Das malerische und romantische DEUTSCHLAND. 3n Sektionen. I. Die sächsische Schweiz von J. Sporschil. II. Schwaben von Gustav Schwab. III. Franken von G. v. He er in gen. IV. Tittiringen von Ludwig Bechstein. V. Wer Harz von W. Blumenhagen. VI. Das Riesengebirge von Carl Herlosssohn. VII. Steiermark, n. Tyrol von J. G. Seid!. VIII. Die Donau von Eduard Duller. IX. Der R 1t e i n von Carl Simrock. X. Die Osttt. Nordsee von Kobbe und Cornelius. ffftpjig, Georg Wigand's Verlag Wanderungen an der and Ostsee. Von lljfolDor von&obbe und Cörtultue. Erste Abtheilung- Nordsee. Von Mit 15 Stahlstichen. Gaorg Wigand's Verlag. ¥ o r w o r t. Der geistvolle Karl Simrock darf mit vollem Rechte in se, ner Einleitung zu dem romantischen Rheinlande sagen, dass t auf dem literarischen Theilungscongress des weiland heiligeL Römischen Reichs Deutscher Nation mächtige Freunde gehabt haben müsse, da man ihm gerade das allerkostbarste Stück davon auf den Teller gelegt habe 5 und nur darin hat er Unrecht, dass er in seiner Bescheidenheit den kleinen Umstand vergisst, dass unter den deutschen Sängern nicht leicht ein würdigerer Prätendent für dieses literarische Reichslehen gefunden werden konnte. Mit diesem Gedanken können wir andern armen Schelme uns schwerlich trösten, denen allerdings, wie unser Poet weiter sagt, im Vergleich zu seinem Kernanlheile, nur die Schalen zugefallen sind. Und wer von allen könnte diese traurige Wahrheit mehr für sich in Anspruch nehmen, als derjenige, dem die Aufgabe gestellt ist: über die nebelverdüsterten Sanddünen der Nordsee und über die von Haide, Sumpf und Moor durchzogenen Flächen — in denen die grünen Wieseuteppiche der Marschen mit der homerischen Fülle schwerwandelnder, krummgehörnter Riiider-schaaren und erdstampfender Rossheerden spärliche Oasen bilden, — das Zauberlicht einer Romantik auszugiessen, deren Keimen, ach! in dieser Prosagegend Deutschlands nur ein kümmerliches Dasein unter der ringsum starrenden Schnee- und Eisdecke vergönnt ist! \ber sei dem wie ihm wolle. Weisheit ist: in's Unabänderliche "ich schicken; höhere Weisheit noch: darin nicht nur Sute Seiten überhaupt, — die ja nirgend fehlen — aufzufinden, sondern vielmehr selbst in dem anscheinend Nachteiligen einen "N ortheil, im scheinbaren Verlust den reinen Gewinn zu erkennen. Die Ost- und Nordsee. 2 Wer viel hat, dem wird viel gegeben, ist ein wahres Wort. Aber, wem viel gegeben ist, von dem wird viel g e -f odert, ist ein nicht minder wahres. Wäre mir die Krone des Rheinlandes bei dieser Theilung der deutschen Erde zugefallen, ich hätte sprechen müssen: Sie ist mir zu schwer, ich kann sie nicht tragen, sucht Euch dafür ein würdigeres Haupt unter den hunderten und aber hunderten, die besser ihrer Last gewachsen als ich. Mit der Fülle des Stoffs vermag nur der Meister zu schalen, die Goldhaufen eines Reichs nur die tiefste Einsicht zu verwalten, aber die kleine Scheidemünze des täglichen Erwerbs im kleinen Kreise wohl zu verwenden, und — um das Bild nicht todt zu heizen, den spärlich und karg sich bietenden Stoff mit Liebe zu behandeln ist auch ein Verdienst, wenn gleich geringere Gaben dazu gehören. Von Herzen gönnen wir also unserm Mitarbeiter seine Freude, die doch nur in dem gerechten Bewusstsein seiner Kraft ihre Wurzel hat. Möge es uns nur gelingen einem in malerisch und romantischer Hinsicht von der Natur mehr als stiefmütterlich behandelten Theile Deutschlands wenigstens einige Aufmerksamkeit dem geneigten Leser zuzuwenden. Und dieser Norden ist ja meine Heimath. Die Liebe zur Heimath gleicht aber jener Elternliebe, die an dem am mindesten begabten Kinde nur mit so innigerer Neigung hängt, und dessen liebenswerthe Eigenschaften mit um so grösserer Zärtlichkeit hervorhebt. Mag dies zugleich zur Entschuldigung dienen, wenn ich bei meiner Schilderung Manches in den Kreis der Darstellung ziehe, was vieleicht dem Einen oder dem Andern etwas vom Centrum seitab zu liegen scheint. Jener Violinspieler, der sein Streben nach europäischer Virtuosität als fruchtlos erkennen musste, tröstete sich doch wenigstens damit, dass er im Aplomb des Auftretens und der Verbeugung alle lebenden und todten Virtuosen übertreffe. Lieber Leser: wolltest Du dem guten Geiger diese Schadloshaltung verübeln? Endlich habe ich noch einen Gedanken in petto, den ich Euch hoffentlich plausibel zu machen gedenke. Die neun Provinzen meiner Mitchurfürsten von Georg Wigand's Gnaden haben des Pittoresken und Romantischen in Hüll' und Fülle. Allzuviel Leipzig d Bnl. Kunst Anstalt. ist aber überall ungesund, und so denke ich, wird es für das Ganze eher ein Vorlbeil als ein Schaden sein , wenn daneben auch die derbe Realität des Hamburger Rindfleisches und seiner Porter- und Austerkeller zu ihrem Rechte gelangt, und der kräftige Wellenschlag unserer Nordseebäder und die ganze praktische Materialität unserer Küstenländer eure, von der ,,mond-beglänzten Zaubernacbt" der mittelalterlichen Romantik des berg-und burgbekränzlen Rheinlandes, Schwabens und Frankens an-gegriffene« Nerven wieder ^erfrischt. Und auch an Romantik soll's, so Gott will! nicht fehlen. Das weltdurclischweifende Seeleben unserer Nordseelaude bietet mancherlei Ersatz für das berg- und wald-umschlossene Slillleben der romantischen Parthieen Mitteldeutschlands, und die braunen uud verwegenen Theerjacken auf den Schiffen und Bollwerken unserer Nordseehäfen sind die ächten Söhne jener Freibeuter, die Meere durchstreiften, und Niemanden über sich erkannten als den Himmel und seine Sturmwolken, denen ihr Muth gleich wie dem Feinde Trotz bot. Wo aber auch diese Gestalten verschwinden, da mögen die historischen und statistischen Notizen aushülfsweise eintreten, und die Aufmerksamkeit des forschenden Lesers zu gewinnen suchen. Da habt Ihr das Programm der „Festlichkeiten" oder wenn Ihr wollt, die Charte, die ich beim Antritt meines Regiments Euch verleihe. Hoffentlich soll sie eine Wahrheit werden, wro nicht, so hoffe ich, Niemand wird mir nachsagen, dass mein Wille Schuld daran gewesen. Helgoland. Diese merkwürdige Felseninsel der Nordsee, welche hoch emporragend seit Jahrtausenden den Kampf mit den Wellen besteht, wird uns schon in sehr frühen Nachrichten genannt. Ein alter nordfriesischer Schriftsteller, Peter Saxe, glaubt sogar, der Dichter Virgil habe an dem Hofe des Kaisers Augustus von dem Meerwunder gehört und Gelegenheit genommen, die Insel 111 seinem Gedichte (Aeneide I. v. 159) zu beschreiben. Dass Tacitus Helgoland gemeint habe, als er von der Insel Hertha redet, wird durch spätere Zeugnisse fast zur Gewissheit erhoben. Er redet yon dem Dienste der Göttin im Ocean, zu welchem sich sieben Suevische Völkerschaften, unter diesen die Angeln und Variner, verbunden hätten. Man hatte diese Insel vorzüglich deshalb in der Ostsee gesucht, weil man sich nicht berechtigt gehalten hat, die Sitze der Angeln bis zur Nordsee zu erstrecken. Allein neuere Untersuchungen, niedergelegt in Mich eisen und Asmussen Archiv, haben gezeigt, wie das Volk der Angeln weit ausgebreiteter gewesen, als man bis dahin angenommen hatte. Die ersten Heidenbekehrer, Willibrod und Lüdger, machen im achten Jahrhundert eine Beschreibung von dem Götzendienst und dem Zustand Helgolands, welche ganz mit dem, was Tacitus von seiner Insel erwähnt, übereinstimmt. Wir finden hier wieder die geweihten Thiere, welche im Umkreise des Tempels weideten und die Niemand berühren, und die heilige Quelle — aus der man nur schweigend Wasser schöpfen durfte. Diese Quelle, das einzige süsse Wasser der Insel, findet sich auf dem Vorlande und wird in der Brennerei eines Einwohners, Jasper Bufe, verwendet. Woher der Name der Insel abzuleiten sein dürfte, ist streitig. Als die Heidenbekehrer kamen, soll sie nach einem hier verehrten Götzen „Fose tisland" benannt sein. An den Namen Helgoland knüpfen sich mehrere Sagen, namentlich eine der merkwürdigsten des skandinavischen Alterthums. Der König von Lethra, Helgo, war im sechsten Jahrhundert an der sächsischen Küste gelandet, wo die streitbare und stolze Fürstin Olufa herrschte. Sie entzog sich den Bewerbungen des Königs, als dieser aber mit Gewaltthätigkeiten drohte, wich sie scheinbar der Uebermacht. Sie gab ihre Einwilligung und stellte die Hochzeitsfeier an, an dem festlichen Tage aber sorgte sie dafür, dass Helgo berauscht und darauf sein Kopf geschoren, mit Pech und Theer bestrichen, er aber dann in einem Sack auf sein Schiff gebracht wurde. Als er erwachte und sich seinen Leuten in solcher Gestalt zeigte, erschien auch die Fürstin mit einem so ansehnlichen Heere, dass Helgo die Ausbrüche seiner Rache zurückhalten musste. Beschämt zog er sich zurück, nach einiger Zeit aber erschien er wieder an der Küste. Er vergrub einige Kostbar- keiten in einem Walde und bestach einen Knecht der Olufa, seine Herrin von diesem Schatze zu unterrichten. Sie folgte der Lockung, Hess sich verleiten in den Wald zu gehen, wo Helgo sie auffing, sie auf sein Schiff nahm und sie nicht eher entliess, bis er ihrer überdrüssig geworden. Olufa gebar eine Tochter, Ursa, welche sie insgeheim bei einem Bauern am Strande erziehen liess. Helgo besuchte oft diese Küste; er traf hier das liebliche Mädchen; als sie kaum ihr zwölftes Jahr erreicht hatte, nahm er sie mit sich und heirathete sie. Als sie ihm schon einen Sohn, den nachmals so berühmt gewordenen Rolf Krake, geboren hatte, sah Olufa das Werk ihrer Rache vollführt; sie unterrichtete ihre Tochter von dem Verhältnisse, in welchem sie lebte, nöthigte sie Helgo zu verlassen und verheiratete sie wieder an einen König von Schweden. Als Helgo sein Unglück erfuhr, soll er sich selbst erstochen haben. Von diesem Könige nun leiten Einige den Namen Helgoland ab. Nicht ohne Zusammenhang mit der Sage von Olufens Tochter Ursa steht die Ueberlieferung, Helgoland sei nach einem dort befindlich gewesenen Nonnenkloster, St. Ursula, benannt. Die heilige Ursula soll hier mit ihren 11,000 Amazonen gelandet sein als es noch ein grosses schönes Land war, die Leute aber so gottlos gewesen sein, dass wegen ihres Betragens gegen die Jungfrau das Land versunken, abgerissen und alles versteinert sei. Dem Ritter Bertram Rogewisch wurden sogar noch die Fussstapfen der tanzenden Jungfrauen gezeigt. Helgoland war lange ein Hauptsitz friesischer Seeräuber. Hier hausete der wilde König Radbod; Jahrhunderte nach ihm soll ein Seeräuber, Namens Eilbert, von seiner Lebensweise abgelassen haben, völlig bekehrt und endlich sogar Bischof geworden sein, das Christenthum auf der Insel hergestellt und hier ein Kloster gegründet haben. Vom Kloster Rabodsburg, von Hainen und Tempeln ist keine Spur mehr, und mögen sie einst gestanden haben, längst sind sie versunken in die Tiefen des Meeres. Helgoland hatte einst einen weit grösseren Umfang und hing wahrscheinlich, in einer Zeit, die der cimbrischen Flulh voranging, mit dem festen Lande zusammen. Der Statthalter Heinrich Ranzau erzählt, Helgoland habe früher sieben Kirchen gezählt, von denen in seiner Zeit nur noch eine vorhanden. Das Verzeichniss der Harden und Kirchen in Nordfriesland von 1240 führt noch drei Kirchspiele, ein Klosler und die Spuren dreier heidnischer Tempel an. Gegenwärtig besteht Helgoland nur aus der Klippe von Keuper-Mergel und einer Sandinsel. Die Fluth durchbrach im Jahre 1720 die schmale Erdenge und machte die nur eine V7iertelmeile vom Felsen liegende Düue zur Insel. Seit 1653 hat Helgoland immer mehr abgenommen 5 damals ward der Umfang noch zu einer kleinen Meile angegeben, im Jahre 1720 betrug er nur 9200 Fuss. Zufolge der Sammlungen, welche ein Amtmann in Jever, Römer Sedichius, der im siebzehnten Jahrhundert lebte, hinterlassen haben soll, hätte Kaiser Heinrich III. zu Utrecht im Jahre 1050 Helgoland „das Sassen Eiland" Aellum, dem Grafen Johann von Oldenburg geschenkt. Es ist diese Angabe jedoch weder beglaubigt noch wahrscheinlich, und man kann wohl annehmen , dass Helgoland später das Schicksal des übrigen Nordfrieslands gelheilt hat, demnach einen Bestandteil des Herzogthums Schleswig ausmachte. Im Jahre 1808 nahmen die Engländer die Insel ein; sie ward 1814 im Kieler Frieden an England abgetreten. Auf Helgoland gilt das jütsche Low, aber nur in Erhallen, nach welchem, wenn die Ellern ohne Testament verstorben sind, die Töchter nur halb so viel erben wie die Söhne. Die Ehegatten leben in Gütergemeinschaft 5 nach dem Tode des einen kann der überlebende Theil gezwungen werden, mit den Kindern zu theilen, erhält dann aber, ausser der Hälfte, noch Best-Kindes , Sohnes Theil. Die Erbtheilung ist indessen seit Menschengedenken nur im Jahre 1828 verlangt, und zwar von einer auf Helgoland verwittweten Engländerin, welche eine üble Wirlh-schafterin gewesen sein soll. Die Söhne werden mit dem fünfundzwanzigsten, die Töchter mit dem einundzwanzigsten Jahre grossjährig. Eine frühere Volljährigkeitserklärung (venia aetatis) kommt selten vor, und hat den Rath, welcher sie aus eiguer Machtvollkommenheit verfügt hatte, vor einigen Jahren in grosse Verlegenheit gesetzt. Den Müllern gebührt ohne Weiteres die gesetzliche Tutel, und kann ihnen nur aus sehr bewegenden Ursachen genommen werden. 7 Die Helgolander haben keine stillschweigenden Hypotheken, dagegen ein Schuld- und Pfandprotokoll, in welchem die eingetragenen Forderungen nach ihrer Priorität gelten. Auffallend ist es, dass bei einer Bevölkerung von 2800 Einwohnern, die noch dazu in sehr dürftigen Umständen leben, so wenige Concurse erkannt werden. Diese pflegen erst nach dem Tode des Schuldners auszubrechen, dem man bis an sein Lebensende Nachsicht angedeihen zu lassen pflegt. Pfändungen werden nur zur Beitreibung von Predigergefällen vollzogen. Advokaten giebt es auf der Insel überall nicht. Der Rath besteht aus sechs Mitgliedern, von denen Einer das Protokoll führt. Die Rathmänner entscheiden in allen Sachen erster Instanz, bilden auch das Polizei- und Kriminalgericht, können aber, vermöge der schlechten Beschaffenheit ihres Gefängnisses, nicht höher als auf fünftägigen Arrest erkennen. Einen Helgolander, der einem Mädchen Gewalt angelhan, haben sie vor etwa dreissig Jahren mit ewiger Verbannung bestraft, aus der eine Rückkehr nach Helgoland freilich wohl unmöglich ist. Uebrigens ist der letzte Todtschlag hier im Jahre 1719 von einer Frau an einer andern begangen. Damals ist das Ur-theil in Kopenhagen ermittelt, und auch hier unfern der Kirche auf dem Hengstplalze vollzogen. Auch Diebstähle sind hier unerhört, sie beschränken sich lediglich auf die Entwendung einiger hölzerner Latten, die Kälte und Armuth im strengsten Winter veranlassen. Die jährliche Einnahme jeglichen Rathmannes beträgt etwa 460 Mark, doch behauptet man, dass dem Rathmann Block, auf dem hauptsächlich die Last aller Geschäfte ruht, eine besondere Gratifikation von England zu Theil wird. Von Ueberschuss der Revenüen, welche die Pupillen beziehen, begleicht ihnen der geringe Antheil von ein Sechstel Procent, welcher aber bis jetzt noch nicht eingefodert ist. Die Haupteinnahme der Helgolandcr Obrigkeit hängt davon ab, ob Gott den Strand segnet, da diese Behörde alsdann die Yerlheilung des Bergelohns leitet und dafür ihre Quote berechnet. Zwei Male im Jahre wird Gericht gehalten, in welchem jeder Bescheid fünf Mark Hamburger Geld kostet. Die Gebühr für jede ausserordentliche Session beträgt zehn Mark. Von dem unstudirteu, aber mit den Rechten wohl bekannten Rath wendet ö sich das Rechtsmittel der Appellation an den Gouverneur, der, weil er der deutschen Sprache unkundig, im Jahr 1839 noch in englischer Sprache entschied, gewöhnlich aber konfirmato'risch erkannte. Von hier geht die weitere Berufung nach England, an die Königin oder vielmehr an das Kolonialamt und an dessen präsidirenden Minister. Die Helgolander bilden ein originelles, imposantes Völkchen. So viele Köpfe man auf der weiten Insel erblickt, so viele Männer im moralischen Sinne des Wortes sieht man auch. In jeden ist ein fester Charakter eingegraben, ein tiefer Lcbensernst liegt auf aller Gesicht; sie kommen Einem zuweilen vor wie politisch religiöse Flüchtlinge, ihre körperlichen Bewegungen, die Art und Weise sich auszudrücken , sind die eines würdevoll vornehmen, durch manches Unglück gebeugten Mannes. Oft erschienen sie mir wie Königssöhne, welche von einer grossen Insel ausgezogen sind, und Fürstentöchter entfernter Länder sich geholt haben, die aber, zurückgekehrt, den grössten Theil ihrer unermesslichen Insel durch einen bösen Geist weggezaubert sehen, und nun mit ihren schönen Weibern auf dem übriggebliebenen Felsblock zu plebejischer Arbeit und plebejischem Mangel ver~ urtheilt sind. Da hilft kein süsses Schmeicheln der Frauen, welche willig die Last des Tages tragen; bei seinem Anbruch verlässt der Helgolander sein Lager und starrt bis zur einbrechenden Nacht in das weite Meer, als ob er den Moment erwarte , wo der Zauberer die geraubte Insel wieder emportauchen lässt, damit auch er seiner Frau einen würdigen königlichen Sitz, das Erbtheil der Väter, bieten könne. In der That treiben die Helgolander ein solches dolce far niente, wie dies die Italiäner nur immer unter ihrem milden Himmel thun mögen. Wenn sie nicht mit ihrem Fischfange und ihrem Lootsengeschäft zu thun haben, siarren sie den ganzen Tag in das weite Meer hinein und dulden es mit orientalischer Ruhe, dass ihre armen Weiber und Kinder, namentlich auch die kleinen Mädchen, alle häuslichen Arbeiten, ja sogar die Tagelöhuerdienste, ausschliesslich verrichten, und auf diese W^ise selbst den Unterhalt der Männer erwerben. So schleppen die armen Frauen jetzt sämmtliche Mauersteine, weiche zu einem Bau unfern des Leuchtthurms verwandt werden sollen, hinauf. 9 Acht dieser Backsteine ist eine gewöhnliche Tracht, doch werden die kleinen Mädchen sogar angelernt, wenigstens einen zu tragen. Uebrigens finden die Helgolanderinnen ein solches Joch billig und gerecht. ,,Unsere Männer," pflegen sie zu sagen, ,,wagen Leib und Leben auf der See für uns, es ist daher billig, „dass wir die Zeit, da sie auf der Insel leben, für ihre Ruhestunden ansehen, in denen ja jeder Moment sie zu ihrem gross-,,artigen und lebensgefährlichen Beruf wieder entbieten kann." Die Helgolanderinnen sind von seltener Schönheit und trotz der Arbeit, welche sie in den zartesten Kinderjahren zu beschäftigen anfängt, von zierlicher, ich möchte sagen, vornehmer Bildung. Da es nur wenig vermögende, aber auch wenig unverheiratete unter ihnen giebt, so kann man sicher annehmen, dass nirgends mehr Ehen aus reiner Liebe geschlossen werden als hier. Jede Neigung der Helgolanderinnen trägt den Charakter von Egmonts Klarchen oder des Käthchens von Heilbronn. Die früh geschlossene Ehe verändert nicht die schwärmerische Verehrung, die unbedingte Hingebung der freudig gehorchenden Braut. Gleichwohl will es mir vorkommen, als ob diese Liebe der Helgolanderinnen von ihren Gatten nicht in demselben Maasse erwiedert werde; mag dies zum Theil in dem egoistischen Charakter der Männer, welche durch eine unbedingte Klärchenliebe zu leicht ermüdet werden, oder auch in dem baldigen Verblühen der jungen Frauen liegen. Diese traurige Metamorphose hat wenig Ausnahmen und es ist in der Thal auffallend, wie schnell, fast wie in einer Raimundschen Zauberoper, sich meistens diese Verwandlung zeigt. Indessen konkurriren hiefür mehrere Gründe; schnell auf einander folgende Wochenbetten der neu Vermählten, die schwere Männerarbeit, welche auf ihre zarten Schultern gelegt wird, die unzureichende Nahrung, welche gewöhnlich nur aus getrockneten Fischen und Kartoffeln besteht, vor allen Dingen aber die Herzensangst, welche die jungen Frauen ergreift, wenn ihre Männer im Wellengebraus mit dem menschenmörderischen Sturm kämpfen. Alle diese Umstände tragen gewiss das Ihrige dazu bei, um so früh die Blüthen der Schönheit von den rosigen Helgolanderinnen abzustreifen. Helgoland ist von Hamburg in gerader Richtung 20y3 geographische Meilen, von Cuxhaven 7% Meilen entfernt. Durch Die Ost- und Nordsee. 2 die Krümmungen des Fahrwassers wird diese Entfernung an 4—5 Meilen vergrössert. Der nächste Punkt der Küste am Ausfluss der Eider ist 7 Meilen, die Insel Neuwerk und Wan-gerog, 6 Meilen und Norderney 8 Meilen von Helgoland entfernt. — Die Reise von Hamburg dorthin und wieder zurück wird gewöhnlich auf den Dampfschiffen in zwölf Stunden zurückgelegt, und wird diese Tour häufig als Lustreise von Hamburgern am Sonnabend unternommen, welche sich am Sonntag auf Helgoland erlustiren und am Montag nach Hamburg zurückkehren. Das ganze Fährgeld hin und zurück beträgt nur 15 Mck. Hamburger Courant. Die Insel ist jetzt J/4 Meile lang, hat einen Umkreis von 13,800 Fuss und V12 Meile in der grossesten Breite. Vor dem nordöstlichen Rande der Klippe liegt ein Haches Vorland, aus röthlichem Thone und Rollsteinen bestehend, von der Gestalt eines Dreieckes, dessen längste, dem Felsen zugewandte Seite ungefähr 1000 Fuss lang, gegen den niedrigsten Theil des Felsens 15 Fuss ansteigt, und am nordöstlichen Strande durch ein Pfahlwerk gegen Abspülungen geschützt ist. Dieses Vorland wird auch ,,Un terland" genannt, während der Felsen das ,, Oberland" heisst. Das Unterland ist mit dem Oberlande durch eine vortreffliche Treppe von 173 Stufen, auf Kosten der englischen Regierung, verbunden, die wegen Steilheit des Felsens den einzigen Weg zu demselben darstellt. Der grössere Theil des Städtchens liegt mit der Nicolauskirche auf dem nordöstlichen Vorgebirge am niedrigsten Theile des Felsens und nimmt sich mit seinen rothen Dächern recht hübsch aus. Oestlich von dem Unterlande liegt, etwa 300 Ruthen von demselben entfernt, in der Richtung von Norden nach Süden, eine Düne oder Sandinsel, etwa 20 Fuss über der Meeresfläche. Hier ist auch der Badestrand. Höchst interessant ist die Fernsicht auf dem Oberlande, nicht nur dem Schiffer, sondern auch dem Meteorologen, welchem das fernste Meer der Spiegel des Firmaments wird, Oft erscheint der Himmel gleichförmig bedeckt und ist es doch nur für den Standpunkt des Beobachters, für den die Wolkenschichten wie Soffiten auf der Bühne sich decken, und doch von einander getrennt sind. Diese Oeffnungen des Himmels spiegeln sich nun auf dem Meere ab, und des Meeres Blinken, wie es die Schiffer bezeichnend nennen, an der Nordkante oder an einer andern verkündet eine Aufheiterung in jener Himmelsgegend, die sonst am Firmamente noch nicht sichtbar ist. Der Sternenhimmel überrascht den Bewohner des südlichen Deutschlands, wenn er ihn lehrt, wie er so viel nördlicher gekommen ist, und weit beschwerlicher das Haupt nach hinten beugen muss, um den Polaris zu sehen, wenn die nördlichen Gestirne sich auffallend über den Horizont erheben, wahrend die südlichen verschwinden; wie niedrig steht Saturn im Scorpion, und Jupiter mit Mars in der Jungfrau, während er hier die Capella wieder findet, die ihm im Süden schon entschwunden war. Doch ist der Himmel über dem Meere dunstiger und lässt nur die grössten Sterne und Sternschnuppen sehen, so wie er am Tage nur graublau erscheinen kann. Das nächste Meer gewährt noch durch Farbe und Brandung eine Uebersicht des seichten Meergrundes, dessen höhere Theile jetzt abgespült, einst die grössere Ausdehnung der heutigen Insel ausmachten. Diese ist auch historisch unleugbar, und nur über das Maass derselben in den verschiedenen Jahrhunderten, so wie über die Bevölkerung wird gestritten. Noch bis zum Jahre 1720 war das Land — de lun — mit der Düne — de halrn — und der Wittkliff (weissen Klippe) verbunden; damals wurdeu sie durch einen Sturm getrennt, und seitdem die Wittkliff dem Meeresboden gleich gemacht. Des Geographen Meyer Helgoland von 1649 hatte eine grössere Ausdehnung, wenn gleich die Masse der heutigen widerspricht; der Flamberg oder Flaggenberg auf dem höchsten nordwestlichen Punkte, der Kirchhof und die Rad-bodsburg an der östlichen Seite sind hinweggerissen, so ist auch die Südspitze mit Wachhaus und älterem Mönch weggespült; denn nur der Kusberg bei der Sapskuhle, der Bredtberg mit dem von den Hamburgern 1763 erbauten Feuerthurme und der Moderberg mit dem Pulverhäuschen sind noch vorhanden, und nahe genug ist ihnen der Rand des Felsens gerückt. Nagen Sturm und Wellen, Frost und Thauwetter das ganze Jahr sichtbar an dem mürben Felsen, und bedrängen ringsum seine senkrechten Wände bis auf die östliche Seite, wo, wie bereits erwähnt, eine Schutthalde das Gestade des Unterlandes bildet, so ist diese all- 12 mählige Zerstörung auch seit Erhebung des Gebirges über die Meeresfläche thätig gewesen. Jetzt ist der Felsen auf der nordwestlichen Seite noch 200 Fuss hoch. Gerade gegen diese und die Westseite muss die Insel aber eine grössere Ausdehnung gehabt haben und auch noch höher gewesen sein, denn hier war seit Jahrtausenden der Angriff von Wind und Wellen am thätig-sten und wirksamsten. Das Streichen der Feldmasse geht nämlich in einem Bogen gegen Nordwest, die ehemals horizontal abgesetzten Schichten erhielten durch das hebende Urgebirge im Fallen von Westen nach Osten einen Winkel von etwa 25 Grad. Diese starke Abdachung begünstigte auf der östlichen Seite die Bildung einer Schutthalde, das jetzige Vor- und Unterland, und jener gegenüberliegenden Düne; auf der westlichen Seite dagegen, wo die Schichten den Wellen entgegen sich aufrichten, jene fortdauernde Zerstörung ihres Fusses und das Nachstürzen der obern Massen, deren Schutt stets aufgelöst und weggespült wurde. Nach der Meyerschen Karte ist die hypothetische Ausdehnung der Insel am grössten gegen Osten, und wäre also in dieser Richtung am frühsten das Meer über grosse Strecken herrschend geworden; da doch die Zerstörung des Meeres von Westen her am grössten ist. Man muss also annehmen, dass entweder eine solche Ausdehnung der Insel nach Osten nie Statt gefunden hat, oder dass sie nur in einem Flachlaude bestauden, das bei abnehmendem Schutze durch die westlichen rothen Felsen auch viel rascher vom Meere verschlungen wurde. Die westliche Ausdehnung, wo der Fels auch noch höher war, nahm ab, Süd-und Nordwesthorn näherten sich durch die verminderte Längenausdehnung, der Schutz des Vorlandes und der Dünenbildung verlor sich mehr und mehr, bis endlich beide getrennt wurden, und jetzt ein Kanal zwischen beiden liegt, der in Nähe der Insel durch das Vorland in einen ,, Norder-" und ,,Süder-hafen", letzterer für die Fischerboote und Schaluppen, abge-theilt wird. Rechts oder nördlich von der Treppe befindet sich eine Einsenkung der Schichten. Von der Nordwestspitze bis zur Südspitze zählt man auf der westlichen Seite 22 Einschnitte oder Buchten und 25 Hörner. Hier bildeten sich durch das Ausspülen weicher Massen Höhlen und Felsenthore (Junggatt, Mör-mersgatt), deren äussere Theile sie waren. Am merkwürdigsten ÜBE Gyüfzet&aZcii 13 unter ihnen ist der sogenannte Hengst, nämlich die gleichfalls freistehende Nordspitze, deren Fuss wieder zu mehreren Pfeilern ausgespült ist, wie die Füsse eines kolossalen Elephanten, wozu eine kindliche Phantasie die Felsmasse ausbilden kann. Zur Zeit der Ebbe ist es auch möglich eine Wanderung zu Fusse um die Insel zu machen, mithin ragen dann noch mehr Schichtenköpfe der früher abgespülten Massen aus dem Meere und geben dem Grunde das Ansehen eines frisch gepflügten Feldes, das aber schon mit Algen und Tangen bewachsen ist. Die Möglichkeit des Herabfallens der Felsstücke, des Ausgleitens auf den immer trocknenden Steinen, oder der Ueberraschung durch die Fluth macht indessen eine solche Wanderung gefährlich. Gerade dieser Umstand zieht aber junge Damen, die auf dieser Wunderinsel mit Gefahren zu spielen bald interessant genug finden, an, die Wanderung zu machen und sollten auch hie und da Strümpfe und Schuhe ausgezogen werden müssen. Nirgends wird es deutlicher, was bunter Sandstein sei, als hier bei dem Anblick dieses ringsum abgefressenen rothen Felsens des eigentlichen Helgolands mit seinen gelblich oder grünlich weissen Schichten eines schiefrigen Thones, der sich so leicht zerbröckelt und auflös't. Gegen Osten und Nordost folgen auf den bunten Sandstein und die Klippen des rothen Wassers mit gleichen Strichen von Süden nach Nordwesten, Klippen eines Keupersandsteins (grau mit Malachit und Kupfergrün), auch gediegenem Kupfer, dann jene des Lias oder grauen Mergelschiefers, in welchem über 14 Arten von Ammoniten in Schwefelkies verwandelt, gefunden werden, meistens A Maeandrus, dessen Glieder oder Wirbel auch einzeln vorkommen und von der dortigen Jugend Katzenpfoten genannt werden. Die von Schwefelkies durchdrungene Kohle gehört auch dieser Klippenabtheilung an, eben so die Gryphiten. Im Uebergang von dieser zur Kreide liegen die Gvpsstücke, von denen der vorkommende Fasergyps herrührt. Echiniten {Sputangus), Belemniten und halb durchscheinender Kalkspath gehören der östlichen und mächtigsten Schichte der Wittkliff (w eissen Klippe) an, die aus Kreidekalk besteht. Von dieser rühren die meisten Geschiebe und Trümmer aut der Düne her, die fast ohne Ausnahme von Pholaden durchbohrt sind, deren Schalen sich noch im Innern befinden; eben 14 so die braunen Feuersteinknollen, aber auch der jaspisartige rothe Feu-erstein. Der Sand der Düne bedeckt wohl die Fortsetzuna der nördlichen Kreidefelsen, die mit Tangen und Algen bewachsen, zur Zeit der Fluth dem Meere eine violette Färbung geben, zur Zeit der Ebbe aber hie und da über dem Meeresspiegel hervortreten und eine reichliche Ausbeute von Korallen, Patellen (P. pellucida) , Seesternen und Taschenkrebsen (C. Pagurus, rothbraun), (C. Mamas, grün) gewähren. Granit giebt es häufig als Geschiebe auf der Düne und dem Unterlande; auf dem Plateau des Felsens, in der Nähe des alten Feuerthurms liegt selbst ein grösserer Granitblock, wie sich solche in der Oldenburgischen und Hannoverschen Haide finden, mit dem er auch gleichen Ursprung zu haben scheint, auf welchen sich am Ende auch die Granite im Kanal zurückführen lassen. Weiss ist der Sand der Düne und erhebt sich in mehreren Hügeln auf 60 bis 70 Fuss über das Meer, zwischen denen an einer Stelle selbst eine Wassersammlung in einer Bruimenfassung vorkommt. Sie erstreckt sich wohl 1600 Schritte in die Länge und 400 in die* Breite. Das westliche Gestade ist das flachere und ohne Rinnen und Löcher, weit hinaus sich sanft vertiefend, der beste Badestrand, der sich wünschen lässt. Weit genug ist der nördliche Theil, den die Damen benutzen, von dem südlichen der Herren entfernt. Die Hügel sind bedeckt mit einigen Sandgräsern, worunter Psamma arenaria das gewöhnliche ist; am Strande wächst die lilaroth blühende Schötchenpflanze (.Kakile maritima) mit ihren salzig saftigen gelbgrünen Blättern, und Salsola kali. Und wie steht es denn auf der eigentlichen Insel mit den Kindern Florens, wenn man von den zahlreichen Arten der Tangen und Algen, die auf den Klippen, unter der Oberfläche wachsen, absieht, und wovon die Fluth am Strande einen Wall anhäuft, der meist aus Laminaria digitata besteht und nicht den angenehmsten, wenn auch heilkräftigen Geruch verbreitet? Einheimische Bäume giebt es auf dem sonst fruchtbaren Boden des Helgolander Felsenplateau^s keine, längst sind der Hain des Fosetes und andere Waldungen mit ihrem Felsengrund in das Meer versunken und nur ein höchster Punkt, der wegen des mächtigen ungehinderten Windes gewiss von jeher kahl war, ist am längsten übrig geblieben. Ihn bedeckt ein kurzes Gras mit den gewöhnlichen, doch sehr zerstreut stehenden Blümchen des gelben Labkrauts der Schafgarbe, des Löwenzahns, der Massliebe, des weissen Klees, Hahnenfusses, dreier Arten von Wegerich, auffallend darunter der kleine Strandwegerich (Plan-tago maritima) und das sogenannte Seegras (Aemeria vulgaris); oder er ist angebaut mit Kartoffeln, selten mit Hafer oder Gerste, und hinter den Hausern zu Gärten benutzt. Am Rande der Kartoffeläcker und auf den brach liegenden finden sich die gewöhnlichen Unkräuter und die gelben Blumen eines Hederichs, an den Wegen auch Erdrauch, zwei Arten Disteln, Klettenkraut (Arctium), Käsepappel, Wolfsmilch, in den Sapskuhlen auch Sumpfbinsen und Gänserich (Potentilla reptans), in den Spalten des Felsens unter den genannten auch Küchenkohl (.Brassica oleracea) und Kamillen; in den Gärten blühen Rosen, Georginen und auch viele andere Zierpflanzen, stehen am häufigsten Hol-lunderpflanzen (Sambucus nigra) , dann auch im Garten des ersten Predigers, Herrn Langenheim, ein Maulbeerbaum, ein Aprikosen-baum, häufiger sieht man junge Pappeln und Akazien, auch den Blasenstrauch (Colutea arborescens), Johannisbeeren und Stachelbeeren; es wachsen sehr gedeihlich alle Arten Kohl, Bohnen, Möhren, diese und Bärenklau (Heracleum spondylium) auch wild, Zwiebeln, Lauche und Salat. An Wänden und Lauben klettert die wilde Rebe (Hedera quinquefolia) hinauf. Ist die Pflanzenwelt einfach, so ist es die Thierwelt noch mehr. Fliegen sind häufig in den Wohnungen, Bienen selten, stechende Mücken giebt es keine; Luft und Wohnungen sind rein und ohne quälende Insekten; einige Tagfalter, die gewöhnlichen rothen und weissen, der Rostkäfer, einige Laufkäfer (Ca-rabus), selbst auf der Düne zwei Arten Marienkäfer (Cocinella), keine Reptilien, kein Sperling, keine Schwalbe, doch alle Arien Möven und Strichvögel. Die Bewohner der See sind nicht aufzuzählen , weil die Nordsee nicht allein Helgoland angehört; Mäuse, Ratten, Hunde und Katzen habe ich keine gesehen; auch braucht man hier keine Pferde und die Stelle der lasttragenden Esel versehen die Helgolanderinnen. Zwei Kühe und etwa hundert magere Schafe müssen, an einen Nagel angebunden , im Freien das Gras immer kurz erhalten; der Mangel lehrt letztere auch Kartoffelkraut, Gemüseabfälle und selbst vorgeworfene 16 Fischreste verzehren. Sie versehen die Insulaner mit Milch. Dass Nahrung und Luft, Temperatur und Feuchtigkeit dem Menschen sehr zuträglich sind, bezeugt das kräftige Aussehen der Helgolander und ihrer von allen Fremden rühmlich genannten Mädchen. Das Klima ist jenes der Nordsee in dieser nicht beträchtlichen Entfernung von der Küste. Südwest- und Nordwestwinde sind vorherrschend und bedingen mit der wenig unter 13 Grad und wenig darüber temperirten See, mässige Wärme im Sommer und mässige Kälte im Winter. Ist die Sommerhitze auf dem Continent gegen Osten und Süden gross, dann sind die westlichen Strömungen über die See auch heftig und geben der Insel einen kühlen regnerischen Sommer. Erst im September, wenn der Sommer zu Ende geht und die nördlichen Winde wegen der längeren Tage im Norden noch nicht tief genug gegen Süden vorgedrungen sind, ist das Wetter beständiger und die Heiterkeit bei mässiger Wärme von 12° mittlerer Temperatur anhaltender. Herbst und Winter sind meist nebelig und trübe, selten giebt es anhaltend heitere Kälte, die übrigens immer geringer ist als jene auf dem nahen Continent und Schnee und Eis wenig dauerhaft macht; also ist der Winter mild, Schnee bleibt nicht liegen und Eis kennen die Helgolander nur als Treibeis aus der Mündung der Elbe und Weser 5 darum ist auch das Grün des Landes unvergänglich, das ganze Jahr gilt: ,,Grön is dat Land, Rohd is de Kant, Witt is de Sand." Gewitter sind selten und sie bringt meist der Süd- und Südwestwind. Starke Regengüsse verursacht der Kampf des Nordostwindes mit dem Südwestwinde. Die mittlere Temperatur ist nahe an 7 Grad Reaumur. In der That entgeht man hier dem heissen Sommer des Continents und empfindet regnerische rauhe Witterung im August in Hamburg weit mehr, als ähnliche auf Helgoland, wo das Meer die Lufttemperatur mildert. Wem trockne Hitze und Kälte wehe thun, der ziehe nach Helgoland und athme die kräftige, salzige Luft, die keine grosse Temperaturdifferenzen kennt, er wird sich wohl und leicht fühlen, doch ist sie für eigentliche Lungenkranke zu rauh, die es aber auch hier nicht giebt. Die Helgolander selbst wissen wenig von Krankheit und würden es noch weniger wissen, wenn sie sich nicht bloss von Fischen und Kartoffeln nährten. Der englischen Regierung gereicht zur besondern Ehre, was sie für die im Ganzen höchst dürftigen Insulaner thut. Nicht genug, dass sie vor einigen Jahren eine neue Treppe, welche Oberland und Unterland verbindet, zu dem Preise von tausend Pfund Sterling, und einen Leuchtthurm gebaut hat, welcher viele tausend Pfund gekostet haben soll; in diesem Jahre ist abermals der Bau eines neuen Schulhauses und zweier Predigerwohnungen ausverdungen, welcher unter Leitung eines englischen Ingenieurs beschafft werden soll, und ohne die Materialien, welche England auch noch hergiebt, zu 41,250 Mark veranschlagt ist. Victoria hat keinen Sechsling von Helgoland, und doch verziert sie es wie einen Tambourmajor des Meeres, oder sie behandelt das Eiland wie einen Delinquenten, der seinem Tode entgegengeht, dem sie die Henkersmahlzeiten der letzten drei Jahrhunderte an-gedeihen lässt. Die Anlage eines Hafens mit Steinwällen aber, die Helgoland vielleicht vor einem Untergange schützen könnten, dürften indessen selbst für die englischen Finanzen eine zu grosse Aufgabe sein. Der Badearzt der Insel, der Doctor von Aschen, ist ein sehr unterrichteter und erfahrner Arzt, welcher auf an ihn ergehende Anfragen sehr gerne Bescheid ertheilt. Die Seebadeanstalt ist erst seit 1826 eingerichtet und hat einen sehr guten Fortgang. Der Genuss der Seeluft ist hier reiner und kräftiger als auf den übrigen Inseln, welche Badeanstalten haben, keine Etiquette genirt die Gäste, welche sich dafür auch selten zu grösseren Versammlungen im Conversationshause reuniren, sondern sich gewöhnlich in kleinere Zirkel scheiden. Im Conversationshause, wo ein Fortepiano steht, wird gewöhnlich den ganzen Morgen musicirt. In mehreren Häusern der Insel ist table d'höte, welche im Durchschnitt bescheidenen Ansprüchen entspricht. Das Fleisch bekommen die Helgolander grösstentheils von der schleswigschen Küste und vornämlich von Husum. Am theuersten sind die Bäder, welche (die Ueberfahrt nach der Düne mit eingeschlossen) auf Ein Mark zu stehen kommen. — Indessen kann man für sechs Mark täglich alle anständigen Bedürfnisse als Badegast bestreiten. In der Saison wird hauptsächlich der Dorsch gefischt, der Hummer häutet sich alsdann und darf vom 14. Juli bis zum 14. Die Ost - und Nordsee. 3 18 September nicht gefangen werden. Makrelen werden häufig auf den Tisch gesetzt, der Schellfisch wird aber weiter entfernt, in der See, gewöhnlich nur im Frühjahr, gefischt. Der Dorsch ist hier übrigens viel kleiner als in der Ostsee. Ueberhaupt stimmen die Namen der Fische hier nicht mit denen in den Compendien der Naturgeschichte. Man isst hier „Haifische" und „Störe", die letzteren sind nur halb so klein wie ein Heering. Der Fischfang trägt den Helgolandern übrigens kaum das trockene ßrod für ihre Lebensnothdurft ein, da sie mit den an der Elbe, also Hamburg und Altona näher wohnenden Fischern, vornämlich mit den gewandten Blankenesern, concurriren, und oft bei contrairem Winde, ganz faul gewordene Ladungen über Bord werfen müssen. Wenn einst bei Hamburg eine Eisenbahn mündet und die Seefische durch ganz Deutschland versandt werden können, wird dieser Nahrungszweig der Insel freilich einen bedeutenden Aufschwung erhalten. Zwei Umstände sind es vor allen, ein physischer und ein moralischer, die in Helgoland hervortreten. — Die vom Continent entfernte Lage mitten im Meere und die grossartige Erscheinung dieses Felseneilandes, der Reichthum an Form und Farbe, der stets neue Bilder vor das entzückte Auge führt und der dadurch hervorgerufene Einfluss auf das Gemüth. Dass der Seeluft, dem Seebad andere Kräfte einwohnen, als der Luft des festen Landes, den Bädern im süssen Wasser, das wussten schon die Alten und die Neuen sind eben daran, den Kreis ihrer Erfahrungen hierüber bedeutend zu erweitern. Jene Kräfte müssen um so entschiedener hervortreten, je reiner und unverfälschter sie sind. An der Küste sind die Kräfte gemischt und getheilt. Mutter Erde und Gott Neptuu liegen im Kampfe. Nicht alle Winde bringen dort Seeluft und wer weiss, welchen Einfluss die süssen Wasser der Küste und der Landwolken auf die Salzflulhen ausüben! Wie ungetrübt ist dies Alles auf Helgoland! Der Wind mag kommen, woher er will, er führt Seeluft herbei, eine weite Fläche trennt das Eiland von der nächsten Küste, die das Auge nicht mehr erreichen kann. Der Felsen selbst erzeugt keine tellurischen Kräfte, ein Schiff mit Hochbord liegt er mitten im Meere, auf den der Wechsel der irdischen Atmosphäre nicht herüberdrängt. Sie bewahrt hier 19 die ihr eigentümliche Gleichmässigkeit in Temperatur und Feuchtigkeit viel constanter. Sodann welchen Reiz bietet Helgoland einem für Naturschönheit offenen Gemüthe! Statt der einförmigen Diinenkiiste erhebt sich der bunte Sandstein mit der grünen Decke schroff aus der See und drüben schimmert die Düne herüber, eines dem andern zur Zierde und jedes in anderer Beleuchtung immer wieder anders, dazu das Kommen und Gehen der Schilfe, die Helgolander Lootsen und ihr lustig Gewerbe. Eine andere Well ist dem Bewohner des Festlandes aufgeschlossen, tausendfältig wird das Gemüth angeregt. Jeder Sonnenaufgang im Meere ist eine neue Schöpfung, jeder Sonnenuntergang schliesst dort ein ganzes Drama voll erhabener und erhebender Gefühle ein, und davon sollte der Leib unberührt bleiben? Alltäglich sehen wir, wie Freude das Antlitz verkläret, wie der Neid so widerlich sich ausprägt, wie die Schamröthe in tausend kleine Gefässe das Blut treibt und eine ganze Kette voll der gewaltigsten Eindrücke sollte spurlos am Körper vorübergehen! Mögen das Philister glauben, deren Herz zu ist, die mit sehenden Augen blind sind, Helgoland schafft durch seine stillen Wunder. Wem aus der Mutter Erde, aus dem Alltagsleben die Dämonen erwachsen, die seine Ruhe stören, der fliehe vor ihnen nach dem Felseneiland. Ein kräftiger Herkules hebt es den geplagten Erdensohn über die Region der tellurischen Spukgeister hinauf. Beide adjuvantia sind in allen Krankheitsfällen von Werth, und würden die Helgolander Seebäder überall, wo sie angezeigt sind, kräftig unterstützen. Bald kommt dabei mehr die reine Seeluft in Betracht, wie in Drüsenleiden, bei Affectionen der Schleimhäute und langwieriger Heiserkeit, bald mehr der physische Eindruck, wie in zahllosen Nervenleiden, für welche Helgoland so recht eigentlich geschaffen scheint. Gegen die Zustände gereizter Nervenschwäche mit erethischem Blutsysteme, die vielfachen hypochondrischen und hysterischen Uebel, die man-nigfachen von den Nerven ausgehenden Schmerzen und Läh-mungen, die Verstimmungen des Gemüthes, überhaupt die sogenannten dynamischen Störungen, in denen es weniger auf materielle Ausscheidungen ankommt, gegen diese leistet Helgoland Grosses. 20 Es muss noch eine dritte Classe von Krankheiten namentlich aufgeführt werden, die freilich zum grossen Theil unter die zweite zu subsumiren ist, nämlich so viele aus der dunkeln Region der Ganglien stammende Leiden, die bald mehr als Hämorrhoidalleiden, als plethora abdominalis, bald mehr als rein nervöse Formen auftreten, Schlaf und Heiterkeit rauben und die, zumal beim weiblichen Geschlecht, so manches zum Frohsinn geschaffene Leben unterwühlen. Alles vereinigt sich in Helgoland, um erfolgreich dagegen anzukämpfen und gewiss helfen hierzu, ausser der unmittelbaren Wirkung des Seebades, der Aufenthalt in der reinen Seeluft und die wohlthuenden physischen Einflüsse mit. Das weibliche Gemülh ist empfänglicher dafür und wirkt auch wohl kräftiger auf den Körper zurück. Die ungewöhnlich grosse Zahl Damen, welche hier Hülfe sucht und findet, liefert den kräftigsten Beweis, was Helgoland in diesen Fällen leistet. Sie sind es, die an den erhabenen Naturscenen sich am meisten erfreuen; die, wenn die Boote schaukeln, mit ihrem Muthe manchen Herrn beschämen; ihnen wird dafür eine vorzugsweise segensreiche Wirkung zu Theil. Als Lootsen haben die Helgolander einen grossen Ruf, da sie kühn, zuversichtlich und nüchtern sind. Das Lootsenwesen ist auf Helgoland förmlich organisirt. Jeder, der Zutritt zu der Gesellschaft finden will, muss 24 Jahre alt sein und sich einem Examen unterwerfen, das freilich grösstentheils nur das Auswendigwissen eines Lootsenkatechismus in Helgolander Sprache erfodert. Nach dessen Bestehung erhält er eine Medaille oder den sogenannten Lootsenpfennig. Sobald ein fremdes Schiff die Hülfe der Lootsen erheischt, entscheidet das Loos. Die zur Fahrt Berufenen erwählen einen Offizier, dem unbedingt Folge geleistet werden muss. Der Erwerb wird von allen Lootsen ge-tlieilt, mithin wird dem einzelnen Theilnehmer der grösslen Gefahren oft nur sehr mittelmässig vergolten. — Ein gewisser Herr Siems, nicht der, dessen Wienbarg in seiner vortrelllichen Schrift, beiläufig gesagt, der besten, welche über Helgoland geschrieben ist, gedacht hat, sondern ein Vetter desselben, ein gescheuter und liebenswürdiger Mann, welcher sich einer hohen Achtung auf der Insel erfreut, hat mir erzählt, wie bei heftigen Stürmen die Weiber der auf der See umher 21 schaukelnden Lootsen, rasenden Mänaden gleich, zu ihm kommen, Trost und Beruhigung, ja selbst ihre Männer von ihm fordernd. Da giebt es denn freilich manche Bürger'sche Leonore, die auf ihren im nassen Element verschwundenen Wilhelm umsonst harret, und, wenn er nicht wiederkehrt, aus Liebe und Verzweiflung des Leibes ledig wird. Diese Erzählung veranlasste mich, gemeinschaftlich mit dem einzigsten Helgolander Dichter, dem ehemaligen SchifFskapitain Hans Frank Heykens, eine Idylle zu komponiren, welche die Gefahren eines Seesturms für die rettenden Helgolander darstellt. Sie mag hier ihren Platz mit ihrer Uebersetzung finden, und bemerke ich nur, dass sie, wie mehrere andere meiner Notizen über Helgoland, meinen Briefen über diese Insel, nebst poetischen und prosaischen Versuchen in der dortigen Mundart, Bremen 1840, Verlag von Wilhelm Kaiser, mit Bewilligung des Herrn Verlegers entnommen ist. Sie ist am besten geeignet, um die dritte Zeichnung „Hel- zu versinnlichen. goland im Seesturm" En Tweskenspröek änner en Sköel Luatsen uh?i dü Harrews bi Uppassen icanner Skeppen uhn Secht köhm. A. (es Olfziar). Dü Locht socht ütt es wan dü Harrewsstürmer nig füre sen. B. Dät latt so, dät skin, es wenn wie Jnlang dät Wedder n'g ha skell walt et nä es, dü Locht wart tjock en fochtig. C. Dät ohleng Stack, wat alle Harrews wär kiart. D. Doch mannigmal met An-nerskeet. E. Iwen es vergingen Juar, da hidd wi bet Uttgungen Octo-ber gudd Wedder. F- En vor tau Juar, watt hidd wi da? Ein Gespräch zwischen einer Anzahl Lootsen im Herbst, beim Avfpassen, ob Schiffe zu Gesicht kommen. A. (als Offizier). Die Luft sieht aus, als ob die Herbststürme nicht ferne sind. B. Das lässt so, es scheint, als wenn wir am Abend nicht das jetzige Wetter haben werden, die Luft wird dick und feucht. C. Das alle Stück, so alle Herbst wiederkehrt. D. Doch manchmal mit Unterschied. E. Eben wie im vorigen Jahr, da hatten wir bis Ausgang Octo-ber gutes Wetter. F. Und vor zwei Jahren, was hatten wir da? 22 G. Oh! da wiar, nog iar dü October ütt wiar, Skeppen en Mensken nuggen verlassen. A. Ha swuart wäret üp dät Weeter! ß. Dät wart en swahr Kääk. C. Nä mutt dü Skeppen herm Trallwerk all wegg. D. Diar Lieft et nigg bi, dü Reifen mutt uhn dü Mastsayels. E. Nagerad muar Winn, det skell well üpp en Sturm üttlop. F. De Locht bräckt jam uhn dü nohrelk Kant, diar kom en Blink von Dach, velucht wen wi en Sturm ütt Nohren. G. A! dü halt nig lahng uhn, stronn Heeren rechte nig lahng. A. Ja, wan Alles tu Grünn en Buddem layt, welk stahnt dan war ab? ß. Diar jahnmal duad es, dü hatt er Weesen. C. Es dog Skad om Skepp en Gudd, en vor all om Menskenleben. D. En Skepp uhn Secht, uhn dü Nordkant van di Blink! (Dü Uhren altomahl likakker.) En Skepp, en Skepp! A. Maak hast met Lotts-mitten dat dät Skepp Help went! B. En Sieler off en Rud-der? G. 0, da waren, noch ehe der October zu Ende war, Schiffe und Menschen genug verloren. A. Wie schwarz wird es auf dem Wasser! B. Das wird ein schweres Schauer. C. Nun müssen alle Nebensegel des Schiffs fort. D. Dabeibleibt es nicht, die Mastsegel müssen noch gerefft werden. E. Nach gerade mehr Wind, das soll wohl auf einen Sturm auslaufen. F. Die Luft bricht sich an der Nordseite, da kommt ein Schein zu Tage, vielleicht bekommen wir einen Sturm aus Norden. G. Bah! der hält nicht lange an, gestrenge Herrn regieren nicht lange. A. Ja, wenn alles zu Grund und Boden liegt, wer steht dann wieder auf? B. Wer einmal todt ist, der ist da gewesen. C. Es ist doch Schade um Schiff und Gut, und vor Allem um Menschenleben. D. Ein Schiff in Sicht! ander Nordseite, aus der Helle! (Die Andern allzumal zugleich.) Ein Schiff! ein Schiff! A. Macht schnell mit dem Loosen, damit das Schiff Hülfe erhält. ß. Ein Segel- oder Ruderboot? 23 A. En Rudder. Met en Sieler kann wi vor acht Reffen nig tunn. B. Denn mut wi gau wees iar dät Skepp uhn dü ßarleng ihn komt. A. Es alle Man hier? dann ley dü Riahmen turecht. B. Wi senn hir all sästein. A. Dann uhn Gotts Nahmen förwuass. B. Dat Skepp sien Flagg wayt. A. Ick low, he wayt ver-kiart. *) B. Ö hey! dann es ho uhn Nüad. A. Dann ru tu. Manntjes! hahl ütt, om Skepp en Gudd, en Mensken tu bergen! C. Dät Skepp es uhn dü Barleng , dät skell harr hol diar där tu köhmen. A. Diar komt en hollTidd jüm uhn, — liat ley wör. H. Ley es.**) A. Liat dü diar Stärtsee nog awer gung, dann mutt wi där dü Barleng hen satt. (Alltumahl.) Uhn Gotts Namen. A. Nä es et en siecht Tidd, Manntjes! Hura ! där dü Barleng hen! (Alltumahl.) Hura! Om en gudd Vertienst! A. Ein Ruderboot. Mit einem Segelboot kann man vor acht Reffen nicht stehn. B. Dann müssen wir schnell sein, ehe das Schiff in die Brandung kommt. A. Sind alle Leute zur Hand? die Ruderstangen zurecht. B. Wir sind hier alle sechszehn. A. Dann in Gottes Namen vorwärts. B. Des Schiffes Flagge weht. A. Ich glaube, sie weht verkehrt. B. 0 weh! dann ist es in Noth. A. Dann rudert zu, Leutchen ! holt aus, damit Ihr Schiff und Gut und Menschen bergt. C. Das Schiff ist in der Brandung, es wird hart halten, da durch zu kommen. A. Da kommt eine hohle Brandung gegen an. Lasst liegen vorne. H. Es liegt. A. Lasst die letzte Sturzwelle noch vorüber, dann müssen wir durch die Brandung hinsetzen. (Allzusammen.) In Gottes Namen. A. Nun ist eine schwache Brandung, Leutchen! Hurrah! durch die Brandung hin! (Allzusammen.) Hurrah! auf guten Verdienst! *) Wenn die Flagge verkehrt weht, so ist dies ein Zeichen der Noth. **) Der Jüngste von Allen sitzt auf der vordersten Ruderbank. B. Dät Skepp sien Mastsayel slayt en Stücken. C. Dü Maskwuat es Sprüngen. D. He hett kehn Skepps Macht muar. (B. tu A.) Watt fange wi uhn? A. Uhn Burr, je ar je lie-wer, wi mutt ny en siecht Tidd passe om uhn Bürr tu köhmen. B. Dan mutt wi dü hier bös Tidd awergung Hat 9 dii See es allmachlig gröw, dät skell swÖhr hol uhn Burr tu köhmen. C. Wi mutt en skell uhn Burr, dät Skepp es uhn Sinken, si jüm nig, dat all dät Wulk uhn dü Pump es? A. Stopp vor, skone Mast-beenk. Passe iip et Vörtog. Ru to, allerweegen. A. (Recht but Skepp rabt A tu dü Captain.*)) Wo kummt de Reis von dann? Captain. Von Brasilien. A. Wo geith de Reis na to? Capt. Na Hamborg. A. Is hee ock unner Karan-tähn? oder hält hee ehnen reinen Gesundheitspass? Capt. Mien Papieren sind rein, ick heff keen Karautähn. B. Die Mastsegel des Schiffes zerschlagen in Stücke! C. Die Mastschote ist gesprungen. D. Das Schiff hat keine Macht mehr. (B. zu A.) Was fangen wir an ? A. An Bord, je eher je lieber, wir müssen auf eine schwache Brandung achten, um an Bord zu kommen. B. Dann müssen wir hier die starke Welle übergehen lassen, die See geht allmächtig stark, es wird schwer halten, an Bord zu kommen. C. Wir müssen und sollen an Bord, das Schiff ist im Sinken , seht Ihr nicht, dass alle Mannschaft an der Pumpe ist? A. Stark rudern vorne, halt an Mastbank. Pass' aufs Vortau. Rudertzu. Von allen Seiten. A. (Dicht beim Schiff ruft A dem Capitain zu). Wo führt Euch die Reise her? Capitain. Von Brasilien. A. Wohin geht Eure Reise? Capit. Nach Hamburg. A. Steht Ihr auch unter Qua-rantaine? Oder habt Ihr einen reinen Gesundheitspass? Capit. MeinePapiere sind rein, ich habe keine Quarantaine. *) Die nunmehrigen Anreden und Antworten geschehen (bis zu den drei Sternen) in einem Küstenplattdeutsch, dessen die meisten Schiffer kundig sind. 25 A. Worin besteit de Ladung? Capit. In Koffe und Zucker. A. Will Hee Lootsen hebben, oder is nog besonders Help von Nöden? Capit. Dat se'et Jih wull, datt ick nog besonders Help hebben mot, da min Volk von lange anholende Arbeit äff is, un ick dessfalls nig allehn Lootsen, sondern ohk Arbeits-lüd' benödigt bin. A. Hätt He' sien Anker un Tauen nog vullständig? Capit. Nä, ick heff man ehn mehr an, mine best Anker un Tau heff ick opp de Nordküst verjähren un darto is min Schipp schwahr leck. A. Vorlangt Hee denn, dat wi mit alle Mann bi Em blievt? Capit. As Jih mien Schipp un God retten könnt, ja wulL A. Na, denn betalt Hee, falls wie Sien Schipp un God glücklich in en seekern Hafen bringt, uns, vor söstein Per-sohnen un de Schluppe, fifdu-send Mark Kurant. Capit. Gott bewahr, dat is fahl Geld. A. 3\ich to fahl, wi wagen ock us Leben un laaten uns von Fro un Kinner afköpen, Die Ost - und Nordsee. A. Worin besteht die Ladung? Capit. Aus Kaffee und Zucker. A. Wollt Ihr Lootsen haben, oder ist noch besondere Hülfe vonnöthen? Capit. Das seht Ihr ja wohl, dass ich noch besonders Hülfe haben muss, da meine Mannschaft von langer anhaltender Arbeit entkräftet ist, und ich desfalls nicht allein Lootsen, sondern auch Arbeitsleute be-nöthigt bin. A. Habt Ihr Anker und Taue noch vollständig? Capit. Nein, ich habe nu? eins noch, meine besten Anker und Taue habe ich an der Nordküste verloren und dazu ist mein Schiff schwer leck. A. Verlangt Ihr denn, dass wir mit der ganzen Mannschaft bei Euch bleiben? Capit. Wenn Ihr mein Gut und mein Schiff rotten könnt, „jawohl." A. Na, dann bezahlt Ihr, falls wir Euer Schiff und Gut glücklich in den Hafen bringen, uns, für sechszehn Personen und die Schaluppe, fünftausend Mark Courant. Capit. Gott bewahre, das ist viel Geld. A. Nicht zu viel, wir wagen auch unser Leben und lassen uns von Frau und Kind abkaufen, 4 um Sien Schipp un God un Minsehen lo bargen. Capit. Na, ick will betalen, wat recht is. C. Wat is recht? Wenn Hee mit Sien Schipp erst glücklich binnen is, denn kriegt de Schiffmaklers Em faht, denn is da nicks wäsen as moye Wedder un klare Luft, un ebn ohle Fro bar Em binnen bringen kunnt. A. Stell, hohl dü Mütt. Capit. Laat et denn opp go-de Männer ankahmen, wat de utspräcken, schall ues beider-siedig recht sihn; um de Wahrheit to seggen , kann ick min Journal ja vorwiesen. A. Obglik wi sehr oft karglich von gode Männer Utsprahk be-talilt worden sind , so wollt wi düttmal nog wedder uhs Leben bi Em wagen. Sehr hart un schmarlfull is et uns aber, datt Jih uhs Land im Sommer nig kennt, un wi in Harfst un Winter nicks als Nothhelpers sien möht. Capit. Dat liggt buten mien Kraft, genog, Jih hebbt nu öwer mien Schipp un God to befehlen. Maakt, dat Jih glücklich damit binnen kabmt. A. *** (tu sien Manskap). De Halleften uhn de Pump, un de Halleften rechte Sayels ab, wuar um Euer Schiff und Gut und Menschen zu bergen. Capit. Nun, ich will bezahlen, was recht ist. C. Was ist recht? Wenn Ihr erst glücklich mit Eurem Schiffe binnen seid, dann kriegen die Schiffsmäkler Euch zu fassen. Dann ist da nichts gewesen, als schönes Wetter und klare Luft, und eine alte Frau hätte Euch binnen bringen gekonnt. A. Still, halt das Maul. Capit. Lasst es denn auf gute Männer ankommen, was die aussprechen, soll uns beiderseitig recht sein; um die Wahrheit zu sagen, kann ich mein Journal ja vorweisen. A. Obgleich wir sehr oft kärglich durch guter Männer Ausspruch bezahlt worden sind, so wollen wir diesmal doch wieder unser Leben für Euch wagen. Sehr hart und schmerzvoll ist es uns aber, dass Ihr unser Land im Sommer nicht kennt, und wir im Herbst und im Winter nichts als Nothhelfer sein müssen. Capit. Das liegt ausser meiner Kraft, genug, Ihr habt über mein Schiff und Gut zu befehlen. Macht, dass Ihr glücklich damit binnen kommt. A. (zu seiner Mannschaft). Die Hälfte an die Pumpe , und die Hälfte richtet Segel auf, 27 ja am Basten passe, dan wat aog önner Raa es, det is ter-reven. Du uhnt Ruhr stühre Südwest, om jäpp Weeter to wenne, dan mut wi Natlho-wen ihn, en dar dü Wahl Siele twesken det Lunn en dü Hallem dör. ß. Wat tcenkst dü denn, skeli wi uhn Südhowen tu Anker gung en nem en Anker en Tayw mu$r vant Lun uhn Burr? A. Nähn, de Winn es N0I1-ren, wi mütt met iahns na de Ellew tu lense am binnen tu köhmen. ß. Dan awerfalt üs dü Nagt iar wi en Howen wenn. A. Dätt mutt diar üp uff, datt dü Locht heno met Sännenäner-gang omklahrt, en dü Führen dar köhm, dät Luad mult aber konterwierig gung. B. Wan dät aber so junk bleft, en wü si us twungen uhn dü Ellew tu ankern, wat dan? wi ha man iahn Anker en Tag, en dät bü Sturmwed-der. — A. A! watt? wan dü Ilem-mel deelfallt, ley wi diar all änuer. Nä, dann uhn Gotts Nahmen. A. Stühre Süd-Süd-Ost! Lick twesken dät Lun eu dem Hallem dör. wo sie am Besten passen, denn was noch unter dem Raa ist, das ist zerrissen. Der Mann am Ruder steure Südwest, um ein tiefes Wasser zu finden, dann müssen wir in den Nordhafen, und durch die Meerenge zwischen Land und Düne. ß. Was meinst Du denn, sollen wir im Südhafen zu Anker gelin ? und einen Anker und ein Tau von Helgoland an Bord nehmen? A. Nein, der Wind ist Nord, wir müssen eilig nach der Elbe zu lenzen, um binnen zu kommen. B. Dann überfällt uns die Nacht, bevor wir den Hafen finden. A. Das muss darauf hin, dass die Luft sich mit Sonnenuntergang aufklärt, und die Leuchtfeuer durchkommen. Das Loth muss aber immerwährend gehn. B. Wenn das aber so dick bleibt, und wir uns gezwungen sehen in der Elbe zu ankern, wras dann? wir haben nur einen Anker und ein Tau, und das bei Sturmwettcr. — A. Ei was? wenn der Himmel niederfällt, liegen wir Alle darunter. B. Nun denn, in Gottes Namen! A. Steure Süd-Süd-Ost! gerade zwischen Insel und Düne durch, 28 E. Fräsk Vulk bü dü Pump! D. Well Maath! A. Spore Jüm ock datt dät Weeter männert? E. Nähn, det is noch All det Sallewske, diar es nog immer tree en huallew Futt Weeter uhnt Skepp. A. (tu dü Mann uhnt Ruhr). Stühre Süden, om dü Stört von dü Ahd*) tu mieden. B. Sönn er gudd Tagen fast uhn dü Rudder? C. Ihrenfast. B. Well, det es ock nödig, dann wann dat Skepp störrt, mütt dü Rudder uhs Liffberger wees. A. (tu dü Mann uhnt Ruhr). Stühre Süd-Ost en Süden, lick tu, es dü noyst Woy na de Ellew. B. Na, wi skell Day nugg tu korrt köhmt. A. Dät es nigg tu ännern, wi mutt et nem es et kommt. B. Dät Lun bejunket uhn deKääk. Wi mutt üp fiey Glees **) luade. A. Ja, uhnt sösst Glees senn wü yör dü Grünn. B. En dann es et Nagt. E. Frische Mannschaft an die Pumpe ! D. Wohl Kamerad. A. Spürt Ihr, dass das Wasser sich mindert? E. Nein, das ist noch immer das Nämliche, da ist noch immer drei und ein halb Fuss Wasser im Schiff. A. (zum Mann am Ruder). Steure Süd, um die Sturzwelle der Ahd zu meiden. B. Sind die Tauen gut fest im Ruderboot. C. Eisenfest. B. Nun, das ist auch nöthig, denn wenn das Schiff stürzt, muss das Ruderboot unser Lebensretter werden. A. (zudem Mann am Ruder). Steure Süd-Ost und Süd. Gerade zu ist der nächste Weg in die Elbe. B. Ja, wir werden Tageslicht genug zu kurz kommen. A. Das ist nicht zu ändern, wir müssen es nehmen, wie es kommt. B. Helgoland wird vom Wetter verdunkelt. Wir müssen bei dem fünften Glase sondiren. A. Ja, bei dem sechsten Glase sind wir an der Untiefe. B. Und dann ist es Nacht. •) Ahd, die Südspitze der Sandinsel, welche Helgoland gegenüber liegt. Eine Sturzwelle zertrümmert hier einen Dreimaster. **) „Glees", halbe Stunde. Dx-u.dk -y. 7. eh 1 in irpz .(Sea.v. J. H. Sander 29 A. Liat üs man iarst diar iahn üp nem, dan wen wi muar Mudd. B. (Tu all de Uhren). Prost üp moy Wehr en klar Hem-mel! (Alltomal.) Dat jiehw Gott! A. Lass uns nur erst einen darauf nehmen, dann kriegen wir mehr Muth. B. (zu allen Andern). Prosit, auf gutes Wetter und klaren Himmel! (Allzusammen.) Das gebe Gott! Führ. Grosse Erinnerungen an ungeheure Naturereignisse der Vorzeit knüpfen sich an den Anblick der zerrissenen Inselgruppe der Westsee. So wird der Theil des nordischen Oceans genannt, welcher die westliche Küste der cimbrischen Halbinsel bespült und aus dessen Grunde vor vielen kleinen Inseln besonders die beiden grössern, ,,Föhr" und „Sylt", sich erheben. Diese Inseln hatten in der Vorzeit nicht allein unter sich, sondern auch mit dem festen Lande Verbindung. Einst soll ein langer Landstrich von Jütland bis nach Schottland hinaus gereicht haben, die Wellen haben ihn verschlungen, ein Ueberbleibsel davon ist das grosse Jütsche RifF, jene Dünenreihe, welche längs der Westküste sich hin zieht, den Seefahrern Gefahr bringt, aber dazu gedient hat, dass hinter derselben, in den Tiefen der Binnengewässer, das eingedrungene Seewasser in Ruhestand getreten ist. Dadurch hat das Marschland sich gebildet; nur wo der Wellenschlag zu stark ist, hat keine Marschbildung Statt finden können 5 deshalb zeigt sich diese so wenig an der Jütschen Küste, wie an der Westseite der Friesischen Eilande. Bis zur zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts hatte Nordfriesland, wozu auch Föhr gehörte, eine ganz andere Gestalt. Die durch ihre Landesbeschreibung so bekannt gewordenen Schriftsteller des siebzehnten Jahrhunderts, Caspar Dankwerth und Johann Meier, haben eine Karte dieser Gegend von Kleinoder Nordfriesland geliefert, welche die Gestaltung derselben um das Jahr 1240 angiebt. Meier benutzte ein altes Verzeichniss der Friesischen Kirchen; nach Anleitung dieses Verzeichnisses befuhr er die Küsten fleissig mit alten erfahrenen Leuten ; die 50 Erinnerung an die Verheerungen der Fluthen war tief eingeprägt bei den Insulanern und gewiss vom Vater auf den Sohn vererbt. Es ist demnach kein Grund vorhanden, Meier's Karte den Glauben zu versagen, geognostische Beobachtungen und geschichtliche Nachweisungen haben auch dazu gedient, jene vielfach angefeindeten Angaben zu retten und zu bewahrheiten. So sind gegenwärtig nur noch drei Kirchen auf Föhr, eine vierte, die „Hanum" hiess, ist vergangen, die Spur des Kirchdorfs ist jedoch in einem Orte zu finden, der gegenwärtig „Oevenum" heisst und von den Alten ,,Hevhanum" genannt wurde. Die Werften eines zu dieser Kirche gehörigen Dorfes ,,Steinsolt" führen noch diesen Namen, an ein untergegangenes Dorf „Ribbel" erinnert noch der ,,Ribbeistieg", ein Weg, der auf der Bo-dexumer Geest nach der Nicolaikirche führt. Die Trennung von Föhr und Sylt durch Fluthen war schon 1216 geschehen, also, dass beide Inseln, wie der alte ostfriesische Geschichtsschreiber „Heimreich" sagt, nicht wieder an einander gehängt werden mögen. Lange aber trennte nur noch ein schmales fliessendes Wasser die beiden Inseln und nach einer alten Sage hat man zur Ebbezeit von Föhr nach Sylt zu Fusse gehen können. Die Fluth in der Neujahrsnacht 1362 schied die Inseln für immer. Föhr und die jetzige Insel Amrum werden in der Urkunde von 1240 noch als „Osterharde" aufgeführt. Nach Amrum wandern zur Ebbezeit noch oft Fussgänger, dergleichen von Föhr nach der Widingharde des Amtes Tondern. Im Südwesten Föhrs liegt die Inselgruppe der Halligen. Als die grosse Fluth des Jahres 1634 die Insel Nordstrand zerriss, entstanden aus dem grössern Eilande die beiden grössern Inseln „Pellworm" und ,,Nordstrand." Diese wurden mit grossen Kosten eingedeicht ; eilf kleinere Inseln blieben als Halligland offen liegen. Die Erdfläche dieser Halligen besteht aus einem aufgeschlemmten, fetten Kleiboden, sie erhebt sich nicht mehr als drei bis vier Fuss über den Stand der gewöhnlichen Fluth, und die Häuser sind auf Werften, Erdhügeln von 12 bis 14 Fuss Höhe, die weder Bollwerk noch ßestickung mit Stroh haben, erbaut. Das Erdreich trägt hier kein Korn, es wächst kein Baum, es blüht keine Blume, keine Quelle bietet klares Wasser, kein Vogel singt; nur schrillende Wassermöven in zahlloser Menge um- 31 kreischen diese Erdflecke, die unbelebt und finster im todten Weltmeere liegen. Ein ebener grüner Rasen bedeckt diese Eilande ; eine hohe Fluth überströmt sie stets, deshalb kann kein Korn hier gebaut werden. Auf diesen Erdhügeln wohnte ein friedliches Schilfervolk, alte Einfalt der Sitten, frommen Glauben und hohen Muth der Friesischen Väter bewahrend. Die Finthen des Februars 1825 vernichteten dies stille Dasein auf eine Weise, dass man anfangs Bedenken trug, für die Herstellung der kümmerlichen Wohnsitze Sorge zu tragen. — Auch auf Föhr, welche Insel zur Hälfte aus Marsch, zur Hälfte aus Geest besteht, bewohnte man in frühern Zeiten Werften in der Marsch. Seit der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts sind diese Wohnungen verlassen worden: damals war die Bedeichung der Insel bereits geschehen, sie deckt Föhr an drei Seiten; im Süden schützt das hohe Geestufer, den besten Schirm aber geben, da wo die Westsee ihre stärkste Gewalt ausüben könnte, die Inseln Amrum und Sylt. Es ist also nur die Geest in der südlichen Hälfte der Insel gegenwärtig bewohnt; sie ist hoch, Ueberschwemmungen nicht ausgesetzt, aber mager und heidicht. Der Name Föhr wird gewöhnlich von dem Worte, welches auf eine Ueberfahrt hindeutet, abgeleitet; von Einigen auch von dem friesischen Worte ,,För", so viel als Schutz bedeutend, womit Förlun, Vorland, in Verbindung steht. Richtiger ist wohl die neuerdings aufgestellte Vermuthung: das zu Grunde liegende Wort, ,,Far, Vare", beziehe sich auf Seeraub. V argur und Wickunger bedeutet das Nämliche: Räuber; viele Orte an den Küsten haben solche Bezeichnung vom Seeraube, so die Faroer, Lindesfare an der Küste Northumberlands, das uralte Warthunga oder Wardingborg, selbst Helgoland, von Einigen Ferria genannt. Föhr liegt kaum eine Meile vom festen Lande entfernt; die Ausdehnung von Süden nach Norden beträgt eine Meile, von Osten nach Westen etwas mehr. Die Zahl der Einwohner mag sich gegenwärtig wohl auf 6000 belaufen. Ausser dem Flecken Wyck sind sechszehn Dörfer auf der Insel: Boldixum, Wrixum, Oevenum, Midlum, Alkersum, Nieblum, Goling, Burghum, Witzum, Heddesum, Uittersum, Dunzum, 32 Oldsum, Klintum, Tüftum und Süderende. Diese Dorfer gehören zu den drei Kirchen: St. Nicolai, St. Johannis und St. Lau-rentii. Die Johanniskirche steht in Nieblum, die Nicolaikirche, zu welcher Wyck gehört, an der Grenzscheide der Dörfer Wri-xum und Boldixum. Föhr wird in zwei ungefähr gleich grosse Hälften, in Oster-land und Westerland getheilt. Osterland mit Wyck gehört zum Herzogthum Schleswig, Westerland seit 1400 zum Königreich Dänemark. Der bedeutendste Ort auf Föhr ist der in der Zeichnung vor uns liegende Flecken Wyck. Auf einem hohen Sandufer sieht der vom festen Lande Kommende, den die Fähre von Da-* gebüll nach der Insel führt, in einer Länge von sechszehnhundert Fuss eine freundliche Reihe von Häusern, die eine Allee vom steilen Ufer trennt. Diese Reihe bildet mit der im Norden an-stossenden Hauptstrasse einen rechten Winkel. Ein Ort Wyck wird schon auf Dankwerth's Karte von 1240 angeführt; hier hatten an einer Bucht Fischer ihre Hütten sich gebaut. Der jetzige Flecken ist erst 1602 entstanden. Als 1634 die Fluthen viele Halligen zerstörten, begaben die Einwohner sich nach Föhr und bevölkerten Wyck. Im Jahre 1658 hatte Wyck 36 Wohnungen und 172 Einwohner ; im Jahre 1757 schon 181 Wohnungen* Die höchste Volkszahl mag 772 Seelen betragen haben. Die Fleckensgerechtigkeit ist dem Orte am 13. April 1703 verliehen worden. Bis zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts diente ein Vorland, welches ,, Salzgras'* genannt wurde, den Einwohnern zum Hafen. Als eine Verschlickung diese Stelle unbrauchbar machte, suchte der Einwohner Johann Feddersen um eine Octroi zur Anlegung eines Hafens nach; das damals zu Stande gebrachte Werk wurde aber durch die Fluth von 1717 zerstört. Ein zweiter 1763 unternommener Hafenbau hatte gleichfalls nur einige Jahre, nur so lange der damalige Gerichtsvogt Boye Lohsen lebte, und eifrige Sorge dafür trug, Bestand. Mit vielen Kosten ward endlich 1806 ein dauerhafter Hafen erbaut, der bis dahin sich bewährt hat und die Schiffe gegen alle Stürme zu sichern vermag. Entfernteren ist Wyck durch die dort 1829 gegründete Badeanstalt bekannter geworden. Der Gründung ging eine Fehde 33 Über den Werth der Ostsee- und Nordseebäder, geführt vor dem Publicum von zwei ausgezeichneten Männern Holsteins, dem Professor Hegewisch und dem Kammerherrn von Warnstedt, voran. Die AVortredner für Föhr suchen dem Seebad daselbst einen grössern Werth beizulegen, als irgend einem andern Bade der Nordsee. Wenn man in Nordernei nur 250 Gran salziger Bestandtheile findet, so ergiebt ein gleiches Gewicht Wasser bei Föhr 270 bis 300 Gran. Das Bad hat sich bewährt bei rachitischen Uebeln, bei Lähmungen, Gicht und Rheumatismus, bei Scropheln, bei Fehlern der Sinnesorgane und bei Nervenübeln. Die Stelle, wo kalt gebadet wird, ist ungefähr eine Viertelstunde vom Flecken entfernt. Man fährt für wenige Schillinge dorthin, um nicht vorher zu sehr erhitzt zu werden und geht am Strande oder über Wiesenland zurück. Die Badekutschen sind nach dem Muster der Englischen bequem und gut eingerichtet. Der Meeresgrund ist reiner, feiner Sand 5 ohne Steine, sicher und nur allmählig sich abdachend. Zu warmen Bädern ist im Flecken selbst in der Nähe des Wirtschaftsgebäudes eine Anstalt eingerichtet. Die Fremden logiren bei den Einwohnern des Fleckens in reinlichen freundlichen Wohnungen. Ein Zimmer pflegt wöchentlich nur 4 Mark 8 Schill, zu kosten. Der Badearzt daselbst, bekannt durch eine kurze, aber geistvolle Brochure über die Insel, ist der Doctor und Physicus G. Eckhoff, ein Bruder des in Holstein so berühmten Itzehoer Arztes. Uebrigens sind die Finanzen der Badekasse sehr drückend, und ohne Unterstützung, die jetzt sehnlichst vom König erwartet wird, sieht die Sache wegen der rückständigen Schulden misslich aus. In früheren Zeiten war Schilffahrt der vorzüglichste Erwerbzweig der Einwohner. Schon im vierzehnten Jahrhundert waren die nordfriesischen Seeleute weit berühmt in Europa. Seit dem siebzehnten Jahrhundert widmeten die Schifffahrer sich grösstenteils dem Wallfischfang und waren auf Holländischen und Englischen Schilfen gern gesehen, auch oft zu Commandeuren und Harpunirern genommen. I11 den Jahren von 1720 bis 1769 war das Verhältniss der Seefahrenden zu der Volksmenge wie 1 zu Die Weiber betrieben die Landwirtschaft; sie führten und leiteten den Pflug, sie eggten und säeten und besorgten die Heu-und Kornerndte. Wenn das Frühjahr herannahte, verliess der Die Ost- und Nordsee. 5 grösste Theil der Einwohner männlichen Geschlechts, selbst Knaben von zehn und Greise von achtzig Jahren , — die Insel, und kehrte im Herbst mit dem erworbenen Verdienst zurück. Schon mehrere Wochen vor der Abreise sah man die Hausgenossen der Abreisenden beschäftigt mit Instandsetzung alles dessen, was zur Reise erfordert wurde. Die Seefahrer wurden von den Ihrigen, begleitet von Predigern und Beamten, auf die Schiffe geführt; man winkte ihnen vom Ufer und von den Höhen Grüsse und Lebewohl zu, bis mau sie aus den Augen verlor. Die sehnlich erwarteten Tage ihrer Rückkehr waren Jubelfeste für die Insel. Seit dem nordamerikanischen Kriege wurden Kauffahrtey-schiffe mehr als Grönlandsfahrt üblich; seit dem Kriege, der 1807 mit England ausbrach, ging dieser Nahrungszweig grösstentheils ein, dagegen wurden die Föhringer viel zur Bemannung der königlichen Kanonenböte verwendet. Eine vorherrschende Neigung für das Seeleben ist noch immer in den Erinnerungen der Alten, in den Lebensplanen der Jugend geblieben * im Allgemeinen ist aber gegenwärtig der Ackerbau vorherrschende Beschäftigung geworden, besonders seitdem die Theilungen der Gemeinheiten und die Verkopplungen, mit denen 1770 der Anfang gemacht wurde, von der Regierung eifrig betrieben und, nach Besiegung der anfangs dagegen herrschenden Vorurtheile, durchgeführt sind. Im Herbst 1840 sind allein an verschiedenen Kornarten für über 60,000 Thlr. ausgeführt. Die Lebensweise der verschiedenen Völker übt einen so entschiedenen Einfluss auf die Sinnesart, dass man oft die grösste Verschiedenheit bei den Nachbarn des nämlichen Stammes findet. Vorherrschende Eigenschaft des Seemanns sind Biederkeit, Geradheit, freilich oft in der Uebertreibung misfällige Erscheinungen, im Allgemeinen Tüchtigkeit, ohne welche der Seefahrer seinen Platz nicht zu füllen vermag. Noch ist der alte Menschenschlag auf Föhr kennbar, noch ist der Geist nicht erloschen, der den Insulaner weit in den Ocean trieb und den er zurückbrachte , und noch in den nächsten Geschlechtern wird man mehr den einstigen Seemann, als den nunmehrigen Ackerbauer finden. Treue und Redlichkeit galt hier vor einigen Jahren noch so hoch, dass man die Schlösser der Thüre fast für unnö-thig hielt. in Betreff der Sittlichkeit findet man auf Föhr den auffallenden Gebrauch zu rügen, welcher hier „Corteln" wie Kil-gang in der Schweiz und „Fenstern" auf der Insel Fehmeru genannt wird. Gegen solche nächtliche Zusammenkünfte junger Leute beiderlei Geschlechter wurden schon vor ungefähr hundert Jahren vergebens Verordnungen erlassen. Die Insulaner sprechen vier verschiedene Sprachen, das alte Friesische, das Föhringsche (eine Mischung, die besonders nach 1634 entstand, als viele Fremde von andern Inseln der Westsee einwanderten), das Dänische und das Deutsche. Die Trachten hatten bis auf die neueste Zeit viel Eigenthümliches, jetzt siegt auch hier Mode über Volkssinn und Volkstracht. Die Wohnungen sind zwar alle auf der Geest, jedoch nahe bei den Marschländereien erbaut. In jedem Dorfe findet man stattliche Häuser mit freundlichen Gärten. In diesen trifft man Fruchtbäume , sonst ist die Insel baumleer. Seit 1748 haben die Einwohner einen Entenfang angelegt ; die hier gefangenen wilden Enten werden Schmennen genannt. Zum Robbenfang ziehen mehrere Bewohner auf die nahe belegenen Sandbänke. Austern kann man zur Ebbezeit am abgelaufenen Strande greifen. Föhr ist ein Ueberbleibsel des alten Nordfriesland. Hier hatte sich bis auf die neueste Zeit das Allfriesische in Sprache, Sitte und Tracht am Längsten erhalten. Die Föhringer halten ihre Sprache, welche dort verschieden von der Neufriesischen gesprochen wird, für das ursprünglich Friesische, sich selbst für die Nachkommen der alten Cimbern, die zurückgeblieben, als der grosse Zug ihrer Landsleute nach Italien geschah. Von der ältesten Zeit sind uns keine Nachrichten überliefert. Aus dem fernsten Alterthum findet man hier, wie auf Sylt, eine Menge von Todtenhügeln. Es hat aber an sorgsamen Händen gefehlt, welche daraus Gewinn für die Alterthumskunde hätten ziehen können und seit der Verkoppelung sind die meisten Ueberbleibsel unter Spaten und Pflug verschwunden. Alte Sagen reden von einem Tempel des Jupiter auf der Insel, dessen Stätte Dankwerth auch nicht unterlassen hat, auf seiner Karte von 1240 nachzuweisen. Gewiss waren manche Föhringer mit auf dem Zuge der Angelsachsen nach Britannien; merkwürdig ist es, dass eine 56 in England übliche Geldart noch in alten Hebungsregistern der Insel vorkommt. Föhr theilte das Schicksal des alten Nordfrieslands, über welches früher die Könige von Dänemark Hoheit übten; seit dem vierzehnten Jahrhundert ergaben sich die Friesen dem Holstein-schen Grafenhause. Westerlandföhr gehörte dem mächtigen Geschlecht der Lembeck, die auch sonst noch grosse Güter im Herzogthum Schleswig besassen. Claus Lembeck war Oberhauptmann des 1340 ermordeten Grafen Gerhard des Grossen. Er diente auch dessen Sohne Heinrich und zeigte sich lange als entschlossener Feind des Königs Waldemar IV. Nachmals trat er auf die Seite des Königs und wurde Reichsmarschall in Dänemark. Es entstand aber zwischen dem König und ihm Misshelligkeit; Waldemar IV., welcher ein sehr jähzorniger Herr gewesen, wollte Claus Lembeck in siedendes Wasser werfen lassen; der Reichsmarschall ward zeitig gewarnt und entfloh. Er begab sich nach Föhr und legte hier bei dem davon benannten Dorf Burgsum eine ßurg an, um sich gegen den König zu schützen. Die Burg war in der niedrigsten Gegend der Marsch erbaut, damit der Ritter sich von dort leicht auf seine SchifFe retten konnte. Noch erkennt man die Spuren der Burg mit einem breiten Graben; auf der Burgstelle ist ein Brunnen, der zu jeder Jahreszeit schönes kaltes Wasser enthält. König Waldemar erschien selbst auf Föhr, er belagerte Claus Lembeck und hoffte, ihn durch Hunger zur Uebergabe zu zwingen; dieser entfloh aber mit einem kleinen Boote und entkam nach Widding-harde. Seine Nachkommen verpfändeten im Jahre 1400 Westerlandföhr für 5000 Mark Silber oder 40,000 Reichsthaler an die Königin Margaretha. Das Pfand wurde nicht eingelöset und dieser Theil von Föhr zum Stift Ripen gelegt blieb auch seitdem immer bei Dänemark. Westerland machte eine Birkvogtei des Stiflamts Ripen, Osterland dagegen eine Landdrostei des Amts Tondern aus und gehört zum Herzogthum Schleswig. Die beiden Landestheile sind in Ansehung der Comniunalverwaltung und Rechtspflege völlig getrennt. In den Gerichten findet man die alten Volksgerichte der freien deutschen Stämme vollständig erhalten. Es steht den Einwohnern frei, das Volksgericht oder das Erkenntniss des Landes- und Gerichtsvogtes zu wählen. An TtoL-nft Anstalt 37 Absetzung des Schatzes und der Steuer nehmen die Repräsentanten der Landschaften Antheil. Alles Land ist freies Eigenthum, adelige Besitzungen giebt es nicht auf der Insel. Föhrs spätere Geschichte hat nichts von politischen Veränderungen oder Ereignissen aufzuweisen. Nur der fortwährende Kampf mit den Elementen, von welchen die Insel umwogt wird, giebt eine Unterbrechung der immer gleichen Einförmigkeit des insularischen Lebens. Am Furchtbarsten seit unvordenklicher Zeit sahen unsere Tage eine Erneuerung des alten Kampfes mit den Wellen. Zwei Tage hatte ein heftiger Wind geweht, als dieser in der Nacht des 3. Februar 1825, als gerade Springfluth eintrat, zum Orkan ward. Um Mitternacht erhob sich plötzlich die See 16 bis 17 Fuss über die Mittelfluthen. Deiche und Fluthen wurden an mehreren Stellen weit überstiegen und bald erfolgten mehrere Grundbrüche im Norden und Westen der Insel. Die See stürzte sich in das Land und überschwemmte die ganze Marsch, wie auch einen bedeutenden Theil der niedern Geest. Um fünf Uhr Morgens hatte die Westsee Besitz von etwa 3/4 der Oberfläche Föhrs genommen. Häuser, welche nicht höher gebaut waren als die Fluthen von 1817 und 1818 gereicht hatten, wurden weggerissen, ganzen Familien blieb kein anderer Ausweg als Rettung durch Durchwaten nach höher belegenen Stellen. Den ganzen Tag über behielt die See ihren Stand; selbst im Flecken Wyck erfolgte ein Durchbruch des Spülkogs im Hafen. Am Morgen des 4. Februar sah man vor Föhr die Verwüstungen, welche der Sturm auf den Halligen angerichtet hatte. Auf mehreren Werften waren die Wohnungen ganz vertilgt, auf andern erblickte man bloss das übrig gebliebene Stenderwerk. Man schickte Böte mit Lebensmitteln umher und brachte einen Theil der Geretteten nach Föhr. Wangeroge. Wangeroge hat seinen Namen von dem Küstenstriche jj Wangerland44, mit dem es einst verbunden war. Die grossen Cimbrischen Fluthen , welche zwei Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung grosse Strecken von den Nordseeküsten abrissen und durch weitere Vertiefung der Strömung eine Menge selbst- itändiger Inseiü bildeten, mögen auch Wangeroge zur Insel gemacht haben. Die Endung ,,Oge", welche sich bei mehreren nahe liegenden Inseln (Langeroge, Spikeroge) wiederfindet, heisst soviel als Auge. Denn Augen des Meers nannten die Friesen diese Inseln. — Eye heisst im Englischen, wahrscheinlich aus dem Angelsächsischen oder Friesischen, das Auge, cf. G. W. v. Halem „die Insel Norderney", 1822, S. 22. So wäre Norderney soviel als Norderoge. — Der Wangeröger selbst nennt seine Insel nur das ,,Eiland", altfriesisch „Euland", d. h. Wasserland, während Andere diesen Namen von den Eiern der Seevögel ableiten, die sich auf dieser Inselgruppe in zahlloser Menge finden. Die Insel Wangeroge, welche gegenwärtig obngefahr fünf bis acht Minuten breit, und von Westen nach Osten eine Stunde lang ist, hatte vor fünfhundert Jahren einen wohl zehnfach grösseren Umfang. Um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts finden wir ihre Rhede bedeckt mit Raubschiffen des kühnen friesischen Häuptlings Edo Wiemken, und die Thürme ihrer beiden Kirchen zur Aufbewahrung der Beute und Gefangenen dienend, die der wilde Seekönig den Holländern abgenommen. Denn diesen Myn heers hatte er ewigen Hass geschworen, seitdem ihn die List eines holländischen Kaufmanns in Gefangenschaft gelockt, aus der ihn nur ein, für jene Zeiten ungeheures Lösegeld von 14,000 baierschen Gulden, losgekauft hatte, die seine Untertha-nen aufbringen gemusst hatten. Endlich überfielen die Holländer Wangeroge. Sie verbrannten die Dörfer und äscherten die Kirchen ein, nachdem sie alles rein ausgeplündert; die wenigen auf der Insel befindlichen wehrhaften Männer wurden erschlagen, Weiber, Kinder und Mägde gefangen weggeschleppt. Zwar erholte sich die Insel allmälig von diesem Unglück, die Kirchen wurden wieder aufgebaut und Ackerbau und Viehzucht, die der fruchtbare Boden ausserordentlich begünstigte, verbunden mit den Vortheilen des Seeraubes, stellten bald die alte Wohlhabenheit wieder her. Allein wiederholte kriegerische Ueberfalle und vor Allem die Gewalt des Meeres, welches durch die immer weiter vorrückenden Deiche des gegenüber liegenden Festlandes mit stets anwachsender Gewalt gegen die Nord- und 59 Westseite, die fruchtbarsten und kultivirtesten Theile der Insel, getrieben wurde, vernichteten langsam, aber sicher das Gewon-°ene. Heftige Nordweststürme zerrissen die Sanddünen, welche die blühenden Felder des Kirchdorfs Oldenoge, im Norden der Insel, schützten, und bald wälzte die wilde See ihre sturmgepeitschten Fluthen hoch über den Wohnungen der unglücklichen Bewohuer. Nicht besser erging es bald darauf dem westlichen Kirchdorf. Die Einwohner, erzählt Dr. Chemnitz, der verdienstvolle Badearzt der Insel, in seiner kleinen Schrift: „Wanger-oge und das Seebad", sahen sich gezwungen ihre Häuser bei Zeiten abzubrechen , und sie weiter südostwärts hinter den neu entstandenen Dünen wieder aufzubauen. Bald darauf ward die verlassene Stätte sammt der Kirche ein Raub der Wellen. Noch im Jahr 1760 waren zur Ebbezeit die Trümmer der Kirchen und die Abtheilungen der Aecker zu sehen; im Jahre 1806 noch ganz deutlich die Brunnen und Häuserstellen und selbst vor zwanzig Jahren noch eine Menge von Backsteintrümmern. Gegenwärtig sind auch noch diese letzten Spuren verschwunden, die FJuth bietet dem Auge nur Wasser und die Ebbe gelbweisse platte Sandflächen dar. Als Ersatz für die beiden Kirchthürme, die den Seefahrern als Signale gedient hatten, erbaute Graf Johann von Oldenburg zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts einen länglich viereckigen, über 200 Fuss hohen Thurm mit zwei Seiten- und einer holien Mittelspitze. Auf der letzteren brannte zur Nachtzeit eine grosse eiserne, mit Rüböl gefüllte Lampe, die ihren Schein durch 48 Fenster weit hinaus auf das Meer warf. Ausser der oben erwähnten Bestimmung, die jetzt durch einen eignen Leuchtthurm ersetzt ist, hatte der Thurm, oder hat er noch vielmehr, zwei andere. Das obere Stockwerk nämlich diente als Verwahrungsort des Strandgutes, auch wohl als Gefängniss, das mittlere aber bildet die Kirche, in welcher noch, vor gar nicht langer Zeit, der Pastor jedes Mal im Schlussgebete Gott die Bitte vorlegte, >,dass er den Strand segnen" d. h. recht viel Schiffe in der Nähe stranden lassen möge. Denn was von solchen die Wellen an das Ufer trieben, oder die Iusulaner auffischten, war gute Prise. In neuester Zeit fand man dies Gebet unchristlich und schaffte es ab. Gegenwärtig hat übrigens die Regierung das Strandrecht an sich gezogen, und während früher die Einwohner noch ein Drittel des Betrags erhielten, nimmt jetzt der Vogt Alles für herrschaftliche Rechnung, nur die Pastorei wird in Gelde entschädigt. Eben so compendiös wie der Thurm war auch die Verwaltung der Insel eingerichtet. Denn der Vogt, welcher sie repräsentirte, war nicht nur die höchste und alleinige Justiz- und Polizeiperson, sondern auch zugleich der einzige Kaufmann und Gastwirth auf der Insel. Und, wenn die Burschen des Winters in seiner Trinkstube Händel anfingen , die mit blutigen Köpfen endeten, so verwandelte sich flugs der Schenkwirth in Schaarwache, Zeuge und Richter, und der Process war jedenfalls auf diesem Wege der kürzeste, der sich denken lässt. Bei dem gedachten Thurmbau, dessen Kosten ohne Fuhren und Frohnen über 24,000 Thaler betrugen, wurden übrigens verschiedene römische Münzen und Aschenkrüge gefunden, woraus denn der schon erwähnte Monograph von Wangeroge folgert, dass Germanicus mit seiner vom Sturm übel zugerichteten Flotte sich hier eine Zeitlang aufgehalten haben möge. Nach allen jenen Verwüstungen war indessen die Insel um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, zur Zeit des noch im gesegneten Andenken seines Volkes lebenden Grafen Anton Günther von Oldenburg, sehr verschieden von ihrem jetzigen verödeten Zustande. Ihre Breite betrug damals noch %, ihre Länge 1 % Meile. Statt der jetzigen öden, von Sanddünen umgebenen Fläche, deren spärliche Vegetation kaum für ein Paar hundert Schafe die nothdürftige Nahrung gewährt, boten ihre reichen Wiesengründe (deren Pracht der damalige Pastor Johann Hoffmann in seinem ,,geistlichen Ehrengedächtniss von Wangeroge" preiset) die üppigste Weide für zahlreiche Heerden, die man sogar vom gegenüber liegenden Festlande nach der Insel hinüber brachte, um sie hier zu mästen. Eine noch vorhandene Karte der Insel vom Jahre 1730 verzeichnet über 200 Matten üppige Weide und 70 Matten geringere. Allein von da an nahm die Insel in dem Maass an Umfang ab, als sich die Eindeichungen an der Küste des Festlandes gegenüber vermehrten. Es schien, als wolle sich das Meer für das ihm dort Entrissene hier schadlos halten. Vorzüglich richtete es seine Angriffe gegen den Norden und Westen der Insel, deren Bewohner 41 endlich, als bei dem allmäligen Verschwinden des fruchtbaren Landes die Viehzucht aufhören musste, mehr und mehr in die grösste Armuth geriethen. Ja die ganze Insel verdankte ihre Erhaltung nur den Bemühungen des Fürsten Friedrich August von Anhalt-Zerbst, in dessen Besitz Wangeroge mit der Herrschaft Jever durch russische Vermittlung gelangt war. Um die Gefahr abzuwenden, welche durch die gänzliche Vernichtung des Eilandes für das feste Land entstehen musste , verwandte er auf die Erhaltung der Insel die grösste Sorgfalt. An den Stellen, wo stürmische Winde und hohe Wasserflulhen Oeffuungen und Verstäubungen verursacht hatten, wurden quer gegen den Wiudstrich in schlängelnder Richtung aus belaubtem Strauchholz geflochtene Zäune befestigt, um den Sand aufzufangen und den Verlust wieder zu ersetzen. Zur Anlage neuer, oder zur Erhöhung alter Sanddünen, die den einzigen Schutz des Eilandes bilden, pflanzte man Strohdocken mit dem Kopf in den Strand, damit sich an dem obern rauhen und breiten Ende der Sand sammeln konnte. An der dem Festlande zugekehrten Seite (Wadseite — Wad heisst der seichtere Meerstrich), zwischen der Insel und dem Festlande hatte dies Erfolg, nicht so auf der dem heftigeren Wogendrauge ausgesetzten Nordseite. Am wirksamsten erwies sich zur Befestigung und Erhöhung der Dünen die Anpflanzung des Helmt oder Sandhafers (Elymus europaeus), ein hohes binsichtes Seegras, welches auf dem Seesande wild wächst, und oft durch seine zwanzig Ellen lange in einander vernarbten, mit unendlich vielen Fasern und Häkchen versehenen Wurzeln den Sand festhält. Zu gleichem Zwecke dienten Anpflanzungen von Seestrandsdorn und Bitterweide. Dagegen zerstörte eine einzige Sturmnacht zwei, an gefährlichen Orten der Nordseite mit grossen Kosten aufgeführte Querdeiche so vollständig, dass am nächsten Morgen auch jede Spur davon verschwunden war. Auch Anpflanzungen von Tannen, Pappeln und Hecken-sträuchern , die derselbe Fürst veranstaltete, gediehen zwar anfangs , wurden aber bald theils im Flugsande begraben, theils von der See weggespült, und im Jahre 1776 verschwand der letzte Strich fruchtbaren Wiesenbodens. Da ihnen der Boden, der sie ernährte, so entzogen wurde, sahen sich die Wangeröger auf das Meer angewiesen. Auch hier Die Ost- uod Nordsee. 6 bewährte sich die Fürsorge des Fürsten. Nur wenige Einwohner besassen Schiffe zur Seefahrt. Der Fürst schoss denen, die sich darum bewarben, zinsfrei die nöthigen Kapitalien vor, und erliess oft die Rückzahlung gänzlich. So ward der Grund zu dem jetzigen Wohlstande der Insel gelegt, deren Bewohner gegenwärtig über dreissig Seeschiffe besitzen, mit denen sie Frachten für Bremen und Hamburg, nach der Ostsee, Holland, England und Frankreich verführen. Im Jahre 1806 ward die Insel nebst der ganzen Herrschaft Jever auf Napoleons Befehl dem neuen Königreich Holland ein verleibt, und nun ward Wangeroge ein Hauptpunkt des Schleichhandels, den die Engländer von Helgoland aus über Wangeroge und die Jeversche Küste hin zu eröffnen wussten. Der guthmüthige König Ludwig, welcher sich dem Kontinentalsystem seines Bruders nur mit grossem Widerstreben angeschlossen halte, begünstigte diesen Schmuggelhandel, der für die Insel ausserordentliche Vortheile abwarf. Aber im Jahre 1810, wo die Franzosen nach Occupation des Herzogtums auch die Insel besetzten, ward diese Art des Erwerbes höchst gefährlich. Eine Batterie schweren Geschützes beherrschte die Meerespässe und eine starke Besatzung gab den strengen Gesetzen Nachdruck. Um die verborgenen Englischen Waaren, welche mit unglaublicher Verwegenheit immer noch von Zeit zu Zeit eingeschmuggelt wurden, aufzufinden, durchgruben die Douanen die Sanddünen, und konfiszirten das Gefundene. Viele Familien verliessen damals sammt ihren Wohnungen die ihnen so theure Heimathinsel, um dem Hungertode zu entgehen. Im Frühjahr 1813 mussten zwar die Franzosen die Insel und die ganze Umgebung verlassen, allein nur zu bald kehrten sie wieder zurück, sperrten alle männliche Bewohner in den Kirchthurm ein, und erzwangen von ihnen durch die Drohung, den Thurm in die Luft zu sprengen, die Angabe einer verborgenen Waarenniederlage. So verloren die Armen in wenigen Minuten die mühsam erworbenen Früchte ihres gefahrvollen Gewerbes. Zwei Schiffer, die zu voreilig und zu laut ihre Freude über die kurze Befreiung von den verhassten Unterdrückern an den Tag gelegt, wurden vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen. ,,Zu bewundern ist es übrigens," bemerkt hier Chemnitz, „dass während dieser Regierung, wo kein Prediger noch 43 Schullehrer sich auf der Insel befand, deren Wohnungen, so wie die Kirchen zu militärischen Zwecken gebraucht wurden, dennoch die Insulaner die Reinheit ihrer Sitten und ihre Eigentümlichkeiten erhielten.4 Mit dem Ende des Jahres 1813, wo die Franzosen die Insel verliessen, und diese, sammt dem ganzen Herzogthum Oldenburg wieder ihren angestammten Herrscher erhielt, begann auch das Wiederaufblühen des Wohlstandes auf dem kleinen Eilande. Prediger, Schullehrer und Vogt wurden wieder eingesetzt, die Kirche hergestellt, eine Austerbank in der Nähe der Insel angelegt, neue Häuser aus Backsteinen — die alten bestanden zumeist aus getrockneter Schlammerde (Kleye) — erbaut, und im Jahre 1819 das Seebad vom Herzog Peter Friedrich Ludwig eingerichtet. Schon früher hatten Fremde die Insel zu diesem Zwecke besucht, und die letzte Anhalt-Zerbstische Regentin zu Anfang dieses Jahrhunderts ihr zu diesem Gebrauch eine Badekutsche und ein Zelt geschenkt. Allein die darauf folgenden Kriegsjahre vernichteten diese Anfänge des Seebades, welches jetzt durch eine zwanzig Jahre unausgesetzt thätige Fürsorge der Regierung mit den vorzüglichsten seiner Art wetteifert, und in vieler Beziehung und namentlich hinsichtlich seines Badestrandes, seiner Luft und des gemüthlichen Zusammenlebens der ohne Zwang und steife Etiquette nur Eine Familie ausmachenden Badegäste übertrifft. Die Oberaufsicht über Küche und Oekonomie ist der umsichtigen und liebenswürdigen Gattin des wackern Badedirectors, des Geheimen Hofraths Westing, anvertraut, und hat sich bis jetzt nach dem Urtheil aller Kenner bei weitem des Vorzugs vor ihren Nebenbuhlerinnen in den benachbarten Seebädern erfreut. Der letzte furchtbare Schlag traf die Insel während der grossen Wasserfluthen des Jahres 1825, welche auch die Schutzdeiche des Festlandes durchbrachen und meilenweite Strecken des fruchtbarsten Marschlandes in eine öde Wüstenei verwandelten, Häuser und Stallungen zertrümmerten, ja, manche sammt Grund und Boden fortrissen und weithin wieder absetzten, Schiffe über die Deiche weit in das Land hinein schleuderten und hunderte von Menschen und zahlreiche Heerden in den Fluthen begruben, oder die auf Deichtrümmer Geretteten vor Hunger und Kälte umkommen Hessen. Die Gewalt des Wasserschwalles, der 44 von Norden her auf die Insel einstürmte, durchriss die hohen Sanddünen, verschlang Gärten und Wiesen und den Kirchhof an der Nordseite, zertrümmerte den festen Feuerthurm (Feuerbaake), und schleuderte die Trümmer bis in die Mitte der östlichen Dünen. Noch jetzt sind zwei Stellen dieses Einbruchs durch eine Lücke in den Dünen bezeichnet. Die Gärten wurden an die Wadseite verlegt, und obschon der fruchtbare Kleiboden jetzt bis auf die letzte Spur unter einer mehrere Fuss hohen Sanddecke verschwunden ist, so gedeihen doch in diesen kleineren, zum Schutz gegen die Ueberstäubung mit Plankenzäunen von Schiffstrümmern umgebenen Gärten, bei einiger Pflege, die Gemüse und Küchengewächse vortrefflich. Auch Obstbäume, z. B. die portugiesische Kirsche, erhalten sich, wenn sie vor den Winden geschützt sind, was freilich nur an wenigen Stellen möglich ist. Die Anlagen , welche das Conversationshaus umgeben , der Vogtei-und Predigergarten beweisen dies. Die Insulaner selbst aber haben für Baumpflanzungen und Gartenanlagen wenig Sinn und scheuen die nöthige Mühe. Gegenwärtig besteht die Insel aus lauter wellenförmig sich hebenden und senkenden Sandhügeln und Niederungen. Die erste-ren erhöhen sich gegen das Ostende hin mehr und mehr. Der höchste befindet sich am Nordstrande. Von ihm übersieht man auf der einen Seite die rauschende Nordsee, die fernen Inseln Spikeroge, Langeroge und an hellen Tagen taucht selbst Helgolands rother Felsblock am Horizonte, dem scharfen Auge auch unbewaffnet erkennbar, hervor. Nach Osten hin bietet sich zur Ebbezeit der Anblick einer unabsehbaren Sandfläche, die uns in die Afrikanische Wüste versetzt, und deren Stille nur von dem fernen Rauschen des Meeres und dem heisern Schrillen der Mö-ven und Seeschwalben unterbrochen wird. Südlich und westlich erblickt man die ganze Insel mit ihren Häusergruppen und Thür-men, die Küsten des Festlandes mit ihren Mühlen und grün um-buschten Häusergruppen, das Wad (Watt), die Rhede, die zur Zeit ungünstiger Winde mit. zahlreichen Schiffen bedeckt ist, zu denen man während der Ebbe fast trocknen Fusses gelangen kann. Die äussersten Dünen sind nur mit Helmt (Strandhafer) bewachsen, und die spärlich umgrünten Kuppen sind von weiss-gelblichen Sandwellen umschlossen, auf deren fester Kruste man 45 oft kaum die Spur der Tritte bemerkt. Die mehr innerhalb liegenden Hügel überdeckt ein spärlicher Rasen, der nur in den tiefen Thalschluchten und Gründen zu einem dichteren reich be-blümten Teppich anwächst. Diese Dünengegend ist das Ziel gemeinsamer Spaziergänge oder Fahrten der ßadegesellschaft. Auf den Hügeln oder in den Thälern lagern sich die bunten Gruppen 5 von den höchsten Kuppen wehen die Fahnen und Flaggen, erschallt Musik und Hörnerklang, und schreckt die silber-weissen Seeschwalben und die grauen Möven von ihren Nestern, die dann hoch über den bunten Gruppen der Friedensstörer ihrer einsamen Oede, schillernd und blitzend im Sonnenglanze, ihr melancholisches Schrillen ertönen lassen 5 bis mit der sinkenden Sonne die Gesellschaft aufbricht und zu Wagen, zu Esel oder zu Fuss den Heimweg ins Dorf antritt. — Diese Seevögel, Möven, Seeschwalben und einige LandvÖ-gel sind das einzige Wild, welches die Insel bietet. Die wilden Kaninchen, die auf den benachbarten Inseln Langeroge und Norderney sich so zahlreich finden, sind auf Wangeroge von dem früher hier stationirten Militär und später von den Insulanern ausgerottet. Auch die Zahl der Möven hat sich sehr vermindert, da die Insulaner ihren Eiern nachspüren, deren Schaalen sie an Badegäste verkaufen. In den Niederungen zwischen der Osterdüne und dem am Westende gelegenen Dorfe finden die Schafheerden der Insulaner, so wie ein halbes Dutzend Kühe und die vier Pferde des Vogts, die einzigen auf der Insel, die zum Transport der Reisenden und ihres Gepäcks an die Fährschiffe, so wie zu Spazierfahrten dienen, ihre Weide, die gegen das Dorf hin, wo die Hügel allgemach verschwinden, mit weissblumigem Klee geschmückt ist. Die Zahl der Häuser des Dorfs beträgt, mit Ausschluss einer Jahre 1832 von einem Oldenburger Kaufmann in der Mitte ^ Insel angelegten Salzsiederei, gegenwärtig 56, zu welchen Gebäude des alten und neuen Conversations - und Logirhauses gehören. Das Dorf selbst liegt äuf der höchsten Sandfläche, deren Veränderlichkeit durch Wind und Sturm man mittelst künstlicher Vorrichtungen, Bestickung des Bodens mit Stroh, Besäung mit Grassamen, und Belegung mit festen Kleisoden, überwunden Backsteinerne Fusssteige führen seit 1821 durch alle Sand- gassen des Dorfs. Die Häuser selbst haben, trotz der in Folge des Seebades seit zwanzig Jahren herbeigeführten Veränderungen, dennoch an Bauart und Einrichtung manches Eigentümliche. Freilich sind sie jetzt nicht mehr mit Stroh, sondern mit Ziegeln gedeckt; von den drei Thüren, die ehemals hineinführten, und von denen jedes Mal die dem Winde abgewandte geöffnet wurde, findet man jetzt meistens nur noch eine an der West- oder Südseite, und die ehemalige grosse altsächsische Hausflur, die über % des ganzen Hausraumes einnahm, und in deren Mitte das gastliche Feuer des niedrigen Heerdes loderte, ist jetzt zum grossen Theil zu Logirzimmerchen verwendet. Auch giebt es schon ausser den herrschaftlichen Gebäuden des Logirhauses mehrere moderne, von Speculanten erbaute Wohnhäuser. Beim Eingange in ein achtes Insulanerhaus, das noch einige Züge seiner charakteristischen Physiognomie bewahrt hat, tritt man durch einen kleinen fast ganz zu Schlafstellen benutzten Vorraum, der indessen zuweilen auch fehlt, sogleich in die Küche, die jedoch für die Insulaner, zumal während der Badezeit, auch als Wohn- und Schlafzimmer dient. Der Rest der Familie schläft, wenn alle Zimmer vermiethet sind, entweder in dem bezeichneten kleinen Vorflur oder auf dem Dachboden. An der Küche befinden sich die Eingänge zu zwei bis drei Stuben, deren hölzerne braune und holzgetäfelte mit Gardinen verhangene Bettverschläge, so wie die zwischen den beiden Bettverschlägen befindliche Schrankthür durchaus das Ganze als eine Kajüte erscheinen lassen. Eine hängende Wanduhr mit hell geputzten Messingketten und Geräthen, bunte Tassen und Gläser auf Oefen und Schränken, bunte grobe schwarze Bilder, meist Holländische Naturschönheiten , Lustschlösser, aber auch Seehäfen, Schlachten und Scenen aus dem alten und neuen Testament darstellend, an deren Stelle leider! seit den letzten Jahren schlechte Steindrücke mit modernisirten Rahmen zu treten — beginnen, bilden neben einem kleinen Spiegel den Hauptschmuck und die Luxusgegenstände der Wohnung. Die breiten zweischläfrigen und dreischläfrigen Betten, ein Paar Holz- oder Schilfstühle und ein bunt gemalter Holztisch vervollständigen das Ameublement. Eine Kommode, ein Sopha und ein Kleiderschrank oder auch nur Kleiderrechen 47 hören zu den Seltenheiten und Luxusgegenständen, deren Existenz auf den Wohnungslisten eigends aufgeführt ist und den Miethpreis erhöht. An der einen Seite des Hauses, oder wenn dasselbe, wie oft, von zwei Familien bewohnt ist, an beiden, befinden sich die kleinen Schaafställe, welche früher unmittelbar an die Küche gränzten. Fast jedes Häuschen ist von einem kleinen eingefriedigten Gemüsegarten oder einem grünen Rasenplätzchen umgeben. Auch Blumen zieren diese Duodezgärtchen. Die grösseren Gartenplätzchen liegen ostwärts, ausserhalb des Dorfs, dem Leuchtturme zu, und sind durch Erdwälle und Plankenzäune gegen die Uebersandungen geschirmt. Obgleich die ganze Insel aus Sand besteht, so ist doch die Unbequemlichkeit des Staubes der sandigen Gegenden des Festlandes , (man denke an Berlin und seine Umgebungen), so gut wie gar nicht vorhanden. Denn der Meersand ist äusserst grob-körnigt, frei von der feineren Auflösung des Eisensteines oder Raseneisens, die der gewöhnliche Landsand mit sich führt. Auch weht er am Strande, namentlich der von Ebbe zu Ebbe abtrocknet, beständig horizontal nahe dem Boden entlang, bis er irgend einen festen Körper berührt, der ihn anzieht. So sind die Dünenhügel entstanden, und oft bemerkt man, dass sich um einen Stock oder Reisholzzweig am andern Tage der Anfang einer Sanddüne gebildet hat. Auch ist, wie wir schon sahen, der Dünensand bei weitem nicht so unfruchtbar, wie der Sand des Festlandes, wie das die Floren von Wangeroge und Norderney lehren, welche man bei Chemnitz findet und die alle Erwartung übertreffen. Morderney. Norderney ist eine ostfriesische, in der Richtung von Osten üach Westen in der Nordsee, unter 50° 42' 30" nördlicher ^reite und 24° 49' östlicher Länge liegende Insel, die jetzt zum Königreich Hannover gehört, einen Umfang von drei Stunden, ^lne Länge von ly2 Stunde und einen Flächeninhalt von % Qua-ratmeile hat. Im Südwesten dieser Insel liegt das Fischerdorf gleichen Namens, das an 180 einstöckige Häuser und gegen 700 nw°hner zählen lässt. Der Boden besteht, wie der von Wan- 48 geroge, aus Seesand, der einige Schuhe tief unter sich Kleierde wahrnehmen lässt, die unter sich wieder Sand als Urboden zeigt. Den allergrössten Theil des Bodens bilden Dünen, die an der Nordseite zur Schutzwehr gegen den starken Andrang der See eine vierfache Reihe formiren und am Westende das Dorf in sich schliessen. Nur mit vieler Mühe haben die Bewohner einen kleinen, zunächst an ihre Wohnungen gränzenden Theil des Bodens urbar gemacht, da theils die Versandung, theils die häufig wehenden Ost- und Nordwinde jedes Gedeihen der Vegetation hindern. Die freundlich aussehenden, von Backsteinen gebauten und mit Ziegeln gedeckten Häuser bilden Strassen, stehen einzeln und sind zum Theil mit urbar gemachtem Lande umgeben, auf welchem einige Gemüse, als Bohnen, Erbsen, Erdtoffeln, Mohrrüben und selbst versuchsweise etwas Getreide, gezogen werden , welche Produkte jedoch bei weitem nicht zum Unterhalte für die sehr mässig lebenden Einwohner hinreichen. Um diese kleinen Terrains produktiv zu erhalten und vor dem Versanden zu verwahren, sind sie mit Erdwällen umgeben. Ackerbau und Viehzucht können nicht getrieben werden, und kaum finden einige Kühe und Schaafe das nothwendige Futter auf den östlich gelegenen Angern. Elsen , Pappeln und Weiden, die zur Bildung herangepflanzt sind, und nur zu Sträuchern sich ausbilden, gedeihen bis zu einer gewissen Höhe, und jeder Sprössling, der weiter als 12 bis 15 Fuss über die Erde hervorragt, stirbt ab. Die Flora besteht aus See- und Sandpflanzen, als aus: Salicor-nia, Plantago maritima, Erythraea ramosissima, Chenopodium maritimum, Eryngium maritimum, mehreren Carex-, Fucus-, ElymusArundo- und Triticum-Arten. Ausserdem findet man hier noch: Trifolium fragiferum und hybridum, Hier actum umbella-tum , Sonchus arvensis, Galium verum, Rosa pimpinellifolia, Salix repens, Pyrola, Achillea millefolium, Ononis hircina, Centaurium minus und einige andere Pflanzen auf dem Anger zwischen den Dünen. (Vergleiche das sehr lesenswerthe Büchlein : ,,Die Seebäder auf Norderney, Wangeroge und Helgoland", von Doctor Adolph Leopold Richter). Die Fauna der Insel besteht aus mehreren Arten von See-vogeln, besonders verschiedenen Möven , Seeschwalben, Strandläufern, Beccassinen, Berg- und wilden Enten, Kaninchen in 49 grosser Anzahl, welche den Jagdfreunden das Vergnügen einer eiöenthümlichen und seltenen Jagd in reichem Maasse gewähren. ^ °ö den Meerbewohnern sind es hauptsächlich die Delphine, Seehunde, viele Fischarten, Medusen, Seeigel, Seesterne und verschiedene Muschelthiere, die sich am Strande und in der Nähe der Insel aufhalten. Die Auster ist das ganze Jahr hindurch in Norderney zu bekommen, da sie von der ganz nahe gelegenen, ihrer trefflichen Austern wegen berühmten Insel Borkum bezogen Wird , und können Liebhaber dieser eben so nahrhaften, als leicht verdaulichen Leckerei hier täglich ihr Verlangen darnach für einen mässigen Preis befriedigen. An süssem Wasser fehlt es der Insel nicht; es ist weich und etwas in das Gelbliche spielend, aber ohne alle schädliche Beimischung. Richter räth allen denen, welche sehr an den Genuss dieses Getränkes gewöhnt sind, etwas Spirituoses beizumischen. Was über den Charakter der Einwohner von Wangeroge gesagt ist, gilt auch von denen der Insel Norderney. Der Fremde kann hier seine Habe und Gut dreist bei offenen Fenstern liegen lassen und braucht nicht besorgt zu sein, wenn er keine Schlösser an den Thüren der Stuben und des Hauses findet. Die Bewohner sollen sehr alt werden, besonders die Männer, bei denen der Aufenthalt auf der See sehr viel zur Befestigung der Gesundheit beiträgt, wenn sie nicht verunglücken, was häufig geschieht, wie die vielen hier lebenden Wittwen beweisen. Viele leben und sterben ohne ärztliche Hülfe und bedienen sich bei vielen Krankheiten des hier wachsenden Wermuths. Merkwürdig ist es, dass sowohl auf Norderney, wie auf Wangeroge und insbesondere die Helgolander sich selten zur Heilung ihrer scro-pholösen Kinder, und in solchen Fällen, wo dasselbe specifisch %yirkt, des ihnen so nahe liegenden Seebades bedienen. Eine ^elgolanderin, Mutter eines solchen Kindes, meinte: ,,das See-nasser halte die Gesunden wohl gesund, aber helfe nur fremden, Illcht einheimischen Kranken.46 Nach Miltheilungen des Norder-neyer Badearztes, des Herrn Doctor Bluhm, Nachfolger des berühmten, zu frühe verstorbenen Medizinalraths von Halem, kommt dort bei den Frauen sehr häufig der Magenkrebs vor und ist die Ursache ihres Todes. Als Grund dieser sonst so seltenen Die Ost- und Nordsee. 7 50 Krankheit giebt Bluhm mit Recht die Lebensart der Frauen an, insofern durch den vielen Genuss der getrockneten und gesalzenen Fische ein stets gereizter Zustand im Magen unterhalten und der hiermit verbundene grosse Durst durch Trinken starken Thees, dessen reizende Eigenschaft man weder durch Zucker noch durch Milch zu mildern sucht, gelöscht wird. Schon frühzeitig kündet sich die allmälig entwickelnde chronische Entzündung durch Magenkrämpfe, Magenschmerzen u. s. w. an, bis dieselbe endlich die krebshafte Desorganisation nach sich zieht. Norderney kann mit Recht das vornehmste und glänzendste Seebad der Nordsee genannt werden. Der erste Gebrauch des Seebades in Norddeutschland fällt in den Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts. Denn obgleich in England schon um die Mitte desselben die königliche Familie Georg's II. auf Anrathen der Aerzte die Meerbäder gebraucht und der englische Arzt Rüssel im Jahre 1770 in seinem Werke de usu äquae marinae in morbis glandularum, das Seebad als Heilmittel empfohlen hatte, so war dasselbe dennoch in Deutschland noch in den achtziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts für die ärztliche Praxis durchaus unbekannt. Neue Erfindungen gingen damals noch im Menuetschritte von einem Lande zum andern. Auch in Südeuropa scheint das Baden in der See als Heilmittel unbekannt gewesen zu sein. Wenigstens findet sich z. B. in Göthe's italiä-nischer Reise keine Spur davon. Lichtenberg war es zuerst, der im Göttingschen Kalender von 1793 den Deutschen etwas von den Einrichtungen des Englischen Seebades zu Deal erzählte und dabei die Frage aufwarf: ,,warum Deutschland noch kein öffentliches grosses Seebad habe?" Das älteste Deutsche Seebad ist Doberan , gestiftet im Jahre 1794, unter Leitung des auch durch seine Schriften auf diesem Felde bekannten Professors Vogel. Einige Jahre später ward Norderney zum Seebade eingerichtet, dann Helgoland und seitdem mehrten sich die Badeorte an den Küsten der Ost- und Nordsee fast von Jahr zu Jahr, doch sind die drei genannten die besuchtesten. Norderney kann von der Küste des Continents aus zu Wasser und zu Lande erreicht werden. Das Letztere wird durch die Ebbe möglich gemacht, während welcher Zeit das Wasser so bedeutend abläuft, dass die l1/* Meilen breite Strecke zwischen der Insel und der Küste, das sogenannte Watt, auf der am höchsten liegenden Stelle fast ganz trocken gelegt wird, und die Badegäste zu Wagen und zu Pferde, und wenn sie nasse Füsse nicht scheuen, selbst zu Fuss auf die Insel mit grosser Bequemlichkeit gelangen. Wer es vorzieht, die Reise zu Lande durch das Watt während der Ebbe zu machen, wird dann vom Hylgenrydersyl aus durch einen zuverlässigen beeidigten Strandvogt , der als Wegweiser dient, die Löcher und Balgen genau kennt, und vor jeder Gefahr sichert, begleitet. Während der Fluthzeit muss man das Watt zu Schiffe passiren, und embar-quirt man sich zu diesem Zweck am Fährhause zu Norddeich, eine halbe Stunde von der ostfriesischen Stadt Norden. Die Badezeit beginnt mit dem 1. Juli und endet mit dem 15. September. Zum Baden in offener See ist der West- und Nordweststrand bestimmt, und zwar der erstere für die Damen, der letztere für die Herren. Beide Badeplätze liegen in geringer Entfernung vom Dorfe, der Herrenstrand etwas weiter als der Damenstrand , welchen letztern man von den am entferntesten gelegenen Häusern in sechs Minuten, von den nächstliegenden in zwei Minuten erreichen kann. Des ebenen, sich ganz all-mälig vertiefenden Sandbodens Festigkeit ist so gross , dass ein Wagen, der während der Ebbezeit über ihn fährt, kaum eine 9 merkbare Spur hinterlässt. Man badet hier nur einmal täglich, zur Zeit der steigenden Fluth, weil dann der Wellenschlag das Bad am kräftigsten macht. Der Eintritt derselben ist auf einer öffentlich im Con-versationshause und an den Badeplätzen angeschlagenen Tabelle angegeben und wird ausserdem täglich durch das Aufziehen von rothen Flaggen angezeigt. Da die Fluth, welche binnen 24 Stunden zwei Male mit der Ebbe wechselt, täglich um etwa 50 Minuten später als am vorhergehenden Tage eintritt, so müssen sich ganz natürlich die Badezeit und das Mittagsessen hiernach richten. Zur Aufrechthaltung der Ordnung in der Reihefolge unter den Badenden ist die Einrichtung getroffen, dass ein Jeder bei der Ankunft am Badeplatze sein im Conversationshause gelösetes Badebillet abgiebt, seinen Namen auf eine dazu bestimmte Tafel 82 schreibt, und eine Nummer empfängt, welche die Reihefolge bestimmt. Die Nummern werden der Folge nach laut abgerufen, sobald die Badekutsche leer ist. Um Niemand unter der Unachtsamkeit Eines oder des Andern leiden zu lassen, wird die Nummer desjenigen, welcher beim mehrmaligen Abrufen derselben nicht erscheint, sofort übergangen, und folgt sogleich die nächste Nummer. Auch ist ein Jeder gehalten, sich persönlich auf dem Badeplatze einzuschreiben, oder es auch durch einen Andern erst dann thun zu lassen, wenn er selbst auch bereits am Strande sich befindet. Für die Damen ist die Anordnung getroffen, dass sie eine Nummer auf eine bestimmte Badekutsche erhalten, so dass etwa 3 oder 4 auf eine Badekutsche angewiesen sind; diejenige von ihnen, welche zuerst kommt, kann, wenn diese Badekutsche gerade leer ist, sie sogleich beziehen. Bei der Ankunft mehrer zu gleicher Zeit bestimmt die Reihefolge. — Selten hat man nöthig lange zu warten, da die Zahl der Badekutschen sehr gross ist. Das war freilich in dem bewegten Jahre 1830 noch nicht der Fall, in welchem, da das Schutzdach abgebrochen oder umgeweht war und die Damen oft lange im Regen warten mussten, bis sie in eine Kutsche schlüpfen konnten, unter dem schönen Geschlecht der haute volee eine Revolution ausbrach. Einige der Dämchen hatten nämlich, aufgemuntert durch ihre Kammerkätz-« chen, nicht immer auf dem strengen Wege Rechtens, sich der Badekutschen bemächtigt, und sogar den grossen Nummern durch Auslöschen der ersten Zahl ihren Vorspann gewonnen. Vergebens hatte der damalige liebenswürdige Badecommissair, ein Graf Wedel, diesem Unfug zu steuern gesucht, die Badewärterinnen weigerten den ferneren Dienst und wenn man ihnen täglich eine Pistole geben wollte. Da fiel Wedel auf ein originelles Mittel. Er postirte einen alten Hirten dicht hinter der letzten Düne, welche vor dem Badestrand der Damen liegt, keinen Ludwig an Höflichkeit, keinen Paris an Bestechlichkeit, mit dem Auftrage, sobald ein Streit unter den Damen entstehe, auf den Ruf der Badewärterin von seiner Höhe herunter zu steigen und den Strandrichter zu machen. Kaum war dies Edict bekannt, so vertrugen sich die Damen wieder wie die Engel. Den Vereinigungspunkt für die ganze Gesellschaft giebt das im südwestlichen Theile der Insel im geschmackvollen Style er- 53 baute Conversationshaus ab, dessen 130 Fuss lange Fa^ade in der Mitte eine Colonnade von 8 Säulen zeigt, welche die nach beiden Seiten sich ausdehnenden Flügel mit einander verbindet und eine Säulenhalle bildet, zu welcher eine breite, zu beiden Seiten mit geschmackvollen hohen Candelabern aus Gusseisen gezierte Treppe hinauf und zu dem Haupteingange der Gebäude führt. Der grosse freie Raum vor dieser Fa^ade besteht aus grünem Rasen, den Blumenbeete, eine grosse Schaukel und ein Sonnenzeiger zieren und ein ßosquet begränzt. Das Gebäude selbst ist nur der Geselligkeit geweihet, und enthält daher gar keine Logis, mit Ausnahme der Wohnungen für einen Theil des königlichen Verwaltungspersonals in einem hintern Flügel. Der ganze übrige geräumige Theil des Ganzen umfasst einen 70 Fuss langen, 30 Fuss breiten und 19 Fuss hohen Tanzsaal, an welchen 2 eben so lange Speisesäle nebst einem Entreezimmer stossen, aus dem man in 5 andere auf der andern Seite des Vestibules gelegene geräumige Zimmer gelangt, deren Erstes als Frühstücks- und Restaurationszimmer für diejenigen dient, welche nicht vorziehen, unter der Säulenhalle, oder in der nach dem Bosquet hin gelegenen, von Weinlaub umschatteten Veranda ihren Appetit zu befriedigen. Leider ist auch hier ein dem Hazardspiel geweihter Saal. Es ist dies um so trauriger, als sich sonst die Seebäder vor den übrigen Bädern eine verhältnissmässige Einfachheit in Einrichtungen und Lebensweise zu erhallen gewusst haben, während die Quellenbäder meist die Sammelplätze des raffinirtesten Luxus, lind in vieler Hinsicht aus Gesundheits- zu Pestbrunneil der Ausschweifung geworden sind. Wer Baden-Baden unter Chabert's und später unter Benazet's Regiment, Wiesbaden u. d. m. kennt, wird sich freilich in den Seebädern und namentlich auf W an-geroge in den Naturzustand zurück gesetzt sehen. Die Spartanische Einfachheit auf Priesnitzens Gräfenberg und in dessen Kolonieen fangen bereits an, gegen den Sybaritismus der übrigen Bäder eine eben so nothwendige als heilsame Reaction zu äussern, die nicht nur den letzten, sondern auch in manchen Beziehungen den Seebädern zu Gute kommen muss. So wäre auch hier z. B. eine Vereinfachung des allzureich besetzten und darum kostspieligen Mittagstisches zu wünschen. Dadurch würde S4 nicht nur die Badegesellschaft sich mehr concentriren und zu einem für die Unterhaltung und das gemeinsame Vergnügen sehr förderlichen Ganzen sich vereinigen, sondern auch der für wirklich Leidende sehr empfindlichen Unbequemlichkeit des übermässig langen Sitzens bei Tische abgeholfen werden. Unmittelbar an die Hinterseite des Conversationshauses, welche gegen Süden liegt und mit Obstbäumen und Wein en eskalier bekleidet ist, von denen der letztere zugleich zur Beschattung einer freundlichen Veranda dient, stösst das Bosquet, dessen schattige Gänge und Sitze einen sehr angenehmen Aufenthalt für die hier zwei Male täglich zahlreich zusammenströmenden Badegäste gewähren. Des Morgens um 11 Uhr lockt die treffliche Musik des aus Prager bestehenden, stark besetzten Orchesters hierher, und des Nachmittags vertheilt sich die schöne Welt hier in vielfachen Gruppen, um den Kaifee im Freien einzunehmen und bis zur Strand-Promenadeabendstunde zu verweilen. Eine höchst interessante Erscheinung für die Badegäste bildet zuweilen das Leuchten des Meeres, von dem man eben so wenig anzugeben vermag, als woher der eigenthümliche Geruch des 31eeres entsteht. Von dem Aufenthalte so vieler lebender und abgestorbener organischer Wesen im Meere lässt sich ver-muthen, dass demselben ausser diesen noch eine Menge animalischer und vegetabilischer Stoffe mitgetheilt werden, welche die Chemie noch nicht darzustellen vermochte. — Von den Schriften, welche über Norderney erschienen, sind hauptsächlich zu empfehlen: Dr. Karl Mühry, über das Seebaden und das Norderneyer Seebad, welche auch bei der Ausarbeitung dieses Aufsatzes benutzt ist, und „die Seebade-Anstalten auf der Insel Norderney.u Von Dr. J. L. Bluhm, königlichem Hof-medicus zu Norderney. Bremen 1840, bei Wilhelm Kaiser, zweite Auflage. Bremerhaven. Frau von Stael sagt irgendwo : Sur notre vieille terre il faut du passe. (Auf unserer alten Erde bedarf man etwas der Vergangenheit.) Von dem Grund und Boden, auf dem jetzt Bremerhaven erbaut ist, meldet indessen die Geschichte nichts 55 dass die Schweden, (1673) beim Ausfluss der Geeste, eine kleine Stunde von Lehe, eine Vestung anlegen Hessen, um welche zugleich eine Handelsstadt sich bilden sollte. Der Ort hiess Karls-bursr, oder Karlsstadt. Der Schwedische Oberste Melle legte zehn Bollwerke an und König Karl IX. stellte den künftigen Bürgern die Zusicherung bedeutender Vorrechte aus. Schon zwei Jahre nach ihrer Entstehung wurde die Vestung von den damals einbrechenden verbündeten Feinden zur See und zu Lande belagert und ging wegen Mangel an Holz, Salz und Leuten verloren. Ein Uebelstand bei der Anlage war es gewesen, dass leicht Mangel an Wasser entstehen konnte, da die Weser hier schon Brakwasser (süsses mit salzigem gemischtes) führt. Zudem konnte die Vestung von der Südseite bestrichen werden. Gleich darauf ward die Vestung geschleift; die wenigen bürgerlichen Häuser wurden abgebrochen und Gerichtshaus und Schule zu Lehe wurden davon erbaut. Eine Schanze blieb noch, welche aber später besonders durch die Wasserfluth 1717 zerstört ist, und der Strom hat seitdem an völliger Vertilgung der Karlsburg gearbeitet. Karl XII. hatte bei seinem Regierungsantritt noch den Plan gehabt die Vestung wieder aufzubauen, (cf. Geschichte und Landesbeschreibung der Herzogthümer Bremen und Verden, von Peter von Kobbe.) Einer Sage zufolge soll der Rath von Bremen, als die Schweden hier eine Burg anlegen wollten, einen Spuk veranstaltet haben, der die gläubigen Schweden vermocht haben soll, von ihrem Plane abzustehen. Es soll ein Annotationsbuch eines Schwedischen Unteroffiziers existiren, welcher der Zeit den Bau leitete, und täglich, was passirte niederschrieb, und darin soll stehen: ,,Diese Nacht zeigten sich wieder Geister (oder Gespenster), so dass die Posten es verlaufen mussten." Angeblich ergiebt sich aus den Rathsrechnungen jener Zeit, dass die Gespenster von Bremen für jene Rolle bezahlt sind. Der Umstand, dass der ganze Seehandel der freien Hansestadt Bremen seit dem Amerikanischen Kriege die veränderte Gestalt dahin angenommen hatte, dass die transatlantische Richtung desselben in den Vordergrund getreten war, wodurch denn ein bedeutender Theil aller früheren nur auf den Betrieb Europäischer Seeschifffahrt berechneten Hülfsanstalten desselben man- 56 gelhaft und für das vermehrte Bedürfniss unzureichend erscheinen musste, so wie die jährlich zunehmende Versandung der Weser, hatten schon seit mehren Jahren in Bremen die Gründung einer neuen Schilfs- und Havenanstalt wünschenswerth gemacht , zu deren Anlegung sie freilich eines Territorii im Oldenburgischen oder Hannoverschen bedurften. Wollen gleich Sachverständige behaupten, dass eine desfallsige Verständigung mit Oldenburg noch mit mehr Vortheilen für Bremen hätte verbunden werden können, da am linken Weserufer die etwaige Verschlammung des Flusses durch Anlegung von Kanälen im Oldenburgischen Stedingerlande unschädlicher gemacht werden, auch der Transithandel leichter durch das Oldenburgische als von jenseits der Weser in das Innere von Deutschland geführt werden kann, so hätte ein solches Project doch schwerlich bei dem damaligen Herzog Peter von Oldenburg Eingang gefunden. Bremen unterhandelte deshalb mit Hannover, als mit dem mächtigsten angränzenden Staate, dessen Bedürfnissen, so weit es derselbe von einer eignen grossen Seehandelsstadt zu erwarten berechtigt war, es vollkommen zu entsprechen schien. Das Gebiet des Amtes Bremerhaven wurde demnächst in Folge eines Staatsverlrages zwischen der Krone Hannover und der freien Hansestadt Bremen vom 11. Januar 1827, dessen Ra-tificationsurkunden am 10. April desselben Jahres ausgewechselt wurden , acquirirt. Der Uebergang des Bremerhaven-Districts geschah am 1. Mai 1827. Die Grösse des abgetretenen Gebiets beträgt im Ganzen 357 Morgen 3 Quadratruthen 29 Ouadrat-fuss Kalenberger Maass, wofür Bremen im Ganzen die Summe von 77,200 Thalern 40% Grote in Golde bezahlte. Die Hannoveraner haben sich die Hoheit in Bremerhaven, namentlich die Militärgewalt vorbehalten, deren Ausfluss auch das Recht der Conscription ist. Allein Bremen verliert dadurch wenig, weil es im Fall eines allgemeinen Krieges zur Selbstvertheidigung von Bremerhaven unfähig sein würde. Die übrigen einzelnen Elemente der Hoheit, Gesetzgebung, Steuer, Justiz und Verwaltung hat Bremen, wogegen denn auch viele Vortheile, welche durch die neuerbaute Stadt dem ihr benachbarten Theile des Königreiches Hannover erwachsen, unverkennbar sind. — Vor dem Aussenhafen liegt an der Seite, wo die Geest in die Wesersich S7 mündet, eine Hannoversche Batterie, das Fort Wilhelm, dessen Kanonen die Weser bestreichen. Es hat 14 Kasematten und ist für eben so viele Geschütze eingerichtet, kann in Kriegszeiten 200 Mann fassen, besitzt aber keine brauchbare Cisterne. Der Boden, erst von Seiten Bremens eingedeichtes, bis dahin als Wiese benutztes, und völlig unbewohntes Marschland, besteht aus sogenannter Kleierde, die zwar wegen des geringen Lehmgehalts zum Ziegelbrennen untauglich befunden ist, doch enthält sie viel Humus, und ist daher äusserst fruchtbar. Beim Ausgraben des Hafenbassins stiess man an einigen Stellen auf sogenannten Knick, eine in der umliegenden Marschgegend hin und wieder vorkommende, aus Lehm und Sand bestehende Erdart von bläulicher Farbe, die selbst mehre Jahre der Luft und dem Frost ausgesetzt, doch alle Vegetation ausschliesst. Eine nähere, nicht uninteressante Kunde des Bodens in einer grösseren Tiefe verschaffte der freilich gänzlich verunglückte Versuch zum Bohren eines artesischen Brunnens, bei welchem man bis auf eine Tiefe von 165 Fuss vordrang. Die ersten 52 Fuss bestanden in Marschboden, zuweilen, besonders nach unten zu, mit etwas Moor vermischt; dann folgten 42 Fuss Triebsand, und unter diesem eine dünne, nur etwa 1 Fuss haltende mit Sand vermischte Moorschicht. Hierauf kamen 18 Fuss Triebsand und darunter eine ähnliche Marschschicht 5 unter dieser wieder 18 Fuss Triebsand auf einer 5 Fuss starken Schicht Fussgerölle oder Kies liegend, darunter 23 Fuss Triebsand auf einer 2y2 Fuss dicken Unterlage von harter Thonerde ruhend, der Triebsand mit kleinen Steinen oder Kies vermischt, folgte. In diese Schicht war man 7x/i Fuss tief eingedrungen, als das Springen einer Röhre allen weitern Versuchen ein Ende machte. Der Bau des Hafens wurde von dem Baurath von Ronzelen, einem Holländer, geleitet, einem ausgezeichnet geschickten Manne, welcher die Wasserbaukunst in seinem Vaterlande theoretisch und praktisch erlernt, daselbst auch schon mehre wichtige Arbeiten ruhmvoll ausgeführt halte. Schon im Jahre 1826 hatte er das Terrain der alten Karlsstadt, als das günstigste wegen der unmittelbaren Nähe der Weser und Geeste, zur Anlegung eines Hafens ermittelt. Im Jahre 1827 wurde die Arbeit den Mindestfordernden unter Aufsicht des Herrn v. Ronzelen übertragen. Die Ost - und Nordsee. 8 58 Sofort wurde zur Ausführung geschritten und diese mit solcher Energie und Kraftanstrengung durchgeführt, dass das Werk bei einem Personal, das freilich oft 900 bis 1000 Menschen betrug, wobei auch mehre hundert Pferde verwendet wurden, nach Verlauf von reichlich drei Jahren beendigt war. Manche Schwierigkeit musste bei diesem Bau mit vieler Kraftanstrengung überwunden werden , da der nasse Erdboden die Baugruben der Fundamente schnell wieder mit Wasser füllte, so dass, allein um die Zimmer- und Maurerarbeiten an dem Fundamente der Schleuse im Trocknen ausführen zu können, über zwei Jahre lang täglich 60 Pferde beschäftigt waren, die Wasserpumpen stets in Thatigkeit zu erhalten. Wäre den Unternehmern die Beschaffenheit dieses Terrains von Anfang an genügend bekannt gewesen, würden sie ohne Zweifel, statt dieser kostbaren Vorrichtung mit mehr Vortheil sich einer Dampfpumpen-Maschine bedient haben ; dass der Boden aber ganz aufgeschwemmt und mit Wasser gesättigt sei, fand sich erst als man die oben gedachten Versuche zur Anlegung eines artesischen Brunnens machte. Die Moorschichten veranlassten bei dem Bau der Schleuse wiederholt Erdfälle und Ausweichungen der Erdwände in grossem Maassstabe, und es war sehr schwierig, den Schleusenboden gegen das Auftreiben zu schützen, das durch den heftigen Seitendruck veranlasst ward. Die Schleuse wurde innerhalb des vorhandenen Schutzdeiches angelegt, und, nachdem dies geschehen war, musste noch ein Aussenhafen durch das Watt vom Deiche bis zur Weser, in einer Länge von 900 bis 1000 Fuss gegraben werden. Da das Schlickwatt so weich war, dass man mit Leichtigkeit eine Stange von 20 Fuss Länge mit einer Hand einstecken konnte, mussten die Ufer dieses Aussentiefs mit Faschinen und hölzernen Vorsätzen so weit eingefasst werden, dass sie Erddämme von 10 bis 12 Fuss Höhe tragen konnten. Ungeachtet dieser Vorkehrungen wichen die Ufereinfassungen an manchen Stellen bedeutend aus, welches nicht zu vermeiden war, da das Faschinen-belt in der breiartigen Schlickmasse nicht genug verankert werden konnte. Späterhin ist das Erdreich unter den Ufern durch die darauf gelegten Erdwälle so fest geworden, dass die Faschi-nenwerke in den Bermen weggenommen und statt ihrer, massive S9 Mauern haben aufgeführt werden können, die bei den vorhandenen Schwierigkeiten zwar mit grosser Mühe, aber doch vollständig haben hergestellt werden können und dem Aussenhafen eine dauernde Festigkeit versprechen. Die Steinböschung oder die äussere Bekleidung, die den Aussenhafen vor Beschädigungen von der Weser her schützen muss, ist, obgleich mit grosser Beschwerlichkeit, auf eine äusserst solide Weise mit behaueneu Granit- und Sandsteinen ausgelegt und mit Cement ausgefugt; sicher sucht man vergebens am ganzen Nordseeufer, von der Jütschen bis zur Französischen Küste, eine so schöne und dauerhafte Arbeit. Der Boden der Schleuse wurde 20 Fuss tief unter gewöhnlich hohem Wasser angelegt, und die Mauern derselben sind 13 Fuss über diesem Wasser aufgeführt: sie misst 39 Fuss im Lichten und hat eine Kammer, in der 2 bis 3 Schiffe von der grössten Gattung liegen können. Da der Aussenhafen vermöge der daselbst statt habenden starken Anschlickung bald verschlammen würde und die erforderliche Tiefe in demselben durch gewöhnliches Baggern nicht würde erhalten werden können, hat der Baurath v. Ronzelen es für uöthig gefunden, in dieser Schleuse Fächerthüren*) anzubringen, um mit Hülfe des zuvor erhöhten Binnenwassers von Zeit zu Zeit einen Spülungsprocess vorzunehmen und dadurch die im Aussenhafen sich lagernden Schlicktheile wegzuschaffen. Diese Einrichtung ist, wie die Erfahrung gezeigt hat, von grossem Nutzen, nämlich durch eine von dem genialen Ronzelen erfundene Kratzmaschine mit Stromflügeln, die nur während des Spülens in Thätigkeit gesetzt wird und grosse Wirkung thut. — Der jetzige Ort Bremerhaven erhob sich rasch nach einem regelmässigen Plane. Ursprünglich wurden 250 Anbauplätze, jeder zu 4800 Quadratfuss ausgemessen, von denen jetzt nur noch wenige unbebaut sind, da die Zahl der Einwohner sich schon auf ungefähr 2200 beläuft. An öffentlichen Gebäuden von *) Fächerthürea sind zweiflügelige, an einer Drehsäule befestigte Thii-l'en j bei denen der eine Flügel gerade so viellänger ist, dass er bei gleichem Wasserdruck den kürzeren gegen das mit bedeutendem Gefalle durchströmende Wasser schützen kann. Bedeutung besitzt Bremerhaven nur das geschmackvolle, am Quai gelegene Bremerhaus, worin sich die Dienstwohnungen des Amtmanns und des Hafenmeisters befindeil. Auffallend ist es, dass diese Kolonie des gottesfürchtigen Bremens sich noch keiner Kirche erfreut, und dass die Bremerhavener vorläufig in dem benachbarten Lehe eingepfarrt sind. Die Häuser sind sämmt-lich neu erbaut und haben deshalb ein freundliches Aeussere; ihre Grösse richtet sich nach den Bedürfnissen ihrer Bewohner, im Ganzen bestehen sie häufiger nur aus einem Erdgeschoss als aus mehreren Etagen, fast jedes der bessern besitzt eine gewölbte Cisterne zum Auffangen und Bewahren des Regenwassers, da es bis jetzt noch nicht gelungen ist eine Quelle zum Trinkwasser aufzufinden, und dasselbe von dem eine Viertelstunde entfernten Bremerlehe herbeigeschafft werden muss. Die Kosten des Bremerhavens betrugen, da derselbe 1832 als vollendet anzusehen war, ungefähr 602,000 Thaler, die ferneren zur Unterhaltung des Hafens verwandten bis zum Jahre 1840 etwa 13,500 Thaler, wogegen die Einnahmen sich in jener Zeit etwa auf 108,000 Thaler beliefen. Die jährlichen Unterhaltungskosten werdeii mit der Zeit abnehmen, während die Einnahme präsumtiv wenigstens so erwächst, dass die letzte die ersten decken wird. Das Amt ist ein Untergericht. Seine Competenz in Civil-sachen geht bis 300 Thaler, inzwischen kann es Arreste und dergleichen, wegen Gefahr beim Verzuge, zu jeder Summe anlegen. Als Criminalgericht ist das Amt zur Führung aller Untersuchungen berechtigt, kann nur eine Geldstrafe bis zu 50 Thalern und bis zu drei Monat Gefängniss erkennen. Sobald es sich um eine schwerere Strafe handelt, sendet es die zum Urlheil instruirten Acten dem Obergericht in Bremen zur Entscheidung ein. Bremerhaven liegt übrigens im 26. Grad 15 Min. östlicher Länge und 53. Grad 23 Min. nördlicher Breite nach dem Meridian von Ferro, etwa fünf Meilen von der See mit einer conca-ven Biegung des Ufers, so dass das Fahrwasser, welches dicht an demselben vorbeiströmt, vorerst eine Verschlammung nicht befürchten lässt. Der Binnenhafen kann etwa 80 bis 100 Seeschiffe fassen, und wird, wie man sagt, eine Vergrösserung 61 desselben beabsichtigt. Er wird, sobald die Dunkelheit eingetreten, durch eine hinreichende Anzahl Laternen beleuchtet, von Wächtern bewacht und durch eine gehörige Anzahl Spriitzen vor Feuersgefahr möglich bewahrt. Von dem Marktplatz führt eine von Ronzelen sehr haltbare, auf Hollandische Manier angelegte Klinkerchaussee nach der Hannoverschen Gränze. Wenn übrigens Bremerhaven nur zu oft an die unpoetischen neu erbauten Städte Nordamerika^ erinnert, so giebt gerade dieser Umstand, eine solche transatlantische Probestadt in unserm Deutschland zu sehen, dem Ort etwas Piquantes. Fast märchenhaft erscheint uns das Ganze, wie Traum-Gebilde die Abwechselung in dem Leben und Treiben. Und wie sehr sich ein solcher Aublick zu einer romantischen Auffassung eignet, mögen die nachfolgenden Bilder aus der Feder eines bereits verstorbenen Bremer Schriftstellers zeigen. Auf die Ruhe des Winters, wo es einige Monate bei Stockung der Schifffahrt — der Seele des Ganzen — eintönig dahin geht, folgt im grellsten Contraste mit kaum beginnendem Vor-Frühlinge in steigendem Maasse der lebendigste, vielseitigste Verkehr. Dann eröffnet sich bald wieder die kaum geschlossene Schifffahrt, und wo früher Alles stille Ruhe athmete, beginnt plötzlich ein rüstiges Arbeiten, Rennen und Jagen, Eilen und Hasten, Wagen und Gewinnen, Wogen und Treiben Tag und Nacht 5 darein erschallt aus hundert Kehlen der taktmässige Gesang beschäftigter Matrosen. — Sie sehnen sich hinaus in ihr Element und putzen ihr schwimmendes Ross, wie zum Jagen das seine ein munterer Reiter. Alles ist nun lebendig geworden, und wir glauben ein ungeheures Uhrwerk vor uns zu haben mit tausend inneren und äusseren Bewegungen, aufgezogen durch irgend einen unsichtbaren Meister. Bald mischt sich in das geschäftige Getreibe die Ankunft zahlloser Auswanderer, Leute aus den verschiedensten Gegenden, schon nach dem Ausdruck ihrer verbrannten Physiognomien; voll alter Schmerzen und neuer Hoffnungen in den Gesichtern. Männer und Weiber, Kinder und Greise, alte, hinfällige UrMütter und Säuglinge, Fremdlinge jedes Alters und Geschlechts, durchziehen schaarenweise unsere Strassen, oder sie liegen zu Haufen auf den Schiffen im Hafen. Sie scheinen den letzten 62 Eindruck des deutschen Vaterlandes in langen Zügen einschlürfen zu wollen, um lange daran zu zehren; denn auf immer wollen sie es verlassen. Durch Zufall zusammengeführt, fremd einander bisher, verbindet das gleiche Loos der Auswanderung sie Alle zu einer grossen Familie. Welche Bilder treten uns da vor die Augen! Hier ein Jüngling, wie zu den Zeiten der Minnesänger, mit der Cither, auf offner Strasse, rücksichtslos, weil Niemand ihn kennt, um ein Mädchen seiner Wahl werbend, welches schon vor Beginn der Weltfahrt er zur Gefahrtin gewinnen möchte 5 bald mit ihr zusammengeführt, weil die Gemeinsamkeit ihres Schicksals auch diesen Bund vermittelt. Dort eine Gruppe: Vater mit Söhnen und Enkeln. Im Antlitz des Alten der Schmerz eines verlorenen Lebens; ihn trägt und hält nur noch der Ausdruck des frischen Lebensmuths und der Hoffnung seines Sohnes; sein Labsal ist die Unbefangenheit kindlicher Freude und Unschuld im Blicke der Enkel. Alte Mütterchen, mit thrä-nenschwerem Auge, häuslich sorgsam ohne Haus, pflegsam, ohne bleibende Stätte; Vögeln ähnlich, denen Buben das Nest zerstörten. Armes Volk! grösstenteils einem Triebe folgend, den es selbst nicht kennt. Armes Volk mit Hoffnungen, deren Erfüllung vielleicht weiter und weiter von ihnen weicht, je näher ihrem Ziele das schwankende Schiff sie trägt! — Da rollen blitzende Equipagen heran; Alles läuft und gafft: es sind die Rheder aus unserer Mutterstadt. Sie erwarten die Heimkehr ihrer beflügelten Schiffe, in halber Frist, wie sonst. Hier und dort richtet sich ein Fernrohr: wer erkennt im weiten Ocean helle Punkte? Ein alter Schiffer steht da, schneeweissen Haares; aber mit dem Auge des Falken eine Wette ausbietend: er erkenne die „Clementine". Keiner gewahrt einen Punkt am Horizonte; die Menge lacht ihn aus, Andere schütteln das Haupt. Es vergehen einige Minuten, und man sieht den Hafenmeister dem Alten beifällig die Hand reichen. Noch eine Weile, und mehrere Stimmen ertönen: ein Schiff segelt an! Nun dauert's nicht lange, und der ganze Trupp des versammelten Seevolks ruft wie aus einer Kehle: ein Schiff, ein Schiff! Bei dem Fernrohre erschalltes: die „Clementine!" — Auf einmal heisst's: noch andere Schiffe seien im Ansegeln; man erkennt nun auch den „Theodor Körner", die „Meta", den ,,Gustav" und den „Pfeil", der sie alle überholt. Fünf Schiffe, kaum der Vollendung ihrer Hinreise nahe gewähnt, kehren gesegnet heim zum sichern Hafen. 0, Leben und Jubel die Fülle! — Unterdess ist von der Mutterstadt das Dampfschiff Bremen angekommen. Hunderte entsteigen ihm in schmucke Böte. Alles stürzt dahin, die Ankömmlinge zu mustern. Rheder und vornehme Auswanderer sind darunter. Zwei Muster, hohen geistigen Blicks, vergeistigt mehr noch durch den Ernst der letzten Fahrt im Vaterlande, treten an's Land; hier in der Fremde liebend geleitet und empfangen von Bekannten und Freunden, die sie früher nie gesehen: es sind die von Maltitz, bekannt genug in deutschen Landen, Vater und Sohn. — Es ist Abend geworden. Man hat ferne Fahrzeuge erblickt; aber keins kam näher. Nun deckt Finsterniss den Strom , das Meer. Bald erhebt sich ein Sturm , vielleicht drohet ein Orkan. Leuchten fliegen dem Hafen entlang; ein Lootsen-Kutter muss hinaus in die Nacht. Dort sieht man Leute geschäftig, ihr Schiff zu rüsten; eilig, doch mit der Ruhe des Todes im Antlitz. Es sind die Männer, die nie eines Sarges bedürfen, denn von Geschlecht zu Geschlecht sterben sie im Meer; und das wissen sie. — Andere Scenen erscheinen, wenn der Morgen graut. Der Wind ist günstig geworden und der ,,Copernikusec will die Anker liihten. Seine Passagiere, des langen Harrens ungeduldig, stehen erwartungsvoll auf dem Verdeck. Sie müssen hinunter, weil sie die Zurüstung der Segel hindern. Aber eine Mutter am Ufer ruft noch nach ihrem Sohne, ihn zu umarmen. — Das Schiff ist nun glücklich aus dem Hafen geholt; es gelangt weiter, die Segel schwellen sich; hundert Tücher entflattern dort in den Lüften, noch einmal den Abschieds-Gruss zu winken. Da stehn sie am Lande truppweise; sie erwiedern den Gruss mit ihren Tüchern; Thränen entstürzen ihren Augen. Weiler und weiter geht das Schiff; ihm folgen vom Lande nur noch stumme Blicke, stille Wünsche. Die Umstehenden verlieren sich. Doch ein Einzelner ist bis zuletzt geblieben; schweigend geht nun auch er seines Weges, einsames stilles Feld suchend. — Von jenem Schiff dort, es ist die ,,Elise", die Prächtige, dem Hafen schon glücklich entkommen, hört man wildes Geschrei. Es lag auf der Rhede, des günstigen Windes gewärtig, als ein 64 Boot sich ihm nahte, Polizei-Offizianten ihm zuführend. Das Signalement eines Steckbriefes in der Hand, mustern sie auf dem Deck die Auswanderer. Ein Mann, allbeliebt in ungeahnter Verstellung bei den Gefährten zur Reise, wird erkannt, den Armen der Gattin und Kinder entrissen, und als politischer Vergehen Beschuldigter einsam zurückgeführt im Boote. — In alle jene Bilder, die sich in stets veränderten Zügen unserm Blicke darbieten, mischen sich die charakteristischen Nationalitäten, welche aus den Schiffsmannschaften der verschiedensten und entferntesten Länder uns entgegentreten. Russen, Engländer, Franzosen, Schweden, Spanier, Amerikaner, Holländer, Neapolitaner, Dänen, Belgier; und aus gemeinsamem deutschen Vaterlande Hamburger, Lübecker, Preussen, Oesterreicher, Oldenburger, Hannoveraner, Mecklenburger und Bremer, — Alle, trotz der Gleichheit ihres See-Lebens, von verschiedener Eigentümlichkeit, vollenden ein Gemälde, welches gleichartig vielleicht nirgend sonst noch einmal gefunden wird. — Denn ganz anders bilden sich die Ziige, wo dieselben Elemente, wie die obigen, in einer Stadt, etwa wie Hamburg, zusammentreffen. — So eine Weltstadt, grossartig in Allem, lässt in ihrem Gewühle von Hunderttausenden das Frappaute jener kleinen Scenen mehr verschwinden, gleich einzelnen Diamanten im Schmucke einer Kaiserkrone. — Aber Bremerhaven, an sich beschränkt und einfach, fasst und hält diese bunten Erscheinungen zusammen, wie der leichte Goldreif die wundersamen Reflexe eines ä jour gefassten Edelsteines. Bremen. Vielleicht ist Bremen schon eine von den vier und neunzig germanischen Städten, deren Ptolomäus, der Geograph, unter dem Namen Phabiranum erwähnt, welches Einige wieder von den Worten ,,Fahrct und „Prameii" (letzteres bedeutet in Niedersachsen an manchen Orlen ,,Fährschiff") ableiten wollen. Gewiss ist der Ort alt, da er bereits um das Jahr 788, als Karl der Grosse den Entschluss fasste, dort 65 Hochstift zu gründen, schon bewohnt war. Um jene Zeit kommt der Name „Bremon" schon in Urkunden vor. *) Der erste Bischof Willehad, ein englischer Priester sassischer Abstammung, erbaute hier eine hölzerne Kirche, wo jetzt der Dom steht. Zuerst dem Erzstifte Köln untergeordnet, wurde, da Ludwig der Fromme es für nöthig fand, ein noch nördlicheres ßisthum zu errichten, Bremen im Jahre 858 mit Hamburg zu einem Erzbisthum vereinigt, jedoch blieb es der gewöhnliche Sitz der Prälaten. Hierdurch entstanden zwischen beiden Domkirchen grosse Streitigkeiten, welche erst im Jahre 1223 und zwar zu Gunsten Bremens entschieden wurden, und das Erz-stift, welches zu Bremen blieb, hatte nun 2 Kathedralen und 2 Kapitel; jedoch sollten, zur jedesmaligen Wahl, drei Domherren von Hamburg zugezogen werden. Der Erzbischof erhielt indessen vom König Otto I., dass der zu Bremen sitzende kaiserliche Potestat abberufen und keiner wieder eingesetzt wurde, wodurch der Grund zu der bischöflichen Autorität in dieser Stadt, die 934 ihren ersten Magistrat und grosse Privilegien erhielt, gelegt wurde. Doch mussten die Bischöfe die erworbenen kaiserlichen Gerechtsame durch Kastenvögte verwalten und ausüben lassen. Bremen gedieh unter dem Krummstabe vortrefflich. Der hohe Geist des Erzbischofs Adalbert 1043, seine Prachtliebe, Gastfreundschaft, Freigebigkeit, Freundlichkeit, sein scherzhaftes und herablassendes Wesen, zog aus allen Ländern Fremde heran, welche Bremen natürlich auch einen bedeutenden Handelsverkehr bereiteten. Vorzüglich aus dem fernen Norden, von Island, Grönland, selbst von den orkadischen Inseln, wurden Abgeordnete hier gesehen, welche ihn um Lehrer des Christen-thums baten. — Adalbert hatte sich vorgenommen, kein Herzog, kein Graf, noch irgend eine Person solle eine Gerichtsbarkeit in der Stadt haben, auch nannte er , vielleicht in dem Gefühl, den Pabst des Nordens zu spielen, sein Bremen : „parvula Roma" (Klein-Rom). *) Vergl. 1) Ansichten der freien Hansestadt Bremen und ihrer Umgebungen, von Doctor Storck, 1822, ein höchst interessantes und empfehlungs-werthes Werk. 2) Wegweiser durch Bremen und seine Umgebungen. 1839. Die Ost- und Nordsee. 9 Die Bremer nahmen eifrigen Antheil an den Kreuzzügen. Als in der langen Belagerung von Accon Krankheiten unter den Kreuzfahrern überhand nahmen, da spannten Bremer und Lübecker gemeinschaftlich ein Segel zum Zelte aus, nahmen Kranke auf, verpflegten sie, und dies war der kleine Anfang des deutschen Ritterordens. Otto von Karpen, der nach des Chronisten Zeugniss, seines Gleichen nicht im gottseligen Wandel hatte, ein Bremer Bürger, war zweiter Ordensmeister. Dreissig Jahre früher, 1158, geschah die Gründung der Stadt Riga, durch Bremer, welchen Umstand noch ein Schlüssel, den Riga, wie Bremen im Wappen führt, bezeugt. Unter dem Erzbischof Gerhard kam der Stedinger Kreuzzug zu Stande. Die Friesen, welche seit dem zwölften Jahrhundert nicht allein der Bremischen Diöcese unterworfen, sondern auch Unterthanen und Zehntpflichtige waren, wurden von den Burgmännern der benachbarten welllichen und geistlichen Herren, welche den Vortheil, der im Aulblühen ihrer Unterthanen lag, unweise verkannten, durch Uebermuth und Frechheiten zu Thät-lichkeiten gereizt, welche in eine völlige Empörung ausbrachen, als ein Priester, 1230, einer Friesischen Edelfrau den ihm zu gering scheinenden Beichtpfennig in einer Hostie zurückgegeben hatte, deshalb aber von dem Manne der Beleidigten erschlagen war. — Erst nach vierjährigem Kampf mit Bremen und Oldenburg theilten beide Staaten die Beute des besiegten Volks. Nachdem Bremen 1243 die Freiheit von jeglichem Zoll von dem Grafen von Oldenburg erlangt halte, trat es 1284 zur Hansa. Allein die Macht der Stadt wurde durch innere Unruhen geschwächt. Diese, sowie die eigenmächtigen Handelsunternehmungen nach Flandern und die Seeräubereien des berüchtigten Bremer Piraten, Holl mann, veranlassten die Ausstossung Bremens aus der Hansa im Jahre J361. Die Wiederaufnahme geschah jedoch bald. In demselbigen Jahre segelte ein Schiff mit fünfzig Kriegs-leulen unter dem Bürgermeister ßerend von Dettenhusen mit der hansischen Macht gegen den König von Dänemark. Der Rath halte seine Leute gleichförmig gekleidet, damit man sie desto besser erkennen könne, vielleicht die erste geschichtliche Spur einer Uniformirung. Graf Heinrich von Holstein, wegen seiner Tapferkeit der Eiserne genannt, der Stadt-Rittmeister, lobte vorzüg- 67 lieh die Tapferkeit dieser Bremer Mannschaft, welche ihrer Stadt vornämlich wieder die frühere Stellung in der Hansa verschaffte. Die innern Zwistigkeiten dauerten indessen fort; die Anhänger einer Parthei, der sogenannten grandc curnpanie, welche hatte unterliegen müssen, vereinigten sich mit dem Erzbischofe, dem sie zur Erlangung von Rechten über die Stadt behülflich zu sein versprachen. An der Spitze dieser Verräther stand der Seeräuber Johann Holl mann und der Bürgermeister Johann von der Tiever. Mehre der gutgesinnten Bürger mussten vor ihnen entfliehen. Sie eilten nach Delmenhorst zu dem Grafen Casten, mit dessen Hülfe sie Bremen wieder einnahmen und sich au den Verräthern rächten. Hollmann wurde getödtet und sein Körper zum Fenster hinausgehangen. Der riesengrosse Leichnam erregte Entsetzen. Bei diesem schrecklichen Anblick sank sein Weib nieder, genas eines Kindes und starb. Der Bürgermeister Johann von der Tiever wurde an seiner eignen Thür, neben der Holzpforte, an einem eisernen Haken aufgehängt (1366). Den innern Kämpfen folgten alsbald auswärtige Fehden, zuerst gegen die Verdensche und Lüneburgische Ritterschaft, entstanden durch die sonderbare Behauptung, der Erzbischof sei ein Zwitter, sodann gegen die Grafen von Oldenburg und Delmenhorst und . eine bedeutendere gegen die Friesen (1418). Die meisten fielen mehr oder weniger günstig für die Bremer aus, welche, kaum dass diese Kriege beendet, schon gegen die Häuptlinge des Budjadingerlandes , und dann wider die Friesen ziehen mussten. Hier erregt das Schicksal der Gebrüder Dedo und Gerold das grösste Interesse. Die Häuptlinge von Stadtland und Esens hatten gewiss ungern zugeben müssen, dass die Bremer zur Sicherung ihres Handels die Fredeburg baueten. Nur die Noth hatte ihre Einwilligung, so wie das Versprechen, ferner die Schifffahrt der Bremer nicht zu stören, ja sogar zu fördern, erzwungen. Neue Versuche und Bruch des gegebenen Wortes zogen einen Krieg nach sich (1418); diesem folgte eine kurze Ruhe. Aber einige Jahre später vereinigten sich fast alle Friesen, um die Burg zu zerstören. Am Abend S. Cosmä und Domiani naheten sich, ohne die Hauptschaar abzuwarten, des verstorbenen Lubke Onnekens? 68 Häuptlings von Esens, beide Söhne, Dedo und Gerold, mit vier und zwanzig Friesen und zwanzig deutschen Schützen. Es gelang ihnen, die Aussenwerke zu zerstören und den Befehlshaber in der Burg, der zum Fenster hinaus die Seinen ermunterte, zu tödlen 5 sie konnten aber nicht der ganzen Burg Meister werden. Die Besatzung lief aus den Häusern zusammen, schoss aus den Thürmen herab auf die Friesen; die Hülfe kam nicht, Viele waren verwundet; sie benutzten die Dunkelheit der Nacht, um sich zu verstecken. Als der Morgen kam, rieth der jüngere Bruder zur Rückkehr. ,,Der nächtliche Ueberfall," sprach er, „hat uns nicht so weit gebracht, dass wir den Burgfrieden gewonnen hätten. Es ist besser, wir versuchen es ein andermal.46 Seine vernünftige Rede fand kein Gehör. Feigheit wurde ihm vorgeworfen. „Gut," sprach Gerold, „meinen Rath habt ihr gehört. Uebri-gens thue ich, was ihr thut." Sie begannen wieder zu stürmen. Bald aber sahen die Friesen, dass die deutschen Schützen mit der Besatzung von Uebergabe redeten, dass im selben Augenblick die Wurdener zu Hülfe gezogen, und sich schon der Brücke näherten. Dedo war nach der Brücke gestürzt, gab das Zeichen zum Abzug, aber von Innen wurde den Zuziehenden gerufen, sie möchten eilen. Da war alle Rettung hin. Die Friesen wurden sämmtlich gefangen, und nach Bremen gebracht. Man führte die Gefangenen alsbald hinaus zum Tode. Dedo, der ältere Bruder, ward zuerst enthauptet. Gerold nahm das Haupt des geliebten Bruders und küsste in innigster Wehmuth den bleichen Mund. Viele des Raths sahen dies nicht ohne Rührung, es regte sich die Neigung, dem herrlichen trauernden Jüngling das Leben zu schenken. Ihn zum Bürger in Bremen zu gewinnen, wäre vielleicht ein Mittel gewesen, die Streitigkeiten zwischen Bremen und den Friesen zu stillen. „Bleibe bei uns in Bremen," sprachen sie, „verheirathe Dich unter uns, Du magst Dir eine angesehene Bürgertochter zum Weibe wählen, und ein geehrter Mann unter uns sein." Der Jüngling hob sein Haupt empor, blickte sie stolz an und sprach: „Ich bin ein edelfreier Friese, Eure Pelzer- und Schuhmachertöchter sind nicht für mich. Wollt Ihr mir aber 69 das Leben schenken, so will ich Euch ein halb Scheffel voll Gulden geben.44 Das stolze Wort gefiel jüngeren Rathleuten, und machte sie geneigt, sein Erbieten anzunehmen 5 aber Arend ßalleer, ein alter Rathmann, sprach: ,,Nicht so, der wird nimmer den Russ auf seines Bruders todte Lippen vergessen. Ihr habt nie etwas Gutes von ihm zu gewarten." Da ging auch der hochherzige Gerold zum Tode; ihm folgten zwanzig Friesen, die wurden auf's Rad gelegt. Die Deutscheu wurden begnadigt um ihres Verraths an den Friesen willen. Der grausame, obwohl kluge ßalleer wurde später von einem Friesen erschossen. Die Haupthelden der Friesen, Ocko Renen und Focko Ukena, griffen nach beendigter Fehde mit den Bremern sich unter einander an. Der erste, mit Oldenburg, Braunschweig und Bremen verbündet, erlitt 1426 eine furchtbare Niederlage bei Deterden, wobei selbst der Bremische Erzbischof gefangen wurde. Der Bürgermeister Johann Vassmer bewirkte die Auslösung desselben und den ersehnten Frieden. Partheiungen im Innern, wegen deren sie 1427 wieder aus der Hansa gestossen ward, setzten die Stadt in die misslichste Lage. Johann Vassmer, welcher friedliche Aussöhnung des aus der Stadt entwichenen und mit Bundesgenossen anrückenden Rathes mit dem zurückgebliebenen versuchen wollte, ward auf seiner Reise von Stade zum Grafen von Oldenburg am sechsten Juni 1430, in der Nähe von Reckum, von einem Fleischer erkannt, und den Gerichtsboten, die ihm der über sein Bemühen ergrimmte Rath nachgesandt, verrathen. Den andern Morgen um sechs Uhr ward er in die Stadt gebracht, und in ein unterirdisches Criminalgefängniss gesetzt. Vergebens erschien Rixa, Gräfin von Delmenhorst, Erz-hischofs Nicolaus Mutter, eingedenk jenes durch Vassmer ihrem von Focko Ukena gefangenen Sohne erzeigten Dienstes, auf dem Rathhause und bat herzlich um die Loslassung Vassmers. Weder ihr Geschlecht, noch ihr Rang, noch ihr ehrenvolles Alter, noch, dass sie den Erzbischof in ihrem Schoosse getragen, konnte auf die Leidenschaftlichkeit Eindruck machen; der Rath gab nur Vassmers Knecht los. 70 Am folgenden Dienstag wurde Vassmer ohne Untersuchung gebunden auf den Markt vor das, durch den erzbischöflichen Vogt und zwei Beisitzer (einer derselben, Johann von Minden, war Vassmers Schwiegersohn) aus dem Rath gehegte Blut- oder Noth-gericht geführt, und Klage gegen ihn erhoben, dass er und sein Sohn an der beschwornen Eintracht meineidig geworden. Umsonst versicherte Vassmer seine Unschuld, das silbergelockte Haupt, ergraut unter den Sorgen für das Wohl des Staats, ward durch das Richtschwert von dem Körper getrennt. Vassmers Gattin wollte zur Ruhe der Seele des unschuldig Gemordeten Vigilien und Seelenmessen feiern lassen. Die auch durch seinen Tod noch nicht versöhnte Wuth des neuen Raths untersagte ihr nicht allein die Erfüllung der frommen Pflicht, sondern zog auch ihr Vermögen ein. Schmerz und Herzeleid zogen sie und ihre Töchter, deren einige schon mit dem ßrautkranze geschmückt waren, dem theuern Gatten und Vater bald nach in die Gruft. Allein die Vergeltung blieb nicht aus. Der Sohn des Ermordeten, Heinrich, zog an Kaiser Siegmunds Hof, klagte den Rath an und forderte Genugthuung. Die Stadt ward in die Acht und Oberacht erklärt, Bremen auch verurlheilt, dem Kläger sein väterliches Vermögen zurückzugeben und alle Unkosten zu vergüten. Dem Andenken seines Vaters wurde ein Altar geweiht und eine ewige Seelenmesse gestiftet und auf Vassmers Leichenstein die in ihrer Einfachheit vielsagende und rührende Inschrift gesetzt: ,,Hier ligt de unschuldige Vassmer." Die Acht wurde erst nach grossen Geldopfern wieder aufgehoben. Ehe noch die Vassmersche Angelegenheit beseitigt war, vertrugen sich der alte und neue Rath — so nannte man beide Partheien, durch Vermittlung des Erzbischofs und benachbarter Fürsten und Städte (1433). Das damals errichtete Grundgesetz der Stadt, die neue Eintracht, ist das noch heut zu Tage gültige. Der Artikel 2 enthält die merkwürdigen Worte: ,,So denn ein vollmächtiger Rath , wie er vou je gewesen, fortan zu ewigen Tagen seyn und bleiben solle." Fortwährend beschäftigten indessen nach dieser Zeit noch auswärtige Kriege die Stadt. In einem derselben gegen den Grafen Gerhard von Oldenburg wurden die Bremer, auf einem 71 Zuge durch das Oldenburgische, in's Moor zurückgedrängt, und mussten sich hier sämmllich ergeben. Sämmtliche Wagen und das Geschütz wurden gefangen, fünflausend Mann getödtet, oder versanken im Morast. Dies war die grösste Niederlage, welche die Bremer je erlitten. Der Platz heisst noch bis auf diesen Tag >jdie Bremer Taufe." Im Jahre 1522 trat Bremen zur protestantischen Kirche über, welches dasselbe in allerhand Fehden verwickelte, es namentlich in eine feindliche Stellung gegen den Erzbischof brachte. Der katholische Gottesdienst im Dom hörte jetzt ganz und für immer auf; wenn auch gleich später das Domkapitel, das indessen grösstentheils protestantisch geworden, zurückkehrte. Inzwischen entstanden manche innere Unruhen in der Stadt. Verringerung der Bremer Bürgerviehweide , welche im Jahr 1032 durch die Gräfin Emma von Leesum der Stadtgemeinde geschenkt worden, ward von der dem Rathe feindlichen Parthei zum Anlass genommen und die zur Schlichtung dieser Angelegenheit gewählte Deputation von 40 Bürgern, nachdem sie noch 64 hiezu gewählt, (die Hundert und vier) stellten, weit entfernt, Ruhe und Ordnung zu verschaffen , sich an die Spitze der Volksparthei. Dies regte die unruhigen Köpfe nur noch mehr auf und riss, den Rath unterdrückend und sogar zur Flucht nach Bederkesa veranlassend, alles Regiment an sich. Die schändliche Ermordung des Rudolph von Bardewisch, Comthur des deutschen Ordens, von dem verbreitet war, dass in seinen Händen die wahre Urkunde sei, welche die Gränzen der Bremer Bürgerviehweide bestimme, bleibt ein Schandfleck in der Geschichte jener Zeit. Johann Kremer stiess ihn auf Verlangen des wahnsinnigen Volkes in dem Thurm zur heiligen Geistkirche, wo sich Rudolph nicht länger verteidigen konnte, da der Thurm schon von Karthaunen halb zusammengeschossen war, trotz des Anerbietens des um Gnade Flehenden, der Stadt sein ganzes Vermögen zu schenken, unbarmherzig nieder. — Als indessen ihres willkürlichen, ungesetzlichen Schal-teils müde, die rechtlichen Bürger von den Hundert und Vier abfielen, gelang es dem Rath, wieder in die Stadt, wo er mit dem grössten Jubel aufgenommen wurde, sowie zu seinen früheren Rechten zu kommen. In Folge der von den Hundert und \ier bewirkten Vertreibung des Domcapitels, ward die Stadt, 72 die zu dem schmalkaldischen Bund übergetreten war, vom Kaiser und Bischof in die Acht erklärt, befehdet und belagert, vor welcher Noth sie aber, da das Ungewitter sich zuerst über Magdeburg entlud, der 1552 von Moritz erzwungene Passauer Vertrag bewahrte. Bremen wurde, gegen einige Opfer, die es bringen musste, von der Reichsacht frei. Die Lehnsherrlichkeit über Esens und Wittmund musste an den Kaiser abgetreten und Mitunterhaltung des kaiserlichen Kammergerichts angelobt werden. Gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts störten theologische Streitigkeiten, in denen der Prediger Hardenberg, Senior der meistens protestantisch gewordenen Domherren , die bedeutendste Rolle spielte, aufs Neue die Ruhe. Im Jahre 1555 beginnend , nahmen sie bald einen politischen Charakter an. Die Anhänger der Lehre Zwingli's gewannen die Oberhand, und 77 Jahre blieb der Dom geschlossen; erst der letzte Bischof Bremens , ein Sohn des dänischen Königs, Christian's IV., Hess denselben wieder öffnen und führte den lutherischen Gottesdienst darin ein. Unter ihm kam das schon secularisirte Erzstift Bremen an Schweden, durch Krieg gewonnen und durch den west-phälischen Frieden bestätigt. Noch war die Stadt nicht als Reichsstadt anerkannt. Zwar wurde sie 1640 zum Reichstage berufen und im westphälischen Frieden ihre Freiheiten und Gerechtigkeiten in geistlichen und weltlichen Sachen mit der völligen Reichsunmitlelbarkeit bestätigt. Doch sah sie sich in dem Vergleich mit Schweden zu Habenhausen 1666 zu dem Versprechen genöthigt, ihr Sitz- und Stimmrecht auf dem Reichstage, wenn derselbe zu Ende gegangen sein würde, aufzugeben. Da derselbe indess seitdem permanent blieb, so behielt sie ihren Sitz und ihre Stimme, und 1731 gestand ihr endlich das Haus Braunschweig-Lüneburg, als nunmehriger Besitzer des Herzogthums Bremen, die Reichsfreiheit völlig zu. Ihre übrigen Verhältnisse mit Braunschweig regulirte sie in dem Vertrage von 1741, worin sie das Amt Blumenthal, das Gericht Neuenkirchen und die Meier und Köther auf dem Dü-velsmoore abtrat. 1803 wurde ihre Unmittelbarkeit aufrecht erhalten und der Deputationsrecess sicherte ihr alle fremdherrliche Gerichtsbarkeiten in der Stadt, die Güter des Bremer Stifts und die Dörfer Hastedt, Schwachhausen und Wahr zu, auch sollte 73 zu ihren Gunsten der Elsflether Zoll, weshalb sie bereits im Anfange des 17. Jahrhunderts eine langwierige Fehde geführt und sich 1652 sogar die Reichsacht zugezogen hatte, aufgehoben werden. Im Jahre 1806 wurde Bremen zuerst von den Franzosen besetzt. Aber 1810 schlug sie Napoleon, nachdem derselbe im Anfange des Jahres noch die Unabhängigkeit der Handelsstädte erklärt hatte, «zu dem neu errichteten Departement der Wesermündungen, und suchte zwar den Verlust ihrer Unabhängigkeil mit dem Titel einer guten Stadt und der Fixirung der Departe-mentalauloritäten in ihren Mauern zu versüssen, indessen wurde durch diese Maassregel ihr Handel ganz vernichtet und ihr Wohlstand auf das Tiefste erschüttert. Als Napoleon 1812 aus Russland zurückkehrte, äusserte sich bald die Freude darüber in Bremen, von dem der Kaiser selbst sagte: ma bonne ville de Breme est la plus mal intentionnee de tout mon e??ipire. Strenge Maassregeln von Seiten der französischen Behörde waren die nächste Folge. Zum Glück erhielt sich dieser Zustand nur wenige Jahre, schon 1813 befreiete sie die Leipziger Schlacht von der französischen Usurpation, und der Wiener Kongress gab sie 1815 dem deutschen Bunde als freie Stadt zurück. Sie hat sich seitdem bemüht die nöthigen Abänderungen in ihrer Constitution herbeizuführen, und sich ihrem vormaligen Wohlstande durch weise Verfügungen zurückzugeben. Auch ist 1821 die Aufhebung des Elsflether Zolls wirklich erfolgt, und die neue Weserconvention von 1823 verspricht ihrem Handel auf dem Strome eine gesicherte Existenz. — Die Verfassung dieses Freistaates hat gegenwärtig einen ganz demokratischen Zuschnitt, ist aber noch nicht völlig regu* lirt; man arbeitet gegenwärtig an einer neuen Constitution, und ist in Folge eines gemeinsamen Beschlusses vom achten Februai 1831 von Rath und Bürgerschaft ein gemeinschaftlicher Aus-schuss niedergesetzt, um eine neue Verfassung zu entwerfen. Im Mai 1837 ist ein Entwurf vom Senat im Convent vorgelegt, ohne dass eine definitive Annahme erfolgt wäre. Die gesetzgebende Macht ist bei der Gesammtheit d$r Bürger, dem sogenannten Bürger-Convente. Diese theilt sich in den Senat („Rath") und ,,die Bürgerschaft". Jener ist die ausübende und verwal-Dic Ost - und Nordsee. 10 74 tende Behörde, zusammengesetzt aus vier Bürgermeistern, die halbjährlich im Präsidium wechseln, vier und zwanzig Senatoren, von denen acht Kaufleute, sechszehn Gelehrte sind, und aus zwei Syndiken. Der Senat ist indess nicht allein Administrativ-, sondern auch zugleich die einzige Justiz-Behörde, allerdings ein Uebelstand, der zu manchem Missbrauche Anlass geben kann. Früher ergänzte der Rath sich selbst, zu welcher Zeit indess eine Menge von Verwandtschaftsgraden ausgeschlossen wurden; jetzt, nach freiwilligem Verzichte auf dies Recht von Seiten des Senats, wählt bei einer Vacanz die Bürgerschaft zwölf aus ihrer Mitte, von denen vier durch das Loos bestimmte mit vier Senatoren zusammen drei Candidaten vorschlagen, aus denen der Senat Einen wählt. Zwischen Rath und Bürgerschaft, in gewisser Weise das Organ dieser, steht das Collegium der Aeltermänner, eine (Korporation der angesehensten Kaufleute, die sich selbst ergänzt und zwei Rechlsgelehrte als Syndici hat. Das Collegium hat ein eignes Versammlungshaus, den Schütting und in diesem ein eignes Archiv. Die herrschende Religion ist die protestantisch-evangelische. Die Zahl der Katholiken ist verhältnissmässig sehr unbedeutend. Juden dürfen in der Stadt gar nicht wohnen, sie leben grösstenteils in dem aus dem Osterthore gelegenen Hastedt, eine halbe Stunde von Bremen. Die Stadt ist in fünf reformirte Kirchspiele eingetheilt, die Vorstädte in zwei. Die Lutheraner haben nur eine specielle Kirche, den Dom, der ohne bestimmte Parochialgränze die ganze lutherische Gemeinde, soweit dieselbe sich nicht zu den einzelnen Pfarrkirchen hält, an denen meistens ein lutherischer Prediger mit zwei reformirten angestellt ist, umfasst. — Was das Gebiet anbetrifft, so bilden die Flecken Vegesack und Bremerhaven jeder ein eignes Amt, in dem der Amtmann die untere Gerichtsbarkeit ausübt. Für die übrigen Dörfer sind als Verwaltungsbehörde zwei Senatoren , die ,,Landherren 66, committirt; ihr Recht müssen die Bauern bei den städtischen Gerichten suchen. Bremen liegt unter dem 26° 28' 6" östlicher Länge und 53° 4' 48" nördlicher Breite, 8 bis 10 Meilen vom Ausflusse der Weser in die Nordsee. Durch die Weser wird die Stadt 75 in zwei Hälften getheilt, wovon die grössere an der rechten Seite des Flusses die „Altstadt", die an der linken die ?5 Neustadt" genannt wird. Zwischen beiden befindet sich an der Östlichen Seite eine Landzunge, ,,der Theerhof", welcher die Weser in zwei Arme theilt, in ,,die grosse" und in „die kleine" Weser. Zwei gleichnamige Brücken, „die grosse", an der Seite der Altstadt, „die kleine" an der der Neustadt, verbinden diese beiden Theile der Stadt, zwischen denen ausserdem noch mehre Fähren zur Communication dienen. Die grosse Weserbrücke ist jetzt abgerissen und wird neu gebaut, der starke Eisgang, welcher sich in den letzten Jahren um Vieles vermehrt hat, erfordert die festesten Grundlagen und die solideste Ausführung. Sachverständige versichern daher, dass das Werk einen Zeitraum von drittehalb Jahren erfordern wird. Man hat unterhalb dieses Platzes eine Nothbrücke geschlagen, welche indessen in dem Augenblicke, da diese Zeilen geschrieben werden, vom Untergange bedroht, und durch Wasser und Eisgang für die Passage der Wagen unfähig gemacht ist. Seit dem Jahre 1827 pflegt die Weser bei rasch eintretendem Thau-wetter und namentlich im Frühling, einen aussergewöhnlichen gefahrdrohenden Stand zu erreichen, wovon wahrscheinlich die sehr vervollkommneten Abwässerungsanstalten an der obern Weser die Schuld tragen. Sie leiten das Regenwasser rasch in die Weser, während es früher keinen Zutritt zu derselben hatte, und in den Niederungen langsam verdunstete. Auch die Einengung des Strombettes, um es behufs der Schifffahrt zu vertiefen, mag nicht wenig dazu beitragen, den Ablauf des Wassers zu hemmen und dies um so mehr, wenn gleichzeitige heftige Winde aus Nordwest, oder Springflulhen die Fluthen bis zur Stadt hinauf treiben. — Durch den hohen Stand der Weser entstehen dann oftmals Deichbrüche, durch welche auf der einen oder andern, oder auch beiden Seiten eine grosse Strecke des niedrigen Landes überschwemmt wird. Die Stadt Bremen hat eine Länge von 6600 Fuss auf der rechten, von 5700 Fuss auf der linken Seite der Weser, und eine Breite von 4200 Fuss. Mit den Vorstädten hat sie über 8000 Häuser und etwa 49,000 Einwohner. Sie hat mit Frankfurt, Lübeck und Hamburg die 17, Stelle auf der Bundesver- 76 Sammlung, im Plenum eine eigne Stimme. — Das Contingent der Stadt besteht aus 485 Mann Infanterie, zur zweiten Division des 10. Armeecorps gehörig. Die Cavallerie ist 60 Mann stark, die Caserne in Hastede, eine halbe Stunde von der Stadt. Die Offiziere werden, wie von den übrigen Hansestädten, aus solchen jungen Portepeefähndrichen ernannt, welche auf der Oldenburger Militairschule gebildet und dort erzogen sind. — Der Handel Bremens scheint fortwährend im Zunehmen zu sein, namentlich wird sein Tabaksmarkt als der vorzüglichste in Deutschland gepriesen. Das Weingeschäft hat durch die Verbreitung des preussischen Zollverbandes sehr gelitten, wie dasselbe auch durch den hannoverisch-oldenburgischen Zollverein in seiner Thäligkeit sehr gehemmt wird. Die Schiffsrhederei vermehrt sich auf eine auffallende Weise und ist ein sicherer Zeuge für die Ausbreitung des Handels. Am 1. Januar 1841 betrug die gesammte Anzahl der bremischen Seeschilfe 198, worunter 1 Grönlandsfahrer und 4 Südsee-Wallfischfänger, in Summa von 26,890 Lasten, und sind zur Zeit noch 10 Schiffe im Bau begriffen, deren Namen bereits bestimmt, von 1590 Lasten. — Diese 208 Schiffe halten mithin im Ganzen circa 28,500 Lasten. Wer auf der rheinischen Strasse nach Bremen kommt, betritt hier zuerst die Neustadt. Das Auge ruht hier auf nichts Altem, der ältern Geschichte Angehörigem, weil hier Häuser uud Kirchen aus neuerer Zeit herrühren bis die Weserbrücke erreicht wird. Hier entfaltet sich denn der ganze Anblick der alten Hanse- und kaiserlichen Stadt. Weit in die Weser hinab und hinauf drängen sich hohe massive Häuser, zum Theil in alterthümlicher Gestalt dicht an den Fluss, und aus der Häusermasse hervor steigen die Kirchthürme. Man hat den Bremern oft Philistrosität und Spiessbürger-lichkeit vorgeworfen und namentlich haben sie in neuerer Zeit in ihrem Landsmann „Beurmann" einen erbitterten Feind gefunden, welcher mit vielem Witz die Schwächen derselben persiflirt hat. Die Phrase: ,,baren tagen (geboren und erzogen) Bremer Kindce, wird nicht ohne Selbstgefälligkeit von ihnen ausgesprochen, wogegen der im übrigen Norden gang und gäbe Ausdruck: ,,Ick bin keen Bremer'% einen freiwilligen Verzicht auf jene Ehre auszudrücken scheint. Allein Bremen 77 hat auch manche Vorzüge vor den übrigen Deutschen und namentlich vor den Handelsstädten. Rechtschaffenheit, Thätigkeit, Patriotismus, der die meisten Staatsämter, welche zum Theii mit den schwierigsten Arbeiten verbunden sind, unentgeltlich verwaltet, Religiosität und ein fast fabelhafter Wohlthätigkeits-sinn, den auch die grosse Menge der Wohlthätigkeitsanstalten und milden Stiftungen bekunden, zeichnen seine Bürger vorteilhaft aus. Junge Kaufleute werden auf den Bremer Comptoiren am gründlichsten gebildet, ihr Betragen wird hier mehr als an andern Handelsplätzen überwacht, wenn gleich der leidige Specula-tionsgeist aus der Erziehung der Handelsbeflissenen in den letzten Jahren eine gehässige Erwerbsquelle gemacht hat, und die meisten der jungen Leute ihre Lehrjahre tlieuer bezahlen müssen. Die Bremer scheuen keine Kosten, um sich die besten Kanzelredner zu verschalfen, doch sind die Streitigkeiten zu beklagen, welche in der neuern Zeit, zum Aergerniss des wahren Christenthums, unter den Geistlichen selbst vorgefallen und durch den Druck vielfältig verbreitet sind. Die lutherischen Dompre-diger stehen in keiner Verbindung mit den reformirten, auch die Gemeinden bleiben so von einander abgesondert, dass es begreiflich wird, wenn eine junge Dame, auf die Frage, ob sie Drä-seke, welcher damals an der reformirten St. Ansgarii-Kirche angestellt war, oft höre? erwiederte: ,, Verzeihen Sie, wir gehören zum Dom.u So tragen auch die Kinder des lutherischen Waisenhauses andere Aufschläge und Kragen wie die des reformirten, weshalb jene die gelben, diese die rothen genannt werden. Musik, die Freundin des religiösen Cultus, wird in Bremen hoch in Ehren gehalten, die kirchliche steht unter der Leitung des vortrefflichen Organisten Riem. Dagegen hat die dramatische Kunst bis jetzt wenig Unterstützung gefunden, die meisten Schauspieldirectoren haben sich in Bremen nicht halten können, selbst nicht der vortreffliche Künstler Gerber, der den Bremern das beste Theater hinstellte, was sie je besessen. Indessen scheint auch für die Bühne der Geschmack erwachen zu wollen, und ist der Neubau eines glänzenden Schauspielhauses neuerdings beschlossen. Bremen ist die Vaterstadt vieler ausgezeichneter Männer. Heeren und der kürzlich verstorbene Astronom Olbers waren Bremer, der jetzige Bürgermeister Smidt ist anerkannt als ein ausgezeichneter Diplomat, der als Mensch und Jurist gleich vorzügliche Doctor Droste, so wie der scharfsichtige Richter Meier verdienen vorzugsweise als Zierden des Senats genannt zu werden. Auch die Namen Heineken und Gröning haben in Bremen einen guten Klang. Zu den Sehenswürdigkeiten Bremens dürften zu zählen sein: 1) Der Dom, dessen Grund nach dem Muster des Kölner vom Erzbischof Bezelin im Jahre 1043 gelegt ist. Die Länge des Doms beträgt 297 Fuss, seine Breite 124 Fuss, die Höhe 102 bis 105 Fuss. Derselbe ist an äusseren Verzierungen weniger reich als die meisten übrigen Monumente gothischer Baukunst, aber imponirt durch seine edle Einfachheit. Die Gemälde, welche sich in demselben befinden, sind sämmtlich nur mittel-mässig. Das neue Altarblatt ist eine Copie nach Raphaels berühmter Kreuztragung Christi: ,,Lo spasimo di Sicilia", zu Rom von einem deutschen Künstler Banse in Auftrag eines früheren Bremer Bürgers angefertigt. Der junge Künstler, der es am besten vielleicht beurtheilen konnte , fand das Bild zu dunkel gerathen, und stürzte in Verzweiflung darüber sich in die Tiber. Von dem grossen Votiv-Gemälde an der Orgelseite, das jüngste Gericht von Berich au, auf dem der Teufel blau angelaufen ist, schreibt sich das Bremer Sprichwort her, dass der lutherische Teufel blau sei. — Der Dom liegt südlich an dem Domshofe, an der untern Seite prangen die besuchtesten Gasthöfe, unter denen besonders der „ Lindenhof" sich auszeichnet, Schaers CafFeehaus im neuesten französischen Geschmack eingerichtet, das Museum, weiter hinauf die Bremer und Preussische Post, das Stadthaus mit der Hauptwache, gegenüber das Waisenhaus. — Vor demselben ist in dem Pflaster zwischen dem eigentlichen Platze und der Kirche ein blauer Stein mit einem Kreuze darauf eingemauert, zur Bezeichnung der Stelle, auf welcher am 21. April 1831 die Giftmischerin Gesche Margarethe Gottfried, geborne Timm, hingerichtet wurde, welche ausser vielen andern nicht todeswürdigen Verbrechen, überführt und geständig gewesen : ihre beiden Eltern, 79 ihre drei Kinder, ihren ersten und zweiten Mann, ihren Bruder, ihren Bräutigam und sechs andere Personen durch Gift getödtet zu haben. Zu beklagen ist es, dass ihr geistvoller Untersuchungsrichter, der Senator Droste, sich noch nicht veranlasst gefunden hat, diesen höchst merkwürdigen Criminalfall für den Druck zu bearbeiten. 2) Das Rathhaus mit seinem berühmten Keller. Das Auge des Kunstkenners wie des Verehrers des deutschen Mittelalters ruht mit gleichem Wohlgefallen auf diesem schönen Gebäude. Der Bau begann im Jahre 1405 und ward fünf Jahre später beendigt. Die Arkaden so wie die übergebauten drei Giebel nach der Marktseite zu, welche Form dem Rathhause Aehnlichkeit mit dem zu Brüssel giebt, stammen aus viel späterer Zeit, aus dem Jahre 1612, in welchem sie von den Steinmetzen ,,Lüder von Bentheim46 und Johann Stelling angelegt wurden. Im Jahre 1824 wurde das ganze Gebäude restau-rirt, wobei man mehrere störende Anhängsel fortschaffte. Die grossen Statuen an der Südseite des Hauses sind nicht schlecht gearbeitet, besonders gut aber die Postamente derselben. Es sind sieben Kurfürsten und ein Kaiser. Vortrefflich sind die einzelnen kleinen Ausschmückungen der Gallerie bis ins Feinste ausgeführt. Diese Basreliefs sind meist allegorische Figuren. Leicht erkennt man den Handel, die Zeit und die Liebe. Letztere, in dem Felde über dem vorletzten Bogen, unter dem Bilde einer Henne mit ihren Küchlein, ist das Wahrzeichen Bremens für die Handwerksburschen. Im untern Theile befinden sich die Canzleien, die Untergerichtsstube und das Archiv. Die Wendeltreppe führt zunächst auf die grosse Vorhalle, wo von den neu erwählten Senatoren der Rathseid geleistet und auch Bürgerconvent gehalten wird. Der Bremer Rathskeller, welcher in den letzten Jahren durch die Bemühungen des verdienten Aeltermanns ßechtel um Vieles verschönert ist, hat, namentlich auch durch Hauffs Phantasieen, einen europäischen Ruf gewonnen. Das grössere ^gemeine Zimmer besitzt eine akustische Merkwürdigkeit. Sobald jemand nämlich in der einen Ecke leise redet, hört und versteht man dies ganz genau in der entgegengesetzten, während ein in der Mitte Stehender nichts davon vernimmt. — Die kleinen abge- 80 trennten Kämmerchen (Priölken), etwa für 7 bis 8 Personen eingerichtet, sind sehr traulich. Der älteste Wein vom Normaljalire 1624 — ist in einem Fasse, ,,die Rose4' genannt, aufbewahrt, und führt seinen Namen von der unter der Decke des Gewölbes gemalten Blume. Diese Rose trägt die Umschrift: Cur Rosa ßos Feneris Bacchi depingitur anlro 9 Causa , quod absque mero frigeat ipsa Venus. (Warum praiget in Bacchus Grotte die Rose der Venus? Nun , weil ohne den W^n ja selber die Liebe erkaltet.) Ueber der Thüre stehet die Warnung, dass, so wie Amor dem Harpocrates die Rose, die Blume der Venus, geschenkt habe, damit ihr Thun geheim bleibe, so auch in diesem Keller eine Rose abgebildet sei, als Sinnbild, dass ein in demselben in Weinlaune gesagtes Wörtchen nicht ausserhalb müsse weiter erzählt werden. Endlich erklärt ein Doctor Düssing in wohlgesetzten lateinischen Distichen, dass, da die Rose nur alte Weine enthalte, Bacchus selbst auch nur ein alter Gott sei, hier auch nur alten Leuten der Zutritt zu gestatten , junge Leute aber wegzuweisen seien. Dieser Wein wird nicht verkauft, sondern nur auf Bescheinigung des Arztes an schwache Kranke vergeben, oder vom Senat verschenkt. Man giebt statt dessen den fast eben so alten Wein aus den sogenannten ,,zwölf Aposteln", von denen das Fass ,,Judas Ischarioth" das beste ist. Um in den besondern Keller zu gelangen, in welchem die zwölf Apostel der Rose liegen, und davon zu kosten, bedarf man der Erlaubniss eines der Bürgermeister, welche indessen leicht ertheilt wird. Im Uebrigen hat sich auch in Bremen die Vorliebe für ältere Rheinweine sehr verloren, man zieht jüngere Jahrgänge, die noch mehr Zucker-stoff enthalten, jenen als schmackhafter vor. Westlich vom Rathhause steht auf dem Markte, welcher ungefähr eine Länge von 200 Fuss und eine Breite von 180 Fuss hat, der steinerne Roland, 18 Fuss 5 Zoll hoch, früher bunt, mit Gold verziert, seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts grau angestrichen , daher man auf seinem Mantel auch den Löwen und Hund, die sich jeder um ein Stück Fleisch streiten, nebst der Inschrift: ,,een jeden dat syne" 81 kaum mehr herausbringt. Dieser Roland, einer der schönsten Norddeutschlands, hält in der Rechten ein Schwert, und in der Linken den Schild mit dem kaiserlichen Wappen und den Reimen : ,,Vryheit do ik na openbar, De Carel unn mannig Vorst vorwahr Deser Stadt gegeben hat. Des danket Gode is min rath." Der lange Mantel, welcher bis auf die Füsse herabhängt, deutet das Gewand eines Friedensrichters an, die Handschuhe auf Marktfrieden und Marktgerechtigkeit, das blosse Schwert in der Hand zeigt auf die Criminalgerichtsbarkeit, oder das der Stadt anvertraute Recht des kaiserlichen Blutbannes. Zu seinen Füssen liegt zu noch deutlicherem Zeichen ein enthaupteter Missethäter; die eisernen Knielinge waren ein Theil der Rittertracht; der geschorne Bart Mode bei den sächsischen Vornehmen; das ent-blösste Haupt zeigt den Respekt gegen des Kaisers Majestät. — Wahrscheinlich ist schon 1035, zur Zeit Conrad If., die erste hölzerne Rolandssäule errichtet als Zeichen der Marktfreiheit und des Königsbannes. Daher auch sein Platz auf dem Markte. Zu Hollmann's und Johann von Tiever's Zeiten wurde diese erste hölzerne Statue in der abergläubigen Hoffnung verbrannt, damit die Freiheit der Stadt genommen zu haben. Derselbe Glaube hat sich bis auf die neuesten Zeiten fortgepflanzt und glaubt noch mancher in Bremen, dass in dem Rathskeller ein kleiner Reserve-Roland aufbewahrt sei, damit die Stadt keine 24 Stunden dieses Palladii beraubt sei, von dem die Sage ihre Freiheit abhängig macht. So wurde auch zu den Füssen des Roland der französische Adler vom Volk nach Vertreibung der wälschen Gäste zerschlagen. — Der jetzige Roland ist 435 Jahr alt; im Jahre 1450 für 170 Bremer Mark (600 Thlr. Gold) errichtet. Doch eine ausführlichere Beschreibung der übrigen Gebäude und öffentlichen Plätze Bremens dürfte das vorgesteckte Ziel dieser Beschreibung überschreiten. Wir verweisen deshalb aut den bereits citirten, von uns mehre Male benutzten ausführlichen We gweiser durch Bremen, und machen nur noch auf den Wall aufmerksam, wo die früheren Befestigungen der Stadt in wahrhaft reizende Anlagen verwandelt sind, und die angenehmste Promenade bilden. Sie sind aus der schöpferischen Hand des Die Ost- und Nordsee. 11 82 genialen Altmann, welcher später auch den Hamburger Wall angelegt hat, hervorgegangen. Auf das Mannichfaltigste wechseln hier reizende Partien ah, bald Rasen, und bald Blumen und Baumgruppen. Sehr lobenswerth ist die Bremer Pietät, dass die Kinder Florens dem siebenten Gebot empfohlen bleiben und es zu den seltensten Fällen gehört, wenn der Bremer Wall bestohlen wird. — Der Stadtgraben und die Windmühlen erhöhen das Lebendige der Landschaft. Hamburg. Aus ärmlichen Fischerhütten ist die herrliche Stadt hervorgegangen , welche am Ausflusse der Alster in die Elbe daher-prangt. Am Ham, dem waldbekrönten Anger, baute Karl der Grosse eine Burg zum Schutze gegen die Wenden, und unter deren Schirm eine aus Eichstämmen gezimmerte Kirche. Die wendischen Wilsen zerstörten zwar schon im Jahre 810 die Burg, sie ward jedoch bald hergestellt. Nur der heulige Berg, die Schmiedestrasse, der Fischmarkt, der Domplatz machten damals das Gebiet der Burgstadt aus 5 südwärts war das Land an der Elbe unbedeicht, im Norden die Alster, im Westen und Osten wilder Wald. Wo Karl der Grosse seine Burg hatte bauen lassen, errichtete (1037) der Erzbischof Bezelin die Wie-deburg, an der Nordseite des heutigen Fischmarktes; zu gleicher Zeit baute Herzog Bernhard ein anderes Schloss, später die alte Burg benannt, zum Unterschied von der neuen Burg, die dessen Sohn Ordulf erbaute. Zwei andere Schlösser wurden in König Waldemar's II. Zeit errichtet, die eine im heutigen Eichholze, die andere unweit des Dorfes Schilfbeck. Der erzbischöfliche Sitz ward 1223 für beständig von Hamburg nach Bremen verlegt, das Domcapitel aber ist erst im Jahre 1802 aufgehoben und der Dom mit Zubehör von dem Landesherrn des Herzogtums Bremen an Hamburg abgetreten. Hamburg, in Stormarn belegen, theilte durch Jahrhunderte die Schicksale Nordalbingiens, die Ueberfälle der Wenden, die Unruhen zur Zeit Heinrich des Löwen und die Bewegungen, welche die Könige Knud und Waldemar herbeiführten. Vom Grafen Albrecht von Orlamünde erkaufte die Stadt (1223) ihre jerpzx i. Engt. Kunst Anstalt. MAM A.N DBH ALSTBK. 85 Freiheit; an die Steile des fürstlichen Vogts und seiner Schöffen trat ein eigner Rath der Bürger, in späterer Zeit der hochedle, hochweise Senat genannt. Er besteht aus 4 Bürgermeistern und 24 Senatoren; drei der ersteren müssen Doctoren, eilf der letzteren Gelehrte sein. Dem Senate zugeordnet sind 4 Syndici, welche dem Bürgermeister (der Magnificenz genannt wird) im Range folgen, und bei den Verhandlungen eine berathende Stimme führen. Die Verwaltung der Stadtgelder ist 1563 dem Senate entzogen und einem Ausschusse von Bürgern (Kämme-reibürgern) übertragen. Seit dem Recesse von 1410 ist der erbgesessenen Bürgerschaft Antheil an Regierung der Stadt zugesichert. Die Veranlassung dazu gaben die Händel, welche ein Bürger, Hein Brand, erregte. Dieser Mann, an dessen Namen noch eine Gasse, die Brandt wiese, erinnert, hatte den Herzog von Sachsen-Lauenburg, welcher mit sicherm Geleite nach Hamburg gekommen war, wegen einer Geldfordernng mit vielem Ungestüm gemahnt. Der Herzog klagte und der Rath liess Hein Brand in's Gefängniss nach dem Wiesertliurm bringen. Der Verhaftete glaubte sich nur seines Rechts bedient zu haben; die Bürger schrien über Gewaltschritte, befreiten Hein Brand aus dem Gefängnisse, und schickten aus den verschiedenen Kirchspielen sechzig erbgesessene Bürger, welche bei den weitern Verhandlungen gegenwärtig sein sollten. Bei dieser Veranlassung bedungen sie sich besondere Rechte aus, namentlich , dass ohne Zustimmung der erbgesessenen Bürgerschaft nichts Wichtiges unternommen, auch keine neue Abgabe auferlegt werden darf. An der Spitze dieses Collegiums der Sechziger und der später hinzugekommenen Hundert Achtziger stehen 15 Oberalte, drei aus jedem Kirchspiel gewählt. Die Grafen von Holstein aus dem Schauenburger Hause zeigten sich der Stadt stets sehr freundlich. Sie betrachteten sie nicht als ihre Landstadt; Adolf IV. stiftete ein Dominikanerkloster und das Franziskanerkloster St. Maria Magdalena. Was sie nicht dem Wohlwollen der Grafen dankten, erhielten sie oft durch deren Schwäche. Der Graf Adolf V., welcher zu Zeiten in Pinneberg residirte, pflegte gar fleissig zur Stadt einzureiten, und sich bei gefüllten Humpen im Rathskeller gütlich zu thun. Eines Abends hatte er sich beim Zechen verspätet, und mussle. da die Thore bereits verschlossen waren, innerhalb der Stadtmauern übernachten. Da soll ihn ein in der Nähe des Kellers wohnender Rathmann eingeladen haben, den Spätabend bei ihm zu verbringen 5 bei köstlicher Tafel fand sich auch ein Bürgermeister, nebst noch einigen Rathsherren ein. Dem weinbeschwerten Grafen ward die Bitte vorgetragen, das kleine Räumlein, welches sich vom Millernthor bis zu dem Bache, der sich bei Altona in die Elbe ergiesst, befindet, der Stadt zu schenken; der trunkene Graf fand dabei kein Bedenken, mit dem Pokal in der Linken, drückte er mit der Rechten das an seinem Schwert befindliche Siegel auf die Schenkungsacte, die sofort angefertigt war. So kam der Hamburger Berg, das jetzige Kirchspiel St. Pauli, an die Stadt. Mehr geschichtlich begründet ist der Verkauf, durch welchen die Stadt von Graf Adolf VI. (1283) die Waldgegend, wo jetzt die freundliche Kette der Dörfer Ham und Horn liegt, erstand. Dreizehn Jahre später wurde für diesen Bezirk eine Kirche des Hospitals St. Georg erbaut, welches Gasthaus zur Aufnahme aussätziger Kreuz - und Seefahrer errichtet war. Bald nachher überliessen die Grafen die Dörfer Eilbeck, Barmbeck und die Alster den Hamburgern. Als räuberische Edelleute von Lienau und Stegen das Alsterwasser durch einen Damm hemmten, so dass der Fluss weder befahren werden, noeh Mühlen treiben konnte, zogen die Städter gegen die Raubschlösser und zerstörten sie. Nach Erwerbung der Alster ward das Gebiet der Stadt bald sehr erweitert. Es entstand eine Neustadt auf höherem, trocknem Grunde. Die Katharineninsel, der Brook und der Wandbereiterbrook, im vierzehnten Jahrhundert noch theils von der Elbströmung überschwemmt, theils morastig, wurden bewohnbar gemacht. Der Gewalt der Wellen wurden Dämme entgegengesetzt, so entstanden die Kayen und die Deichstrasse. Ein grosser Uebelstand aber ist es fortwährend geblieben, dass der niedere Stadttheil nicht durch Sicherheits-dämme geschützt werden kann, so dass Häuser und Keller bei ungewöhnlichem Stande der Elbe stets der Gefahr, überschwemmt zu werden, ausgesetzt sind. Befestigungen der Stadt aus dem dreizehnten Jahrhundert haben der Strasse des ,,alten Walles" den Namen gegeben, nachdem 1549 die Befestigungen weiter hinaus, bis zum ,,neuen Wall", ausgedehnt sind. - 85-- Im Jahre 1342 wurde das lieblich belegene Pfarrdorf ,, Eppendorf " vom Grafen Adolf VII. verkauft. Derselbe Graf überlfcss Hamburg den ganzen Billwerder und Ochsenwerder. Dej benachbarten Moorwerder erkauften die Hamburger 1311 von den Herzogen von Braunschweig-Lüneburg, und legten hier ein Schloss, die Moor bürg, an. Kostbare, schwer zu erhaltende Dämme schützen Moor-, Bill- und Ochsenwerder gegen die Gewalt der strömenden Elbe; der Name des lieblichen Dorfes Allermöhe deutet darauf hin, mit welcher Mühe man die blühenden Saatfelder, die fruchtbeladenen Baumgruppen, die üppigen Wiesen und lachenden Triften aus Moor und Sumpf geschaffen hat. Am wichtigsten waren zwei Erweiterungen des Stadtgebietes 1393 und 1420. Den Rittern von Lappe wurde im erstgenannten Jahre das Schloss Ritzebüttel nebst Umgegend abgekauft, und hier ein städtisches Amt gebildet. Im gemeinschaftlichen Kampfe mit Lübeck ward 1420 das Städtchen Bergedorf mit den sogenannten Vier-Landen (Corslak, Altengamm, Neuengamm und Kirchwerder) erworben. Diese Gegend gehörte sonst den Herzogen von Lauenburg. Hamburgs Handel und Schifffahrt ging von geringen Anfängen aus. Der erste Ursprung war die Fischerei; die Innung der Fischer ist die älteste der Stadt, der Fischmarkt der älteste Markt. Durch die Kreuzzüge wurden diejenigen Städte bereichert, welche am Ufer eines schilfbaren Stromes oder am Seegestade lagen. Hamburg brachte früh auf eignen Schiffen seine Leinewand nach Italien, auch Barchent, gewebte Wollenzeuge und Tücher wurden ausgeführt 5 und Hamburgisches Bier war weit berühmt. Seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts bildete sich die deutsche Hansa. In einem Vertrage mit Lübeck, den See - und Landräubereien mit vereinten Kräften zu wehren, über beider Städte Handel und Flor gemeinschaftlich Rath zu pflegen, und sich gegen jeglichen Feind zu schützen und zu vertheidigen, werden schon sechsundfunfzig Städte dieser Verbindung genannt. Nachtheilig auf den Seehandel wirkten zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts die Vitalienbrüder. In den Kriegen, welche der Calmarischen Union vorhergingen, hatten sich in Mecklenburg Freiwillige gebildet, welche Stockholm zur See mit Lebensmitteln (Victualien) versehen wollten. Von der 36 dänischen Macht versprengt, legten sie sich seitdem auf Seeraub und trieben diesen in der Nordsee besonders von Helgoland aus Kauffahrer, die dem Raubgeschwader in die Hände fielen, muss-ten sich mit schwerem Gelde lösen oder die schrecklichsten M:ss-handlungen erdulden. Endlich gelang es einer Flotte, welch-die Hamburgischen Rathsherren Simon von Uetrecht und Nicolaus Schock anführten , bei Helgoland die Schiffe der Vitalicnbrüder zu verbrennen. Ihr Anführer, der Wismarer Claus Störtebecker, wurde mit Einhundert und fünfzig seiner Räuber gefangen nach Hamburg geführt, wo Alle auf dem Grasbrook enthauptet wurden (1402). Im Innern der Stadt bildete sich die Verfassung, von der es zweifelhaft blieb, ob sie eigentlich aristokratisch oder demokratisch sei, immer weiter aus, gross ten theils Veränderungen in Folge von Unruhen erleidend, wie namentlich bei den Händeln, die Heinrich von Loh erregte. Der Versuch einiger ritterlichen Geschlechter, die nach Hamburg gezogen waren, wie die van Bargen, von Buxtehude, de Witte, von Lüneburg, ein Patriziat, wie solches in Lübeck bestand, zu bilden, misslang. Die Einführung der Reformation veranlasste zwar einige Unruhen, war jedoch schon 1529 beendet und in einem eigenen Recesse angenommen. Von den Kirchen Hamburgs ist die grosse Michaeliskirche, mit einem Thurm von 456 Fuss Höhe, erst hundert Jahre nach der Reformation erbaut, vom Baumeister Sonnin im vorigen Jahrhundert, als ein Blitzstrahl die Kirche zerstört hatte, wieder hergestellt. Der dreissigjährige Krieg berührte Hamburg nicht unmittelbar. Kurz vor Ausbruch desselben schreckte ein Meerungeheuer, welches sich in der Elbe bei der Teufelsbrücke zeigte. — Die am Strande versammelte Menge sah aus der Elbe ein Wesen auftauchen, gestaltet wie ein Pferd mit einem Schweinekopfe; aus dem weitgeöffneten Rachen sah man vier ungeheure Fangzähne hervorragen, der stiere Blick des Ungeheuers soll kaum zu ertragen gewesen sein. Kugeln, die man auf das Unthier abschoss, prallten, ohne Schaden zu thun, von dem Panzerfelle ab, und das Wesen versank wieder unverletzt in die Fluthen. Um die nämliche Zeit zeigte sich auch der ewige Jude in Hamburg, wie auch in Holstein und Schleswig. Er hielt eine öffent 87 liehe Unterredung mit dem Dr. Paul von Eitzen. Interessant würde es sein, die verschiedenen Nachrichten der Chroniken über den Betrüger zu sammeln, welcher diese Rolle angenommen hatte. In Hamburg war er der Erste seines Glaubens, welcher dort verweilte; kein Jude hatte bis dahin noch die Erlaubniss gehabt, in der Stadt zu übernachten. Bald aber nach Ahasverus zogen sie ein, zuerst portugiesische Juden, die aus ihrem Vaterlande vertrieben waren und nach manchen Schwierigkeiten die Erlaubniss erhielten, sich in Hamburg niederzulassen. Man hatte sogar bei auswärtigen Universitäten angefragt, ob man mit gutem Gewissen Juden in einer Stadt aufnehmen könne, wo die reine evangelische Lehre im Schwange sei. Der Verfall der Hansa wirkte eher vorteilhaft, als nachtheilig auf Hamburgs Wohlstand, indem nun manche schädliche Zunftfesseln fielen. Mit weisem und umsichtigem Sinne sorgte man für Erweiterung und Verschönerung Hamburgs. Schleusen, Brücken, neue Thore, ganze Strassen wurden angelegt. Die Benennungen der Gassen haben sich oft sonderbar in der platten niederdeutschen Mundart gebildet. So ward aus der Kathedralstrasse ein Katrepel, aus St. Petersort ein Speersort, von den Sammtbereitern, den ,,Caffa-machern", die dort wohnten, ist die Caffemacherreihe benannt. Als Holstein aus dem Besitze der schwachen Grafen von Schauenburg an die Könige von Dänemark übergegangen war, suchten diese mit mehr Nachdruck die Hoheit über Hamburg aufrecht zu erhalten. Besonders heftig waren die Händel in Christian's IV. Zeit. Das Reichsgericht hatte 1618 Hamburg entschieden für reichsfrei erklärt. Zur Störung des Handels erbaute der König die Vestung Glückstadt. In Christian's V Zeit suchten zwei Hamburger, Jastram und Snitger, ihre Vaterstadt vom Reiche abzusondern und eine für sich bestehende, unabhängige Republik zu gründen. Die Dänen wollten diese Plane zu ihrem Nutzen wenden, und Hamburg unterwerfen. Sie belagerten die Stadt, allein Braunschweig, Brandenburg und Schweden nöthigten zum Rückzüge und die beiden Volksführer endeten auf dem Richtplatze (1686). Seit 1768 wurden die Streitigkeiten mit Dänemark und Gottorp wegen Ausübung des reichsstädtischen Stimmrechts völlig gehoben. Im Frühjahre 1801 88 erfolgte auf kurze Zeit eine Besetzung der Stadt durch die Dänen ; 1803 geschah ein Grenztausch mit Dänemark; 1806 nahmen die Franzosen Hamburg in Besitz 5 1810 ward die Stadt dem französischen Reiche einverleibt. Unerträglich war der Druck, unnennbar waren die Leiden der Stadt; als die Fremdherrschaft dem völligen Zerfall nahe war, ward noch die Umgebung der Stadt zur Einöde, um Eckmiihls militairische Plane zu fördern. Ein Rath - und Bürgerschluss vom 27. Mai 1814 stellte die alte Verfassung wieder her, und im folgenden Jahre ward Hamburg für eine der vier freien Städte des deutschen Bundes erklärt. Bei dem vorherrschenden kaufmännischen Interesse ist Hamburg nie ein Sitz der Musen geworden. Als berühmt galt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der Dichter Friedrich von Hagedorn, als Gelehrter um die nämliche Zeit der Professor des Gymnasiums Richey. Eine üble Berühmtheit erlangte der Prediger Melchior Götze (um 1770), als orthodoxer Zelot und als Eiferer gegen Thaliens Tempel, welche 1741 in Hamburg zuerst durch Schönemann eröffnet waren und seit 1786 durch Schröder allgemeines und dauerndes Interesse in Hamburg gewannen. Als Schriftsteller haben im Auslande einen Namen gewonnen: Busch, Reimarus, Baron Voght, Gurlitt, Zimmermann, Domherr Meyer, der jetzige Bürgermeister Bartels, Präzel, Bärmann, Töpfer besonders als Lustspieldichter, und Lebrun. Gegenwärtig lebt Gutzkow, einer unserer geistvollsten Schriftsteller, in Hamburg. — Der bekannte Veit Weber, eigentlich Leonhard Wächter, verstarb hier vor einigen Jahren. Otto Speckter ist durch seine geistvollen Zeichnungen bekannt. Hamburg liegt im 53° 52' 51" nördlicher Breite und 27° 33' 2" östlicher Länge. Die Alster scheidet den südwestlichen Theil der Stadt von dem nordöstlichen; über sie führen 11 Brücken. Der grössere nordwestliche Stadttheil stösst mit den 30Ü0 Fuss langen Vorsetzen vom Baumhause bis zum Slintfang an den Hauptarm der Norderelbe, wo der Rummelhafen und Niederbaum, oder der Hafen für Seeschiffe, zur Zeit der Ebbe 8, 12, an einigen Stellen 30 Fuss tief belegen ist; er ist von einem Pfahlwerke umgeben und wird zur Nachtzeit von einem schwimmenden 89 Flosse umschlossen. Die Stadt ist von Fleethen (Kanälen) durchschnitten, über welche 84 Brücken führen. Namentlich im Sommer verpestet ein abscheulicher Gestank nicht selten die Luft, indessen wird das Klima Hamburgs von den Aerzten als gesund geschildert, viele Leute erreichen hier ein hohes Alter, wenn gleich die allgemein vorherrschende bleiche Gesichtsfarbe der Einwohner das Gegentheil erwarten lässt. — Hamburgs Bevölkerung betrug im Jahre 1817 111,729 Köpfe, worunter etwa 3000 Katholiken, 4000 Reformirte, 6000 Juden, 500 Mennoniten und Herrnhuther und der Rest Lutheraner oder zu andern geringem Sekten gehörig. Die Einwohnerzahl beträgt jetzt schon mehr als 130,000. Eine grosse Verminderung erlitt sie in der französischen Zeit, wo Davoust Alle, welche sich bei der bevorstehenden Belagerung nicht verproviantiren konnten, mehr als zehntausend, aus der Stadt trieb. Eine so freundliche Aufnahme den Flüchtlingen auch allenthalben, und namentlich im Holsteinischen, widerfuhr, so fanden die meisten der Vertriebenen doch in der Fremde ihren Tod, und sahen das befreite Hamburg nicht wieder. Es ist nicht schwer, in Hamburg das Bürgerrecht zu bekommen , Keiner wird hier um Meinungen verfolgt. Die Polizei in Hamburg ist musterhaft, kein noch so verschmitzter Gauner vor ihr sicher, während der ehrliche Mann, unangefochten von Spionen und Auflauerern, ein freies Wort, soweit es namentlich die Hamburgischen Verhältnisse selbst betrifft, nicht zu scheuen hat. — Vor allen Dingen verdienen die Löschanstalten, und der Eifer, womit solche betrieben werden, ein unbedingtes Lob. Nur dadurch gelingt es gemeiniglich, dem Feuer, selbst wenn es in den fast allen Spritzen unzugänglichen Twielen (Zwischenstrassen), deren Hamburg 24 zählt, ausbricht, gar bald Einhalt zu thun. Furchtlos und geschickt fliegen die Brand-°fficianten auf die Dächer, über welche sie mit grosser Gewandtheit die Spritzenschläuche leiten. Nicht selten werden die Braven ein Opfer ihrer Menschenliebe, von denen hier vor Allen ihr Chef; Johann Georg Repsold, genannt werden mag, dessen Name jetzt ein Ehrendenkmal bei der Sternwarte und die darauf befindlichen Worte verherrlichen: „Bekämpfend die Feuersbrunst, von Trümmern zerschlagen.u Die Ost - und Nordsee. 12 90 Die Stadt Hamburg mit ihrem Gebiete bildet durch den Grundvertrag des deutschen Bundes ein Mitglied desselben mit völliger Souveränetät; sie hat in der engern Versammlung gemeinschaftlich mit den übrigen drei freien Städten die 17te Stimme, im Plenum eine eigne, und wird daselbst durch einen ihrer Syndiken repräsentirt. Zugleich mit den übrigen freien Städten besitzt sie ein gemeinschaftliches Oberappellationsgericht, steht mit den Städten Lübeck und Bremen noch in den alten Verbindungen der Hansa , unterhält theils für sich allein, theils mit den andern Hansestädten gemeinschaftlich Gesandte und Consuln an 27 Orten, wogegen fast alle europäische Mächte Minister und Geschäftsträger zu Hamburg haben. Als Bundescontingent stellt Hamburg 1100 Mann Infanterie und gegen 200 Mann Kavallerie. Die Artillerie hat Oldenburg gegen Entschädigung zu liefern übernommen. Mit den freien Städten Bremen und Lübeck, dann mit Oldenburg bildet es die 3te Brigade der 2ten Division des zehnten Armeecorps, welche, zufolge einer seit acht Jahren bestehenden Convention, von einem gemeinschaftlich ernannten General befehligt werden. Der Ersatz des Offiziercorps geschieht durch junge Leute, welche auf der Militairschule zu Oldenburg gebildet sind, wo sich stets 4 Hamburgische Fähndrichs, behuf ihrer Vorstudien aufhalten. Die Bürgergarde , 12,000 bis 15,000 Mann stark, besteht aus dem Generalstabe, 2 Compagnien Artillerie, 8 Bataillonen Fussvolk, einem Jägerbataillon und einer Escadron Reiter 5 Alles auf das Beste uniformirt, einexercirt und bewafFnet. Ausserdem besteht eine vollständig uniformirte und bewaffnete Nachtwache, unter Aufsicht von zwei Senatoren, zwei Oberalten und zwei Kämmereibürgern; sie ist 500 Mann stark und unter zwei Compagnien vertheilt. Auch die Spritzenleute werden regelmässig besoldet. — In früheren Zeiten war der General der Hamburger immer ein Ausländer mit dem Titel: „Excellenz4'. Das Wappen ist ein mit drei Thürmen von Silber versehenes offenes Thor mit einem Fallgatter, in Roth, auf der Flagge stehen die drei rothen Thürme in Weiss. Nach dem ersten Artikel des Hauptrecesses von 1712, der Grundlage der Hamburger Verfassung, ist das höchste Recht und die höchste Gewalt beim Rathe und bei der erbgesessenen Bürgerschaft, beide unzertrennlich verbunden. Es ist demnach 91 ein bürgerlicher Freistaat, auf den aber keins der Prädikate oligarchisch, aristokratisch oder demokratisch passtT obgleich auch hier die Elemente eines jeden- bald stärker, bald schwacher hervortreten, wie dies von jeder menschlichen Einrichtung wohl unzertrennlich ist. Es giebt zu Hamburg keine privilegirten Familien oder Stände, keine erblichen Würden, durchaus keinen Adel; jeder christliche Bürger, gleichviel, welcher Secte er angehöre (die Juden, die übrigens völligen Schutz gemessen, sind von den Staatswürden und der erbgesessenen Bürgerschaft ausgeschlossen), kann gegen Entrichtung von 40 bis 150 Mark Courant für den Fremden, und nur 20 Mark für den Sohn eines Bürgers, Bürger, und wenn er Kaufmann oder graduirter Rechtsgelehrter ist und die erforderlichen Eigenschaften besitzt, auch Mitglied des Senats werden. Die Volksklasse, die kein Gruudeigenthum, mithin keinen Antheii an der Gesetzgebung hat, besitzt übrigens völlig gleiche Rechte mit den Erb gesessenen. Der Staatsschatz oder die Kämmerei ist sowohl von der gesetzgebenden, als vollziehenden Gewalt völlig unabhängig. Zwar bewilligt die erbgesessene Bürgerschaft, was gezahlt, der Senat oder die vollziehende Gewalt verordnet, wie das Gezahlte verwendet werden soll, aber keine beider Gewalten bekommt davon einen Pfennig in die Hände, sondern Ausgabe und Einnahme fliesst in den Kämmereischatz, der die Einzahlung erhebt und mit Argusaugen darüber wacht, dass jeder verwilligte Pfennig auch richtig verwendet werde, wie vorgeschrieben ist. Der edle, hochedle, hochweise Rath besteht in zweierlei Gliedern: in senatu et de senatu. In senatu sind, wie bereits oben erwähnt, 4 Bürgermeister (3 graduirt und 1 Kaufmann) und 24 Senatoren oder Rathsherren (11 graduirt, 13 Kaufleute). Die Rathsglieder de senatu bestehen aus 4 Syndiken, welche eine berathende Stimme bei den Verhandlungen führen, und dem Range nach, wenn sie im Amte sind, gleich nach den Bürgermeistern eintreten, aus dem Protonotar, dem Archivar und den beiden Sekretären, welche 4 letztere Glieder ohne alle Stimmen sind, aber sämmtlich graduirt sein müssen. Ueberhaupt gilt der Doctortitel in Hamburg viel, der gemeine Mann kennt keinen höhern, ja selbst der mittlere Bürger würde im Zweifel einen 92 fremden Minister mit der Anrede: ,,Herr Doctor!" hinlänglich geehrt zu haben glauben. Ursprünglich zur Bedienung des Senats, besonders aber der Bürgermeister bestimmt, formiren die Reiten dien er eine aus sechszehn Mitgliedern bestehende privilegirte Brüderschaft. Gegen eine nicht geringe Vergütung überliefern sie die Todten der Erde, worauf sie, bei dem schweren Ankauf der Brüderschaft, von 12, 16 bis 20,000 Mark, von der Stadtkämmerei angewiesen sind, und gegen einen Theil der Bürger hierin, wie bei der Hochzeitsaufwartung, ein gewisses Zwangsrecht üben. — Der Reitendiener ist, in seinen zwölffältigen Funktionen, ein wahrer Proteus, von sich immer umwandelnder Gestalt und Form. An zwei Tagen des alten Herkommens, wo ein feierlicher Umritt gehalten wird, — ferner als Eilboten des Raths zum Rapport bei Vorfällen in der Stadt, — als Eskorte von Rathsdeputationen ausser derselben, — als Begleiter eines Verbrechers zum Tode, sieht man ihn als Kavallerist, daher sein Name, reitender Diener, — von martialischem Ansehen, im ledernen Koller, mit Karabiner, Pistolen und Degen bewaffnet. Am Rathhaus erscheint er zur Aufwartung des Raths, und als Trabant der Bürgermeister, in einem langen blauen, reich mit Silber galonirten Mantel, den Degen an der Seite. Als Hochzeitsbitter*), Vorschneider und Aufwärter dabei, trägt er ein nicht minder reich verbrämtes Kleid. Als Leichenbitter und Trauermann beim Leichenzuge tritt er ihm voran, wohl frisirt, Cha-peaubäs, im langen schwarzen Mantel. Als Leichenträger endlich, sieht man ihn mit seinen Collegen dem Leichenwagen paarweise folgend, in einer Stutzperücke, mit einem schwarzen tu-chenen breitgeründeten Hut, breitem krausgefaltetem weissem Halskragen, sehr kurzem faltigen schwarzen Mantel, weiten schlotternden Hosen und umgürtetem Degen. Der Charakter der Hamburger ist im Allgemeinen liebenswürdig zu nennen; sowohl unter den Reichen, wie beim Mit- Die Kosteu der Begräbnisse in Hamburg sind enorm hoch; man erinnert sich selbst aus den neuern Zeiten, dass die Bestattuug eines Bürgermeisters und seiner Frau, die Beide bald hinter einander starben, 26,000 Mark gekostet haben soll. 93 telstande und dem Pöbel ist eine gewisse bonhomie, wie ein Trieb zur Thätigkeit vorherrschend; selten belästigt hier den Fremden ein Bettler. Die Stadt hat musterhafte Armenanstalteu und Wohlthätigkeitsvereine in Menge. Ungerechter Weise hat mau den niedern Volksklassen Grobheit vorgeworfen, während man sie höchstens einer gewissen Derbheit bezüchtigen kann. Der geringste Karrenschieber antwortet höflich und belehrend auf eine freundliche Frage, wie ein Pariser; dahingegen kennt der Pöbel nicht leicht Maass und Ziel, wenn er einmal aufgeregt ist, wie dies sich neuerdings noch in den Angriffen gegen den Mässigkeitsverein ausgesprochen hat, zu welchen freilich einige Begünstiger des letztern durch mehre unüberlegte Schritte Veranlassung gegeben haben sollen. Nirgend herrscht mehr Gastfreiheit als in Hamburg, wenn man gleich das Genossene durch die bettelhafte Einrichtung hoher Trinkgelder au die Domestiken bezahlen muss. Die Mittagstafel wird gewöhnlich nach der Börse gehalten. Dem Diner folgt häufig eine Partie Whist, und dieser nicht selten eine wohlbesetzte Abendtafel. Die Elbe liefert Lachse, die Nordsee Austern und Hummer, die Ostsee Dorsche, Holstein Rindfleisch und Karpfen, die einem eiuzigen Gutsbesitzer jährlich 6000 Thaler einbringen sollen, Lüneburg Wildpret, Westphalen Schinken. Dem Seehandel verdankt der Tisch russischen Kaviar, westindische Schildkröten, köstliche Südfrüchte und die besten Weine Portugals und Frankreichs. Das Hamburger Rauchfleisch ist berühmt; es kommt grösstenteils von den kleinen jütschen Ochsen, welche bei einer Schwere von nur 4 bis 500 Pfund das zarteste Fleisch liefern. Die Gasthöfe sind theuer, wo sie eine schöne Aussicht, wie am Jungfernstieg, darbieten. Mit Vorsicht bediene mau sich der Lohndiener beim Ankauf von Waaren, da diese über die Verkäufer gewöhnlich ein Zwangsrecht auf Herausgabe einer Quote der Kaufsumme ausüben. Streit am Jungfernstieg scheint der König der Gastwirthe geworden zu sein. Er hat gewaltige Hinterhäuser angebaut, und wird einen glanzvollen Speisesaal eröffnen. Seine Bedienung soll aber auch musterhaft sein und die Rechnungen möglichst billig. Der Mann verfolgt das richtige Princip, nicht auf einmal reich werden zu wollen. Unter den Kaffeehausern zeichnen sich vor allen die beiden Pavillons des 94 Herrn Durst am Juugfernstieg aus, auch macht Herr Eisfeld in der Restauration des Theaters so viel Glück, dass er zu gleichem Zweck ein Haus in der Dammthorstrasse eröffnet hat, wo auch geschlossene Gesellschaften gegeben werden können. Dem Theater gegenüber befindet sich die Restauration des Herrn Schindler, dessen interessante Frau im In- und Auslande einst unter dem Namen der „schönen Mariane" weit und breit bekannt war. Seit einigen Jahren sind in Hamburg Omnibusfahrten eingerichtet, welche für den geringen Preis von vier Schillingen alle Viertelstunden bis zur Palmaille in Altona und in den Sommermonaten bis zu Rainville's Garten fahren. An den meisten öffentlichen Plätzen stehen Droschken, jeder Kutscher derselben muss die Verordnung wegen der Preise stets bei sich und an einem sichtbaren Orte in der Droschke angeheftet haben. IIa! Jemand Anlass zu Beschwerden über den Droschken-Kutscher, so bemerke man sich die Nummer der Droschke, und mache die behufige Anzeige auf dem Stadthause, wo die Beschwerde untersucht und nach den Umständen die angedrohte Strafe verfügt werden wird. Die Preise betragen : für eine Stunde in der Stadt 1 Mark 4 Schll. halbe Stunde do. — - 10 - einen Weg in der Stadt — - 8 - Es kann in diesen wenigen Blättern keine vollständige Topographie Hamburgs geliefert werden, wir müssen uns daher darauf beschränken, dem Leser einige der vorzüglichsten Merkwürdigkeiten der dritten Stadt Deutschlands, mit besonderer Berücksichtigung der anliegenden Zeichnungen, aufzuzählen. Schön und erhaben ist der Anblick, den Hamburg demjenigen bietet, der sich ihm von der Hannoverschen Küste naht. Altona fliesst mit der Königin der Hanse in Eins zusammen, und nimmt sich noch majestätischer wegen seiner höhern Läge, als Hamburg aus. Die Elbe ist mit grünen Inseln übersäet, Thürme und Schilfsmasten starren hervor. Die nach dem Hannoverschen zurückkehrenden Milchever sind bald im Rücken verschwunden, immer näher kommt man dem grossen Edelstein Norddeutschlands. Ueberall Leben und Thätigkeit, oder, wie an Feiertagen eine heilige Sabbatruhe, wo die Schiffe aller 93 Nationen in ruhiger Eintracht zur Ehre des Höchsten flaggen, und man im ganzen Hafen fast kein Geräusch vernimmt. — Desto verschiedeneres Getöne durchzittert die Luft an den Werkeltagen, wo sich aus den Sprachen und Flüchen aller Seevölker ein unsichtbarer Babylonischer Thurm bildet. Ueberall Lebendigkeit; hier beschämt der Mensch durch sie den Bienenkorb, wie den Ameisenhaufen. Die Dampfschiffe landen bei dem Hamburger Berge, die übrigen Fahrzeuge passiren den Baum beim Blockhause und betreten Hamburg, nachdem sie eine Treppe erstiegen haben, welche dicht vor dem Baumhause*) mündet. Dieses, ein Gebäude im holländischen Style, von Hans Hamelau erbaut, verdient wegen der herrlichen Aussicht auf den Hafen, die Elbe und die Elbinseln, welche dem Auge auf den Altanen sich darbietet, von allen Fremden gesehen zu werden. Es wird von einem Wirthe bewohnt und ist der vielbesuchte Versammlungsplatz von Geschäftsleuten, SchifFskapitainen aller Nationen u. d. m. Für den Beobachter ist es ungemein interessant, die vielen Ankommenden und Scheidenden hier zu betrachten. Wiedersehn und Abschied sieht man hier im ewigen Wechsel, bald fliessen Won-nethränen der Freude, bald bittere Zähren des Abschiedes. Un-vergesslich bleibt mir der Anblick eines neunzigjährigen Greises, der hier einen grossen Theil seiner, jenseits der Elbe domicilir-ten Nachkommenschaft, wahrscheinlich das letzte Mal in seinem Leben, segnend entliess. Die schönste Ansicht, welche Hamburg aufzuweisen hat, bietet ohne Frage der Jungfernstieg, welcher in den alten und neuen eingetheilt wird. Den letzteren Beinamen empfing dieser, besonders von allen ausländischen Reisenden gepriesene und mit Recht berühmte, inmitten der Stadt, an dem fast seeähnlichen doppelten Alster - Bassin gelegene Spaziergang durch seine Verlängerung längs der linken Alsterseite bis zur neuen Esplanade und dem trefflichen Wallgarten. Verschönert noch durch die Reihe neuer, in gutem Geschmack errichteten Häuser, Sewinnt der neue Jungfernstieg wegen der freien und luftigeren Mehrere Notizen über die Localitäten Hamburgs sind der besten Quelle, dem Address-Büch von 1841, entnommen. 96 Lage den Vorrang vor dem alten; daher man ihn auch an allen Tageszeiten von den Spaziergängern am Meisten besucht findet. Würde er einst auch auf der rechten Seite, wie schon früher der Plan war, — nach Wegräumung und Versetzung des Werk- und Armenhauses (Zuchthauses) an einen schicklicheren Platz, — bis zu dem Wallgarten verlängert, so würde dieser schöne städtische Spaziergang unstreitig als einzig in seiner Art genannt zu werden verdienen. Im Sommer liegen auf dem Alsterbassin stets bedeckte Fahrzeuge bereit für Diejenigen, welche die Alster beschiffen, oder das schöne Harvstehude, dessen herrliche Baumpartien 1813 glücklich der Zerstörung entgangen sind, besuchen wollen. •— Die Farbe des Alsterbassins, als ob es von Veilchen gefärbt sei, oder, als ob der Himmel beim Abspiegeln sein Blau darin zurückgelassen habe, erinnert lebhaft an den Bodensee. Eine Badeanstalt ladet Sommer und Winter zur Erfrischung der Glieder ein; den angenehmsten Anblick gewährt eine Anzahl Schwäne, welche, wenn ich nicht irre, in Folge eines Legats, das eine alte Dame ausgesetzt hat, hier gehegt werden, im Sommer das Bassin in stiller Majestät durchrudern, aber selbst zur Winterzeit durch ihren kräftigen Flügelschlag sich so viel Terrain, wie sie bedürfen, frei vom Eise zu erhalten wissen. Von den ältern Strassen sind, den Neuenwall, die Admiralitätsstrasse und den Stein weg ausgenommen, die meisten enge, finster, krumm und schmutzig zu nennen ; unter den neuen zeichnet sich vorzüglich die Esplanade aus. Diese ist die neue, schnurgerade, regelmässige und ungemein heitere Gasse auf dem vorigen Terrain des abgetragenen Walles zwischen dem Dammthore und der grossen Alsterbrücke (Lombardsbrücke genannt), welche man in allem Betracht, den berühmten Gassen, ,,Bellevuecc in Cassel und ,,schöne Aussicht" in Frankfurt am Main, wenn auch nicht gleich, doch zunächst stellen darf. Die Strasse ist 870 Fuss lang und 165 Fuss breit. In der Mitte läuft ein dreifacher Spaziergang mit vier Reihen Ulmen bepflanzt, zwischen zwei parallelen Fahrgassen hin. Die Häuser sind in gutem und meistens gleichförmigem Style erbaut und haben aus den Hinterfagaden und ihren zierlichen Gärtchen über den öffentlichen Spaziergang hinaus eine treffliche ländliche und zugleich belebte Aussicht auf die Umgegend des Dammthores and den kleinen See der Aussenalster. Die neue Börse wird im Laufe dieses Jahres, in Folge des Raths- und Bürgerbeschlusses vom 27. October 1836, nach dem auf dem Adolphsplatze neu erbauten Local verlegt werden. Sie nimmt einen Flächenraum von 249 Fuss Länge und 178 Fuss Breite ein. Die Fronte derselben ist gegen den Adolphsplatz gekehrt. An allen vier Seiten finden sich geräumige Eingänge zu dem für das Börsenpublikum bestimmten Raum, welcher sich nur 2 Fuss 6 Zoll über das Niveau der Gasse erhebt. — Nach Art der Pariser hat diese einen 127 Fuss 5 Zoll langen, 69 Fuss 9 Zoll breiten und 76 Fuss hohen Raum, in der Mitte des Gebäudes belegen, welcher durch grosse, aufrecht stehende Fenster von oben erleuchtet ist, und an welchen sich, von allen vier Seiten, 25 Fuss hohe Bogengänge anschliessen. Der auf diese Weise für das Börsenpublikum gebildete freie Raum enthält im Ganzen 28,000 Quadratfuss. An den Seiten dieses Raums befinden sich, mit demselben in Verbindung stehend, 20 Makler - Comptoire und Geschäftszimmer, von welchen 12: 102 Quadratfuss, 6: 200 Quadratfuss und 2: 500 Quadratfuss gross sind. Zwei Haupttreppen und zwei Nebentreppen führen nach der zweiten Etage über den Arcaden. Ein 14 Fuss breiter , gegen den grossen Saal offener Corridor übergiebt denselben hier auf allen vier Seiten, und neben demselben befinden sich die Commerzbibliothek, sechs Säle und Zimmer für den Gebrauch der Commerz-Deputation, ein grosser Saal von 70 Fuss Länge und 41 Fuss Breite und ausserdem 14 kleinere Säle und Zimmer, bestimmt zu Versammlungen der Kaufmannschaft in speciellen Zwecken, zu Conferenzen, zu Auctionen von Actien u. s. w., zur Leetüre und Conversation von Abonnenten. Für die Bequemlichkeit und Annehmlichkeit ist mit möglichster Berücksichtigung gesorgt 5 es liegt im Plane, das Gebäude im Winter zu erwärmen, und des Abends zweckmässig zu erleuchten. Die Zugänge sind so eingerichtet, dass kein Zugwind Statt finden kann. Eine Aufmerksamkeit von Seiten des Fremden dürfte ferner verdienen das Waisenhaus, eines der vorzüglichsten, grössten und schönsten Gebäude der Stadt, mit einer Kirche, belegen Die Ost und Nordsee. 98 in der Admiralitätsstrasse. Die Anstalt unterhält jetzt etwa 500 Kinder, von denen die jüngsten unter sieben bis acht Jahren auf dem Lande in der Kost sich befinden ; das Rath haus, ein grosses, sehr altes, massives Gebäude, mit dem jedoch wiederholt verschiedene Veränderungen vorgenommen, und dessen ehemals gothisch gewölbten Säle im Jahre 1814 moderner gestaltet wurden; das allgemeine Krankenhaus, bei der Lohmühle, in der Vorstadt. Diese grosse, ursprünglich für tausend Kranke bestimmte, jetzt aber mit einer grössern Anzahl derselben belegte Anstalt, bildet ein längliches Viereck, dessen längere Seite 702 Fuss 8 Zoll, die kurze 330 Fuss beträgt. — Es ist dies Institut eine der grössten Zierden Hamburgs. Reinlichkeit, gewissenhafte Pflege der Kranken, billige Preise für Unbemittelte, so wie die bewährte Geschicklichkeit seiner Aerzte, stellen dieses Hospital den besten Europas, nach dem Urtheil aller Kunstverständigen, gleich. Als die schönsten Gebäude Hamburgs dürften übrigens diejenigen anzusehen sein, welche für Hamburgs öffentliche ßildungsanstalten auf dem Domplatze errichtet sind. Diese Gebäude nehmen einen Flächenraum von 215 Fuss Breite und 313 Fuss Tiefe ein. Die Hauptfronte ist dem Speersort zugekehrt. Von hier aus betrachtet, liegt zur linken Seite die Gelehrtenschule, zur rechten die Realschule; beide Gebäude sind durch Arcaden verbunden. Den Hintergrund des Schulhofes bildet das ßibliothekgebäude, in welchem sich zugleich die Hörsäle des Gymnasiums befinden; es ist auf beiden Seiten des Hofes durch Arcaden mit den beiden Schulgebäuden vereinigt; diese haben jedes am Speersort eine Breite von 44 Fuss und eine Länge von 173 Fuss, sind mit gewölbten Kellern versehen und über denselben zwei Stockwerke hoch. — Der gegenwärtige Bestand der Bibliothek beträgt 140,000 Bände gedruckter Bücher und 5000 Handschriften. Es sind viele Incunabeln vorhanden, ausserdem sind Literaturgeschichte, Geschichte, Archäologie, Philologie und die Naturwissenschaft ziemlich gut besetzt. Den Besuch des Fremden verdient vor allen Dingen das Museum für Gegenstände der Natur und Kunst des Oberalten Röding, bei dem Deichthorwall. Dieses Cabinet vereinigt die schönsten und seltensten Gegenstände aus allen 99 Reichen der Natur (über 200 Säugethiere, gegen 800 Vögel, 228 Amphibien, 300 Fische, über 10,000 Conchylien u. s. w.), die in systematischer Ordnung, mit eben so viel Geschmack, als Zweckmässigkeit, in einem grossen Saale (von 100 Fuss Länge und 27 Fuss Breite) aufgestellt sind. In einem zweiten Zimmer (von gleicher Grösse) befindet sich eine Sammlung von Kunstgegenständen verschiedener Art, von Alterthümern, Waffen, Münzen, namentlich vaterstädtischen u. dgl., eine Sammlung von Kupferstichen, vorzüglich alter Meister aller Schuleu, besonders der alten Deutschen, und eine naturhistorische Bibliothek, Das Museum ist jeden Sonntag, Dienstag und Sonnabend (während der Monate Juli, August und September täglich) von 10 bis 1 Uhr geöffnet. In den Monaten December, Januar und Februar ist es geschlossen. Die Erklärung der mannichfachen Gegenstände nimmt eine halbe Stunde nach der Erölfnung ihren Anfang und dauert bis zum Schluss. Cuvier, Alexander von Humboldt, Tilesius, Lichtenstein, v. Martius, Oken und andere grosse Naturforscher haben eingestanden, dass dies Privatmuseum zu den ersten Europas gehöre. Das Cabinet optischer Panoramen des liebenswürdigen Herrn Professor Suhr enthält eine bedeutende Anzahl von demselben, oder dessen Brüdern mittelst kostspieliger Reisen an Ort und Stelle nach der Natur aufgenommener, mit dem grössten Fleiss und vorzüglicher Kunst aufgeführter, Panoramen der schönsten Gegenden der Welt und merkwürdiger Werke der Baukunst, welche ungetheilten Beifall gefunden haben. Die Ausstellung ist an den Winterabenden von 6 bis 9 Uhr, Königsstrasse No. 34, Das neue Schauspielhaus in der Dammthorstrasse ist im Jahre 1827 von einer Gesellschaft Actionisten erbaut. Das Gebäude hat die Tiefe von 196 Fuss und ist 135 Fuss breit; der Zuschauerraum, in Kreisform gebildet, hat im Durchmesser 72 Fuss und die Höhe desselben beträgt, von der Mitte aus gerechnet , 60 Fuss. Drei Bogenreihen erheben sich über einander und die Gallerie ist mit einer flachen, auf 16 Säulen ruhenden Kuppel geschlossen. Der Zuschauerraum möchte, wenn das Haus lässig gefüllt ist, 2200 Personen fassen, und als höchste Norm Anzahl von 2500 Personen anzunehmen sein. Ueberall tritt 100 dem Beobachter Freundlichkeit und Eleganz entgegen, doch soll das Haus an einigen akustischen Mängeln leiden. Nachdem sowohl der geniale Lebrun und jetzt auch der verdienstvolle Schmidt von der Direction abgetreten sind, ist dieselbe den Herren Mühling und Cornet anvertraut worden. Schon seit mehreren Jahren thut ein zweites Theater in der Steinstrasse, woselbst in den Wintermonaten Vorstellungen Statt finden, dem ersten einen nicht unbedeutenden Abbruch. Der Director, Herr Maurice, ein Franzose, muss jedenfalls seine Leute zu halten wissen, denn sie verlassen ihn selten, kommen, wenn sie abgehen , auch wohl wieder. Die Direction hat sich zur Regel gemacht, nur Lustspiele, Vaudevilles, Operetten und Localstücke zur Aufführung zu bringen; in diesem Wirkungskreis befriedigt sie die Gesellschaft vollkommen, und hat, namentlich im Niedrig-Komischen., manche vorzügliche Künstler aufzuweisen. Parodien und Localpossen werden vor einem zahlreichen Publikum mit grossem Beifall aufgeführt, und erleben beliebte Stücke nicht selten in Einem Winter 40 bis 50 Wiederholungen. Es ist nur zu bedauern, dass der Zuschauer- wie der Bühnenraum so sehr beschränkt ist, so dass auf den meisten KomÖdienzetleln angekündigt werden muss, dass alle Logen bereits vermiethet sind. Bei der immer mehr zunehmenden Theilnahme für dieses Theater wird daher bald eine Verlegung oder Vergrösserung des Schauspielhauses nolhwendig werden. Im Sommer spielt die Gesellschaft vor dem Steinthor in St. Georg, in einem Local, das ,,Tivolifs heisst, und auch Eigenthum des Herrn Maurice ist. Die Vorstellungen werden hier im Freien, in einem anmuthigen Garten, über welchem sich auch eine Rutschbahn befindet, gegeben. Um Einförmigkeiten zu vermeiden, ist auch für mancherlei andere Vergnügen gesorgt: interessante und ergötzende Darstellungen von Seiltänzern, Jongleurs und dergleichen Künstlern wechseln mit den dramatischen zweckmässig ab. Im Winter wird in Tivoli ein Gewächshaus, nebst Orangerie dem Publikum eröffnet, und erfreut sich fortwährend einer grossen Frequenz, Das eine sehr bedeutende Anzahl von Pflanzen aller Art und aller Länder enthaltende Gewächshaus ist ungefähr 70 Fuss breit und 36 Fuss tief; die Orangerie aber, geschmückt mit prächtigen Orangen-iund Citronenbäumen, ungefähr 80 Fuss lang und 40 Fuss breit 101 Ausser diesen Tempeln Thaliens befinden sich noch mehrere in den Vorstädten. Liebhabertheater, die auch Eintrittspreise nehmen, Sterne, nicht erster Grösse, zeigen sich hie und da am künstlerischen Horizont, verschwinden aber wieder, so schnell, wie sie entstanden. Ich entsinne mich aus meiner Schülerzeit eines Theaters auf dem Pferdemarkt, das auf einem niedrigen Boden erbaut war, wo ein Dilettant auf dem Klavier das ganze Orchester ergänzte. Hier wurden nur Tragödien und Ritterschauspiele gegeben, bei deren Katastrophen fast kein Auge der Zuschauer thränenleer blieb. Die Gesellschaft, aus Professio-nisten bestehend, spielte nur am Sonntag, aber dann auch gewiss , und das tragische Schicksal der beiden besten Actricen, welche am Montage verbrannten, verhinderte nicht die Aulführung der ,, Maria Stuart" am nächsten Sonntage, wenn gleich der Kassirer den Billets kaufenden Zuschauern, wegen des Statt gehabten Unglücks, eine billige Nachsicht gegen die noch nicht routinirten Ersatzdamen empfahl. Ein anderes Theater war im Bäckerbreitengang, der Eintritt kostete nur zwei Schillinge, halb so viel, wie bei dem obenerwähnten. Man gelangte in das Heiligthum vermittelst einer Leiter, durch eine Luke, auf welche sich beim Anfang der Vorstellung der an 400 Pfund schwere Kassirer stellte, so dass bis zum Fallen des Vorhangs Keiner weder aus- noch einpassiren konnte. Wasserkünste, welche das Wasser durch alle Gassen der Altstadt treiben, giebt es drei. Zwei sind beim Jungfern-stieg am Öberdamm , und die dritte ist beim Graskeller am Niederdamm. Seit mehreren Jahren besteht eine höchst gemeinnützige Anstalt, welche die Bewohner der Neustadt mit schönem Wasser versorgt. Dies ist das Verdienst des Oberalten Georg Ehlert Bieber. Als eine der vorzüglichsten Zierden Hamburgs ist noch der botanische Garten, vor dem Dammthore, welcher unter besonderer Leitung des Professors Lehmann steht, anzuführen. Es werden zum Behuf der Saamen- und Pflanzen-Mittheilung ausgedehnte Verbindungen im Auslande unterhalten, und die für den Verkehr nach allen Gegenden der Welt so günstige, Lage der Stadt macht es möglich, den Garten mit seltenen Gewächsen aller Art zu bereichern, wovon die Doubletten zu sehr billigen Preisen, zum Besteü der Anstalt durch den bola- 102 nischen Gärtner, Herrn Inspector Ohlendorf, verkauft werden. Der Garten hat besonders in den letzten Jahren einen ungemein beträchtlichen Zuwachs von schönblühenden und interessanten Gewächsformen erhalten, worunter selbst viele ganz neue Gattungen und Arten sich befinden. Seitdem durch Rath- und Bürgerschluss die Entfestigung verordnet worden, hat sich der vormalige Festungswall mehr und mehr bis zu der jetzigen vortrefflich vollendeten Ausbildung einer der anmuthigsten und gemüthlichsten Garten-Anlagen gestaltet. Sowohl durch den Wechsel seiner innern malerischen Punkte, als auch durch die Aus- und Uebersichten der jenseits des Stadtgrabens sich bildenden ländlichen Partien, stellt sich nun der vormalige unfreundliche Festungswall als ein anziehender Volksgarten heraus. — Die alten Aussenwerke des Glacis sind geebnet, und überall mit Alleen, Baumgruppen u. s. w. bepflanzt. Diese Anlagen, vereint mit den freundlichen Hainen der Friedhöfe und dem üppig herangewachsenen botanischen Garten, bilden, vom Wallgarten abgesehen, die köstlichsten malerischen Land-Ansichten. — Der vormalige Stadtgraben ist seiner Breite nach halb ausgedämmt, und erscheint jetzt gleich einem sich friedlich dahin-schlängelnden Strom 5 die vormaligen eckigen Bastionen sind abgetragen, gerundet, und, sowie der Unterwall mit Fusspfaden durchzogen, mit Baum- und blühendenGesträuch-Gruppen und anderen malerischen und duftenden Pflanzungen, wie auch mit Schattengängen und Sitzen besetzt. Von allen diesen Anlagen am Unterwall zeichnet sich diejenige unweit des Millernthores aus, wo der Pfad mit roth und weiss blühenden Akazien so dicht besetzt ist, dass er gleichsam eine fortlaufend schattige und duftige Laube bildet. Viele dieser trefflichen Partien des Wallgartens bieten dem Landschaftsmaler die zu Landschaftsgemälden vollkommen geeigneten Ansichten. Die auf diese Weise trefflich vollendete Elbhöhe des vormaligen Walles am Millernthore liefert eine Muster-Partie, nach welcher das grosse Ganze dieser Stadt-Um-fassung seit dem Jahre 1815 gestaltet, nunmehr, in ihrem anziehenden Reize erscheinend, vollendet worden. Im Auftrage der Bau-Commission hatte der nun verstorbene , geschickte Kunstgärtner Herr Alt mann, aus Bremen, damals die Plane zu 103 lern Wallgarten entworfen and nach der Genehmigung sie, von Jahr zu Jahr mit der Anlage fortschreitend, ausgeführt. Vor allen bleibt die obenbenannte Elb höhe der schönste Punkt derselben. Was Kunst und Geschmack, was Kenntniss des Malerischen und des dem Oertlichen Angemessenen, bei solchen Natur-Anlagen, Schönes, Gefälliges, Anziehendes und Vollendetes anzuordnen und auszuführen vermag, ist hier, so weit die Lokalität es zuliess, geschehen. Dies Alles wirkt mit der Lage dieses Garten-Hügels am Elbstrome, mit der Aussicht auf seine Inseln und auf das gegenseitige Ufer, dann mit der Umsicht gegen Altona und in die weiten Landgegenden umher, zusammen, um diese sehenswerthe, grossartige und malerische Anlage an schönen Tagen zu einem Sammelplatze aller Klassen des hamburgischen Publikums zu eignen. Eine ähnliche schöne Partie ist die auf der Wallhöhe am Dammthore, wo sich dem Blick eine überaus freundliche Stadt- und Land-Ansicht der beliebten Umgegend dieses Thores, der Esplanade, der Spaziergänge, Pflanzungen, Gärten u. s. w. bis an den See der Aussen-Alster eröffnet. Einen nicht weniger schönen Blick auf diese Gegend der Stadt, der Vorstadt St. Georg und der beiden Alster-Bassins liefern die mit malerischen Pflanzungen besetzten und mit Schlangengängen durchzogenen vormaligen Bastionen zu beiden Seiten der neuen grossen Alster-Brücke (Lombardsbrücke), und noch vorzüglicher der folgende Wallhügel, sonst Vincent, jetzt Alsterhöhe benannt, dem sich, nach der Steinthorgegend, längs dem sich dort bildenden südlichen Thale, eine Obstbaum-Pflan-zung anschliesst, deren geschützte Lage ein fröhliches Gedeihen verspricht. An dem Fahrwege längs dem Alster-Bassin, und weiterhin, erheben sich in doppelten Reihen die schönen Pyrami-dal-Formen italienischer Pappeln, eine grüne, den Fahr- und Fussweg beschattende Laubwand in der Perspective bildend. Der höchste Punkt des Wallgartens ist die Höhe jenseits des Stein-thores. Sie erhebt sich bedeutend über alle vorgenannten Hügel, und beherrscht daher eine am weitesten ausgedehnte Umsicht; doch sind die Ansichten von jenen Höhen abwechselnder, ge-müthlicher, malerischer. Ein sehr glücklicher Gedanke war es, dass die Stadtbehörde die vorhin bemerkten Wallhöhen von ihren veralteten Bastionen-Namen befreit, und ihnen neue eigenthüm- 104 lieh passende Local-Namen gegeben hat, nämlich: Elb höhe (statt des keinen Sinn habenden Namens Stintfang), Alst erhöhe (statt Vincent) und Altmannshöhe (statt Sebastianus). Man gab der letztern diesen Namen zum Gedächtniss des bereits erwähnten, verstorbenen, um den Wallgarten sehr verdienten Kunstgärtners, Herrn Altmann. Die neuen Benennungen sind auf kleinen ehernen Tafeln auf diesen Höhen bemerkt. Auf dem Platze der abgetragenen und geebneten Bastion David, unweit der grossen Alsterbrücke, steht Büsch's Ehrendenkmal, ein Obelisk, woran das Profilbildniss Büsch's und ein allegorisches Basrelief von Bronze befindlich sind. Die Inschriften der Vorder- und der Rückseite sprechen die einfach schönen Worte aus: „Dem Freunde des Vaterlandes, Johann Georg Büsch" — „Von seinen dankbaren MitbürgernDie beiden Seitentafeln deuten das Geburtsund Sterbejahr des Verewigten an. Das Basrelief stellt eine Opferhandlung dar. Auf einem mit den Genien des Todes und der Unsterblichkeit dekorirten Altar giesst die Bürgerliebe die Opferschale aus. Sie ist als ein jugendliches Weib gestaltet, das die als Maurerkrone geformten Burgthürme des Hamburger Wappens auf dem Haupte trägt. Ihr gegenüber steht, als Sinnbild der aufgewachsenen Generation, ein Knabe mit dem Opfer-gefäss. Im Gefolge der Opfernden sind zwei allegorische Figuren, die der Staatswirthschaft und Handlung, und die der, besonders den mathematischen Wissenschaften verwandten Gewerbe. Beide tragen Opfergeräthe, und, zur Bekränzung des Altars, Laubgehänge.— Die übrigen Verzierungen sind von carrarischem Marmor; Sockel und Postament aus den schönsten inländischen Granitblöcken geformt. Der Obelisk selbst ist von röthlichem Sandsteine. Die ganze Höhe beträgt zwanzig Fuss und sieben Zoll. — Zwischen Hamburg und Altona erhebt sich, ausserhalb des Miliern- (Altonaer-) Thores, mit einer Kirche und einer Armenschule, die Vorstadt St. Pauli, früher der „Hamburger Berg" genannt. Alle diese Gebäude sind erst nach der französischen Zeit, die keinen Stein auf dem andern liess, neu erbaut. Sehenswerth sind hier: das Wirthshaus des Herrn Harten, Joachims thal genannt; ferner, die Elberholung und 103 Elb halle. Im Sommer besonders gewähren die hier befindlichen Marionetten-Theater, Kunstreiter und Seiltänzer, Wachsfiguren-Cabinette, Menagerien, Caroussel u. s. w. dem grössern Publikum eine viel benutzte angenehme Unterhaltung. Sehr zweckmässig ist es, dass unter dem Patronate des Senator Dämmert die Buden auf dem Hamburger Berg niedergerissen werden, und jedes Genre ein stehendes Local bekommt, nach einem vorgezeichneten Plane» Das St. Pauli-Theater steht schon unter Dach, und soll allerliebst sein. An den Elbufern sind eine Menge Tanzsäle errichtet, wo sich das Schiffsvolk von allen Nationen einfindet. Der Anblick eines solchen wilden Festes hat einen jungen Oldenburger Dichter, Herrn Heinrich Lambrecht, zu einer lebhaften poetischen Schilderung desselben begeistert, welche ich hiermit den von mir redigirten, wenn gleich von den meisten Zeitschriften bestohlen werdenden, wenig verbreiteten humoristischen Blättern entnehme: Es rauscht Musik; die Geige klingt, Es tönt die Klarinette, Hell durch die sanftem Klänge dringt Das Schmettern der Trompete. Es schwenken sich in raschem Tanz. In ihren weiten Hosen, Im offnen Saal, beim Lichterglanz, Wildlärmende Matrosen. Matrosen sind's von Engeland, Von Portugal, von Spanien, Von Frankreich , von dem dän'schen Strand Von Russland, von Italien; Die hocherglüht von Tanz und Wein In wilder Freude springen, Und um die Dirnen, schlank und fein, Kühn ihre Arme schlingen. Hier tanzt der Jack, der wilde Tom., Der schöne Alessandro; Der Iwan dort, der Guillaume, Der feurige Fernando, Die Ost- und Nordsee. 14 106 Und jeder spricht nach seiner Art, Und lasst sich sorglos gehen ; Erzählt von mancher lust'gen Fahrt, Was er gethan, gesehen. Der eine hat manch' wilde Jagd Gerührt mit den Bukanern, Der andre manchen Strauss gewagt Mit wilden Indianern. Der schlug mit Negern sich herum, Der kiisste eine Wilde, Der fing den Strauss, so schön wie dumm, Auf glühendem Gefilde. Der war auf Java, Sumatra, Der sah den Ganges fluthen, Der in dem heissen Afrika Ein Menschenopfer bluten. Doch Alles schwand im raschen Flug. Wie luft'ge Traumgebilde, Bald wieder fort ihr Schiff sie trug, Wo laut die Woge brüllte. Und ungewiss ihr Fahrzeug treibt Auf sturmgepeitschten Wellen, Und ob es unzertrümmert bleibt, Ob Klippen es zerschellen, Sie wissen's nicht, doch 6ehn sie kühn Dem Schicksal in die Augen; Wo Stürme brausen, Blitze sprühn, Da kann die Furcht nicht taugen. Sie ringen kühn mit Sturm und Fluth, Nichts kann ihr Herz erschüttern, Nichts brechen ihren festen Muth; Der Seemann darf nicht zittern. Doch weil ihr Leben stets bedroht. Nur wie am Faden hänget • Aus jedem Wellensturz der Tod Sich lüstern an sie dränget; — 107 — So trinken sie, wo's möglich ist, Die Lust in vollen Zügen, Wer weiss, ob sie nach kurzer Frist sticht schon im Meergrund liegen. Wer weiss, ob nicht der gier ge Schon wetzt für sie die Zahne, Ob nicht die feuchte Wasserfei Nach ihrer Lieb' sich sehne. Drum eh' die Woge sie zurück Treibt von dem sichern Strande, Erhaschen sie das flieh'nde Glück Am flatternden Gewände. Wie springt der Jack, wie jauclui der Tom Wie froh singt Alessandro, Wie jubeln Iwan und Guillaume, Wie feurig küsst Fernando! Es eilt die Nacht bei Becherklan$, Bei Spiel und wilden Küssen, Bei tollem Jubel und Gesang Dahin auf flücht'gen Füssen. Der Morgen dämmert in die Höh' Da eilen fort sie schnelle: Denn „Frau Elisa'4 sticht in See, Und „Jungfrau Isabelle". Ausser der täglichen Verbindung nnt Harburg unterhält Hamburg eine regelmässige DampfschifFfahrt mit Helgoland, Itzehoe und Magdeburg. Eine Londoner Compagnie lässt zwischen Hamburg und London das ganze Jahr hindurch jeden Mittwoch und Sonnabend Morgens früh eines von Hamburg und eines von London abgehen, und führt zugleich die reguläre Briefpost. — Die beiden niederländischen Dampfschiffe, ,,Willem de E erste", 800 Tonnen gross und 160 Pferde-Kraft, und ,,de Beurs van Amsterdam", 600 Tonnen gross mit Maschinen von 120 Pferde-Kraft, beide niedrigen Drucks, fahren zwischen Amsterdam und Hamburg. Diese Dampfschiffe gehen von primo März bis primo November, den 5ten , lOten, 15ten, 'iOsten, 25steu und 30sten jeden Monats von Amsterdam und von Hamburg ab, 108 nehmen auch zugleich Passagiere nach Cuxhaven mit und wieder zurück, sind auf das Eleganteste und Bequemste für 60 Passagiere eingerichtet, und hat man alle mögliche Sorgfalt angewandt, denselben die Ueberfahrt (welche in der Regel in 30 bis 36 Stunden geschieht) so angenehm als möglich zu machen. Nach Magdeburg gehen bis jetzt drei Dampfschiffe: Leipzig, Hamburg und der englische Courier genannt. Die beiden ersten derselben, an Form und Grösse einander gleich, sind jedes mit Niederdruck-Maschinen von 60 Pferde-Kraft versehen, und enthalten einen schöngeschmückten Salon (worin Fortepiano und andere Musik-Instrumente, Noteusammlung, kleine Bibliothek, Zeitungen und Spiele), reich decorirte Privat-Cabinette, diverse Cajüten, sowie abgesonderte Schlafgemächer mit einer grossen Anzahl guter Betten und alle nur mögliche Bequemlichkeiten für Passagiere. Ein Gleiches findet bei dem mit Nieder-druck-Maschinen von 70 Pferde-Kraft versehenen, in England ganz von Eisen erbauten dritten Dampfschiffe, „der englische Courier", Statt, und ist dasselbe durchgängig so prachtvoll eingerichtet, dass es in jeder Hinsicht die ausgedehntesten Wünsche aller Reisenden vollkommen befriedigt. Vorstehende schnellfahrende Dampfschiffe legen die Tour stromaufwärts von hier nach Magdeburg im Sommer gewöhnlich binnen 1% und 2 Tagen, und stromabwärts von da hierher in einem Tage, mit Inbegriff des Aufenthalts, zurück, und befördern dabei zugleich Personen nach, wie von allen unterwegs belegenen Elbstädten, so wie auch Pferde und Wagen mitgenommen werden. Zahllose und geschmackvolle Villen mit den reizendsten Gärten umgeben Hamburg von allen Seiten. Wer nur irgend so viel Mittel aufzubringen vermag, acquirirt oder miethet zu der städtischen eine ländliche Wohnung, um dort den Samstag-nachmiltag und den Sonntag mit seiner Familie zuzubringen. Unter den lieblichsten Gegenden auf Hamburgischem Gebiet sind vor allen das ländlichste Harvstehude, ein Lieblingsort Hagedorns, das freundliche Eppendorf, das romantische Wohldorf, das imposante Eimsbüttel, und in weiterer Entfernung die Vierlande, berühmt durch ihre Milch und Erdbeerenfelder, so wie ausgezeichnet durch ihre Tracht, namentlich durch die weibliche. Oberkleid, Rock und Strümpfe der Vierlanderinnen sind meist 109 violett oder brauu mit dunklern Bändern, das Mieder roth und grün, — unter ihrem Strohhute fallen reiche Haarzöpfe herab, und das Gesichtchen voll Farbe und Gesundheit sieht naiv und unschuldig drein. Von den dänischen benachbarten nicht an der Elbe liegenden Dörfern ist das freundliche Wandsbeck, wo alljährig ein Pferderennen, und Poppenbüttel mit seinen Eichen zu merken. Altona. Man weiss nicht zwei bedeutende Städte auf verschiedenem Landesgebiete zu nennen, welche so nahe belegen bei einander sind, wie Hamburg und Altona, Letzteren Namen all zu nah hat auch der Volkswitz gegeben, obgleich die Gegend schon früher nach einem Bache Altenau genannt ward. Zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts war Altona noch eine Weidetrift, die zur Vogtei ,,Ottensheim" oder „Ottensen" gehörte. Als die evangelische Lehre in Hamburg Eingang fand, verliessen mehrere katholische Glaubensbrüder die Stadt, und siedelten sich in Ottensen an, von wo aus sie ihren bisherigen Geschäftsverkehr noch fortwährend betrieben. Zu ihnen gesellten sich mehrere andere Ansiedler, die aber noch alle nach Hamburg zur Kirche sich hielten. Die Hamburger klagten viel über diese allzunahe Niederlassung von Geschäftsleuten aller Art; als daher die Ortschaft 1547 abbrannte, wendeten sie sich an den Drost Barner in Pinneberg, und trugen darauf an, dass Altona nicht wieder aufgebaut werden möge. Allein weder der Drost, noch der Graf von Schauenburg, beachteten diesen Antrag. Der Ort ward mit vieler Sorgsamkeit neu aufgebaut, und blühte zum Verdruss der Hamburger zu bedeutendem Wohlstande empor. Diese verordneten deshalb 1548, dass kein Einwohner ihrer Stadt auf zwei Meilen in der Runde irgend ein Zeug oder Geräthe verfertigen lassen solle. Dadurch entstanden oft Thätlichkeiten zwischen der Stadt und dem Pflanzorte, und ein Drost in Pinneberg äusserte einst, die Altonaer würden besser an der türkischen , als an der Hamburgischen Grenze wohnen. Sehr wichtig für Altona, welches 1604 ein Flecken und 1664 eine Stadl wurde, war die Aufnahme, welche flüchtigen Religionsvervvaiidten 110 aus den Niederlanden, Katholiken, Reformirten, Mennoniten und Juden, seit 1601 gestattet wurde. Der Unfug, den diese Juden mit Hausiren trieben, ward der Stadt Hamburg bald sehr lästig. Als nach Aussterben der Grafen von Schauenburg zu Pinneberg (1640) Altona an den König von Dänemark fiel, ward es noch mehr Augenmerk, das Aufblühen der Stadt zu begünstigen. Ein entsetzliches Unglück verhängten im Januar 1713 die Schweden unter Steenbock über die Stadt, durch Verbrennung derselben. Ausser drei Kirchen blieben nur 30 Häuser verschont. — Seitdem suchte man durch vermehrte Privilegien dem Orte wieder aufzuhelfen, eine glückliche Rivalität mit Hamburg war jedoch nicht zu erreichen. Man zählt gegen 24,000 Ein wohner und gegen 5000 Wohnungen. Die Stadt hat einen Oberpräsidenten 5 der Magistrat besteht aus zwei Bürgermeistern, zwei Stadtsecretairen und vier Senatoren. Zur städtischen Gerichtsbarkeit gehören die Dörfer Ottensen und Neumühleu. Die Stadt hat gutes Strassenpflaster, Gassenerleuchtung, gute Polizei, musterhafte Brandanstalten, ein Zuchthaus mit eiuer Kapelle, zwei evangelisch lutherische Kirchen, eine der deutsch und holländisch Reformirteu, eine Mennoniten-, eine Brüder-, eine katholische Kirche, eine Synagoge der deutsch-polnischen, und eine der portugiesischen Juden. Dem hiesigen Oberrabiner sind alle Juden Schleswigs und Holsteins, die zu Glückstadt ausgenommen, unterworfen. Die Stadt besitzt ferner ein Waisenhaus, welches gegen 70 Zöglinge hat, verbunden mit einer Armenindustrieschule. Die gräflich Reventlauische Armenstiftung hat gegen 80 Präbendisten. Ausser 2 Krankenhäusern und einer Unterrichtsanstalt für Hebammen, findet man hier ein anatomisches Collegium und ein Vaccinationsinstitut; ein Lombard, ein 1799 vou Privatpersonen errichtetes Institut zur Belohnung treuer Dienstboten, welches jährlich an des Königs Geburtstag Prämien austheilt und mit einer Sparkasse verbunden ist. Es ist hier eine Centraiadministration der Schleswig-Holsteinischen patriotischen Gesellschaft, ein Museum, eine Vereinigung angesehener Einwohner zu wechselseitiger Mittheilung und zum gemeinschaftlichen Vergnügen, eine nicht unbedeutende Bibliothek, eine Turnanstalt und ein Schauspielhaus. Das 1736 gestiftete Gymnasium, Christiane um genannt, hat 1771 eine neue Einrichtung erhalten und jetzt 9 Lehrer. III Der jetzige Oberpräsident von Blücher, ein Neffe des unsterblichen Feldherrn, wurde wegen seiner Verdienste um Altona, namentlich wegen Erhaltung der Stadt, wahrend der französischen Occupation und Belagerung Hamburgs, von dem Könige von Dänemark in den Grafenstand als „von Blücher-Altona" erhoben. Zu jener Zeit wandte der damalige Direclor des Gvm nasii, Struve, die bekannten Virgilschen Verse: Superet modo Mantua nobis, 0 Mantua! nimium vicina miserae Cremonae. sehr passend parodirend, auf das bedrängte Altona an, indem er auf die Etymologie von „Allzunah" anspielte: Superet modo Altona nobis, 0 Altona! nimium vicina misero Hamburgo. Uebrigens hat Altona, trotz dem, dass es ausser der Dänischen Zolllinie liegt, nie mit Hamburg sich messen gekonnt, weshalb es Heine nicht unwilzig zu den Sehenswürdigkeiten Hamburgs rechnet. Wöchentlich wird im Dänischen die Zahlenlotterie gezogen, und zwar nur alle drei Wochen in Kopenhagen, an den übrigen Dienstagen in Altona, woselbst auch seit einigen Jahren die Nummern aus dem Glücksrade genommen werden, welche sonst eine Ziehung in Wandsbeck lieferte. Der Zudrang zu solchen Ziehungen ist ungeheuer gross, namentlich von Hamburg aus, von wo aus sich die Menge durch alle Thore drängt, um sich noch vor der Ziehung mit Lotterieloosen, die beim Eingang fast an allen Fenstern ausgeboten werden, zu versorgen. Der Anblick dieser Collecten erinnert in der That an Gänge, wo allenthalben die Spinnen ihre Netze ausgesponnen haben. — Vergebens hat Hamburg seinen Bewohnern das Spielen im Dänischen Zahlenlotto bei Zuchthausstrafe verboten, es scheint jetzt dahin gekommen zu sein, die Winkelcollecten in Hamburg zu toleriren, damit das Geld nicht aus seinem Weichbild gehe, obgleich, wenn sich einmal besondere Glücksfälle ereignen, diese Winkelentrepreneurs sich nur zu oft als unzahlungsfähig zeigen. Ein Engländer, der vor mehren Jahren eine bedeutende Summe gewann, wollte sich nicht mit 75 Procent, dem Möge uns Altona erhalten bleiben! 0 Altona! all zu nahe dem UDglücklichen Hambarg. 112 ganzen Vermögen der erschrockenen Bankhalter, begnügen, klagte und ging natürlich ganz leer aus. — Unter der väterlichen Regierung des jetzigen Königs steht zwar eine Aufhebung des Lottos zu hoffen, welches indessen ein bedeutendes Deficit in den Finanzen, und die ßrodlosigkeit einer Unzahl bei diesem Institute angestellten Menschen herbeiführen würde. Eine sehr schöne Strasse in Altona ist die Palmaille, berühmt durch die herrliche Allee, welche diese breite Gasse bis zum Ende nach Ottensen durchläuft, und dabei den reizendsten Anblick auf die Elbe leiht. Der Rainvillsche Garten gewährt diesen noch unbeschränkter 5 eine vortreffliche, aber sehr theure Restauration, welche hier angelegt ist, macht diesen Platz nicht selten zur Reunion der reichen Altonaer und vorzüglich der Hamburger, welche dort häufig Diners, Soupers und Bälle geben. Dicht davor befindet sich der Ottenser Kirchhof, auf welchem Klopstock mit seiner Meta unter einer schönen Linde ruht. — Längs der Elbe hin, bis Blankenese, wechseln die anmifr-thigsten Gegenden, mit den schönsten Gartenhäusern reicher Hamburger und Altonaer geziert, ab. Hier ist besonders der Bauers che Garten und die ehemalige Besitzung des vor einigen Jahren verstorbenen, als Oeconom, Schriftsteller und vor allen Dingen als Menschen ausgezeichneten Baron Voghts in Flottbeck zu bemerken, so wie eine im Geschmack der englischen Landhäuser gebaute Wohnung des Herrn Richard Go-deffroy, und der Kunstgarten des Herrn James Booth. Von früheren Zeiten her haben hier viele berüchtigte und berühmte Menschen ihren Aufenthalt gehabt, z. B. Joh. Christ. Edelmann, Johann Conrad Dippel, Johann Otto Glüsing, Stanislaus de Lubianitz, Ann. Mar. v. Schurmann, Joh. Bernh. Basedow, Joh. Aug. und Joh. Christ. Unger, Phil. Gabr. Hensler und Heinrich von Gerstenberg, der bekannte Verfasser des Ugolino. Unter den jetzt in Altona Lebenden dürfte besonders der als Astronom bekannte Etatsrath Schumacher zu erwähnen sein, so wie der edle und geistvolle Wienbarg, der sich, ausser mit der Redaction der kritischen Blätter der Hamburger Börsenhalle, so wie mit seinen andern literarischen Arbeiten, auch zum Theil mit der Herausgabe des Altona er ©iirziiHiionsif 113 Merkurs beschäftigt, einer der ältesten deutschen Zeitungen, welche übrigens in den letzten Jahren ungemein an innerm Werthe zugenommen hat. Altona hat nur einen einzigen guten Gasthof, den des Herrn Danker, zum Holsteinischen Hause am Rathhausmarkt. Die früheren Hotels in der Palmaille sind eingegangen, woran die Nähe Hamburgs wohl die grösste Schuld tragen mag. Kuxliaveii und leuwerk. Am Ausflusse der Elbe in die Nordsee, in dem der Stadt Hamburg gehörenden Amte Ritzebüttel, liegt der Flecken Kux-haven, dessen Lage sowohl für den hamburgischen Handel, als auch zur Anlegung eines Seebades sehr brauchbar und bewährt befunden ist. Er gehört zum Kirchspiel Döse, enthält jetzt 150 Häuser und 1200 Einwohner, liegt 14 Meilen von Hamburg und 9x/2 Meilen von Helgoland entfernt, in einer sehr fruchtbaren Gegend, wogegen das Klima wegen der rauhen und kalten Seewinde der Vegetation nicht günstig ist. Einst gehörte das ganze, ungefähr 1 Quadratmeile grosse Amt Ritzebüttel zum Lande Hadeln und war eine Besitzung der Herren von Lappen, eines adeligen und reichsfreien Geschlechts , welches im Erzstifte Bremen sehr angesehen war. Die Ritter von Lappen zeigten sich indess nach dem damals herrschenden Unwesen, zur See in eben solchem Grade als Störer des Handels und des friedlichen Verkehrs, wie ihre ritterlichen Genossen sonst zu Lande aus dem Stegreifleben ein Gewerbe machten. Hamburg sah sich demzufolge veranlasst, mit den Vorstehern des Landes Wursten einen Vertrag zu schliessen, um den Uebermuth der Lappen zu zügeln, wodurch auch sie genöthigt wurden, einen Vergleich einzugehen und da sie unbeerbt starben, im Jahre 1393 das Schloss Ritzebüttel mit der Umgegend an Hamburg abzutreten, nachdem ihnen eine Abfindungssumme von 2000 Mark ausbezahlt Worden war und ihr Lehnsherr, der Herzog Erich von Sachsen, diesen Vergleich genehmigt und auf alle seine lehnsherrlichen Ansprüche verzichtet hatte; demzufolge auch der Herzog Franz Julius Jahre 1630 mit seinen Vindications-Anträgen beim Reichshofrath, weil Ritzebüttel vor Zeiten ein Lehügut seiner Vorfahren ge-Die Ost- und Nordsee. 15 114 wesen sei, zurückgewiesen wurde. Seitdem ist es im ruhigen Besitze Hamburgs geblieben, und durch Bauten und zweckmässige Einrichtungen für den Handels- und Privatverkehr zugänglicher geworden. Bei Sturm und Eisgang finden die Schiffe hier einen sichern Zufluchtsort und die oft in grosser Zahl aus allen Welttheilen zusammentreffenden Fremden eine gefällige und freundliche Aufnahme. Ein Telegraph versendet in wenigen Minuten die für den Staat und die Bewohner Hamburgs eintreffenden wichtigen Nachrichten in die Hauptstadt; Dampfschiffe aus England, Holland, Frankreich und Amerika erleichtern die Communikation mit Hamburg, und ein seit dem Jahre 1816 zweckmässig eingerichtetes Seebad, worüber zwei Werke vom Amtmann und Senator Abendroth, Hamburg 1815 und 1837, erschienen sind, trägt sehr viel dazu bei, Iiuxhaven zu erweitern und immer mehr in Flor zu bringen, nachdem jetzt die traurigen Folgen ungünstiger Naturereignisse, welche Deichbrüche und Ueberschwemmungen, epidemische Fieber und Missernten veranlassten, glücklich überwunden und durch die fürsorgliche Thä-tigkeit des Amtmanns Abendrolh, nicht ohne erhebliche Opfer wieder ausgeglichen sind. — Die Telegraphenlinie zwischen Hamburg und Kuxhaven hat 8 Stationen, nämlich in Hamburg und Altona, Köterberg bei Blankenese, Stade, Klindtberg bei Hechthausen, Dobrock, Otterndorf und Kuxhaven. Der Mechanismus ist sehr zweckmässig eingerichtet und so vereinfacht, dass auch längere Sätze mit der grössten Leichtigkeit sehr rasch mitgetheilt werden können. Obgleich der Nutzen und das Bedürfniss eines solchen Telegraphen für den Handel und die Schifffahrt schon vor 50 Jahren nachgewiesen und empfunden ward, ist er doch erst vor vier Jahren auf Actien errichtet und es hat sich schon gezeigt, dass die Erleichterungs- und Unterhaltungskosten viel weniger betragen, als der effective Nutzen, der dadurch herbeigeführt wird. Wie gross dieser Nutzen aber noch bei kriegerischen Ereignissen, die von der See her verkündet werden können, sowohl für die Stadt Hamburg, als auch für einzelne Geschäftsmänner und Familien steigen kann, ist gar nicht zu übersehen und zu berechnen. Nur scheint es wünschenswerth, dass diese Telegraphenlinie noch bis Helgoland, längs der Holsteinischen Küste, fort 113 geführt wird, da oftmals im Jahre Schiffe auf eine Zeitlang verhindert werden, in die Elbe bis nach Kuxhaven einzulaufen. Die Anlegung eines Seebades in Kuxhaven war gleichfalls schon im vorigen Jahrhundert zur Sprache gebracht, aber erst der Nutzen und der gute Erfolg anderer Seebade-Anstalten musste vorangehen, um auch diesen Plan zur Ausführung zu bringen. Diese Anstalt stand bis zum Jahre 1838 unter einer Bade-Direction, die aus dem Amtmanne, dem Commandern1 der Marine und den Badeärzten bestand, seit der Zeit aber existirt ein Seebad-Verein, der aus einigen Beamten und Aerzten zusammengesetzt ist. Der Einwand, der wohl gegen die Wirksamkeit dieses Seebades geäussert wird, dass die Elbe dort noch zu sehr mit süssem Wasser aus den Flüssen Holsteins und des Herzogthums Bremen geschwängert sei, verliert durch den Umstand sein meistes Gewicht, dass jede Fluth kräftiges, salziges Seewasser in grosser Menge aus der nahen See in die Elbe ergiesst, daher auch zu dieser Zeit die eigentlichen See-Bäder genommen werden müssen. — Für alle möglichen Bequemlichkeiten ist dort genügend gesorgt und mehrere Badeplätze bieten Gelegenheit, wie man es wünscht, bei stärkerem oder schwächerem Wellenschlage zu baden; die warmen Seebäder, so wie die Douche, Dampf-, Regen-, Sturz-und Tropf-Bäder werden in den Badehäusern genommen und auf Verlangen die erforderlichen Betttücher, Badehemden und Handtücher dort gereicht. Wichtiger aber noch, als alle diese in Kuxhaven befindlichen Einrichtungen, ist das Merk- und Warnungszeichen, welches vor reichlich 500 Jahren auf der nahe dabei belegenen Insel Neuwerk für Seefahrende errichtet ist und schon vielen Tausenden in finstern stürmischen Nächten Gut und Leben erhalten hat. Diese Insel enthält nur 70 Morgen eingedeichtes Marschland, ist aber von gefährlichen Sandbänken umgeben und der Eingang zur Elbe, selbst für kundige Lootsen, bei neblichtem und dunklem Wetter so schwer zu finden, dass Keiner das Warnungszeichen, das beim Einsegeln zur rechten Seite liegen bleiben muss, entehren kann. — Im Jahre 1299 erhielten die Hamburger vom Herzoge Johann II., dem dermaligen Landesherrn von Hadeln, die Erlaubniss, hier einen Leuchtthurm zur Beförderung der Schifffahrt anzulegen und die nöthigen Steine dazu aus dem Lande 116 Hadeln zu holen. Weil aber der Thurm damals grösstenteils von Holz erbaut werden musste, wurde er schon 1372 durch Unachtsamkeit ein Raub der Flammen. Der neue, dauerhafter hergestellte Thurm ist von 14 Fuss dicken massiven Mauern, viereckig gebaut, auf jeder Seite 45 Fuss breit und über 100 Fuss hoch. In demselben hat der Vogt seine Wohnung, 40 Fuss hoch über dem Erdboden, und unter demselben befinden sich geräumige Magazine, um die geborgenen Güter von gestrandeten Schiffen, deren hier dennoch leider jedes Jahr, besonders auf der zwei Meilen weit vorspringenden Sandbank Scharhörn, mehrere ein Raub der Elemente werden, aufzunehmen. Eine Batterie von 10 Kanonen dient dazu, die erforderlichen Salutschüsse zu thun und zu erwiedern. Zur Ebbezeit kann man vom festen Lande zu Fuss und zu Wagen nach der Insel kommen, wobei man jedoch einige Baijen passiren muss, die jährlich durch die Ebben und Fluthen einige Veränderungen erleiden und durch Zeichen kenntlich gemacht werden. Das weitere Fahrwasser nach der See zu ist durch Tonnen bezeichnet, deren Lage und Richtung den Lootsen genau bekannt ist. — Ein Theil der Abdrücke der zweiten Ansicht von Norderney tragt die unrichtige Unterschrift „Nondaney", welchen Fehler man gütigst entschuldigen und berichtigen wolle. Druck von Breitkopf Härtel in Leipzig, Wan deriingen an der Mord- und Ostsee. Von IjcDlior üon üolik und Curncltxtö. Zweite Abtheilung'. Ostsee. Von VPtlbtlm Cornelius. Mit 15 Stahlstichen. Ceipjifl, Georg W i g a n d s Verlag. Einleitung Wohl Niemand wird in Abrede stellen können, dass bei der vorliegenden Eintheilung unseres deutschen Vaterlandes in zehn malerische und romantische Sectionen, offenbar dem die schwierigste Aufgabe zugefallen sei, der die sparsam und in weiten Zwischenräumen von Gottes Hand ausgesäeten malerischen und romantischen Schönheiten der weiten Ostseeküste in den engen Rahmen von sieben bis acht Druckbogen zusammenfassen soll. Und wenn ich nun dennoch aus aufrichtiger Liebe zum Meeres- und Heimathstrande keck die Hand an dieses schwierige Wagniss lege, so sei es mir erlaubt, mit wenigen Worten grossen Erwartungen, wie sie durch frühere reichhaltigere und mannichfaltigere Sectionen dieses Werkes erweckt sein möchten, bescheiden vorzubeugen. Der Charakter der deutschen Ostseeküste, deren Grenzen, beiläufig gesagt, schwer zu bestimmen sein möchten, ist im Allgemeinen weder malerisch, noch romantisch. Meist flach und eintönig, kalt und rauh, kahl und sandig, hält dies Land keinen Vergleich aus mit dem warmen und farbenreichen Süden unseres Vaterlandes. Es kann sich weder im Reichthum an Naturschönheiten, noch an grossen historischen Erinnerungen mit dem Rhein , mit Schwaben , mit Thüringen oder mit dem Harze messen. Eine Quadratmeile ist dort reicher, als hiereine ganze Provinz. Arm, wie alle flachen Länder, an originellen poetischen Sagen der Vorzeit . beginnt auch die Geschichte hier erst mit dem zweiten Jahrtausend, mit der Einführung des Christenthums; und die Geschichte wird erst zuverlässig mit dem Emporblühen der Städte, mit der Gründung der Hansa. Was diese Gegend Grosses, aber auch einzig Grosses, zugleich Niederbeugendes und göttlich Aufrichtendes besitzt, ist das Meer. Im Meer und hart am Meer liegen die wenigen malerischen Naturschönheiten des Landes. Im Meere liegt 4 Rügen, das liebliche Eiland, mit seiner reizend räthselhaften heidnischen Vorzeit. Meist nur auf dem Meer und hart am Meer, zumal in den einst mächtigen und von Königen gefürchteten Städten, geschah, was Grosses und Ruhmwürdiges aus der Vorzeit dieses Landes auf die Nachwelt gekommen ist. Das Meer, das ewige Anschauen, das Bekämpfen und Bemeistern dieses majestätischen und wunderreichen Elementes ist es, was hauptsächlich den in Gottergebenheit muthigen , ruhigen, offen und frei gesinnten Charakter der Küstenbewohner durch alle Jahrhunderte bildete. Und dieses Volk der Küstenbewohner, das unter seiner rauhen Schale einen so gesunden Kern in sich trägt, ist es hauptsächlich, was das Reisen, zumal die Wanderung, an dieser weiten Küste lohnt und interessant macht. Daher erwarte der Leser mehr eine Schilderung des originell und scharf ausgeprägten, wenn auch durch Cultur noch weniger polirten Menschenschlags, als eine topographischstatistische Beschreibung des meist, alltäglichen Landes; mehr eine Profilzeichnung, als ein ausgemaltes Bild; mehr einen Abriss der hellen lebendigen Gegenwart, als der dunklen abgestorbenen Vergangenheit. Nur mit dem flüchtig skizzirenden Crayon des Landschaftsmalers und nicht mit dem ausführenden, verschönernden und deckenden Pinsel kann und will ich mich befassen. Der Heimath mit ganzer Seele zugethan, bin ich niemals blind gewesen für die Vorzüge anderer Gegenden Deutschlands, und ich werde niemals von Pommern im Superlative reden, wenn der Positiv vollkommen genügt. Das weite, hier tausendfach gespaltene Feld der Geschichte nach Gebühr würdigend, werde und muss ich mich des engen Raumes wegen auf das beschränken, was sich mit dem Charakteristischen des Volks, mit dem Malerischen und Romantischen des Landes in ungezwungene Verbindung bringen lässt, und wird sich bei Städten wie Königsberg, Lübeck, Danzig, Stralsund und Col-berg gewiss Gelegenheit genug zu interessanten historischen Rückblicken finden. Schweigen, weniger sagen als man weiss, ist ohnehin schwieriger als Wortmacherei, und dieser Tugend des Schweigens muss ich mich hier befleissigen. Möchte sich doch , zum Lohn für mich, nur ein schwacher Abglanz jener Fröhlichkeit und Jugendfrische in diesen Blättern spiegeln, die bisher auf gar mannichfaltigen Wanderungen mir immer treue Gefährten waren! 3 Ausmarsch. „Herr Ewald! Sie sollen schleunigst zum Herrn General kommen! " rief an einem schönen Morgen der Sergeant Lewan-dowsky aus dem Innern des Festungshofes an mein Gitterfenster hinauf, das seit sieben Jahren meine Weltanschauung begrenzte. Was mochte das sein? Was konnte der General so früh von mir wollen? Ich fuhr in die Kleider. In drei Minuten stand ich, den keuchenden Sergeanten hinter mir, vor der hochedlen Greisengestalt meines mir immer väterlich gesinnten Commandanten. Er hielt in seiner Rechten ein grosses entfaltetes Schreiben, seine Augen glänzten in Thränen, und er mass mich von der Sohle bis zum Scheitel. ,,Da! lesen Sie selber!" sprach er und legte seine zitternde Hand auf meine Schulter. Was mochte das sein? Himmel! es war die Freiheit! Die Freiheit für den Freund und mich, die sieben Jahr in Jugendkraft und Ungeduld immer vergebens erharrte selige Freiheit. Die Freiheit durch Urtel und Recht. Ich stürzte fort. Ich sah und hörte nicht. Ein dicker Hauptmann wollte mich theilnehmend umarmen. Ich wich ihm aus und umarmte statt seiner erst einen Baum, denn den dicken Hauptmann würde ich in meiner Freude todt gedrückt, oder doch bedeutend beschädigt haben. 0! Wer nicht in den lebensfrohen zwanziger Jahren sieben Jahr schwer gefangen sass, weiss nicht, was Freiheit ist, weiss nicht, was es heisst, wieder Herr seines Willens und seines Stubenschlüssels zu sein. „Wir sind frei! Frei durch Urtel und Recht, " rief ich dem Freunde zu. Er warf Pinsel und Palette weg und stürzte in meine Arme. ,,Fort! fort! zum Heimathland, zum Meeresstrand!" jubelten wir Beide. Die Ranzel wurden geschnürt. Wir waren fertig. Wir wollten fort. Da sah Einer den Andern fragend an. Konnten wir so plötzlich von diesem, wenn auch finstern, Aufenthalte scheinen 9 in welchem wir zu Männern gereift, in welchem wir die ernste, die wahre Anschauung des Lebens gewonnen? Nein. Byrons Worte im Gefangenen von Chillon fielen mir ein: Und als nun wirklich Männer kamen, Die meine Fesseln ab mir nahmen, Da war's, als ob mein Kerker sei Mir eine theure Siedelei; 6 Als ob die Männer jetzt nur kämen, Der zweiten Heimath mich zu nehmen.-- --Ja! meine Ketten waren werth mir jetzt. Gefangenschaft! wie wirkst Du wunderbar ! Denn, als in Freiheit ich nun ward gesetzt, Mein Abschiedswort ein tiefer Seufzer war! Wir blieben noch. Ein gutes Wort, an den General gerichtet, erwirkte eine Zusammenkunft mit den leider noch zurückbleibenden Leidensgefährten. In einer der grossen Kasematten ward beim edlen Rheinwein der Tage gedacht, die uns in Freud' und Leid dahin gegangen. Manch* Lied voll Muth und Hoffnung war heut' zu singen erlaubt, und als die Stimmung am fröhlichsten war, nahmen wir die Ranzel wieder auf und schieden. Tücher wehten uns Segen nach, und Kinder, deren Herzen ein Gefangener besonders leicht gewinnt, zogen in Menge eine weite Strecke mit uns und wollten uns nicht lassen. Als wir allein waren, zog Jeder schweigend seines Wegs , denn wohl Jeder gedachte der Seinen und ihrer harrenden Liebe. Ewald trällerte im Takt des frischen Wanderschrittes folgendes Liedchen: Wer durfte wohl nicht schauen Des Jünglings Blick und Tritt, Wenn er aus fernen Auen Beranzelt heimwärts schritt? Für sich er selig plaudert, Und schlendert wie der Bach, Bei keiner Blum' er zaudert, Bei keinem Finkenschlag! Des Schönen viel erreichet Sein Blick auf Höh'n, im Thal, Doch nichts von Allem gleichet Der Kindheit Ideal. Es lächelt manches Städtchen Dem jungen Wandersmann, Es schaut manch schönes Mädchen Ihn holderröthend an; Doch wie ihr Blick auch brennet, Wie blühend ihr Gesicht, Der, die er seine nennet, Der Einz'gen gleicht sie nicht 7 Und mit des Stromes Eilen, So sehnsuchtsvoll zum Strand, So zieht er ohne Weilen Zum Meer, zum Heimathland. Schön war am Neckarstrande Der Frau'n- und Sängerkreis, i\lan singt in keinem Lande So schon der Freiheit Preis. Schön war am Rhein das Leben, Voll Lieb' und voll Gesang, Voll Freundschaft und voll Reben, Voll Rechts- und Freiheitsdrang. Schön war es, zu betreten Der Schweizer freie Höh'n, Bei jedem Schritt zu beten : Gott! Deine Welt ist schön! Doch zehnfach schön ihm schimmert Die Heimath jetzt so hehr, Und seine Seele wimmert: Wo ist mein blaues Meer? ,,Wo ist mein blaues Meer?" wiederholte tiefaufathmend der Maler. ,,Es ist doch eigen, Ewald, mit der Liebe, mit der Leidenschaft für das 31eer ! Auch aus Dir, dem Weitgereisten, spricht stärker als nach den Menschen die Sehnsucht nach dem Meer, nach dem Rauschen der Wellen, das die Träume des Knaben gewiegt. Sonderbar! Statt dass wir Beide, um der Heimath auf kürzestem Wege zuzueilen , längst hätten links über die Weichsel gehen sollen, schlagen wir uns immer mehr rechts, als wollten wir statt nach Pommern , nach Königsberg.6e „Dahin steht auch mein Sinn," sprach Ewald. ,,War ich einmal der Heimath lange fern, so könnt' ich mich niemals ent-schliessen, den kürzesten Weg zu wählen, wenn links und rechts dir noch unbekannte Gegenden lagen. So auch jetzt. Ost- und Westpreussen, die Weichsel-Niederung, Städte wie Königsberg Ul*d Danzig sind mir noch völlig fremd, und ich würd' es mir ewig zum Vorwurf machen, diesem Theile des Vaterlandes so nahe gewesen zu sein, und ihn nicht beachtet zu haben. Hab' ich aber diese Gegenden durchwandert, danu kann ich sagen: ich kenne Deutschland. Das heisst: 8 So weit die deutsche Zunge klingt, Und Gott im Himmel Lieder singt. Von Königsberg bis Basel und von Hamburg bis Wien liegt dann keine Stadt von Bedeutung, durch deren Thore und Strassen ich nicht fröhlich gezogen wäre» Wandern ist die Poesie des Lebens. Nur so lange der Mensch wanderlustig ist, ist er jung und frisch an Leib und Seele , und ein beneidenswertes Geschöpf Gottes. Drum lass uns wandern!