrachtet, ist am erfreulichsten der Anblick von Osten auf den Chor und den hübsch gegliederten Ostgiebel (Bild 9>. — Treptow a. R. ist die jüngste der drei Hallenkirchen Kolberg—Greifenberg—Treptow. Ein Vergleich der Pfeiler« form läßt die für die Entwicklung charakteristische Vereinfachung des Querschnitts bis zum ungegliederten Achteck erkennen. Aus noch etwas späterer Zeit, wahrscheinlich dem frühen 15. Jahrhundert, stammt die Kirche zu Dram« bürg, die den gleichen Bautyp vertritt (Bild 13, 15,18). Sie ist die letzte große Hallenkirche Pommerns bis Lauenburg im äußersten Osten. Dazwischen schiebt sich eine Gruppe von Basiliken, deren Zusammengehörigkeit schon Kugler erkannt hat: Belgard (Bild 17>,Köslin, Schlawe (Bild ll>,Rügenwalde (Bild 10> und die Marienkirche zu Stolp (Bild 3,19,20). Was dazu Veranlassung gab, in diesem Landstrich plötzlich alle größeren Kirchen im basilikalen System zu errichten, während ringsum und zur gleichen Zeit die Hallenkirche der bevorzugte Bautyp ist, ob und welche fremde Einflüsse dabei im Spiele waren, vermögen wir einstweilen nicht zu sagen. Immerhin mag daran erinnert werden, daß auch im übrigen Pommern Basiliken vereinzelt Vorkommen. Von Stralsund war des öfteren die Rede,- hier sind sämtliche Pfarrkirchen, offenbar angeregt durch das Vorbild von Lübeck, Basiliken. In Greifswald wurde im 14. Jahrhundert die als Halle errichtete Nikolaikirche zur Basilika umgebaut, und das gleiche geschah im frühen 15. Jahrhundert bei der Marienkirche zu Stargard. Von einer ausschließlichen Anwendung des Hallenprinzips kann also in Pommern so wenig wie im übrigen Nordosten Deutschlands die Rede sein. Wichtiger scheint uns aber, darauf hinzuweisen, wie wenig die Kirchen unserer Gruppe mit dem Schema der lübischen und sundisdhen Basiliken ge» mein haben. Alle diese Kirchen sind, soweit sie dem ursprünglichen Plan entsprechend zu Ende geführt wurden, im Grundriß lang gestreckt. Ja man kann, um ein oben angedeutetes Problem wieder aufzunehmen, sagen, daß die Länge ein Korrelat des basilikalen Systems ist, indem seine Eigenart bei gestrecktem Grundriß ihre eindringlichste Wirkung erreicht, wogegen sich die Hallenkirche bei kurzem oder mäßig langem Grundriß am stärksten auswirkt. Sicher ist es kein Zufall, daß die bedeutende Verlängerung der Nikolaikirche zu Greifswald oder der Marienkirche zu Stargard, die durch die nachträgliche Anfügung großer Chöre bewirkt wurde, mit einem Umbau der ursprünglichen Hallenanlage zur Basilika verbunden war. Dagegen ist bei den hinterpommer» sehen Basiliken das Langhaus immer verhältnismäßig kurz, gelegentlich sogar quadratisch, und erinnert damit an die Grundrisse der Hallenkirchen. Auch das Fehlen des Querschiffs, die vergleichsweise große Breite der Seitenschiffe und die einfache Form der Chöre hat mehr mit den nordostdeutschen Hallen» kirchen als mit der Lübeck»mecklenburgischen Basilikengruppe gemein. Bei einem Vergleich dieser beiden Gruppen darf freilich nicht vergessen werden, daß die hinterpommerschen Kirchen nicht unwesentlich jünger sind,- keine ist vor der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden. Die spätgotische Basi» lika ist etwas grundsätzlich anderes als die des 13. Jahrhunderts, und manches, was sie von dieser unterscheidet, hat sie mit der Hallenkirche gemein. Man würde nicht allzusehr übertreiben, wollte man die hinterpommerschen Basi« liken als Hallenkirchen mit überhöhtem Mittelschiff bezeichnen. — Im Gegen« satz zu den städtischen Pfarrkirchen bleibt auch in Hinterpommern bei Dorf« kirchen, soweit sie nicht einschiffig sind, die Hallenform die Regel . Naturgemäß überwiegen die v BELGARD UM «600. NACH DER LUBINSCHEN KARTE einschiffigen Kirchen, aber es finden sich wenig ansehnlicheDenkmäler darunter. Vor allem fehlt ganz der Feldsteinbau, der in Vor- und Mittelpommern eine so große Rolle spielte. Dagegen haben sich mehrere hübsche Friedhofsund Hospitalkirchen und -kapeilen, wie sie ursprünglich jede Stadt besaß, erhalten. Neben einschiffigen Saalkirchen kommen mehrfach als Friedhofskapellen Zentralbauten vor, so in Köslin, Stolp (Bild 24> und Rügenwalde (Bild 27>. Die reichste und schönste ist die spätgotische Gertraudenkapelle in Rügenwalde, ein sechseckiger Hauptraum mit zwölfeckigem Umgang, das Ganze von einem schöngeformten Dach mit schlankem Türmchen überdeckt. Die kirchliche Architektur unseres Gebietes kann sich, abgesehen vom Kol-berger Dom, mit den Denkmälern Mittel- und Vorpommerns weder an Zahl noch an Größe messen, aber auch nicht an Reichtum und Pracht der Einzelformen. Allen Kirchen Hinterpommerns ist ein ganz schlichtes Gepräge gemeinsam,- Gebäude von dem üppigen dekorativen Schmuck und der Farbenfreudigkeit mancher mittelpommerschen Kirchen des 15. Jahrhunderts gibt es nicht. Ein Vergleich allein der Chorgrundrisse etwa läßt die Anspruchslosigkeit Hinterpommerns aufs deutlichste erkennen. Und dann die Türme! Zwar in den westlichen Abschnitten unseres Gebietes, in Greifenberg (Bild 6> und Treptow (Bild 7>, aber auch noch in Dramburg (Bild 13> und Schivelbein (Bild 16> kommen reich und festlich geschmückte Türme wie in Mittelpommern vor. Im östlichen Hinterpommern hingegen herrscht, wenn man so sagen darf, die kubische Form an sich/ das schmückende Beiwerk ist auf ein Mindestmaß beschränkt. Aber niemand wird verkennen, daß diese Kirchentürme (Bild 3, 10, 11, 17> gerade in ihrer Schmucklosigkeit ungemein monumental wirken, ROGENWALDE UM 1600. NACH DER LUBINSCHEN KARTE Auch bei der Festungsarchitektur fällt eine vergleichsweise nüchterne und ernste Haltung auf, doch liegt es in der Natur des Festungsbaus, daß auch die größte Einfachheit auf diesem Gebiet nicht als Mangel empfunden wird. Mögen die Tore von Stolp , einer der schönsten dieser im Mittelalter häufiger vorkommenden Gattung, ist laut Inschrift im Jahre 1327 von Johannes Apengeter gegossen. Der mächtige Leuchter wird von Löwen getragen,- am Hauptstamm sind die Statuetten der Apostel angebracht . Apengeter war urkundlich in Lübeck, dem Mittel" punkt des norddeutschen Bronzegusses, ansässig. Wahrscheinlich ist auch der ungefähr gleichzeitige Türbeschlag am Westportal ein Gegenstück zu dem Stettiner Türklopfer (Teil III, Bild 1), Lübecker Import, und die gleiche Herkunft darf auch für das 1355 von einem Meister Johann Alart, mutmaß« lieh Schüler Apengeters, gegossene Taufbecken angenommen werden (Bild 30>. Es ist freilich viel geringer als die beiden älteren Stücke, und man kann der Renaissancezeit nicht gram sein, daß sie das Becken mit einer geschnitzten Schranke umgeben hat, die es unseren Blicken fast ganz entzieht (Bild 31). —• An dem ungemein reichen Bild, das das Innere des Kolberger Domes bietet, haben die zahlreichen Kronleuchter, von denen einige hervorragende Arbeiten sind, keinen geringen Anteil. Die Holkenkrone (Bild 38>, der älteste und kleinste Kronleuchter des Domes, zugleich der einzige gotische in Pommern, ist ein (Lübecker?) Messingguß aus der Zeit um 1420. Vielleicht kann das v Jahr 1424, in dem eine große Stiftung zu seiner Versorgung mit Kerzen erfolgt, gerade als Enstehungsjahr gelten. 1523 wurde die SchliefFenkrone im Mittel» schiff gestiftet, ein prächtiges Schnitzwerk, das die Madonna und Johannes d.T., umrahmt von Engeln, Aposteln und Heiligen, unter hohem und reichgeschnitztem Baldachin zeigt. Einer der schönsten nachmittelalterlichen Kronleuchter, die es in Pommern gibt, ist die 1702 gegossene Henkesche Krone und der Kanzel sehr schwach, am besten das Ornament. — Auf einer wesentlich höheren Stufe stehen die beiden mittelalterlichen Gestühlreihen, namentlich das Chor» gestühl , das bald nach der Errichtung des Chors angefertigt zu sein scheint,- die Wangen haben hier die Gestalt von Ungeheuern mit langen in die Höhe geringelten Schweifen. Beim Ratsgestühl überwiegt die menschliche Figur. Unsere Abbildung gibt das südliche Gestühl mit der seltenen Darstellung der Sibylle von Tibur, die Kaiser Augustus die Madonna zeigt. Mit den Denkmälern des Kolberger Doms ist das umfangreichste Ensemble gezeigt, das Pommern an kirchlicher Ausstattung besitzt. Sehr gute Einzel» stücke finden sich aber auch in anderen Städten und Kirchen. So sind die Kanzeln in Stolp , beides Werke der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, von einer nicht etwa nur für Hinterpommern hervorragenden Qualität. Hier sind auch einmal die figürlichen Teile erfreu» liehe Arbeiten. Ein sehr wertvolles Kunstwerk besitzt Rügenwalde dann noch in dem Silberaltar der Marienkirche, den Herzog Philipp II., der kunstsinnigste unter den Fürsten des Hauses Pommern, ebenso wie die erwähnte Kanzel für seine Schloßkapelle in Rügen walde gestiftet hat . Kolb erg, Dom,Westfassade. Für die Baugeschichte vgl. Seite 4. 1. . Kolberg, Dom von Nordwesten. Links derChor, rechts die Fassade, dazwischen das Langhaus, dessen fünf Schiffe von einem einzigen Dach überdeckt sind. Das Mittelstück des Ostgiebels älter als die Seitenstücke, die erst nach Errichtung der äußeren Seiten» schiffe angefügt wurden. Im übrigen vgl. über die Baugeschichte Seite 4. 2. Kolberg, Dom, Westfassade von Südwesten. Vgl. Titelbild. 3. . 28. Kolberg,Dom,TürklopferundBeschlagamWestportal. Löwenkopf, der ursprünglich einen Ring hielt, ringsum in Rankenmedaillons der thronende Christus, Evangelistensymbole, zwei Propheten und Kreuzigung. Verwandt dem Stettiner Türklopfer (Teil III, Bild 1>. Bronze, zweites Viertel des 14. Jahrh. 29. Kolberg,Dom,SiebenarmigerLeuditer(vgl.Bild4>, zwei Apostel. 1327 von Johann Apengeter in Lübeck gegossen, vgl. Seite 13. Die Statuette des hl. Andreas angeblich moderne Bigânzung. 30/31. Kolberg, Dom, Taufbecken. Bronze, 1355 von Johann Alart (Inschrift). Deckel von 1679. Hübsche Renaissance-Umfriedigung. 32. Kolberg, Dom, Chorgestühl. Prachtvoll geschnitzte Wangen, die ältesten und besten in Pommern erhaltenen. 14. Jahrh. Eichenholz. 33. Kolberg, Dom, Ratsgestühl. Jetzt in zwei Hälften am Westende der Seitenschiffe aufgestellt. Wangen figürlich geschnitzt. Gegen 1400, 34. See-Buckow,Abtstuhl,jetztimMuseumStettin.Holzgeschnitzter, farbig gefaßter Thronstuhl mit Baldachin, inschriftlich 1476 vom Priestermönch Burkard ausgeführt. Vgl. Bild 25. 35. Stolp, Marienkirche, Kreuzigungsgruppe. Um 1520, anscheinend unter Nürnberger Einfluß, doch schwerlich fränkischer Import. Man darf annehmen, daß die Gruppe ursprünglich am Choreingang unter dem Triumphbogen hing. Holz, polychromiert, Figuren lebensgroß. 36/37. Kolberg, Dom, Schlieffenkrone. Prächtiger, von der Decke des Mittelschiffs (vgl. Bild 4> herabhängender Kronleuchter, holzgeschnitzt und bunt bemalt (Fassung 1889 erneuert). 1523 von der Familie Schlieffen gestiftet. 38. Kolberg, Dom, Holkenkrone. Messing-Kronleuchter im Nordschiff, Madonna von Ranken umgeben. Um 1420, vielleicht Lübecker Arbeit. 39. Kolberg, Dom, Henkesdie Krone. 1702 von der Familie Henke gestiftet. Messing. 40. Stolp, Marienkirche, Kanzel, Sehr schönesSdinitzwerk des frühen 17. Jahrh., wahrscheinlich aus dem Jahr 1609. Vgl. Bild 19. 41. Rügenwalde, Gertraudenkapelle, Kanzel. Das außergewöhnlich prächtige Werk ist etwas jünger als die Stolper Kanzel . Es stammt aus der 1639 geweihten Schioßkapelle und dürfte um diese Zeit entstanden sein. 42/43. Rügenwalde, Marienkirche, Silberaltar. 3 m hoher Altarauf« satz aus Ebenholz mit Silberreliefs, ursprünglich in der Schloßkapelle, wohin ihn Herzog Philipp II. stiftete. 1616 vollendet. Die Reliefs von Johannes Körver aus Braun schweig, später in Stettin, und Zacharias Len cker in Augsburg. Das Mittelstück, Anbetung der Könige, von Körver. 44. Lauenburg, Jakobikirche. Grabmal der 1566 im Alter von drei Jahren gestorbenen Dorothea von Zitzewitz. 45. Kolberg, Dom, Grabmal der Maria Liebherr, gest. 1692, er-richtet 1694. Holz, polychromiert, im mittleren Oval gemaltes Bildnis der Verstorbenen. 46. Schlawe, Marienkirche, Blick durch die Erdgeschoßhalle des Turms nach Süden, vgl. Bild 11. 47. Bütow, Bergkirche mit dem Adlern hof-und Roßgartenturm. Helme modern. Ober der schweren Findlings« mauer, die sie verbindet, der Wehrgang. 49/50. Schivelbein, Deutschordensburg. Am Uferder Rega. Die mittelalterliche Anlage, eine fünfseitige um einen Binnenhof gruppierte Burg, ist im 18. Jahrh. gründlich umgestaltet worden. Vom Urbau des 15. Jahrh. am besten erhalten der runde Bergfried . Obergeschoß um 1600. 56. Stolp, Mühlentor, Feldseite. 15. Jahrh. Vgl. Bild52. Hier der alte Giebelabschluß erhalten. 57. Schivelbein, Gesamtansicht von Nordwesten. Links die Pfarrkirche , rechts der Bergfried der Ordensburg